Posted tagged ‘Ramadan’

Im Swingerclub stellt man sich nicht namentlich vor

16. August 2011

Abklatschen im Darkroom

Neueste Nachricht aus dem Geddo: Gerade wird es dunkel! Das ist keine Nachricht? Ist es wohl! Jedenfalls für meine vom Ramadan gebeutelten Nachbarn. Heftiges Tellerklappern und gieriges Geschirrgeklirr zeugen davon, dass Allah gnädig ist und es nicht übertreibt! Guten Appetit! Afiyet olsun, Nachbarn. Wie? Nein, vielen Dank, ich hab schon gegessen. Meinem Gott ist es ja egal, wann wir essen. Oder sogar ob überhaupt. Unser Gott ist gerade von einer Dienstreise aus Somalia zurück und es geht ihm gut. Er hat ein bisschen zugelegt und ordentlich Farbe bekommen. Wir sind ihm übrigens grundsätzlich eigentlich egal, lässt er ausrichten. – So, nach diesem eher funebren Tusch des Orchesters jetzt etwas leichtere Kammermusik.

Als Jugendlicher war ich etwas sperrig, weswegen mein Vater mich gern ins Heim gesteckt oder auf die Militärakademie geschickt hätte. Auf milderndes Drängen von Mutti wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt und ich musste bloß zur Tanzschule. Trotzdem: Traumatisiert bin ich davon! Aber das nebenbei. – Jedenfalls, aus diesem hier nur knapp angedeuteten Bedeutungsuniversum kenne ich „von früher“ das Verb „abklatschen“. Ein Lexikon für aufgeweckte Heranwachsende hätte es so definiert: Abklatschen ist, wenn du siehst, wie deine Flamme schon viel zu lange mit diesem affigen Schnösel aus der Parallelklasse tanzt; dann gehst du dahin und „klatscht“ die Braut „ab“, was günstigenfalls bedeutet, dass sie sich vom Lackaffen ab und dir, dem wahren Sternenprinzen, zuwendet. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Wenn du Pech hast, kriegst du was aufs Maul, was dem Begriff „abklatschen“ eine unangenehme Neben-Konnotation verleiht.

Alles ist im Wandel, warum nicht auch die Semantik. Heute klatscht andauernd jeder jeden ab, nicht nur im Sport. Abklatschen ist heute eine ubiquitär-universale Blöd-Geste, wenn ich das richtig sehe. Esoterische Poeten klatschen ihre Frau ab, wenn ihnen eine gute Zeile eingefallen ist; Koch-Show-Teilnehmer klatschen sich ab, wenn die Risotto-Pampe geriet; Plünderer tun es, wenn sie einen Flachbildfernseher ergattert haben und phänomenale Liebhaber reichen ihrer Bett-Gespielin die Hand zum Abklatschen, wenn diese einen furiosen Orgasmus gespielt hat; und ich, schon im Sarg, klatsche den Pfarrer ab, der mich beerdigt, weil mein Leben so irre gut gelungen ist.

„Abklatschen“ heißt heute, bzw. man tut es fortwährend deswegen, um sich gegenseitig zu beglückwünschen, wie toll man ist. Ist man denn toll? Daran nagt der Zweifel, und je mehr er nagt, desto öfter reckt man das Patschehändchen in die Luft und hofft, dass irgendein schlicht gehäkelter Mitbürger dagegen klatscht. Dann weiß man: Doch, doch, du bist ein Hecht. Sicher.

Apropos Klatsch. Die Dichterin Charlotte Roche, so dröhnt es mir vom SPIEGEL bis zur Bäckerblume werbefeucht entgegen, hat ein Buch verfasst, in dem sie ihre Erfahrungen mit Fellatio, Anal- und Trio-Sex aufarbeitet. Ganz schön mutig, finde ich! Als frühreifes und selbstaufgeklärtes Kind, wenn ich auf der Straße eine Schwangere sah, hab ich still bei mir immer gedacht: „Ha! Die hat bestimmt Sex gemacht!“ Jetzt weiß ich, dass Frau Roche auch Sex macht. Dieses Wissen wird mein Alltagsleben vielleicht nicht beträchtlich bereichern, aber es ermutigt mich, mein Privatleben ebenfalls öffentlich zu machen: Ich war mal in einem Swingerclub! Gern teile ich meine diesbezüglichen Erfahrungen mit dem bildungshungrigen Publikum: Es ist im Darkroom nicht nötig, sich namentlich vorzustellen – und Abklatschen ist dort weitgehend verpönt.

