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Selbstbeweihräucherung, sozialverträglich

11. Februar 2010

Fürs Ego unerläßlich: Weihrauch

Eine der wenigen befriedigenden, zicken-freien Zwischenmensch-Beziehungen, die nicht in Kummer-Blues und fies verdüsterter Seelen-Verkaterung zu enden drohen: Selbstverknalltheit! Ich empfehle das! Mit sich selbst hat man totsicher eine lebenslange Affäre. Gut, zwar hab ich mich auch schon mal selbst betrogen, aber – bislang bin ich jedesmal reumütig zu mir zurückgekehrt! Mit mir raufe ich mich immer wieder zusammen, denn ich bin ja ein Typ, mit dem man Pferde stehlen kann! Ich (297) bin dufte, knorke & hip: außerdem Nichtr., schlk., tol.,  unkomplz., sportl., humorv. und Akadem.!

Mich mag ich nicht nur um meines Körpers willen, und auch nicht bloß des Geldes wegen! Ich find mich einfach supergut, hach! – „so, wie ich bin“! Um es rundheraus zu sagen: Ich bin wohl im Grunde meine große Liebe! Die Liebe meines Lebens! Keiner versteht mich so gut, keiner kennt meine verborgenen Qualitäten besser und keiner weiß, wie witzig, klug, na ja, seien wir ehrlich: im Grunde genial ich eigentlich bin – niemand leider, außer mir selbst! Nee, ich glaube, jetzt mal im Ernst, ich bin schon ein klasse Typ! Ein Unikat, ein Schnäppchen, ein Sahneteil…

„…Na“, denkt das Publikum allmählich stark verschnupft, „da ist aber mal einer schwer auf dem Selbstbeweihräucherungstrip! Was für ein eminent unerträglicher Blödmann! Das ist ja nicht auszuhalten!“ Tatsächlich nerven ja Zeitgenossen, die unentwegt von sich selber sprechen und einem erzählen, was für unfassbar aufregende Ausnahmeerscheinungen sie darstellen, immens, oder? Sie wirken immer so beklemmend bedürftig, diese Leute, die einem andauernd aggressiv ihr leeres Mützchen entgegenstrecken, damit man ihnen lauter pure Anerkennung oder atemlose Bewunderung hineintut; Anerkennungsbettler berühren unangenehm, schon weil man – unverdientermaßen auch nicht gerade in Ruhm und allgemeinem Applaus gebadet! – selbst gern mal das eigene Ego in der Sonne spazieren führen würde.

Ich persönlich praktiziere eine Form von Selbstbeweihräucherung, die ich für weitgehend sozialverträglich halte; Besucher schnuppern zwar manchmal ein wenig nervös in meinem sorgfältig stilisierten Privat-Ambiente meiner Teilzeitmönchsklause herum und meinen, gewisse Spurenelemente von Eso-Qualm, Hippietum und Baghwan-Zauber zu erschnüffeln, aber als pensionierter Ex-Punk-Rocker der härtesten Sorte bin ich hippiesk spinnerter Verweichlichungen unverdächtig; und dem vorbeischneienden Kriminalhauptkomissar-Schnüffler erkläre ich milde: Oooh, nein! Diese kristallinen Bröckchen sind weder Crack noch Crystal Meth! – es handelt sich bei diesen exotisch-berauschenden Odeurs lediglich um strunz-legalen … – Weihrauch, und den brauche ich, wenn ich meditiere und meine Übungen mit Schwert, Bogen, Zwille, Dolch oder Teebeutel absolviere. Ich bin bekanntlich Hobby-Asiate! Weihrauch reinigt, stärkt, bügelt und faltet das vom Alltag geschundene Ego wieder auf Kante, es verleiht Ruhe und Gelassenheit, stärkt die spirituellen Kräfte (Ki, Chi, Qui oder wie), und zwar  gerade an Tagen, an denen einem mal wieder alles tierisch auf den Sack geht!

