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Forsch geforscht

28. August 2011

Ziemlich gescheit ohne Forschungsauftrag: Alter Mann (Euripides, 485/84-406 v. Chr.)

Meine Lieblings-Provinz-Postille, die liberal-katholische „Rheinische Post“, schätze ich für den in ihren Texten gelegentlich aufblitzenden staubtrockenen Humor. Beispiel? „Die klassische Entscheidungstheorie“, wird aus der Welt der Wissenschaften reportiert, „geht bislang davon aus, dass der Mensch ein höchst rationales Wesen ist – ein Zustand, der in der Realität so nicht nachgewiesen werden konnte.“ Ob wohl ich nur selten Berührung mit der Realität habe, ist mir der Verdacht auch schon gekommen, dass Rationalität etwas überschätzt wird. Ganz genau wissen kann mans freilich nicht, also untersuchen wir das sicherheitshalber mal wissenschaftlich. Gottlob haben wir eine „Arbeitsstelle Rationalität im Licht der experimentellen Wirtschaftsforschung“. Die untersucht in einem auf zehn Jahre (!) angelegten Projekt (Gesamtkosten 2,7 Mio.!), ob es eventuell sein könnte, dass Menschen nur „eingeschränkt rational“ handeln. Bis 2016 will man das herausgefunden haben.

Obschon, eigentlich weiß das der Altsprachlich-Humanistisch-Gebildete schon seit rund 2500 Jahren, wie die kürzlich bereits angeführten Euripides-Worte zeigen: „Einsicht fehlt /
den meisten nicht, ganz anders liegt der Grund:
/ Was recht ist, sehen wir und wissen wir
/ und tun es doch nicht, seis aus Lässigkeit,
/ seis weil die Lust des Augenblicks / das Werk
verdrängt, und mancherlei Verlockung gibt’s …“ Nicht wahr? Vernunft, das ist ein hohes Gut, nur fragt sich, wer besitzt davon genug? Na, ich jedenfalls nicht. Ich selber trinke, lese, esse, liebe, enthusiasmiere & bewundere mehr, als mir gut tut. Ich lebe praktisch ständig wider besseres Wissen! Das könnte auf meinem Grabstein stehen: „Er lebte wider die Einsicht“. Was ich mich sehr beschämt und mich meine Eitelkeit gewahr werden lässt: Ich habe nicht zu der unnachahmlichen Noblesse und Zurückhaltung von Loriot gefunden, dem einhellig zum ewigen Bundespräsidenten deutsch-humorigen Selbstverständnisses gekorenen großen verstorbenen Mannes, der, auf die Frage, was auf seinem Grabstein stehen solle, geantwortet hat:„Nun, es wäre wahrscheinlich zweckdienlich, wenn mein Name darauf stünde.“

Wenn ich in hohem Lebensalter noch einen Wunsch hätte, dann wäre es wohl der, ein solcher zu werden, wie der Herr von Bülow einer war: Geistvoll, bescheiden, nobel bis vornehm, unschlagbar in seinem göttlichen Understatement und unnachahmlich in seiner hoch-eleganten Selbstironie! Ich schaffe es nicht. Ich bin zwar auch preußischer Herkunft, aber eher pommersch-plebeisch-proletenmäßig, peinlich pöbelhaft um meine Reputation bedacht. Um jede Peinlichkeit, vor allem die der Eitelkeit zu vermeiden, muss man es wahrscheinlich genetisch-gebürtig „nicht nötig haben“. Im Zeitalter egozentrisch-selbstbewusster Ich-Ich-Brüllerei gebe ich gern zu: Ich wäre gern ein anderer. Für mediale Karrieren ist das schlecht. Jungen rational handelnden Menschen rate ich daher unbedingt, sich selber absolut und zweifelsdicht „echt toll“ zu finden. Das hilft! Sich selber peinlich und aller Zweifel wert zu finden, ist echt keine gute Voraussetzung, um öffentliche Aufstiegschancen zu befeuern!

 Übrigens, gegen die eigene vernünftige Einsicht Mist zu bauen – was man eigentlich für unmöglich hielt! – nannte man in der Antike akrasia.  Vielleicht lag es daran, dass man damals leckere Zigarettchen nicht kannte. Sokrates zum Beispiel hätte sonst nicht verstanden, wie man trotz der Vernunfteinsicht, dass Rauchen schädlich ist, trotzdem seine Kippen durchzieht. Der Großphilosoph Platon und seine literarische Marionette Sokrates waren allen Ernstes der Meinung, wer auf dem Athener Markt 400 Drachmen für ein Stück Räucheraal ausgab, könne nur nicht ganz richtig im Kopf, vulgo von übellaunigen Göttern missleitet sein. Nobel gedacht, wenn auch unrealistisch

Ab 2016, wenn man dann wieder Kapazitäten frei hat, möchte ich anregen, könnte man ja mal experimentell erforschen, ob der Kapitalismus vielleicht gar nicht nur auf das soziale Wohl aus ist, sondern ein bissl auch auf Habgier beruht. Könnte ja doch sein!

