BIZARRES VON NACKTEN DÄNINNEN UND ALGERISCHEN GRUPPENRAUCHERN
Was Naturwissenschaften angeht, hab ich nur die Ahnungslosen-Fakultät der Wikipedia-Universität besucht, aber es heißt, seit 1957 gäbe es Quantenmechanik-Experten, die innerhalb „unseres“ Multiversums von einer unbegrenzten Zahl von Paralleluniversen ausgehen. In diesem Zusammenhang belehrt man mich: „In den meisten Universen ist wegen der ungünstigen Werte kein Leben möglich – in anderen jedoch schon. Das beobachtbare Universum gehört zu der Teilmenge von Universen, in denen intelligentes Leben möglich ist, sonst könnten wir diesen vermeintlichen Zufall nicht beobachten.“ Schön. Erfreulich. Daß intelligentes Leben zumindest theoretisch für möglich gehalten wird, erfüllt mich mit einer gewissen Befriedigung.
Das erste Mal, bei dem ich das Gefühl hatte, versehentlich kurz ein Paralleluniversum besucht zu haben, ereignete sich in meinem 16. Lebensjahr, und zwar in Mantes-la-Jolie, einer mittleren Industriestadt 50km vor Paris. Eines Abens verließ ich verbotswidrig meine Schülergruppe, um den Ort zu erkunden, der von bereits Ortskundigen mit „abgesehen von der Kathedrale absolut extrem öde“ recht schmeichelhaft beschrieben wurde. Da ich des Französischen nicht wirklich, des Arabischen gleich überhaupt gar nicht mächtig war, folgte ich einfach, in respektvollem Abstand, einigen dunklen Gestalten, die, den Kragen ihrer Kunstlederblousons hochgeschlagen, verstohlen stadtauswärts strebten. Solchermaßen verstohlen irgendwohin Strebenden zu folgen hielt ich für eine gute Idee, um eventuell etwas Abenteuerliches oder wenigstens Sinnenaufpeitschendes aufzutun. Vorsichtshalber schlug ich meinen Kragen auch hoch.
Irgendwann schlüpften meine unfreiwillgen Führer durch eine Tür in ein Fabrikgebäude oder eine Lagerhalle (in Wahrheit: das Paralleluniversum!), und ich rechtzeitig hinterher, um zu sehen,wie sie einer Art Pförtner ein paar zerknitterrte Francs-Scheine zuschoben. Auch das, – wenn schon, denn schon! – tat ich ihnen klopfenden Herzens nach. Sekunden später ging es durch ein Schwingtor hinein: Vor mir öffnete sich ein im Halbdunkel riesig wirkender, leerer Saal mit einem etwas abschüssigem Boden aus festgestampftem Lehm. In fahl flackerndem Nebeldunst machte ich etwa drei bis vierhundert Algerier aus, mangels jedweder Bestuhlung in Gruppen zusammenstehend, unentwegt Arabisches aufeinander einmurmelnd und ansonsten intensiv vom Rauchen enormer Mengen maisgelber Gitanes beansprucht.
Erstaunlicherweise hatte kaum einer der Nordafrikaner mehr als einen flüchtigen Seitenblick für die große Kino-Leinwand an der Stirnseite des Saales übrig, wo – ich bitte dies als reine Tatsachenwahrheit, und nicht etwa als übertreibende Fiktion zu nehmen! – in schwarz-weiß gedrehte dänische Vampir-Pornos mit arabischen Untertiteln liefen! Soweit ich das durch den dichten Zigarettendunst identifizieren konnte, drehte sich der Streifen in der aktuellen Phase wesentlich um zwei Damen (Typ Robuste ländliche Unschuld), die man in einem Labor splitternackt an die Wand gefesselt hatte, um ihnen mittels einer sadistisch anmutenden Apparatur sämtliches Blut abzuzapfen. Mit den aufgerissenen Augen eines bis dato doch eher behüteten Provinzjugendlichen beglotzte ich fassungslos die armen Entblutenden, die sich beiderseits durch opulent gestaltete, birnenförmige Naturbrüste (ohne Silikon damals) und ebenso beeindruckend naturbelassene Schamdreiecke (Wir sind in den 60ern!) auszeichneten, und ansonsten einander recht dringlich dänische Verzweiflungsschreie zuriefen, was die herumlungernden Algerier jedoch entweder kalt ließ oder möglicherweise sogar insgeheim amüsierte – anmerken ließen sie sich jedenfalls nichts. Mir aber schoß, wie so etwas ja vorkommen kann, plötzlich eine Liedzeile aus Peter Sarstedts Song „Beirut“ durch den Kopf: „And there stood I, the complete anti-heroe, brilliantly alone…“
Da stand ich, der jungfräuliche gymnasiastische Provinz-Zimperling und wohlgebügelte Seitenscheitel-Kadett, zum ersten Mal länger als drei Tage von Mutti fort, mutterseelenallein unter lauter herzlosen, womöglich dänen-feindlichen Arabern oder Berbern am Ostpol oder Blinddarm der Welt, lauschte dort verständnislos dem steten Gemurmel fremdartiger, wie Gebete klingender, kehlig krächziger Sprachfetzen, und versuchte dabei angestrengt, cool an den zusehends blutärmeren nackten Schwarz-Weiß-Däninnen vorbeizuschauen. In diesem Moment bekam ich den Paralleluniversums-Flash und wähnte mich für einen erlesenen, wenn auch hochbefremdlichen Moment in einer überwirklich großen Moschee einer in „unserem“ Universum unbekannten Version des Islam, in der man offenbar nackte Däninnen anbetet und ihnen mit Fleiß und konzentriertem Ernst fortwährend Rauchopfer von filterlosen dicken Gitanes darbietet! – Es war dies zweifellos die bizarreste Erfahrung meines damals noch jungen Lebens und die existenzphilosophische Frage: „Was, zur Hölle, MACHE ich hier?!“ brach sich mit aller Gewalt Bahn, fand aber, wie später auch meist, keine Antwort, sondern blieb in Gestalt eines stumm-bedrohlichen Rätsels oder Fragezeichens über meinem Kopf schweben, jedenfalls, wenn ich der Protagonist eines Cartoons wäre.
Soweit vorab und als teaser die erste Begegnung mit gleich zwei Weltphänomenen, die mich im nächsten Bericht noch weiter beschäftigen werden: Der Frage der Paralleluniversen und … dem Vampirwesen.
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