Weihrauch kennt, verehrt und benutzt man seit der ur-ersten Alt-Antike. Seit Duft, zeitlos, erhaben und fremdartig, erinnert dich daran, daß du weder der erste noch der letzte Mensch bist. Weihrauch ist, was schon Jehova als Deo benutzte oder auch Buddha und seine Leute, und so weiter. Weihrauch verhält sich ein bißchen zu Gott, wie Veilchen-Parfum zu meiner Oma: Die ihn trugen, sind schon lange tot, aber ein Hauch ist in den Zimmern geblieben, in denen sie dereinst gewohnt haben sollen…

Wenn man nicht gerade das Jesus-Kindlein im Stall zu Bethlehem ist und daher Weihrauch, Myrrhe & Co. vom Lieferdienst der DREI Hl. KÖNIGE nicht frei Haus geliefert bekommt, erhebt sich die Frage: Wo krieg ich denn dieses überaus kostbare Zeugs (das getrocknete Harz des Weihrauchbaums Boswellia) her? Ich bin doch nicht katholisch, außerdem fast nie in Somalia, in Oman, oder gar in Indien? Und kann man das überhaupt bezahlen? Ja, kann man, und dank Globalisierung und Internet bekommt man – was früher Glücksache war und der Job jahrelang unterwegs seiender Kamelkarawanen! – , heute innert drei Tagen  cool geliefert, zuverlässig, aromaschutzverpackt, preiswert und in reichhaltiger Auswahl!

Wer spirituelle Aufrüstung gern durch die Nase zieht, dem empfehle ich, den liberianischen Koks-Dealer mal für eine Weile zu meiden und dafür die legale, seriöse, zuverlässige Firma „Anandam“ zu nutzen. – Auch für atheistsche Historiker geeignet: Wenn ihr mal wissen wollt, wie es in Nomadenvater Moses’ Ziegenfellzelt roch, auf Noahs Arche, oder bei Familie Gautama-Buddha daheim: Anandam hat für euch die passenden Räucherwerke. Gönnt euch das! Legt eine Platte auf, von Leonard Cohen, Nusrat Fateh Ali Khan oder mit Bollywood-Schlagern, lasst euch selbst beweihräuchern und träumt von großen Dingen! Badet den Orient! Schaumbad für die Seele: Weihrauch!

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Brennende Lust: Nacktes Nackenwerfen vs. Feminismus

20. August 2009
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Fast menschenleer: Ein Strand in der City

Derzeit beginnen zeitaktuelle Kolumnen-Texte gern mit einem Zitat von The Loving Spoonful: „Hot town, summer in the city, / my neck’s gettin’ dirt and gritty“ – warum auch nicht, liegt doch nahe bei 37° C im Schatten! Außerdem ists ja ein schönes altes Lied. Ich fang trotzdem mal anders an: Stellt euch einen einsamen Sandstrand vor – nahezu menschenleer liegt er unter der Sonne; bis auf das gelegentliche leise Vorübertuckern eines Schiffes ist es himmlisch still; kein Kindergeschrei, kein hektisches Geplantsche, keine sportgeilen Muckibengel mit Beachball, die einen andauernd immer mit Sand bestäuben. Die Sonne erzeugt mediterranes, wenn nicht sogar nordafrikanisches Flirren, doch ein zwar wüstenhauchwarmer, aber doch erfrischender, kräftiger Wind fächelt Annehmlichkeit zu. Wohin man da fliegen muß? Nirgendshin, das geht mit dem Rad, ist bei mir um die Ecke, im Ghetto, am Rhein.

H ier kann man völlig ungestört sich sonnen, meditieren, den Schleppkähnen auf dem Rhein zusehen oder, auch wenn das hier im Viertel der hundert Nationen etwas exotisch wirkt, ein Buch lesen. Ich für meinen Fall hatte ein Buch der feministischen US-Philosophin Judith Butler mit dem Titel „Die Macht der Geschlechternormen“ dabei, weil ich das für ’nen Vortrag lesen muß. Ich habe ja auch einen Beruf, da ich vom Bloggen oder Qypen nicht leben kann. Leider konnte ich mich am Strand auf die Geschlechternormen und ihre Macht nur schwer konzentrieren, da ein junger Mann die Gunst der Menschenleere und Ungestörtheit nutzte, um von seiner Freundin Erotik-Fotos zu schießen. Heute heißt das so: „Komm, Chloé-Sandrine, Baby, wir machen heut ein mal ein sexy Foto-Shooting, ja?“. Vielleicht wars auch nicht seine Freundin, sondern ein Profi-Model, denn das bis auf gewisse Zonen knusprig grillhähnchen-farben bronzierte Fräulein, das lediglich mit einem großzügig aufgeknöpften weißen Herrenhemd bekleidet war, zeigte körperbaulich gesehen vorzüglich gestaltete Anlagen. Man möge mir das verzeihen oder nicht, aber da, wie gesagt, ein kräftiger Wind ging, der das besagte Hemd in reizvolle Flatterhaftigkeiten versetze, geriet meine Feminismus-Lektüre irgendwie ins Schlingern, weil, es gibt Dinge, die kann man einfach nicht gleichzeitig! Etwa ein Auge dem theoretischen Feminismus, und eines der praktischen Frauenschönheitsverehrung widmen. Das gibt, vor allem in der prallen Sonne, Hirnschwurbel!

