Posted tagged ‘Nachruf’

Hausnachrichten

5. November 2011

Drei sind zuviel.

Vorgestern ist meine Nachbarin Heike gestorben. Habs grad erfahren. Man hat sie am hellen Mittwochnachmittag tot in ihrem Bett gefunden.  – Pitti, gerade erst frisch verwitweter Ex-Hausbesorger und Meister-Lakoniker, passt mich auf der Treppe ab. Er deutet mit sardonischem Lächeln nach unten, wo die Alk-Fraktion wohnt und wispert: „Ruhig da unten, die Tage, oder?“ –  „Stimmt!“ erwidere ich fröhlich, „seit Tagen schon kein Gebrüll und Krakeel mehr!“ Pitti nickt bedächtig: „Is wohl, weil die Heike gezz tot ist.“ Stumm sinnt er seinen eigenen Worten nach, während ich trocken schlucke. Jetzt ist das Martyrium also zu Ende. „Die blöde Votze“, so ihr Alk-Galan, der jeden Tag mit Gebrüll drohte, ihr „das Maul zu Brei zu schlagen“, hat jetzt, plötzlich, aber nicht völlig unerwartet, ihren Frieden. Zwar kann der Mensch Ungeheuerliches aushalten, aber nicht für ewig. Ob es die drei Flaschen Vodka pro Hartz-Tag waren, die Tabletten, die Prügel oder die allgemeine würgende Lieblosigkeit des Lebens, das wird vielleicht die Obduktion ergeben, oder auch nicht. Dass manche Menschen niemals Glück haben im Leben, das ist keine forensische Kategorie.

Wenn Heike nüchterne Tage hatte, was ab und zu vorkam, war sie eine angenehme Person, formvollendet höflich, leise und immer bemüht, sich ihr Elend nicht anmerken zu lassen. Perfekte Trinker-Contenance. Es gab Tage, an denen sie sich erinnerte, dass sie mal Akademikerin war, sie machte den Rücken gerade, unterdrückte das Zittern und beanspruchte Menschenwürde. Bei mir kein Problem, bei ihr schon, denk ich.

Nicht dass wir Freunde waren, dass sicher nicht, aber sie gehörte zu uns, sie war wie wir, nur schon etwas weiter vielleicht. Heike wurde 44 Jahre alt.  Das Schlimme ist nicht der Tod, sondern die Ahnung: Sie hatte es nie besser als jetzt.

Pitti, der mit Heike befreundet war (the blind leading the blind) läst sich nichts anmerken. „Kannze nix machen“, sagt er stoisch, auf dem Weg zur Kneipe, und: „meinnze, ich soll’n Schirm mitnehmen?“ – „Klar“, murmele ich, weil ich weiß, dass Pitti sein Hörgerät nicht drin hat, „besser noch, man würde mit’m Schirm geboren“. Das war eine Spitze gegen Gott, den ohnmächtigen alten Sack. Ruh in Frieden, Heike. Immerhin mit Schlägen ist jetzt Schluss.

 

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Heiliger des Verschwindens

29. Januar 2010

Nun ist er also doch mal gestorben, vorgestern, mit 91 Jahren. Für die Welt war er ja eh schon lange tot: 1965 das letzte Buch, 1980 das letzte Interview, Lebenszeichen danach entweder obskur oder unfreiwillig. Niemand weiß so genau, was er die letzen Jahrzehnte draußen auf seiner Farm in New Hampshire so getrieben hat. Er wollte es so. Er hielt sich bedeckt. Er haßte jede Form von Rummel, und er wollte nicht begafft werden – wie sein cooler, sensibler, verzweifelt sarkastischer Held Holden Caulfield:

„Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einschlief – ich war gar nicht mal müde –, aber schließlich schaffte ich es doch. Aber eigentlich war mir eher danach, mich umzubringen. Mir war danach, aus dem Fenster zu springen. Wahrscheinlich hätte ich es sogar getan, wenn ich sicher gewesen wäre, dass mich jemand gleich nach dem Aufprall zugedeckt hätte. Ich wollte nicht, dass mich ein Haufen Gaffer anglotzte, wenn ich ein einziger Blutklumpen war.“

J. D. Salinger hat mit seinem „Catcher in the rye“ (deutsch: „Der Fänger im Roggen“) mal mein Lebensgefühl über Jahre geprägt; durch ihn habe ich erstmals Sinn für Tonfälle im Amerikanischen (und in der Sprache überhaupt) bekommen, und, am wichtigsten, er war ein Meister im Tao des Verschwindens, er demonstrierte ein halbes Jahrhundert lang, daß man ein großer Schreiber sein kann, und sich dennoch nicht zum Tanzbären der Verlage und zum Sklaven der Eigenreklame machen muß. Das letzte Bild, das von ihm kursiert, zeigt den Eremiten, in seinen Sechzigen, wie er wütend gegen das Autofenster eines Papparazzo schlägt, der auf seine Farm vorgedrungen war. Paradox nur auf den ersten Blick: Dieses Foto hat einen Ehrenplatz in meiner Wohnung.

Nun kreisen wieder die Geier über der Salinger-Farm, denn immerhin ist durchgesickert, daß Jerome D. Salinger all die Jahrzehnte seiner Zurückgezogenheit wohl geschrieben hat, für sich, für die Schublade. In den Augen der Verlagsagenten rotieren blinkend die Dollar-Zeichen….

Was soll man ihm nachrufen, diesem großen, leisen, klugen Mann? Jedenfalls nicht „Viel Glück“:

„Als ich die Tür geschlossen hatte…, schrie er mir etwas hinterher, aber ich konnte ihn nicht genau verstehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mir „Viel Glück!“ hinterschrie. Bloß das nicht. Ich würde keinem „Viel Glück!“ hinterherschreien. Es klingt furchtbar, wenn man’s sich recht überlegt.“

Sollte man erwähnen, daß wir J. D. Salinger nicht nur einen der ergreifendsten Romane des 20. Jahrhunderts verdanken, sondern ihm und seinen Kameraden auch unsere Freiheit? Er war unter den Soldaten, die 1944 in der Normandie landeten und später in der blutigen Ardennenschlacht die Nazis niederrangen.

So long, Sir.

Nachruf

24. Mai 2009
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Farewell, Lovely... Barbara Rudnik (1959-2009)

NACHRUF

Scheiß Tod immer! (Manno!)