Posted tagged ‘Nazis’

Einiges über den Düsseldorfer

16. Mai 2013
Jcollier

Qual der Wahl: Tannhäuser entringt sich den Verstrickungen der Sinnlichkeit (ohne Nazis, dafür mit Nackten)

Pah, Düsseldorf“, höre ich oft, „diese ridiküle Mediokropole, wo die Leute glauben, sie stammen von Hugenotten ab, nur weil man sie Parvenus nennt!“, – aber das ist ein bisschen unfair, weil, es ist ja schließlich auch, was total aalglatt aussieht, nicht immer alles bloß Plastikkram von Mr. Wongs Resterampe. Zum Beispiel, was viele nicht wissen, Düsseldorf wurde gerade in irgend so einem kriminologischen Ranking zur „zweitgefährlichsten Stadt Deutschlands“ gewählt! Ob sich das auf Straßen- oder Wirtschaftskriminalität bezieht, weiß ich nicht, weil ich Sachen, in denen das Wort „Studie“ mehr als zwei Mal vorkommt, grundsätzlich nicht zu ende lese, schon gar nicht, wenn sie mit Statistiken überbacken sind. Immerhin habe ich zahllose D’dorf-Aufenthalte unbeschadet durchgestanden. Ich kann ein harter Hund sein.

Oder es liegt an dieser unfassbaren Sensibilität der Düsseldorfer, die kürzlich ans Licht kam und von mir seither weit, weit offenen Mundes bestaunt wird. Ich meine, ich selber bin auch nicht gerade ein Klotz, ich habe bei „E.T.“ geweint, in der Kindervorstellung, ich kriegte früher jedes Mal monatelang seelische Verstimmungen, wenn mich eine Frau verließ (man sollte meinen, ich hätte mich irgendwann daran gewöhnen können, aber nein!), kurz, ich habe ein Herz aus klarer Butter, aber die Düsseldorfer, Mann, Leute, so etwas möchte einer kaum glauben! In denen ihrer Opernschaubude wurde kürzlich (oder wohl eher länglich) Richard Wagners „Tannhäuser“ gegeben, in Szene gesetzt von so einem Regietheater-Heini, d. h. es musste also entweder mit Nackten sein oder mit Nazis, zwecks der Provokationsüblichkeiten, ohne die ja sonst keiner mehr von RTL2 wegzulocken wäre. Jedenfalls, dieses Mal hatten mal wieder die ollen Nazis Bühnendienst, um ganz subtil auf die jüngsten Gerüchte anzuspielen, denen zufolge Wagner evtl. ein Antisemit gewesen sein soll, und auf der Bühne haben diese Nazis dann Juden erschossen, also nicht in echt, sondern nur theatermäßig vorgetäuscht, aber klar, schlimm genug. Wie man die Nazis halt kennt, Mörderpack das. Zwar hat das mit „Tannhäuser“ nicht das allergeringste zu tun, aber, so dachte sich vermutlich der regierende Regieregent, was solls, warum denn nicht, kann man ja doch mal machen. Da hatte er aber nicht mit den Düsseldorfern gerechnet.

Falls ich kurz abschweifen darf, nicht alle kennen sich mit Geschichte aus, die Nazis waren ein überaus schlimmes Volk von Monstern oder Aliens, denen früher mal Deutschland gehörte, bevor man es ihnen irgendwie umständehalber wegnahm oder abkaufte und dafür dort die Deutschen anbaute, treuherzige Siedler aus dem Schreberland hinter den sieben Gartenzwergbergen, brave Leute mit einem Gemüt aus lauter Weißbrot und Wäschestärke, empfindsam, zart und sensibel wie des Zaunkönigs hibbelige Tochter. So desgleichen der Düsseldorfer: Er war gekommen, um die schlussendliche hl. Erlösung des Rittersängers Tannhäuser aus den Verstrickungen der sinnlichen Liebe mitzuerleben bzw. musikalisch nachzupfeifen, denn nichts ist dem Düsseldorfer bekanntlich angelegener und teurer denn die Erlösung aus den Stricken der Sinnlichkeit – das walte wohlwollend Wagnern!