Der Fotograph war jedenfalls mit Sicherheit kein Profi, sonst würde er ja nicht grad seine Bilder „schießen“, wenn die Sonne, im Zenit ihrer weißen Mittagsglut, der Mademoiselle Modelle völlig unschmeichelhaft senkrecht auf den Schädel brennt. Da ich mir hinter meiner großen Sonnenbrille ohnehin schon die Indiskretion des Da-Hinguckens erlaubte (ich kann nichts dafür, ich bin ein Augenmensch!), konnte ich ebenso gut, sagte ich mir, auch gleich mal studieren, wie sich die Macht der Geschlechternormen in den Erotik-Vorstellungen der passionierten Amateure so niederschlägt. Die Regie- bzw. Model-Führung des Fotographen ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder taumelte das Mensch einhundert Prozent phantasiefrei durchs Geschlechtsleben, oder er pflegte eine eigenartige, bizarre sexuelle Obsession: Das Nackenwerfen! Wieder und wieder, ein ums andre Mal, hörte ich ihn der Dame zurufen: „Wirf mal den Kopf in den Nacken! Leg mal so den Kopf zurück! Beug dich mal so nach hinten, ja?“ Die einzige Pose, die der arme Kerl bei seinen ca. dreitausend „Schüssen“ offenbar goutierte und für erotisch hielt, bestand darin, daß sein Modell den Kopf extrem weit in den Nacken warf und so tat, als würde sie von ihren mit Helium gefüllten Brüsten irgendwie gen Himmel gezogen! Mal sollte sie dazu die Schenkel spreizen, mal lasziv das Knie anwinkeln, mal alles zusammenkneifen, aber immer: den Kopf in den Nacken werfen! Mir wurde ganz schwindelig vom Zugucken!

Also, jedem seine erotische Vorliebe, aber mich würde eine weibliche Begleitung ja eher irritieren, die ungefähr tausendmal am Tag ihren Kopf in den Nacken wirft! Da läuft frau doch die Gefahr, sich ein Schleudertrauma zuziehen! Sind die Geschlechternormen das wert? Mein stets polymedial aktive Multifunktionshirn spielte mir „Bettina, pack deine Brüste ein / Bettina, zieh dir bitte etwas an“  von der Band Fettes Brot ein, was sich als perfekter Soundtrack zu dieser Strandstunde erwies.

Trotz allem, es gibt natürlich schlimmeres, als an einem heißen Augusttag am einsamen Rheinufer-Strand Sonnen-Siesta zu halten und physisch gut entwickelten jungen Erwachsenen beim Versuch zuzugucken, sexy zu sein. Ich hoffe, Frau Prof. Butler hat dafür Verständnis!

 Nachtrag: Warum dieser neu gestaltete Strand tagsüber noch immer menschenleer ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht ändert es sich, wenn 2010 die geplante Gastronomie am „Strand“ verwirklicht wird? Obwohl, wenn’s nach mir ginge, könnts so bleiben: Die Ruhe mitten in der Stadt ist traumhaft!

Aus meinem neurotischen Vereinsleben

4. Mai 2009
 

 

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Das waren Zeiten! Kraska mit seinem Philosophie-Examinator Theodor W. Adorno (links!)

EINE ABSCHWEIFUNG

 

Ich leide unter einer Art Abgrenzungsneurose. Das heißt, richtig leiden muß ich daran nicht eben gerade – es ist nur so, daß ich wie jeder Mensch eigentlich schon ganz gern irgendwo dazugehöre, denn das hebt einen und verrät Sozialkompetenz, selbst wenn es sich um einen Schützenverein handelt oder den Dachverband verbitterter Querulanten, Leserbriefschreiber und Prozeßhansel; wenn ich aber dann mal Mitglied einer Institution, eines Verbandes oder Vereines geworden bin, gibt es früher oder später eine Katastrophe, weil ich innerhalb des Clubs sofort wieder den Außenseiter machen muß, und zwar bis ich rausfliege. Krankhaft ist das! Ich könnte nur in extrem exklusiven Clubs Mitglied sein; exklusiv natürlich jetzt nicht wie diese snobistischen Golf- und Segelvereine, in denen schwer betuchte (Einstecktuch, Seidenhalstuch, Nummernkonto in Zürich) Silberlocken in blauen Blazern Cohibas schmauchend Prostataprobleme erörtern, sondern exklusiv im Sinne von extrem wenig Mitgliedern. Zum Beispiel befände ich mich als deutscher Aficionado de toros, als Freund des Spanischen Stierkampfes also, in einer Gemeinschaft von gerade mal ca. 400 Leuten, was bei 80 Millionen (sorry!) Deutschen schon als recht exklusiv gilt. Da ist selbst der Uigurische Heimatverein größer. Noch besser wäre es nur, einen Fan-Club des anarcho-individualistischen Anti-Philosophen Max Stirner zu gründen, da sich so ein Verein quasi als erste Amtshandlung selbst wieder auflösen müßte.