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Zwei Wörter zur Integration

7. September 2010

Wirt Senko und das Café Lipa

Eigentlich ist das Café Lipa kein Café (obwohl es hier noch handgemachten Balkan-Mocca im Messingkännchen gibt!), sondern eher eine Art Kneipe, aber mir ersetzt sie biks auf weiteres das existenzwichtige Kaffee-Haus. Wenn ich am späten Abend heimkomme und hab noch Gesprächsbedarf, bin ich meist hier zu finden. Haupt-Verkehrssprache ist Serbisch. Ich kann zwar nur zwei Wörter, „nasdravje“ („Prost!“) und „hvala“ („Danke“), aber damit komm ich schon recht weit, weil die kernigen, aber überaus höflichen Busfahrer und Trucker aus Serbien, Bosnien und Montenegro, die hier verkehren, mir fortwährend Slibovice ausgeben, leckeren Rinderschinken („pršžuto“ oder so ähnlich) kredenzen und umstandslos Cevapcici in den Mund stecken. Obwohl die meisten Gäste hier AUCH Muslime sind (soweit sie wissen), funktioniert Schnäpschen-Wett-Trinken als probates Mittel der Völkerverständigung. Ramadan hin, Ramazotti her.

Kneipier Senko, Ex-Buslenker mit Händen wie Schraubstöcken, ist aus München gekommen. Er strahlt die Ruhe eines satten Balkan-Bären aus. Das Format dazu bringt er mit. Er spricht serbo-deutsch mit bayrischem Akzent und hat echt das Zeug zum urdeutschen Kneipenwirt! Selbst wenn wir, ab 2.00 Uhr nachts, nur noch kompletten Blödsinn reden (also z. B. der Sportrentner Hotte, das traurige Großmaul Timo und ich, der rätselhafte Magister aus der Nachbarschaft), bleibt er ungerührt und die ergebene Gelassenheit in Person. Immer wenn ich dann kontrolliert nach Hause ins Büro torkeln möchte, ich habs ja nicht weit, wägt er abschätzend die Flasche mit hausgemachtem Slibovic in der Pranke und fragt bedächtig: „No, moagst noch einen?“ Nein!  Bzw.: Jein! Na, noch’n kleinen.

Es gibt auch hausgemachtes, preiswertes Balkan-Essen, wenn man will. Die üblichen Fleisch-Spieße und Hackfleischröllchen, Bohnensuppe, Lamm, aber auch Spezielleres wie Mantiye (eine Art Balkan-Frühlingsrolle aus knusprigem Teig und Hackfleischfüllung). Kürzlich stellte Senko mir einen Teller Obaruša (nach Art seiner Oma) hin. Das sind irgendwie so Fladen aus Vollkorn-Nudelteig, schwimmend in üppig flüssiger, goldgelber Butter und mit Kaymak (Dickmilch) und Käse bedeckt. Ein Gericht für Bergbauern, Schmuggler und Partisanen! Jungs, ich sag euch: Nach zwei Löffeln war ich für den Rest der Woche gesättigt! Ich hoffe, ich werde nicht des Rassismus bezichtigt, wenn ich die Beobachtung äußere, dass „der Serbe“ Portionen verputzen kann, vor denen der deutsche Diät-Zimperling und Cholesterin-Flüchtling stehend kapituliert.

Auf dem Flachbild-TV laufen Clips mit serbischen Schlagern. Gelegentlich wird mitgesungen. Manchmal wird auch lautstark politisiert, wovon ich aber nichts mitbekomme. Ich glaube, das ist gut so. Fremdsprachen können auch ein Segen sein.

