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Das Geddo zeigt Flagge (Patriotentrost)

14. Juni 2012

Nicht alle Flaggen im Schrank

Nachts um elf am Brückenplatz: Eine wüst schreiende Horde wild gestikulierender Schwarzer stürmt im Laufschritt auf mich zu. Sie schütteln die Fäuste in den Nachthimmel und blecken die schneeweißen Zähne. Hab ich etwa Angst? Ach, I wo! Denn erstens hat mich das Alter und das Leben im Geddo verblüffend angstfrei gemacht, und zweitens, die vermeintlichen Menschenfresser aus den Ölsümpfen Nigerias skandieren ja nur ein ums andre Mal frenetisch „Isch-liebbe-Deutsche-land“, umarmen mich, bedecken mich mit feuchten Küssen, schütteln mir die Hand und rufen „Danke! Danke!“ – obwohl ich streng genommen ja gar nicht mal mitgespielt hatte. Bescheiden abwehrend, und doch auch halbwegs und dezent in den Jubel einstimmend, nahm ich die Huldigungen entgegen. Was hätte ich denn machen sollen?

Der mit Abstand fanatischste und bekloppteste Deutschland-Fan im Viertel hat seinen Ford Mondeo vierfach schwarz-rot-gold beflaggt, die Rückspiegel sind in den gleichen Farben bezogen und dito sogar noch die komplette Vordersitze. Es grenzt fast ans Übertriebene; der gefürchtete deutsche Neo-Chauvinismus wird indes nicht unerheblich dadurch gemildert, dass der Fahrer ein zierlicher, sehr dunkelhäutiger Tamile ist.

„Deutschland! Deutschland!“ rufen die Bulgarenkinder auf der Straße mit leuchtenden Augen und tröten inbrünstig in ihre Vuvuzelas. Vorerst ist es wohl das erste und einzige deutsche Wort, das sie kennen. Aber immerhin. Ich meine – besser als „…deine Mutter!“, oder?

Hell und sonnig lächelnd flattert das schwarz-rot-goldene Fähnchen derzeit auch aus meinem Fenster, und zwar, im Gegensatz zu 2010, gänzlich unironisch und mit Eichendorffscher Treuherzigkeit – ich weiß aber nicht, ob meine Mitbürger den Unterschied zwischen einer ironisch-distanzierten und einer naiv doofen Begeisterungsbeflaggung registrieren. Meine schwarze Flagge mit dem Totenkopf bleibt diesmal im Schrank. Die Piraten-Partei hat mir den Spaß verdorben.

Ein bisschen muffig stellt sich allein der hier ansässige türkische Mittelstand an. Die rote Fahne mit Stern und Halbmond trauen sie sich nicht zu zeigen, wegen der Schmach der Nicht-Qualifikation, aber zur deutschen können sie sich, nach erst dreißig Jahren hier, auch noch nicht recht durchringen. Christliche Nigerianer, diffus synkretistische Roma-Bulgaren und hinduistische Tamilen scheinen mir dahingehend, und das meine ich rein komparativ und ohne rassistische Untertöne, im Durchschnitt geistig etwas beweglicher. Fairerweise muss man zugeben, dass Tamilen, Bulgaren und Schwarzafrikaner auch nicht alltäglich unter dem Ansturm der „Islamophobie“ zu leiden haben. Dauerbeleidigtsein ist halt auch kräftezehrend.

Der Fahnenquatsch kann auch hilfreich und belehrend wirken. Nach drei Jahren, in denen ich sie für die letzten Deutschen im Viertel hielt, erweisen sich meine Nachbarn von gegenüber nun dann doch letztendlich als Polen. Bei dieser interessanten Erfahrung kam mir in den Sinn, dass ich es vielleicht hübsch fände, wenn die Belegschaft in unserem Geddo, wenigstens sonntags etwa, mal versuchsweise identifizierende Nationaltrikots trüge. Ich könnte mir vorstellen, dass dies zu einer differenzierteren Betrachtungsweise unserer Mitbürger führen könnte, ein Gedanke, den ich jedoch noch in der Halbzeit verwarf, da ich, von einer Überdosis Fußball affiziert, derzeit nichts Haltbares zu denken imstande bin, leider.