Kürzlich habe ich darüber nachdenken müssen, wie groß wohl der imaginäre Verein derjenigen Menschen sein mag, die nachts um 4.00 Uhr in der ARD diese Bahnfahrt-Filme anschauen, und zwar aufmerksam und konzentriert, so wie ich kürzlich die mit festmontierter TV-Kamera aufgenommene ICE-Fahrt Bonn-Berlin miterleben durfte, teilweise jedenfalls, weil die Fahrt zugunsten irgendwelcher blöder Nachrichten morgens um 5.00 Uhr abgebrochen wurde. Egal, jedenfalls: Diese Filme sind gar nicht langweilig! Fast möchte ich soweit gehen, eine Lanze für das wohlwollende Anschauen solcher Eisenbahnfilme zu brechen! Man „sitzt“ ja als Zuschauer praktisch, was man sonst nie darf, neben dem Lok-Führer, hat einen wunderbaren Blick und man „fährt“ sehr häufig durch geradezu bizarr unschöne, wüste und nur selten blühende Landschaften, vielmehr häufiger durch heruntergekommene Gewerbegebiete, Industriebrachen, über großflächig stillgelegte, verrostete, schon von hartem Gras überwucherte Gleisanlagen, vorbei an leer gähnenden, seit langem aufgelassenen Kleinbahnhöfen. Schaut man sich das konzentriert an, gerät man als notorischer Geisteswissenschaftler und Kulturmensch bald in eine nützliche, will sagen irgendwie „statistische“ Stimmung. Es steigen seifenblasenhaft gewisse Fragen im eigenen Inneren empor, die man sich gewöhnlich nie stellt: Wieviel LIDL-Filialen gibt es eigentlich? Warum betreibt man keine Güterbahnhöfe mehr? Wieviel Kilometer Faxe werden wohl noch täglich verschickt? Wer hat den Bürodrehstuhl eigentlich erfunden?

Ich weiß nicht, ob man mich versteht. Es ist halt so, daß man virtuell durch Erwerbs- und Verwaltungslandschaften gleitet und sich dabei klar darüber wird, wieviel Menschen jeden Tag doch das ungefähr ziemlich Gleiche tun zwischen Bad Herleburg und Gütersloh, nördlich vom Ettenheim-Münster, westlich von Fürstenwalde und südlich von Süderbrarup. Es handelt sich um einen Trivialitäts- und Kontingenzschock. („Kontingenz“ bitte nachschlagen, wenn nötig!) In der Nähe von Süderbrarup sind mal Kinder in einem Schulbus erfroren, denn der Winter war hart, sie schneiten ein und Helikopter standen noch nicht zur Verfügung. Ich streue das hier nur eben ein, um Zeugnis dafür abzulegen, daß auch in sehr unbedeuteten, kaum bekannten Örtchen Dramen, ja, Tragödien sich abspielen können. Die erste und auch schon Definition von „Kontingenzschock“ kommt übrigens vom versoffenen Nationaldichter Grabbe: „Einmal im Leben auf der Welt, und dann als Drogist in Detmold!“

Das Schönste an den Bahn-Filmen ist aber, daß man, sofern es ein ICE-Film ist, ja unverkennbar mit reichlich Schmackes durch die Gegend saust, die rechts und links nur so vorüberfliegt, und zugleich, weil man ja vor dem Fernseher sitzt, keinen Realmeter vorankommt. Man befindet sich ziemlich genau in jenem „rasenden Stillstand“, den der Kulturkritiker Paul Virilio immer angeprangert hat. Warum dieses Anprangern, ist mir allerdings nie ganz einsichtig geworden, weil, wenn jemand gegen dauernde Beschleunigung und verschärfte Geschwindigkeit von allem und jedem ist, das ist Stillstand doch gut, ob rasend oder nicht! 