Früher hab ich um die „Jugos“ (sie nennen sich selber so!) im Viertel immer einen Bogen gemacht, weil ich ihre finstreren Blicke missdeutete (die gehören bloß zur gewöhnlichen Männlichkeitsausrüstung, schätz ich). In Wahrheit (und wieder ein Vorurteil futsch!) sind das total herzliche, gastfreundliche Leute. Senko will auch nicht, dass sein Lokal als „Serben-Kneipe“ durchgeht. Seit der Fußball-WM flattern diverse Nationalflaggen über dem Eingang. Die größte ist die deutsche (die der Serben wurde nach ihrem Ausscheiden geklaut). Jedenfalls sind Gäste jeder ethnischen Provenienz willkommen, auch „autochthone“ (Sarrazin) Deutsche!

Na, Sportrentner Hotte, Hausbesorger Pitti und ich, der Integrationsmagister, haben schon mal den Anfang gemacht. Schaut doch mal vorbei! Da ich von Senko zum Geburtstag eine eigene Flasche Slibovic geschenkt bekommen habe, die im Regal überm Tresen aufbewahrt wird, kann ich jederzeit einen ausgeben.

Hömma, reetma annstänniches Deutsch!

19. September 2009
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"Gee ma nach dä Leerer hin, den Kraska, weisse, der tut dich ma richtichet Deutsch beibring!" (Kraska reloaded, mit Hartzeichner)

Hömma, lezze Tage waretja schomma bisken heabslich, et waa dauernd am fisseln  oda sogaa am pläästern, et wuhrt iarnxwie schon so kühl, weisse, also gezz nich direkt kalt, datt nich, nä, aber doch, womma sagn, bisken usselig, weisse, da konnze aams gut schomma n Jöppchen überziehn, dattatich nich frieat. Aba, kumma, gezz seit heut Moagn isset wieda so, dasse fass denkn kannz, dä Sommer wä nomma am Zurückkommen. Ettis ja auch Altweiba, also gezz nich von Kaanewaal der Donnerstach, wo die Weiber am Saufn unn die Keahle am Anbaggern sinn, oda die ihre Schlipse abschneidn, sondern ehmd dieset wuundaschöne Spätwetter, die Ammis, habbich maa gehört, tun dat angehblich Indiana-Sommer nennen. Mia is dat blooß recht, weisse, weil, Mopped is immanoch inne Werkstatt am repariat wern, schon zwei Taage am Stück, und ich muß donnoch dringt nachm ALDI, Frischbiah holen für Fuußball nachher, verstehsse, da sitz ich mipm Achim und seim Schwager vor dä Fernseher, unn gezz kannisch dat allet zufuuß schleppn, boah weisse, dat ganze Diebels für drei Mann und noch von diese Kaattoffel-Tschips, und, Keahl! die Frau will ja aunoch nach dä Arzt, weil die wieda so Last mittie Beine hat wie vories Jaa, kompt von dat ewige Stehn im Laadn, weisse, und denn tuusse dich als Schuhfachverkäuferin ja au stännich bücken und bis am Kriechn vor die Kunden, dat geht natüalich orntlich int Kreuz, da kannze gaa nix machen. Schuhe verkaufm ist auch nich besser als wie Beeachmann aum Pütt, sacht die Frau immer. Is eintlich wat dran, oda… oh… –

Kumma, da drüüm geht der olle Mufti hia von die Moschee umme Ecke, du, dattis isn ganz dolla, dat sachich dia! Guck dich den sein Baat an, do! und dieset Turban-Gedöns! Nä geh mich wech mit soon Scheiß, du. Verstehsse, ich pasöhnlich hab gezz nix gen die Türken oda so, aba hömma, unta uns, isch trau die Brüda nich! Dieset ganze Reeljonsgedööns, Mensch. Als ich no’ aum Pütt maloocht hab, da waan die Brüder immer einen Monat zu nix zu gebrauchen, weil die da wieda am Hungan waan, wegen der Rammedam, dattis dene ihre Zwanxfasterei, weisse. Da düüafn die ganzn Tach nix essen und trinken, auch sonst praktisch nix, keine Zichten und mit die Alte poppen ist aunich! Gestern habbich noch zu den bekloppten Memmmed vone Bude gesaacht: Na, ihr bescheuerten Ramedanea, machter wieda Hungerkur unn dann die ganzze Nacht wieda am Futtern, ia Bescheuertn! Nä, is aba bloß Spaaß, weisse, dat weiß der Memmmed auch. Ich uutz den manchma bisken, aba wenn die denen ian Zuckertach haam, sach ich schon auch Froo’et Fest zu die Nachbarn, nä?*