Doch was statt der keuschen Elisabeth, der Heiligen Jungfrau Maria und dem lautstark geläuterten Lust-bzw. Frustritter Tannenberg? Nazis! Judenmord auf offener Bühne! Graus und Blut und Anklage-Oper! Wollüstig waltete wirrer Wahn, vulgo entfesseltes Regietheater wütete wüst! Den Düsseldorfer Opernopfern schnitt dies tief in den Seelenquark, Kunstbusen wogten, Stirnadern schwollen und „Buh! Buuuh!“ entrang es sich waidwund der Hemdbrust zutiefst entrüsteter Premium-Premieren-Priester; Stücker 42 Personen verließen, laut CNN, türenknallend den Ort der Wagner-Schändung und, nun gut, um endlich auf den Punkt zu kommen: Ein volles Dutzend unter ihnen – musste zum Arzt! Ich weiß gar nicht, was es da zu kichern gibt! Das heißt, ich weiß es schon, aber was mich jetzt brennender interessiert, sind folgende Fragen: War es bei allen derselbe Arzt? Gibt es für Notfälle eine sanitäre Opernarztbereitschaft? Eine Art Art-Doctor? Und wie lautete die Diagnose? Was verschreibt man apoplektischen Entrüstungsmagnaten und Hyperventilatoren, die vollgepumpt mit Wagner-Wut mutwillig Kunstblut husten?

Wie zu hören war, hat man die Inszenierung des Schreckens umgehend abgesetzt, um weitere Gesundheitsschäden unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. – An mir nagt und knabbert freilich der Neid: Einmal, nur einmal möchte mir doch ein Text gelingen, nach dessen Lektüre 12 Düsseldorfer zum Arzt müssten – ach!

 

Werbung

Abrissbirnengeist am Klotz

18. Januar 2011

Der Klotz.

„Seht, was geschehn, steht jetzo nicht zu ändern.
Der Mensch geht manchmal unbedacht zu Werk,
Was ihm die Folge Zeit läßt zu bereun.“

(Shakespeare, „Richard III.“)

Jahresanfang – noch Zeit der guten Vorsätze: Unbedingt wieder radikaler werden! Weniger Geduld und Gelassenheit! Den Sprengstoffgürtel enger schnallen! Mehr Mut zum Nichts oder wenigstens höherem Blutdruck! – Jedenfalls, seit unser Bau- und Planungsdezernent jüngst öffentlich davon träumte, „große Stadt-Teile Duisburgs … abzureißen“, laufe ich mit ganz anderen Augen durch die Stadt. Wo lohnt sich das denn? Was könnte jetzt gut schon mal weg? Den Kopf voll schwurbeligem Abbruchsbirnengeist streife ich durchs Viertel und schwelge in destruktiven Phantasieen, führe Abrißlisten, pflege gute Sprengvorsätze und schwinge den Abbruchs-Vorschlagshammer.

Zum Beispiel hier: dieser ungeschlacht wuchtige Backstein-Trumm am Anfang der Friedenstraße! Was ist das denn überhaupt? Wer baut denn solch festgefugten Unfug? Lange Zeit habe ich den Riesenhaufen Bauunglück aus dem Augenwinkel betrachtend für eine besonders grässliche, aus der wilhelminischen Zeit stammende Kirche gehalten. Applizierte Mosaiken, gemauerte Rundbögen und spitzwinklige Giebelchen hier und da  bestärkten mich in diesem Irrtum. Indes, selbst die hässlichsten Gotteshäuser (Gott im Plattenbau?) haben nicht derart kleine Fenster, und hinter den Back-Ziegeln von Kirchen verbergen sich in aller Regel auch nicht meterdicke Beton-Wände.

Kurzum, es handelt sich gar nicht um eine Kirche, sondern um ein herausragendes Monument des Wirkens unserer Nazi-Vorfahren, den grandiosesten Ruinenbaumeistern der Neuzeit. Ihnen gelang Innovatives: Ganz Deutschland in Trümmer zu legen und zugleich Bauwerke zu schaffen, die sich offenbar in Jahrhunderten einfach nicht kaputt kriegen lassen. Wie tote, aber unzerstörbare Zähne ragen die Hochbunker im faulen Maul des Geddos: Zu hässlich und gemein, um stehen zu bleiben; zu klumpig, trumpfmotzig und blöd betonbullig, um sie rationell wegzubomben; andererseits zu idiotisch widersinnig verbaut, um sie einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Dieser hier, heißt es, war einst ein sog. „OP-Bunker“, eine Art verbarrikadiertes Kriegs-Lazarett, in dem es sich noch gemütlich Beine amputieren ließ, wenn sich draußen über der Stadt schon die Royal Airforce austobte.