Um den Menschen, die seit Jahren ohne Fernseher glücklich sind, noch etwas zu beißen zu geben: Noch mehr Stillstand ereignet sich eigentlich nur in den berühmten deutschen „Tatort“-Krimis. Während eines durchschnittlichen, um 20.15 Uhr abfahrenden Tatort-Krimis, sagen wir vom MDR, kann man bequem in Gedanken einmal durch alle sieben Kreise des Danteschen Infernos spazieren, und ist dennoch lange, lange vor der „Auflösung“ des Krimis wieder da, wo sich soeben die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ (Nietzsche) ereignet: Kommissare runzeln die Stirn, schauen irritiert, müssen „noch mal los“, steigen in den Wagen, parken aus, wechseln Worte und Meinungen mit ihrem mitfahrenden Kollegen, riskieren je nach Temperament einen Scherz oder eine sarkastische Bemerkung, dann kommen sie irgendwo an, parken ein, steigen aus dem Wagen, gehen ein paar Schritte bis zum Haus, klingeln dort an der Türe, warten, bis geöffnet wird, um dann zu sagen: „Entschuldigen Sie, Frau X,  eine Frage hätte ich doch noch: Wie war eigentliche ihre Ehe mit dem Ermordeten?“, dann bekommen sie unbefriedigende Antworten, trollen sich darob leicht verfinstert wieder, um in ihren Wagen zu steigen, auszuparken und zum Präsidium zurückzufahren, wobei der Kommissar brummt: „Irgendetwas verschweigt sie uns!„, und vielleicht fahren sie auf dem Weg noch in die Pathologie, wo ein exzentrischer Forensiker inzwischen „die Ergebnisse“  sowie aus der in Frage stehenden Leiche etwas herauszupulen und nun zu präsentieren hat, das dem Fall eine neue Wendung gibt, und dan  steigt man mit dem braunen Umschlag ins Auto und… ja, so geht das immer weiter und weiter, wie im richtigen Leben, nur in zähflüssig klebriger, fädenziehend zeitlupenhafter Laangsamkeit,  die dann pünktlich um 21. 45 Uhr gänzlich zum Stehen kommt, wobei der Mörder oder die Mörderin in aller Regel vom bekanntesten Gastschauspieler dargestellt wird, sodaß man schon weiß,  „wer es ist“, was die Spannung nicht gerade zum Glimmen bringt. Man hat so ein Gefühl wie ich einmal in einem ambivalenten Angstlust-Alptraum, in dem ich in einem Pool voll Heidehonig das Freischwimmerabzeichen machen mußte.

Albträume sind ja oft unvergeßlich und lehrreich. Ich habe mal beim berühmten Theodor W. Adorno ein Philosophie-Examen ablegen müssen, er kam dafür ins Haus zu meinen Eltern, weil ich erst sechs Jahre alt war und einen Frottée-Schlafanzug trug, und ich mußte, während Adorno unten im Wohnzimmer am Nierentisch mit meinen Eltern Portwein trank, meine Dissertation rätselhafterweise im Kinderzimmer auf Toilettenpapier schreiben, mit abgebrochenen Wachsmalstiften und dem groben Sisalteppich als Unterlage, sodaß es mir nur unzureichend gelang, meine Gedanken angemessen zum Ausdruck zu bringen. Diesen Traum hatte ich vor zig Jahren, im Studium, aber noch heute grübele ich, was er mir eigentlich sagen wollte, denn so ein Quatsch kann doch nicht ohne Sinn sein!

Immerhin bin ich m. W. nicht nur der einzige Grundschüler, der noch vor Abschluß der ersten Klasse  bei Adorno promoviert hat, sondern auch einer der ganz wenigen Linken, mit dessen Eltern Adorno Liqueurwein zu sich genommen hat! Das ist an Exklusivität kaum noch zu überbieten! An Entschleunigung allerdings auch nicht, denn mithin habe ich für meinen Studienabschluß runde 50 Jahre benötigt – was den heutigen Regelstudiensätzen wiederum energisch Hohn spricht.

Am besten werde ich mich allmählich mit einer Berufswahl auseinandersetzen. Was mir vorschwebt, ist entweder „Tatort“-Komissar oder Lok-Führer bei der Fernseh-Bahn. Beides wären Berufe mit einem gewissen metaphorischen Mehrwert!