Mozart mit Kopfhörer (Gemälde von Anna Maria Dusl für "Falter")
Immer wieder gern gehört wird das Stück „4’33“ von John Cage, eine dreisätzige Komposition, bei der alle Instrumente schweigen („tacet“). Das Stück gibt es für Klavier, Kammer- sowie Sinfonieorchester. Ich bevorzuge die machtvoll schweigende („tutti“!) Londoner Orchesterfassung, die ich oft auflege und so laut drehe, dass sie eigentlich alles andere übertönen müsste. Leider funktioniert es nicht – die Straße will einfach nicht, wenn ich das mal so lautstark ausdrücken darf, ihre Fresse halten! Ich beklagte dies schon öfter, in letzter Zeit nicht nur aus rentnerhafter Ruhebedürftigkeit, sondern auch aus richtig gewichtigen Gründen: Ich soll nämlich Texte von mir einsprechen und hab dafür eigens ein teures Profi-Mikrophon-Headset von Sennheiser auf den Kopf geschraubt bekommen. Wenn ich aber meine elaborierten Klügeleien (von Augustinus bis Zoroaster!) später abhöre, klingt es immer, als hätte ich Kiplings Dschungelbuch vertont, sofern man als Dschungel akzeptiert, dass dort türkisch gebellt, Arabesk-Musik oder Gangsta-Rap gespielt und die Rolle kreischender Papageienschwärme von dauerfußballernden Kindern übernommen wird.
Ich meine, wer will schon erklärt bekommen, warum Hegel meinte, das Wirkliche sei das Vernünftige, wenn dann auf der Soundspur ewig das doofe Geddo lärmt? Die Straße ist zwar nie vernünftig, aber immer verdammt wirklich! Man stelle sich vor: Die zart-filigrane Abstraktionsarchitektur von Immanuel Kants „Kritik der“ leisen, quatsch, „reinen Vernunft“, und dann brüllt ständig einer dazwischen: „Du blöde Votze, ich hau dich zu Brei, du Nutte! Ich frag zum letzten Mal: Wo ist das Geld“? Das ist doch weder pädagogisch noch didaktisch als wertvoll einzustufen, Wirklichkeit hin oder her. – „Kinder, so kann ich nicht arbeiten!!!“
Aber jetzt, heute, Pfinxen, Montag. Ich erwache verkatert (hatte Pfinxen mal wieder mit Vatertag verwechselt, passiert mir jedes Jahr) um 6.00 Uhr morgens in meinem Schlaf-Büro und: ……….. es herrscht himmlische, ja göttliche Stille! Mein Hirn spielt alarmierende Musik ein (Eminem: „…the mike is yours and you’ve got only ONE SHOT, ONE OPPORTUNITY“!) und empfiehlt senile Bettflucht. Jetzt oder nie! Ran an den Schreibtisch, Hörbücher produziert, garantiert ohne Nebengeräusche! Negergeräusche? Nein, nein, Nebengeräusche. Natürlich bin ich es gewohnt, spontane Impulse noch mal reflektierend zu überdenken. Als ich zehn Minten später damit fertig bin, ist es 9.30 Uhr. Auf dem Hörbuch-Track nur weißes Rauschen, untermalt mit John Cage. Immerhin. Es war einfach zu ruhig zum Arbeiten.
Auf unsre roten Brüder ist Verlaß: Keine Langeweile in Radebeul
WISSENSWERTES ÜBER KOMMENDE FEIERTAGE (LANGEWEILE)
Waren das Aufregungen in den letzten Wochen! Die Spannung siedete im mittleren Unerträglichkeitsbereich. Wer wird Deutscher Meister? Wird Sandy, Mandy oder Wendy Germany’s Next Top Moppel? Sterben wir alle an der Schweinegrippe? Schägt einer den Raab? Heißt Fiat bald Opel? Machen wir wieder den letzten Platz beim Eurovision Song Contest? Welcher neue Super-Stern geht am taubstummblauen Plastik-Himmel Dieter Bohlens auf? Wird Hotte „Boring Old Fart“ Köhler noch einmal diese wuschige Zahnfee aus dem Osten besiegen? – Ein „Herzschlagfinale“ jagte das nächste, Tränen des Glücks, der Enttäuschung und Erleichterung wurden der Öffentlichkeit dargebracht, ganz Deutschland tat, was es ruhig öfter mal machen sollte, es hielt die Luft an. Pokale und Schalen wurden geküsst, Trostpreise vergeben, den Eltern und Sponsoren gedankt, und ganz besonders auch den Fans draußen an den Empfängern. Nun ist alles besiegt, besiegelt und besoffen: Deutschland kann wieder aufatmen, durchpusten, Sauerstoff tanken, die Seele baumeln lassen usw. Wunderbar, diese Ruhe. Oder…? Oder? Manch ein Mitglied der „nationalen Erregungsgemeinschaft“ (Sloterdijk) trommelt schon wieder nervös mit den Fingern: Und jetzt? Was kommt jetzt? Jetzt, so steht wahlweise zu hoffen oder zu befürchten, senkt sich das blöde, bleiern-banale Nichts fädenziehender Langeweile über das Land und erstickt alles menschliche Leben!
