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Im Frühlings-Delyrium

19. März 2010

Mädchenblüte (Bild: A. Mucha)

Zweifellos ein Rätsel der Natur: Die Bäckerladen-Mädchenblüten-Korrelation, auch Bäckerblumen-Konstante genannt. Jeder Statistiker wird es bestätigen: Man mag zum Vergleich heranziehen, was man will – Metzgereien, Parfümerien, Schuhgeschäfte, Baumärkte, egal: Es sind die Bäckereiläden, in denen grundsätzlich die hübschesten, anmutigsten, natürlichsten und nettesten Ladenfräuleins arbeiten! „Im Schatten junger Mädchenblüte“ (Marcel Proust) kauft man gern seine blonden Semmeln, brünetten Mohnzöpfe und süßen Puddingbrezeln und ist, auch als älterer Herr, nicht nur vom Backwerk nachhaltig enchantiert! Warum das so ist, weiß kein Mensch. Nicht mal Wissenschaftler oder Experten.

Fleischereifachverkäuferinnenauszubildende mögen drall sein, rosenwangig, fleischig und derb – Eichendorffsche Anmut versprühen sie fast nie. Parfümeristinnen von Douglas sind nicht natürlich, sie tragen zuviel Kajal und außerdem Strass auf den Acrylfingerkrallen. Schuhverkäuferinnen sind immer frustriert; H&M-Mädels und andere Boutiquen-Girlies wollen zu MTV, Viva oder Germany’s Next Top Moppel, und interessieren sich daher nicht für Kunden. Und selbst von Friseurinnen, die früher, neben Cellistinnen, generell einen starken erotischen Reiz auf mich ausübten, bin ich nicht mehr begeistert.  Heute heißen sie leider oft Sorina, Jackeline oder Chantalle, sie tragen grelle Proletten-Strähnchen, und mit ihrem früheren Privileg – unglaublich gut zu riechen – ist es auch nicht mehr weit her.

Aber in Bäckerläden! Wie goldhäutig zart, knusprig, resch, kross und rank, zum Vernaschen appetitlich, honigsüß, tiefenwürzig, knusperknackig, zum Anbeißen hübsch ist hier nicht nur das Backwerk in der Vitrine drapiert, – nein, über das Angebot regieren auch noch Elfen, Nymphen, Anmutsmusen und Ährenjungfrauen von frappanter Eleganz und selten seelenvollem Charme. Aufgeschlossene Munterkeit verströmend verschenken sie gute Worte und Wünsche für den Tag und geben in die Brötchentüte, als Gratisgabe, solch ein Bündel Lächelblicke mit hinein,  daß selbst graubärtige Misanthropen-Wölfe für den Moment das Zähnefletschen vergessen und sich aufs Frühstück freuen. So wie ich gestern.

Zunächst sollte ich erwähnen, daß die uralteingesessene heimatliche Bäckereiladenkette „Müller“ für mich immer noch die besten, wohlschmeckendsten und authentischsten Sachen feil hält! Erst kommt der Bäcker Müller, dann eine Weile gar nichts, dann der eigene Brotbackautomat, und schließlich der Rest. Insofern könnte Müller theoretisch auch den Drachen Frau Mahlzahn zum Brötchenverkauf einteilen, oder jemanden aus der Schreckschraubenabteilung, ich bliebe dennoch Kunde.

Um so mehr war ich gestern beim Betreten der kleinen Filiale hier im Viertel enthusiasmiert. Fast wären mir wieder rote Ohren und kurze Hosen gewachsen, derart bis zur Verlegenheit geblendet wurde ich von Charme und Schönheit einer jungen Dame, die dort Dienst tat. Sie war ganz und gar von der Art jener blonden Prinzessinnen, die ich in meinen Knabenträumen immer vor wilden Tieren und grausamen Indianern gerettet habe, um sie dann irgendwie zu heiraten, oder so. (Ganz genau wusste ich noch nicht, was man mit geretteten Blondzöpfen anfängt, die einem vor Dankbarkeit um den Hals fallen…)

Versunken in Andacht und Abschweifung hätte ich beinahe vergessen, meine Brötchentüte mitzunehmen! Dafür stand mir noch lange ein leises Lächeln im Gesicht, was freilich, wie wohl die gesamte Hochgestimmtheit, auch damit zu tun hatte, daß gestern bei uns mit plötzlicher Urgewalt der Frühling ausgebrochen ist und die Sonne einem die Hypophyse kitzelt.

Also, wer kann: Frisches Backwerk kaufen und dann ab in den Park, träumen, tanzen, Wolken umarmen.

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