2009 geisterte durch die Bezirksvertretung das Gerücht, eine Investorengruppe wolle „Büro- und Wohnräume“ darin einrichten. „Na, dann wünsch ich schon mal viel Spaß mit den Heizkosten!“, dachte ich noch, aber es blieb eh, wie fast alle hochmögende Stadtplanung in Duisburg, heiße Luft, oder wie Lichtenberg sagte, „ein wehendes Vakuum“.

Der Klotz hockt weiter in seiner verstockten Mehrstöckigkeit und mahnt stumm vor sich hin. Kein jugendfroher Vandalismus und kein delirierender Stadtplaner kann ihm etwas anhaben. Selbst zu Graffitti fordert er seltsamerweise nicht wirklich heraus. ’So dauerhaft wie ich ist nur die Dummheit’, besagt er. Freilich kann man bezweifeln, dass die täglich dran vorbeiziehenden Völkerscharen einen Schimmer haben, was es mit dem Backsteinwerk auf sich hat. Man kann noch nicht mal eine Moschee draus machen. Aber weil jetzt drüber nachgedacht habe, kann man ihn ja zum Denkmal erklären, den Klotz.

 

Nie wieder im Keller essen! (Frittierte Film-Schnitzel)

27. November 2010

Grundsympathisch: Bruno Ganz als Hitler (Foto evtl. urherrechtlich geschützt - Quelle: faz.net)

Kürzlich mal wieder den Film „Der Untergang“ („Dörr Onntergank“) angesehen und in alpträumerische Verwirrung geraten. Der Streifen spielt im Wesentlichen im Bunker („Bonckerr“) der Reichskanzlei; Hauptfiguren sind eine unbedarft rehäugige junge Sekretärin (bezaubernd: Alexandra Maria Lara), die viel und nervös raucht, allerhand Nazi-Mist abtippen und auch noch die zwölfundzwanzig Goebbels-Kinder bespaßen muß, ansonsten aber als verführte Unschuld nicht viel mitbekommt („wir wussten ja nichts“), sowie natürlich der tapprige olle Onkel Adolf („Heil“) Hitler (grundsympathisch: Bruno Ganz), der ein wenig cholerisch, aber letztlich doch bestürzend menschlich durch die unterirdischen Gänge klabautert, mit melancholischer Miene Stopfkuchen isst, seinen Schäferhund Blondie krault, verwahrlosten Kindern („Hitlerjugend“) wertlose Orden anpiekt und ansonsten händezitternd an seiner Parkinson-Erkrankung laboriert. Hitler geht es wie vielen Senioren: Er kann sich keine Namen mehr merken und hat Schwierigkeiten, sich mit dem Verlust der Weltherrschaft abzufinden. Seinen Hang zu wesentlich jüngeren Frauen sublimiert der „Führer“, indem er auf Generalsstabskarten Armeen herumschiebt, die es längst nicht mehr gibt. Typisch alter Sack, also.