Ruhrdeutsch – einige Zeit hat man gerätselt, ob das jetzt ein Dialekt ist, ein Soziolekt oder einfach bloß falsches Deutsch. Jetzt hanben sich die Linguisten darauf geeinigt, daß es sich um einen Regiolekt handelt. Übrigens, ein weiteres Gerücht ist auch falsch: Ruhrdeutsch nicht nicht aus der Kreuzung von Deutsch, Polnisch und Rotwelsch entstanden, sondern es handelt sich um ein Gemisch und Gemenge zweier niederdeutscher Sprachformen – im Westen des Niederheinischen, im Osten des Ruhrgebiets des Westfälischen. – Auf der informellen Hausversammlung bei mir vorm Haus im Viertel hört sich das wie oben.

*Wers braucht, hier die hochdeutsche Übersetzung:

Hör mal , in den letzten Tagen war es ja schon einmal ein wenig herbstlich, dauernd nieselte es oder es regnete sogar stark und es wurde irgendwie schon so kühl, also nicht wirklich kalt, das nicht, nicht wahr, aber doch frösteln machend, weißt du, da konntest du abends schon eine leichte Jacke überziehen, um nicht zu frieren. Aber jetzt, seit heute morgen ist es wieder so, daß man denken könnte, der Sommer sei zurückgekommen. Es handelt sich ja auch um Altweiber, also jetzt nicht den Donnerstag vor Karneval, an dem die Frauen ein Schlückchen trinken, mit den Männern scherzen oder ihnen die Krawatten abschneiden, sondern eben dieses wunderbare Spätsommerwetter, das die Amerikaner, so hörte ich, Indianersommer nennen.

Mir ist das nur recht, weißt du, denn mein Motorroller befindet sich schon seit zwei Tagen zur Reparatur in der Werkstatt, und ich muß doch zum Discounter ALDI, um neues Bier zu einzukaufen für den späteren Fußballabend, verstehst du, denn da werde ich mit dem Achim und seinem Schwager vor dem Fernsehgerät sitzen, und jetzt kann ich das alles zu Fuß besorgen, tatsächlich, weißt du, das ganze Diebels-Altbier für drei Mann und außerdem noch Kartoffel-Chips, und, ach ja! Mann! meine Frau will ja auch zum Arzt, weil sie Probleme mit den Beinen hat wie schon im vorigen Jahr. Es kommt wohl vom langen Stehen im Geschäft,weißt du, denn als Schuhverkäuferin bist du ja gezwungen, dich häufig zu bücken und vor den Kunden auf den Knien herumzurutschen, das geht dann in den Rücken, da kann man nichts dran ändern. Schuhe zu verkaufen, sagt meine Frau, ist auch nicht leichter als die Arbeit des Bergmannes im Kohlebergwerk! Daran ist schon etwas, oder? Oh, schau, da drüben geht der Geistliche der nahegelegen Moschee, du, ich sag dir, das ist ein ganz fundamentalistischer! Schau dir nur dessen Bart an und den Turban, oder wie diese Kopfbedeckung genannt wird. Nein, bleib mir vom Leib mit solchem Unfug, du! Verstehst du, ich persönlich habe nichts gegen die Türken oder dergleichen, aber höre mal, unter uns, ich hege ein gewisses Mißtrauen gegen diese Leute. Dieses ganze religiöse Getue, Mann! Als ich noch im Kohlebergwerk arbeitete, waren unsere muslimischen Arbeitskameraden in der Regel einen Monat lang zu nichts zu gebrauchen,weil sie hungerten, am Ramadan, das ist so ein Zwangsfasten, verstehst du? In jenen Tagen dürfen sie nichts essen, trinken, auch ansonsten eigentlich nichts, auch keine Zigarrette – und selbst der Austausch geschlechtlicher Zärtlichkeiten mit der Ehefrau ist ebenfalls verboten. Gestern noch habe ich (quer über die Straße brüllend) den lustig-originellen Mehmed, den Betreiber des Getränke-Kiosks, angeredet: Nun, ihr etwas fremdartigen, aber selbstverständlich respektierten Ramedaner, befindet ihr euch wieder beim Fasten und holt das Essen überreichlich des Nachts wieder nach, ihr zum Dialog herausfordernden Andersgläubigen? – Nein, aber im Ernst, weißt du, das ist nur freundliche Neckerei, dies ist auch dem Mehmet bewußt. Ich necke ihn halt gelegentlich ein wenig, aber wenn die muslimischen Mitbürger zum Abschluß des Ramadan-Monats das Zuckerfest feiern, entbiete ich diesen Nachbarn selbstverständlich auch einen besonderen Gruß und Glückwunsch, nicht wahr?

