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Entgleister off-mainstream-Text

14. Februar 2013
In-AEgypten-entgleister-Zug

Entgleistes Denken findet immer mehr Freunde (Foto: afp)

Leute, kennt ihr den? „Wie nennt man eine Blondine, die sich die Haare färbt?“ Na? Wie? Haha, genau! Hahaha, haah! Hach! Zum Schlapplachen lustig, oder? Oder? – Nein. Leider nicht. Oder nur insofern, als ultraflache Matt&Plattscherze natürlich unfreiwillig etwas über denjenigen preisgeben, der sie zum Besten gibt. Kürzlich vermutete jemand in einem Kommentar, ich gehöre ja wohl zu den „intellektuell Entgleisten“, worüber ich nicht nur schmunzeln musste, weil mir dieser Verdacht – wie auch derjenige, einen Sprung in der Schüssel zu haben und schon als Kind nicht ganz richtig im Kopf gewesen zu sein – auch schon lange selber gekommen ist, sondern noch mehr deswegen, weil der anonyme Schmähkritiker mit  seiner vermeintlichen Injurie freimütig, wenn auch  wahrscheinlich unwillentlich offenbarte, er für seinen bescheidenen Teil zöge das Denken auf Schienen bzw. in eingefahrenen Gleisen vor – als seien Berechenbarkeit, Redundanz und Fahrplanmäßigkeit herausragende geistige Fähigkeiten. Aber vielleicht glaubt er das ja tatsächlich.

Zum Glauben übrigens – ich prunke hier mit einer off-mainstream-Meinung – gehört eine gewisse Grundintelligenz. Die knappe Mehrheit der Deutschen, die sich für Atheisten halten, haben sich nicht etwa mühevoll durch die prallbunte, zauberhafte und hirnbetörende Welt der Glaubensüberzeugungen hindurch gearbeitet, sie sind nur schlicht zu doof für Religion.  Sie begreifen weder Funktion noch Geschichte oder gar Wesen des Religiösen und auf dieses ahnungsfreie Banausentum sind sie mächtig stolz. Sie glauben sich auf der sicheren Seite, wenn sie zum hunderttausendsten Mal auf der bahnbrechenden Einsicht herumreiten, „dass es Gott gar nicht gibt“. Ach was! Was ihr nicht sagt! Als wenn die Frage der Existenz irgendeine Rolle spielte. Millionen von Lotto-Spielern haben nie im Leben eine Begegnung mit den ominösen, ja numinosen sog. „sechs Richtigen“, warten wie auf den Messias vergeblich auf das Erscheinen der getippten heiligen „Zusatzzahl“ und opfern wöchentlich immense Summen einem offenbaren Hirngespinst, – und sie glauben dennoch fest daran, dass unverdientes Geld auf sie wartet und sie irgendwann total glücklich machen wird. Punkte ich bei denen etwa, wenn ich als naseweiser Aufklärer versichere, dass es „Lotto gar nicht gibt“? Lotto und Gott „gibt“ es genau so lange, wie genügend Menschen daran glauben, so einfach ist das. Gleiches gilt für Einhörner, die einmalige große Liebe und Rentenversicherungen.

Dank der hervoragenden Arbeit des CTV (Centro Televisione Vaticano) habe ich gestern die Abschiedsvorstellung des scheidenden Papstes angesehen, die große Aschermittwochsmesse im Petersdom, und ich war wieder mal ergriffen, zum Teil fast zu Tränen gerührt. Den Einwand, ich hätte sogar damals bei „E.T.“ geweint, wische ich als nichtig beseite! Vielleicht darf man nicht katholisch sein, um, wie ich, einer solchen machtvollen Demonstration kulturellen Gedächtnisses sowohl ästhetischen wie spirituellen Ereigniswert beizumessen.

Ich hör gewiss schon das Gezeter der Neunmalklugen: Was die für komische Sachen anhaben! Und diese Hüte! Und allet auf Latein! Und der joldene Prunk! Da könnt’ma doch Kindergarten für bauen! – Ja und? Was denn? Was wollt ihr damit etwa sagen – dass die Kirche nicht modern ist? Echt? Modern war die Kirche im 5. Jahrhundert. Wäre sie es danach noch gewesen, gäbe es sie heute nicht mehr. Die Kirche ist die größte und ehrfurchtgebietendste Maschine zur Überwindung der Zeit. Von der Taz bis zur Titantic mault die Meute der Geistlosen, Kirche samt Papa sanctissimo seien „aus der Zeit gefallen“. Eben, ihr Schnellmerker, eben! – das ist nämlich denen ihr Trumpf und konkurrenzloses Alleinstellungsmerkmal, das spirituelle Pfund, mit dem sie wuchern! Möge ihr Wuchern Früchte tragen an Gemüt, Gesittung und schönem Schein! Die antikirchlichen Nörgler indes gleichen schlaumeiernden Schildbürgern, die da sagen: „Also in der Renaissance möchte ich nicht gelebt haben – die hatten ja total unmoderne Klamotten damals!“ – Ich hingegen gähne, genieße, schweige und weine.

Schön und begrüßenswert ist ja, dass man heute nicht mehr gezwungen wird, katholisch zu sein. Wer dies aber aus freien Stücken dennoch möchte, dem gönne ich von Herzen seine fromme Verzückung angesichts des Stellvertreters Christi und dem ganzen liturgischen Zinnober! Die sich darüber beömmeln, sollen sich mal selber im Spiegel angucken, wenn sie sich Samstagnacht gar nicht mehr einkriegen, weil oben auf der Bühne vier Musikanten einer mittelberühmten Tanzkapelle auf Elektrogeräten herumschrammeln – die Ekstase ist zwar exakt die gleiche, aber oha! – modern…

Übrigens, aus der Zeit gefallen ist inzwischen auch der junge vorlaute Dichter Arthur Rimbaud, der vor mehr als hundert Jahren krähte, es sei nötig, „absolut modern“ zu sein. Ja? Im Ernst?  Also wenn ich mir die danach folgende Moderne ansehe, finde ich das ja eher nicht. Und was die Ästhetik angeht: Ich bin in einem vom Protestantismus verheerten Landstrich aufgewachsen, in dem man Kirchen aus altem Graubrot baute und eminent verhärmte, knorzig-häßliche, freudlose Bronzeengel von Ernst Barlach anbetete. Ich weiß also, was Sinnenhunger ist. Protestantismus: die unvorstellbare Herrlichkeit Gottes durch Tiefgaragen aus Beton erfahrbar machen zu wollen – das nenne ich bizarr!

Nun aber, weil gleich schon wieder Schluss ist, endlich zum Thema: – Papstwitze! Aber dazu ist ja wohl alles gesagt.

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