Weil oben, in Berlin-Erdgeschoß, gerade das Deutsche Reich zu Bruch geht und der Russe brutalst möglich mit Schieß-Granaten schmeißt, leidet der „Föhrrerr“ sichtlich unter Stimmungsschwankungen. Beim heutigen Stand der Psychotherapie bzw. Palliativ-Medizin, so der Eindruck, hätte man dem verwirrten alten Mann durch gute medikamentöse Einstellung zu mehr Lebensqualität verhelfen können (Ritalin, Anti-Depressiva, Viagra). So aber verdüstert sich die Lage zusehends. Auch nicht gerade stimmungsaufhellend wirkt sich aus, dass in den neonbeleuchteten Kellergängen an jeder Ecke doofe Nazis herumstehen, um zackig zu salutieren, sinnlose Befehle zu bellen oder insgeheim mit den Augen zu rollen, weil die Umfrage-Werte der NSDAP mal wieder ganz schön im Keller sind – wenn schon nicht die Vernichtung der Juden oder der verlorene Krieg, so hat doch die Erhöhung der Tabak-Steuer Popularität gekostet! – Gänzlich unangenehm wird der Kelleraufenthalt durch die penetrante Anwesenheit eines ungemein hässlichen Patienten, der ein albernes, senfgasgelbes bzw. babydurchfall-braunes Jäckchen trägt und sich gern mit „Dr. Goebbels“ anreden lässt. Gespielt von Ulrich Matthes, wirft er dermaßen fanatisch-dämonische, böse Blicke um sich, dass die berühmten deutschen Fliegen-Asse tot von den Kellerwänden fallen und selbst Reichshundeführerin Blondie gequält aufjault.

Es geht zu Ende, in der TV-Fassung ca. 175 Minuten lang. Bei Tisch isst man auf Wunsch von Onkel Adolf vegetarisch (Nudeln mit kriegsbedingt künstlicher Pampe) und lauscht teils genervt, teils mit „onnerbettlicherr Önntschlossenheit“ seinem verworrenen Gebrabbel (die berühmten „Tischreden“ des Führers); betretene Blick auf den Teller sind – bei den geringfügiger belasteten Mitessern – die nur allzu verständliche Folge. Die Stimmung ist gedrückt, es will nicht mehr recht schmecken. Der vielbeschworene „Onnterrgank“, vor allem der Esskultur, ist greifbar nahe. Nachtisch muß ausfallen. Ohne Pudding ins Bett resp. zack! auf den „Müllhaufen der Geschichte“! Nach dem letzten Abendmahl macht man reinen Tisch – die Nazi-Prominenz retiriert ins Separée, nimmt Zyankali-Gift, gibt sich die Kugel und lässt sich hernach mit abgespreiztem rechten Arm feuerbestatten. Happy End und Abspann.

Nachdem das deutsche Volk wie durch ein Wunder von der Hüttler-Barbarei genesen, schwor es sich bekanntlich, dass in unserem Lande („unter deutschem Boden“) nie wieder im Keller gegessen werden sollte, vor allem keine künstliche Pampe, niemals bei Neon-Licht und keinesfalls mehr bedient von seelenlosen, in hässliche Uniformen gehüllten Schergen aus dem Bodensatz der Gesellschaft („Volkssturm“). Auferstanden aus Ruinen der Zivilisation wollte ein geläutertes Volk pausbäckiger Fruchtzwerge an den Katzentisch der manierlichen Nationen zurück, fürderhin ohne deutschtümelnde Schnitzelhuberei und braune Panade. Statt dem Braunkittel „Dr. Goebbels“ jubelte man nun „Dr. Oetkers“ zu und aus den Reihen hungriger Hitlerjungen entsprangen neue, blitzsaubere, grund-entnazifizierte Helden der Zivilgesellschaft: Esspäpste, Fernsehköche und Restaurantkritiker. Mit in stickigen Kellern verdruckst verschlungenen Schweineteilen („zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“) sollte es ein für allemal vorbei sein.

Doch das Böse schläft nicht, sondern lacht sich hämisch ins Panzerfäustchen. Tief unten, hinter den sieben Tiefgaragen, im Untergrund hedonistisch-bolschewistischer Konsumtempel verbunkert sich der alte Ungeist. Wer es sich einfallen lässt, im stickigen Untergrund (Forum, Untergeschoß, Frontabschnitt C 10), welcher in diesem Fall den Charme eines aufgepeppten Provinz-U-Bahnhofs versprüht, allen Ernstes Essen zu fassen, der muß, von allen Versorgungsbatallionen abgeschnitten, an Randes des Hungertods stehen, oder er hegt vielleicht deutschhubernden Multikulti-Hass. „Wer eine vielseitige Speisenkarte mit vielen unterschiedlichen Gerichten sucht – Fehlanzeige“ vermeldet schon der Internet-Auftritt vom „Schnitzelhuber“ triumphierend. Die Speisekarte wurde von allen volksfremden Elementen gereinigt! Hier wird deutsch gegessen! Wollt ihr das totale Schnitzel? Dann ist gut, denn „bei uns gibt es nur knusprige Schnitzel in vielen Variationen“, trumpft die Oberste Frittier-Leitung auf.  Als Konzession an unsere Kameraden im Ostreich gibt es immerhin noch „Wiener Backhendl (neu)“.  Zu betonen, dass diese „neu“ sind, macht Sinn, erweckt das stahlhart durchfrittierte Geflügel nämlich sonst eher den Eindruck, schon viele Luftkampfeinsätze geflogen zu haben. Ansonsten wird Material aus den Massentierhaltungs-KZs herangezogen.