 

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Nationalmigräne (Umdenken)

4. Juli 2011

Dynamisches Wachstum mit internationalem Flair

Neulich im Geddo: Einer unserer vorletzten Wurzeldeutschen hat Nationalmigräne und bepöbelt auf der Straße einen der allfällig Maulaffen feilhaltenden Almancılar. In sein Handy, mit dem er angeblich die Polizei ruft, bölkt er empört: „Kommen Sie sofort! Mich belästigt hier ein Ausländer! Ein AUSLÄNDER!!“ – So siehts aus bei uns: Selbst belästigt werden möchte man lieber von seinesgleichen. Ist ja auch ein offenes Geheimnis: Die Belästigungsqualität ist stark gesunken durch den Zuzug von Migranten, die nicht alle die Belästigungsqualifikation von selbstbewussten Anatoliern oder geburtenstarken Roma-Bulgaren besitzen. Schwarzafrikaner, Tamilen, Kroaten, selbst Ägypter sind praktisch gänzlich molestifikationsunfähig!

Ach, na ja, das Geddo! seufze ich wohlig vor Mieselsucht: Hier kriegt man Nörgelgründe, die für ein lang-langes Rentnerleben reichen! Zwielichtiges Gesindel allerorten, chauvinistische Blicke, unverhohlen verhüllte Frauen, gewetzte Messer, gefletschte Zähne. Anarchischer Müll türmt sich an jeder Ecke, halbwilde Kinderhorden terrorisieren die Ruheständler, das Viertel verschlampt, verroht, verwahrlost. Die Toleranzschwellen sind längst überschwemmt, hier hilft nur noch Indolenz und Ignoranz. Wenn nicht sogar Intransigenz. So dachte ich bis her.

Es ist aber alles ganz anders. In einer Immobilienannonce las ich jetzt von meinem einzigartigen Privileg: Ich lebe gar nicht, wie immer gedacht, im multi-ethnisch asozialen Problem-Brennpunkt, sondern in „einem dynamischen multikulturellen Viertel mit internationalem Flair“! Oha, oder wie man in meiner norddeutschen Heimat sagt: Ohauaha! Jetzt geht es mir wie Omid Djalili in seiner Filmkomödie „Alles koscher!“, wo er nach 40 Jahren als pakistanischer Moslembruder in London erfahren muss, dass er bloß adoptiert – und in Wahrheit ein blutsgebürtiger Jude ist: Oi! Ich muss umdenken, unbedingt flexibler werden, möglicherweise sogar, wie es im Medien-Werbe-Gequatsch jetzt immer heißt, „mich neu erfinden“!

Der römische Stoiker Epiktet hatt es schon vor knapp zweitausend Jahren gewusst: „Nicht die Verhältnisse beunruhigen uns, sondern unsere Ansichten über diese!“ Will sagen: Ändere deine Sichtweise und alles wird gut! Diese Kunst kreativer Umdeutung habe ich in letzter Zeit etwas vernachlässigt.

Ich habe das wie Pubertätspickel wuchernde Konglomerat von Spielhöllen, Dealer-Dielen, Nutten-Kaschemmen, Schmierinfektionspizzerien und osmanischen Wärmestuben scheeläugig beargwöhnt, anstatt die Dynamik des agilen Kleingewerbes zu würdigen; anstatt anzuerkennen, dass die südosteuropäischen Zwangsprostituierten hier immerhin völlig unverschleiert ihrem traurigen Gewerbe nachgehen, habe ich mich über Burkassen und Kopftuchmädchen echauffiert; mit finsteren Blicken bedachte ich den bulgarischen Schwarzarbeiter-Strich am Wanheimer Dreieck, anstatt mich über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu freuen. Nicht mal das ultra-babylonische Sprachen-Gewirr, das den LIDL-Einkauf regelmäßig zum UNO-Erlebnis macht, konnte ich gutheißen! Innerlich geflucht sogar habe ich über Bäuerinnen, die nach dreißig Jahren hier noch immer nicht geschnallt haben, dass die Amtssprache vor Ort weder albanisch, bulgarisch, marrokanisch, libanesisch noch serbisch oder tamilisch ist, sondern, verdammt noch mal: deutsch. Stattdessen hätte ich mich schon seit langem am „internationalen Flair“ ergötzen können! Zumindest flair-mäßig steht Duisburg-Hochfeld nämlich Metropolen wie New York in nichts nach!

Seit kurzen trage ich nun zum exotischen Flair des Geddos bei, in dem ich eine deutsche Fahne aus dem Fenster hänge, was ich als galanten Tribut an die Frauen-Fußball-Nationalmannschaft verstanden wissen will. Bei Weltmeisterschaften erleide ich regelmäßig Anfälle von Patriotismus. Wie ein Pawlowscher Hund: Sobald ich durchtrainierte junge Menschen Kaugummi kauend der Nationalhymne („Brüh im Glanze“) lauschen sehe, bügle ich mein kleines Schwarz-Rot-Goldenes auf!