Arnold Winterseels Jour Fixe (III): Zwischen Ramadan und Remmidemmi

15. März 2009
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Achtung, Mode-Schnarchnasen: Die Schlafmaske wird heuer zum Fashion Accessoire!

SELBST-GEHEGELTES: DAS JA UND DAS NIX

Nach meinem ersten Eindruck war Enver Konopke ein Roßtäuscher, wie er im Buche stand. Der kleinwüchsige, monströs beleibte Glatzkopf in seinem unseriös schillernden Glenchek-Anzug und mit dem wenig überzeugenden Knebelbart eines Berufs-Catchers war mir erstmals aufgefallen, als er in Winterseels Salon lauthals von sich behauptete, er sei „der einzige muslimische Atheist seiner Nachbarschaft“, wenngleich aber zwar, wie er mit wichtigtuerische Miene hinzukrähte, „… ein stock-schiitischer!“ Dennoch hätten, so schwadronierte der „Privat-Mystiker“, wie er sich hochmögend nannte, weiter, ihn „sämtliche Mullahs auf dem Kieker“, weil er im Fasten-Monat Ramadan „mit dem Saufen donnich so abrupt aufhören“ könne („Menno, Schnaps issn Medikament, da mußte dir janz lannsam ausschleichen, wa?“); dafür stelle er doch dabei in der Fastenzeit tagsüber, solange er einen schwarzen von einem weißen Faden unterscheiden könne, „det Reden komplettmang“ ein, was für ihn ein weitaus größeres Opfer an Allah darstelle, zumal wenn man in Betracht zöge, daß man für dessen Existenz vor allem nach dem Hinscheiden seines angeblichen Profeten Muhammad H. jeden Beweis schuldig geblieben sei.

Oma Hager bekam hektische rote Flecken auf den Wagen und zischte mir mit theatralisch durchdringendem Bühnenflüstern zu, sie kenne „doch diesen Blender“ noch aus der Zeit, als er schwarz-blau-weiße Lackschuhe getragen und sich „Elvis“ genannt hätte; während eines „frivolen Techtelmechtels“ habe er ihr, seiner beträchtlichen geschlechtlichen Erregung Tribut zollend, sogar in einer Art Geständniszwang einmal offenbart, sein Taufname sei eigentlich Erwin, und er sei in Wahrheit der illegitime Sproß eines preussisch-protestantischen Pedanteriewarenhändlers aus Rixdorf gewesen, bevor er zum Islam konvertiert und an jenem dann wiederum zum Renegaten geworden sei. – „Enver Bey“, wie er sich gern rufen ließ, zwinkerte mir bei Oma Hagers unüberhörbar  konopke-kritischenen Einlassungen lediglich verschwörerisch zu und deutete mit vor den Augen absolvierten, energischen Wischbewegungen an, daß er die alte Dame für unrettbar dement (i. e. „völlig gaga und plem plem“) hielte.