Manche nennen es Bundesliga-Pause, andere Sommer oder Regenzeit. Noch andere, deren Freud unser Leid ist, nennens Hauptsaison. Die Kollegen meiner Gattin verwenden noch immer den alten, liebenswerten Ausdruck „Saure-Gurken-Zeit“, der entweder, wie das englische season of the very smallest potatoes eine bedenkliche Ernährungslage meint oder eine Verballhornung des jiddischen Ausdrucks „Zóres-und Jòkresszeit“ für „Not und Teuerung“ darstellt, in jedem Falle aber bedeutet, daß man als Journalist noch kreativer sein muß als sonst, wenn man eine einigermaßen ansehnliche neue Sau durchs Dorf jagen will.
Wenn TV-Magazinen nichts Gescheites einfällt, können sie immerhin eine Straßenumfrage veranstalten und nach dem Sinn der bevorstehenden christlichen Feiertage Finxten und Frohen Leichnam fragen. Was haben wir uns an den Antworten der weitgehend ahnungslosen „Generation Doof“ schon be-ömmelt! Die Dummheit der anderen ist ja immer wieder ein ungetrübter Quell der Freude und Seelenerheiterung! Dabei, ich weiß zwar, warum Pfingsten gefeiert wird ( – wir gedenken des Ereignisses, das sich begab, als die Jünger Jesu plötzlich allesamt einen schweren Hau bekamen und ihren Mist nicht nur aramäisch, sondern auch dänisch, finno-ugrisch, uigurisch und auf Bantu predigen konnten; – Pfingsten ist daher auch bekannt als Tag des Zungenredens vulgo der Dolmetscher – Gruß an Chris nach UK!), aber den katholischen Fronleichnam muß auch ich immer mal wieder nach-googeln, weil es sich dabei um eine schon recht abgefahrene theologische Spinnerei handelt: An diesem auch als „Blutfest“ oder „Corpus Christi“ bekannten Fest feiert man die leibliche Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie.
Wenn Ihr auch das nicht kapiert, müsst Ihr halt mal eine katholische Heilige Messe buchen und Euch anschauen, was da abgeht, Freunde! Wenn der Mann mit dem kostbarsten Gewand da vorne auf der Bühne mit so einer Schelle klingelt, die Schale mit den Hostien-Oblaten hochhebt und dabei murmelt: „Hoc est corpus meus“ („Dies ist mein Leib“), dann meint man in diesen Kreisen, sei eben dieser Leib des Leibhaftigen, Quatsch, des Herrn, bzw. der von seinem Sohn, da irgendwie konkret und krass am Anwesen. Das schlichte Volk, des Kirchenlateinischen kaum mächtig, verstand bei der Priesterformel immer nur „Hokospokus“, womit, letzten Endes, darüber auch schon so ziemlich alles gesagt ist.
Wenn alle Brückentage abgefeiert sind, ist definitiv Sense, dann ist im Lande große Pause, dann sind Nasebohren, Haareraufen und Nägelbeißen angesagt, – eine Periode oder Phase großer Gefahr im übrigen, denn anthropologische Forscher haben herausgefunden, daß der gemeingefährlichste Unfug unter Humanpopulationen zumeist aus Langeweile veranstaltet wird, wofür der katholische Hokuspokus ja nur ein einfaches Beispiel ist. Aus Langeweile werden Rauschmittel eingenommen, Ehen geschlossen oder gebrochen, Kriege geführt, oder es wird wenigstens von den Nachbarn andauernd gegrillt – meine Terrasse ächzt seit Tagen unter den Miasmen verkohlten, innen noch blutigen Schweinefleisches (von wegen saure Gurken!), oder, besonders perfide, es riecht ganz mörderisch nach verschmorten Sardinen! Das ist doch widerlich! Lassen Sie das! Ich will den feinen Aromen frischen Spargels nachschmecken! Gegen Sie weg mit Ihrem blöden Fisch da!
So, da bin ich wieder, mußte nur eben was über die Hecke rufen. – Befreit vom Zwang, sich über Langeweile zu beklagen, sind an diesem Wochenende allein die Bewohner der wunderschönen Karl-May-Stadt Radebeul bei Dresden. Über diese lese ich heute auf der Wikipedia-Startseite: „Die Wein-, Villen- und Gartenstadt mit ihren acht historischen Dorfkernen und zwei Villenquartieren liegt nordwestlich von Dresden zwischen der Elbe im Süden und den Weinhängen der Großlage Lößnitz im Norden“. So weit, so gut, aber jetzt die Frohe Botschaft für alle Blutsbrüder Winnetous und Apanachis: „Die Schmalspurbahn Lößnitzdackel, die durch den tief eingeschnittenen Lößnitzgrund Richtung Moritzburg und von dort weiter nach Radeburg fährt, wird an diesem Wochenende im Rahmen des Fests wieder von Indianern überfallen“! – Wird das vielleicht Schule machen? Nun, wie wir Medienmenschen gerne sagen: Man darf gespannt sein!
PS: Zum Wochenendausklang für meine agnostischen Freunde noch ein hübsches Liedchen: ERDMÖBEL mit „Einer wie wir“ („If God were one of us“)
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