Falls wir das Viertelfinale überstehen, worüber ich mir nicht geringe Sorgen mache, hänge ich wieder, ich bin halt unverbesserlicher Intellektueller, die große schwarze Piratenflagge daneben, um mein nationales Bekenntnis ironisch zu brechen. Ob diese Subtilität von der Nachbarschaft gewürdigt wird, bezweifle ich allerdings. – Das kapieren die doch nicht, die Ausländer!

Summertime Blues: Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot-Gold, Schwarz mit Totenkopf

10. Juli 2010

Deutschland hat Fieber

Schlaand schmilzt. „Brüh’ im Glanze, deutsches Vaterland…“ sang einst diese eine Schlagerblondine O’Connor. Alles lachte. Heute stimmt es ja. Deutschland hat hohes Fieber: Mit 41°C im Schatten griff es gestern Südamerika in der Kernkompetenz tropischer Temperaturen an. Aus grauen Häusern hängen hechelnd schlaffe schwarz-rot-goldne Hundezungen. Die Wunden sind geleckt. Was bleibt, ist morgen vorbei.

Mir fällt dabei ein, dass in meiner Kindheit Blinde, Versehrte oder sonst wie Behinderte immer so gelbe Armbinden trugen mit drei schwarzen Punkten drauf. Ich hoffe, die machten das wenigstens freiwillig und nicht von Staats wegen verordnet. Jedenfalls schienen sie mir diese Binden mit einem ähnlichen, etwas pampigen Trotz zu tragen, mit dem heute unsere Nationalfahne überall aushängt.

Weil unsere Fußballnationalmannschaft zwei, drei Mal ganz gut gespielt hat, brüllt die Medienbande schon wieder euphorisch, bzw. von sich selber hemmungslos enthusiasmiert, das „Deutschlandbild der Welt“  hätte sich geändert. Man hat uns wieder lieb, seit unsere Sturmtanks nicht mehr Fritz, Hanz und Walter heißen, sondern Mesut, Mario, Miroslav und Marko.

Kein Zweifel: Hier wohnt Kraska

Oder Merkel. Das putzig-pummlige Merkel im roten Zipfelmäntelchen hat sich die Sympathie der Weltgemeinschaft erjubelt, beim Fußball, wie es bei Toren immer so herzig-kindlich aufspringt und in die Händchen patscht. Selbst ich war gerührt, als das Merkel beim 3:0 gegen Argentinien so verzweifelt wie vergeblich ihre Umgebung nach jemandem absuchte, dem es zum Torjubel in die Arme fallen konnte. Aber Pustekuchen! ringsherum nur sture schwarze Staatsbeamte! Der Außenguido war offensichtlich nicht anwesend, um mit dem Merkel wenigsten die „la-Ola“-Westerwelle zu machen. Interessiert sich wohl nicht für Fußball, der Herr. Das wird sich das Volk zum Übelnehmen notieren, wenn es mal wieder kühler wird.

Und sonst? Die Zeit ist aus den Fugen. Das Öl verrinnt ins Meer, das Geld im Nichts, die Zukunft schmeckt schon jetzt irgendwie komisch. Das Gras in den Städten ist verbrannt. Ich sitze vor dem Ventilator, die Augen vom Ozon gerötet, und warte darauf, dass etwas geschieht. Alle anderen, scheint mir, tun dies auch.

Aus meinem Fenster hängt übrigen auch ein nationales Fähnchen. Heut oder morgen ersetze ich es durch eine große schwarze Piratenflagge mit Totenkopf, die ich bei Neckermann (!) gekauft habe. Eine gelbe Fahne mit drei Punkten gab es nicht.

PS: Wenn ichs richtig mitgeschnitten hab, hat Diego Maradona gelobt, er gäbe seine rechte Hand für den WM-Titel. Ich glaube ihm das. Es gibt Länder, die in einer Art permanenter hysterischer Paranoia leben. Oder schizoider Paralyse, was weiß ich. Meine Frage ist, was mit der Hand (der „Hand Gotttes“!) im Erfolgsfalle geschehen wäre. Hätte man sie sachgerecht amputiert und im Fußball-Museum von Buenos Aires in Spiritus konserviert ausgestellt? Oder, ein klein bißchen anders gefragt, könnte es Leute geben, die definitiv nicht mehr zu retten sind? Und was ist mit der indigenen Religiösität der Südamerikaner los? Der größte Idiot wird jetzt Gott, oder was? Graf Koks und der unsportlichste Fußball aller Zeiten = Quetschlkotlzquatzl, oder wie der bei denen heißt? Größter anzunehmendender Medienklotzkopfknaller? Echt? Arriba, companeros! – Na, dann lieber die Deutschen und die Holländer an der Spitze, doof, dröge & käsig-europäisch, aber immerhin noch im Besitz ihres Restverstandes!

So viel zu Fußball, der danebensten Herrensache der Welt!