Dennoch, das unbelehrbare Volk lässt sich mal wieder von falschen Versprechungen oder niedersten Instinkten verleiten: Mittags ist dieser Hort raffiniert ausgeklügelter Ungemütlichkeit rappelvoll. Zischend und fauchend wird auf die Teller gefeuert, was die 30cm-Fritteuse-Artillerie hergibt.  Die schäbig uniformierte Besatzung des U-Bootes „Generalfeldmarschall Schnitzelhuber“ ist dabei gestresst wie unsere Kameraden vor Stalingrad. Blickkontakt mit dem Feind bzw. der Kundschaft ist strengstens untersagt. Hier werden Geschütze bedient, nicht Kunden. Schweiß, Fett und Tränen. Wer hier als Zivilisten-Weichei eine Bestellung abgeben möchte, durch den wird mit eiserner Entschlossenheit hindurch geblickt. Für mich erfüllte sich damit zehn Minuten lang ein Kindertraum: Einmal im Leben unsichtbar sein! Nummern werden gebellt, Besteck fliegt über die Gräben, Tellerminen werden geworfen. Bloß keine Zeit verlieren: Schlacht in der Mittagspause!

Zum authentischen „Bonckerr“-Gefühl fehlt eigentlich nur ein dementer österreichischer Obdachloser, der in einer Ecke hockt, wirres Zeug stammelt und bramabasiert, „das Volck“ habe „nöchts besseres förrdient“ als … den „Onntergank“!

 

Dick aufgetragene Dünnhäutigkeit (Masken-Kraska)

5. Juli 2009

ghirlandaio_maske_florenzSVA CVIQVE PERSONA

Wien, Heldenplatz. Mördermonströses Marmoralbtrumm umstellt das Halbrund, bestürzende Altbauten, Einschüchterungsprotzitektur der XXXL-Klasse. Hier, vom Balkon aus, hat Adolf „du alte Nazisau!“ Hüttler  den Zusammenschmiß von Ostmark und Doofdeutschem Reich verkündet, damit man gemeinsam mal was machen kann. Weltkrieg beispielsweise. Ö-Pöbel und germanische Hakenkreuznasen frenetisierten dazu im durchfallfarbenen Jubilage-Rausch. „Heil! Heil!“ rief das Pöblikum, aber es ging dann bekanntlich dennoch das meiste kaputt.

Etwa eine Bombenwurfweite von dieser unseligen Rassen-Terrierarier-Terrasse entfernt, im Seitenflügel der marmorsteinundeisen gewordenen Grandiositätsphantasie der Habsburger-Helden, residiert heut eine Abteilung des Museums für Völkerkunde. Hier werden Völker beurkundet, die man k.u.k.-halber schon mal ausgepresst hat, oder wenigstens flüchtig besichtigt, oder denen man gern mal an die Geldwäsche gehen würde. (Völkerkunde war eine Hilfswissenschaft des Kolonialismus; Ethnologie ist die universitäre Trauerarbeit darüber, daß es der Kolonialismus damals geschafft hat.)

Hier nun hat man heuer am Heldenplatz auch was zusammengeschmissen, aber mit dem zeitgemäß gehobenen Feingoldgefühl demokratischer Zivilisiertheit durchwirkt und geadelt: Die Völkerkundler, das Kunstgeschichtliche und das Theatermuseum haben Ideen und Exponate beigesteuert zum Thema „Wir sind Maske“.