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Bescheid

9. Juni 2010


Küche im 17. Jahrhundert

AB JETZT WIRD GELESEN, WAS AUF DEN TISCH KOMMT!

Ich denk, ich sag mal Bescheid. Auf der seriösen Kehrseite meines Blogs („denkfixer“) sind drei neue Vorträge als Downloads erhältlich: Sie befassen sich mit der Philosophie des Essens und Trinkens, singen ein freches Lob auf Rauschdrogen und verteidigen das menschliche Recht auf Sinnengenuß ohne Schuldbewußtsein. Die Vorträge heißen im einzelnen:

„Was isst der Mensch? Vorspeise zu einer kleinen Gastrosophie“

„Keine Macht den Drögen – Die Philosophie und das Gespenst der Sucht“

„Der Hedonistische Freispruch – Über Lust, Laster und List des Geniessens“

Ich hab die Texte gelesen, korrigiert, überarbeitet und finde sie immer noch gut.  Wer sie als pdf-Datei herunterladen will, den bitte ich zur Adresse

http://reinhardhaneld.wordpress.com

Sex & Metaphysik: Platonische Perversionen leicht gemacht

30. Januar 2010

Schwer verkopft: Erotologe Platon, der Herr ohne Unterleib

Lange Zeit, seit 2003, kursierte sie nur als Gerücht, als vage Erinnerung an einen Skandal, an eine unfassbar unseriöse, unverschämte und dreist verständliche  Vorlesung, bei welcher der Dozent seine ZuhörerInnen angeblich nicht nur mit Mengen billigen Weins betrunken und wehrlos machte, sondern sich, die Zuhörerschaft schwindelig redend, auch noch anmaßte, den großen Gipsheiligen Platon, den Oberpriester und Standeshalbgott der Philosophen-Zunft, vom Sockel zu holen und zügellos der Lächerlichkeit preiszugeben. Dieses legendäre Symposion über Platons „Symposion“ machte das mutmaßliche psychopathologische Elend eines antiken Neurotikers sichtbar, der aus Angst vor dem Tod den Selbstmord empfahl und mit seiner kranken Metaphysik das erotische Leben Europas für Jahrhunderte vergiftete.

Und jetzt die Sensation: Das Manuskript der Skandal-Vorlesung ist jetzt öffentlich zugänglich! Und zwar auf dem Blog „denkfixer“:

http://reinhardhaneld.files.wordpress.com/2010/01/platon22.pdf

– man kann es sich als pdf-Datei herunterladen und sich bei ein, zwei Glas Wein zu Gemüte führen. Die akademische Welt steht natürlich Kopf: „Dieser Herr ist eine Schande für den gesamten Denkerstand! Verbrennt seine schändlich respektlosen Texte!“ heißt es allenthalben, aber Digitales brennt ja zum Glück nicht. Höchstens auf den Nägeln – wie dieser Vortrag über einen mumifizierten, aber immer noch infektiösen Denkleichnam beweist. Das Schönste: Zum ersten Mal wird einem mal verständlich, amüsant und ohne falschen Respekt erklärt, was es mit der sogenannten „platonischen Liebe“ denn eigentlich auf sich hat! Guckt mal rein, Ihr hellen Köpfe!

Griechisches Essen gibt es nicht ohne Anführungstriche (Wissenswertes über Dinslaken)

15. Juli 2009
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Die Idee des Kitsches kannte er noch nicht: Philosoph Platon

In einem zur Nazi-Zeit erschienenen Benimmbuch, so erzählte es mal Max Goldt, wurde dem deutschen Offiziersanwärter zur erfolgreichen Kontaktanbahnung mit jungen Tischdamen der Gesellschaft etwa folgendes unverfängliches Gesprächseröffnungsangebot empfohlen: „Würde es Sie, gnädige Frau, eventuell interessieren, etwas über den Reiz der deutschen Mittelgebirge zu erfahren?“ – Nazi hin oder her, ich find das auch nicht wesentlich blöder als das ewige „– …und was machst DU so beruflich?“, das heute meist üblich ist. Ich hasse diese Frage besonders, denn bei mir ist das so fürchterlich schwer zu beantworten und außerdem eine lange Geschichte, die keine Sau interessiert. Wenn ich nämlich zur Antwort gebe: „Dürfte ich ein kleines bißchen ausholen und bei meiner frühen Gymnasialzeit beginnen?“, dann müssen plötzlich alle mal wohin, eben mal kurz telefonieren, was holen oder wegbringen. Dann schon lieber deutsche Mittelgebirge. – Oder, wie wäre es vielleicht mit Wissenswertem über Dinslaken?