Unser Einserjurist Mangold warf schneidend ein, nach den Regeln der Aussagenlogik mache es ja wohl, ob man sich nun jüdischer, christlicher oder muslimischer Atheist schimpfe, ungefähr so viel Unterschied wie die Frage, ob man John Cage’s Stück > 4′ 33“ <, das bekanntlich aus ca. viereinhalb Minuten Stillschweigen bestünde, nun für Piano (Fassung von 1952) oder für Orchester (London, 1982) aufführe. – Hauke und Hinrich Dittmers, die Aquavitzwillinge, protestierten unisono und furioso: Ihre friesische Ontologie der Negation besagte, um es zusammenzufassen, es sei „scha numah ein völlich anneres Gefühl“, ob man „kein Jubi mehr“ in Gefrierfach hätte oder „bloß ma das Jever aus“ sei! 

Unser Mentor und Traurigkeitslehrer, Dr. Arnold Winterseel, hatte, noch in der Tapetentür verweilend, dem sich anschließenden Disput über das Sein und das Nichts mit gütigem Schmunzeln beigewohnt, räusperte sich aber dann, um beiläufig zu bemerken:

„Liebe Freunde, es ist doch wohl ohne Zweifel folgendermaßen: … die Negation steht unmittelbar der Realität gegenüber: weiterhin, in der eigentlichen Sphäre der reflektierten Bestimmungen, wird sie dem Positiven entgegengesetzt, welches die auf die Negation reflektierende Realität ist, – die Realität, an der das Negative scheint, das in der Realität als solcher noch versteckt ist“!

„Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. I, Kap. II, Abschnitt A, Absatz b, Anmerkung1“ – murmelte Fredy Asperger neben mir traumverloren, während Miss Cutie plötzlich einem hysterischen Gickel-Krampfanfall zum Opfer fiel und wenig damenhaft, mit hochrotem Köpfchen losprustend und „ich mach mich gleich nass, ich mach mich gleich nass!“ quiekend schleunigst aufs Lavobo retirierte. 

Winterseel schien mir, seinem bekümmert eulenhaften Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ernsthaft konsterniert! –  Und hier war es nun doch ausgerechnet der bramarbasierende Barbaren-Brahmane und Sufi-Säufer Enver Konopke, der die Situation rettete, wenn auch mit einer unleugbar atemstockenden Vulgarität, die manche an Jonathan Swifts Erzählung erinnerte, wie Gulliver einst den Brand im kaiserlichen Palast von Liliput gelöscht hatte, in dem er ungescheut vollrohr draufschiffte: – Ein schnapsbedingstes schweres, saures Aufstoßen zerriss jedenfalls die betretene Stille, in die hinein Enver Bey Konopke seinem Rülpser mit einem artikulationsmäßig leicht verwaschenen, sonst aber formvollendeten Hegel-Zitat Gewicht und Vollendung verlieh:

Die Qua… Qua…Qualierung oder Inqualierung…, einer in die Tiefe, die Tiefe, aber, äh, in eine trübe Tiefe gehenden Philosophie, bedeutet die Bewegung einer Qualität (der sauren, herben, feurigen usf.)“ – hier stierte der Ex-Konvertit uns mit einem wehe wattigen Grinsen ins Gesicht, – „in ihr selbst, insofern sie in ihrer… ihrer negativen Natur (in ihrer Qual) sich aus anderem setzt und befestigt, überhaupt die Unruhe ihrer an ihr selbst ist…“

„…nach der sie nur im Kampfe sich hervorbringt und erhält“,  fielen wir alle erleichtert in jubilitatorischem Chore ein, uns an den Händen fassend und mit den Füßen sanft den Rhythmus in den Teppichboden stampfend. These und Anti-These, Realität und Negation lagen sich dialektisch in den Armen und des Schmatzens fraternisierender Wangenküsse wollte es kein Ende nehmen. Mit seiner Bravourleistung hatte sich Enver Konopke in unsere Herzen rezitiert und wir nahmen ihn, ungeachtet seines inzwischen erfolgten komatösen Zusammenbruchs, einstimmig in unsere Salon-Runde auf, wo er seither darauf pocht, die Rolle eines „Paradiesvogels“ zu spielen….