Den Machern kam dieser Titel wohl selbst etwas peinlich vor in seiner boulevardesken Schreifaltigkeit (“Wir sind Papst!“, „Wir sind Meister!“), weshalb man ihn lateinisch nobilitierte und untertitelte: „SVA CVIQVE PERSONA“, was sich der Lateinschüler mit „Einem jeden seine Maske“ aufs Handgelenk notiert. Ach so, gut. Henry Maske wäre ich nämlich nicht gern gewesen (andere Gesichtsklasse!). Um diesen geht’s also nicht, aber sonst um fast alles zum Thema Maske, quer durch die Religionen, Regionen und Rituale, sowie längs durch die Kulturgeschichte von der Stein- bis zur Plastikbastelzeit; Totenmasken, Horrormasken, Schutzmasken, Vermummungsmasken, Theatermasken (von der Commedia dell’arte übers No-Theater bis zur Gegenwart), Ritualmasken, Karnevalsmasken, Bilder von Masken, Masken von Maskenbildnern, Masken aus Stein, Ton, Knochen, Wachs, Lehm, Leder oder Pappmachée, Kurioses, Furioses und Folkloristisches, Humoreskes, Phantastisches, Dämonisches, Horribles, Poetisches, Apotropäisches, Apokryphes und Apokalyptisches:  ein auf fünf oder sieben Säle ausgedehnter ballo di maschera, bei dem auch der Kenner ein oder das andere Tänzchen um die Vitrinen wagt. Von der afghanischen Burka über die Renaissance-Prunkritterrüstung bis zu Darth Vaders („Kh..hchchch, Kh…chchch“) Schutzhelm fehlt nichts Wichtiges, womit Menschen mal ihre werte Identität verschleiert, verdoppelt, fragmentiert, larviert, vermummt, überhöht, dementiert oder konterkariert hätten.

Zusammengestellt und ausführlichst mit Texttafeln beklügelt wird dies, mir san in Wean!, von einer KuratorInnentruppe, die Geschmack, Bildung, Witz und Kenntnisreichtum genug besitzt, um sich nicht maskieren zu müssen. Selbst gichtkrüppelige Bewegungsapparaturen und wehe Schmerzensmänner wie mich drängt es, offenen Kindermundes hierhin und dahin zu sprunghüpfeln und ein und das anderemal auszurufen: „Schau nur! Sieh mal dies hier!“ – Natürlich darf man auch weitaus Klügeres äußern: über Identität und Person, gesellschaftliche Rollenspiele, magische Maskeraden, kapitalistische Charaktermasken, die beunruhigende Lebendiggkeit der Totenmasken, über das Einschüchternde, Verführerische, Verwegene und Entgrenzende des Maskenspiels, über Erotik und Überschreitung, Dialektik und Digression der Verhüllung, usw. – Munition für solche virtuellen Virtuositäten verschafft einem der doppelbrikettschwere Katalog, der wunderwunderschöne Fotos von allen Exponaten enthält, dazu aber eben auch Deutungen, Deuteleien und Verdeutlichungen aus berufenem Ethologen-, Anthropologen und Kunsthistorikermund.

Nicht jede Austellung macht komplexe Beziehungen anschaulich. Diese tut es absolut. Wenn man sich nicht allergrößte Mühe gibt, dumm zu bleiben, kommt man hier klüger wieder heraus, als man eintrat. Ich zum Beispiel, ich könnte jetzt hier aus dem Stand einen fulminanten, frappierenden, ja, flamboyanten Vortrag „Über die tragische Dimension der verschiedenen Masken Michael Jacksons“ improvisieren, unter künstlerischen, psychologischen und ethno-athropologischen Aspekten, nur, auch wenn dies gewiß des Anlasses würdig wäre, ich werde es, keine Sorge, hier nicht tun. Ich spiele lieber den ahnungslosen Einfaltspinsel und Provinzdepperl, eine Maske, die mich nicht nur glänzend kleidet, sondern mir auch erlaubt, im Schutze dick aufgetragener Harmlosigkeit dünnhäutige Beobachtungen aller Art zu machen.

PS: Interessante Fotos werde ich noch einscannen, wenn ich dazu komme.

Aus dem Jenseits: Blaubeerkuchen

28. Juni 2009
rezeptgalerie_28239_th

Was bedeutet Blaubeerkuchen?