Also gut, gnädiges Fräulein, da Sie so bezaubernd mädchenhafte Wissbegierde simulieren können, hier ein paar Facts: Dinslaken ist eine kleine Stadt am unteren Niederrhein, die es, eingeklemmt zwischen Duisburg, Wesel und Oberhausen, dennoch fertig bringt, Stücker 70.000 Einwohner in ihren übersichtlichen Stadtteilen unterzubringen. Früher waren viele Bergleute darunter, dann machte die Zeche dicht und die Dinslakener hatten das Nachsehen; heute arbeiten sie bei KIK, City Grill oder Fahrschule Öçalan.

Obwohl das Städtchen seine Reize für meinen Geschmack etwas lieblos und unakkurat übers platte Land verstreut hat, findet man, wenn man endlich das Kabel von dem verdammten Navi rausgekramt hat, leicht den entzückenden kleinen Ortskern von Dinslaken, der sich um ein putziges kleines Kirchlein schmiegt und niederrheinische Liberalität demonstriert: Zwar ist überall Fußgängerzone, aber man fährt trotzdem mit dem Auto herein und parkt da. Warum man denn überhaupt, um Gottes Willen, in Dinslaken parken sollte, läßt sich erklären.

Und zwar hatten Kraska nebst Gattin einhellig Appetit auf „griechisch“, aber keine Lust, den warmen Sommerabend in einer düster-dumpfen, mit gipsernem Hellenenkitsch überdekorierten, nach Zwiebeln und heimlichen Zigaretten muffelnden Ouzo-Spelunke zu vertun. Da gibt es dann im ganzen Großraum Duisburg nur eine einzige Möglichkeit, das „Sorbas“ in Dinslaken, denn das hat einen großen, einigermaßen lauschigen Biergarten. – Aufmerksame LeserInnen haben möglicherweise aus den Augenwinkeln registriert, daß ich „griechisch“ geschrieben habe, also mit Anführungsstrichen. Das hab ich mit Absicht gemacht. Griechisches Essen ohne Anführungsstriche gibt es in Deutschland nämlich nicht! Man beweise mir gern das Gegenteil. Authentische griechische Küche, möglichst noch mit Niveau, findet man noch seltener als authentisch chinesische, die es ja immerhin in Märchenmetropolen wie Hamburg und Berlin mittlerweile geben soll.

Ich stell mir immer vor, es gibt so einen ultrastrengen Geheimerlaß der Ausländerbehörde, der Griechen grundsätzlich und bei Androhung beinharter Strafen verbietet, variantenreiches, genuin griechisches Essen feilzubieten. Immer bloß Souvlaki, Gyros und Poseidonplatte! Der Geheimerlaß erzwingt auch das Anbringen stereotypischer Gipssäulen, Akropolis-Bilder und Athene-Köpfen sowie das unentwegte Abspielen grauenhaft abgenudelter, pseudo-griechischer „Sirtaki“-Musik. Außerdem befiehlt das geheime Amt, daß „griechische“ Restaurants nur unter acht Namen wählen dürfen: Olympos, Mykonos, Athen, Akropolis, Syrtaki, Poseidon, Odysseus und Zorbas, auf Sonderantrag evtl. noch Plaka, Platon, Sokrates, Kreta oder Piräus. Was ich nicht weiß, ist, ob in dem Behördenbefehl auch steht, daß Griechen den Verdauungs-Ouzo „aufs Haus“ grundsätzlich nur vor, anstatt nach dem Essen kredenzen dürfen, wo man ihn ja eher nötig hätte. Schnaps auf nüchternen Magen trinke ich nicht gern; nach dem Essen ist er aber warm! Lasse Er doch diese Marotte, Grieche!

Da wir Essen mit Anführungsstrichen erwartet hatten, waren wir nicht enttäuscht. Gyros war unknusprig und überwürzt, Souvlaki ganz okay, Meze-Platte Standard. Wie es im Durchschnitt halt bei jedem Anführungsstrichgriechen so ist. Ungewöhnlich fanden wir indessen die Aufmerksamkeit, Fixheit und natürlich-fröhliche, fast schon herzliche Freundlichkeit der jungen Service-Kräfte, die ganz unaufgesetzt und echt wirkte. Echter jedenfalls als das „griechische“ Essen.

Man fühlt sich, wenn man kulinarisch mal Fünfe grade sein läßt, durchaus wohl und gut aufgehoben unter den großen Sonnenschirmen im Hof des Restaurants. Dazu trägt auch die lobenswerte Praxis des Hauses bei, gute griechische Weine (doch, die gibt es!) zu fairen Preisen, oft sogar im Angebot, zu offerieren. Ach ja, und einen Ouzo “aufs Haus” gab es vor UND nach dem Essen!

Soviel zu „Dinslaken“, Verzeihung: Dinslaken.

Woher ich denn überhaupt weiß, wie traumhaftes authentisches griechisches Essen schmecken kann? – Weil ich’s gekostet habe, – in … Chikago, Illinois.