Schwere, dumpfe Nacht (Grüner Veltliner). Geträumt, ich sei am Nachmittag bei Professor Sigmund Freud zum 81. Geburtstag in den Garten eingeladen. Wir saßen in klapprigen Liegestühlen und rauchten gelbe Zigarren. Es gab Blaubeerkuchen und eine Menge unattraktiver älterer Hausfrauen in geblümten Kittelschürzen hasteten mit Kaffeekannen durchs Buschwerk. Wir langweilten uns. Freud schlug nachlässig, aber unentwegt mit der flachen Hand nach kleinen blondgelockten Kindsköpfchen, die ihn liebreizend umschwirrten. Der Zwölfton-Komponist und kommunistische Arbeiterliedermacher Hanns Eisler war auch da; er passte nicht in den Liegestuhl und quengelte die ganze Zeit, wann wir endlich „einen heben gehen“ würden, da er pünktlich 15.30 Uhr (er sah dabei auf eine tropfenförmige Taschenuhr, die an einer Kette über seinem Embonpoint hing), seinen ersten Alkohol brauche. Eine mittelalte Matrone mit graumeliertem Dutt (Anna Freud?) klatschte in die Hände und rief in schauderlich ver-wienertem Englisch sinngemäß: „Kinder, Kinder, es gibt Kakao und Kokain in der Küch’n!“

Ansonsten passierte in dem Traum, der noch gefühlte Stunden vor sich hin ödete, nichts weiter Bemerkenswertes. Es war einer der langweiligsten Träume, die ich je hatte! Außer, daß wenigstens die Sonne schien, kann ich im Traummaterial keine verborgene Wunscherfüllung entdecken, die nach Freuds Traumtheorie dort zu finden sein müßte.

Das unbehagliche, irgendwie wehmütige, beinahe weinerliche Gefühl, das den Traum grundierte, hielt nach seinem Ende weiter an, so ein diffuses, symptomloses Leiden, ein leichter Druck in der Brust, so ein ziehendes Klopfen im Hinterkopf, ein irgendwo viszeraler Schmerz mit neuronalen Komponenten, verbunden mit einer sehr vagen, intermittierend aufstoßenden hysterischen Lachlust, – ich weiß nicht, vielleicht fühlt es sich so an, wenn man sich die Schweinegrippe zugezogen hat? Sie soll ja gar nicht schlimm sein, heißt es. Davon abgesehen, fühlte ich mich weder zu Eros noch zu Thanatos hingezogen, kein Todestrieb zu spüren, allerdings auch keine großartige erotische Begierde, außer stark nach frisch gebrühtem Kaffee und evtl. einer doppelten Kopfschmerzbrause „plus C“.

Der Traum war irgendwie aber schon doch ein stückweit signifikant, vor allem auch erklärlich, denn am Tag zuvor war ich vom famosen Dauerrregen nach Wien, in den 9. Bezirk, in die Berggasse 19, gespült worden und hatte mich erst in Freuds Warte-, dann in seinem Behandlungszimmer aufgehalten, bis ich einigermaßen getrocknet schien. (Einen großen Regenschirm, nach Freud DAS phallische Sexualsymbol, besaß ich nicht – nur einen „Knirps“ (!), welcher zwar meines Wissens dennoch keine Kastrationsangst in mir auslöste, gegen den Wiener Heldenplatzregen aber tatsächlich nur unzureichend Schutz geboten hatte). Die Berggasse in Wien, das ist, wie die meisten Wiener Gassen, natürlich gar keine Gasse, sondern ein Boulevard, der von großmächtigen Bürgerhäusern der Gründerzeit flankiert wird, Stuckpalästen von einer gewissen Monströsität und Protzigkeit, gewiß, aber immer noch besser als die Nachkriegsbauten der Betonfetischisten- und Verklinkerer-Innung.

In Nr. 19 hauste, werkelte, therapeutelte und traumdeutelte Prof. Freud beinahe geschlagene 50 Jahre lang, will sagen, hier wohnte er, hier hatte er Wartezimmer, Behandlungsraum und Arbeitskammer, nebenbei überraschend kleine, dunkle, niedrige Räume, damals, den Interieur-Fotos nach zu urteilen bis zum Anschlag mit Möbel, Plüsch und Nippes vollgestopft. Ich glaube ja, das berühmte psychoanalytische Couch-Setting hat Freud oder Frau Freud erfunden, weil für normale Sitzgelegenheiten kein Platz mehr war. Wer nicht stehen wollte, mußte sich halt aufs schonbezugbezogene Kanapée legen! Der karge verbliebene Luftraum wurde von dem gemeingefährlich aussehenden daumendicken, kurzen, gelben Zigarren beansprucht, die Freud unentwegt qualmte, um seine Denktätigkeit in Gang zu halten, nachdem sich Kokain wider Erwarten auf Dauer doch nicht so gut als Alltagsstimulanz eignete. – Übrigens habe ich eben zunächst statt „daumendick“ versehentlich „damendick“ geschrieben; ob dies als ein sog. Freudscher Verschreiber zu deuteln ist, der auf meine uneingestandene Verehrung für korpulente Frauen schließen läßt, bleibe vorerst dahingestellt bzw. ist auch meine Privatsache. Ich liege ja nicht auf der Couch!

Im kleinen Freudmuseeum, das in den ehemaligen Praxisräumen untergebracht ist, gibt es eine dunkle Kammer, in der auf Monitoren in Endlosschleife ein recht gespenstischer Filmschnipsel-Salat zu besichtigen ist. Man sieht tattrige Schwarz-Weiß-Stummfilmaufnahmen vom zittrigen alten Freud, der meistensteils zu sehen ist, wie er sich im hohen Alter in der Sommerfrische befindet, im Garten im Liegestuhl liegt und kurze Briefe schreibt, in denen etwa steht: „Nach der letzteren Operation“ (Freud hatte Mundhöhlenkrebs, von den Zigarren, schätz ich) „geht es schlecht; Essen, Trinken und Rauchen (sic!) geht noch gar nicht recht gut“. Ansonsten feiert er meistens Geburtstag. Der Meister wirkt dabei genervt, begreiflicherweise vielleicht, weil die Nazis den alten, gebrechlichen, kranken Mann nach 50 Jahren in der Berggassen-Plüschhöhle ins ungeliebte englische Exil vertrieben hatten. Am irresten ist aber die Kommentarstimme: Eine offenbar auch schon gefühlt 90-jährige Tochter Anna Freud, des Professors psychoanalytische Kronprinzessin, kommentiert in einem Englisch, das schauderhaft nach Grinzing klingt, mit einer irgendwie total unwirklich heulenden, jaulenden Stimme komplett Überflüssiges aus dem Off: Ist Freud zu sehen, jault die singende Nervensäge: „My Fathsser“, bekommt der Blumen, heult sie „Flowers…!“, und kommt der qirlige kleine Pekinese aus dem Busch gehoppelt, greint sie: „Sssiss iss ourr litt-tle dog“. Irgendwie spooky, als würde beim okkulten Tischerücken Oma aus dem Jenseits anrufen, um mitzuteilen, es stünde demnächst eventuell eine Reise bevor. Na ja, ungefähr so sind die Ausssagen der Psychoanalyse ja auch.

Eigentlich halte ich Freud nicht für einen Geistesriesen; er war ein Schlawiner, ein Windbeutel und ein bissel auch ein Ideologe vulgo Demagoge. Dennoch war ich irgendwie geknickt und bedrückt von der für heutige Verhältnisse unerträglichen Spießigkeit, Trivialität und Beschränktheit des Lebens in der Berggasse.

Die verbleibenden Fragen: Was machte Hanns Eisler in dem Traum? Der war zwar auch Wiener und auch Jude, hatte aber sonst, als Kommunist, mit dem kleinbürgerlichen Seelengepule gar nichts am Hut. Und schließlich: Wieso Blaubeerkuchen? Im Film kommt Blaubeerkuchen nicht vor! Was bedeutet es, wenn man von Blaubeerkuchen träumt? Steht da was drüber in der „Traumdeutung“? – Blaubeerkuchen … Blaubeerkuchen … Blaubeerkuchen….

DSCN4810

Fünzig Jahre in der gleichen Plüsch-und Nippeshöhle! Berggasse 19, 9. Bezirk, Wien