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Gedanken zur Zeit: Ausweicheier am Welt-Katastrophentag

22. März 2011
Auweia – Wie jetzt nichts sagen…?

Heute ist, wie passend, Welt-Katastrophentag. Wusstet ihr gar nicht? Hab ich auch grad erst ausgerufen, den Tag. Grund genug, einmal nach dem Beitrag Deutschlands zur Weltkatastrophe zu fragen. Da sieht es, nach Ende des II. Weltkriegs leider mau aus. Waren wir einst führend in der globalen Katastrophenproduktion, sind wir heute auf hinterletzte Plätze abgerutscht, noch hinter Tonga, Liliput und Lummerland. Am schlimmsten ist es in der Jetztzeit. Japan hat einen Tsunami, wir eine mit Haarfestiger gebändigte Westerwelle. Lühbien hat den grottigen Großkotz („Zenga, Zenga“) Gaddaffi („der große Diktatatatatator“), wir bloß einen eklig kleinen („Geiz ist gel“) Guttenberg. Italien hat immerhin den mussolinesken Triebtäter und Trebegänger („Bunga, Bunga“) Berlusconi, wir nur den greisen Exilkubaner Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“.) Die Welt verliert komplett Verstand und Gleichgewicht, – wir vermissen bloß unseren Kuschelbär. Katastrophenmäßig drohen wir, auf das Niveau eines Zwergstaates herabzusinken. Großmächte stapeln Tarnkappenbomber, Drohnen, Cruise Missiles. Und der Deutsche? Exportiert den Musikantenstadl nach Österreich. – Wer war es denn? Marshall? Stalin? Adenauer? Irgendwer hat nach ’45 anscheinend eine Vollkasko-Versicherung für uns abgeschlossen und das betreute Wohnen zum Verfassungsgrundsatz gemacht.

Früher fürchtete uns die Welt, heute werden wir belächelt und bekopfschüttelt als Nation, die am Rockzipfel bzw. Hosenanzugshosenbein einer froschäugig-klappmäuligen Miesmuschel namens Mutter („sans courage“) Merkel, diesem Mensch gewordenen abwaschbaren Bürodrehstuhl, hängt, und einem nassforschen Blender, notorischen Onanisten und Politiker-Imitator erlaubt, für sie den Außenminister zu spielen. Wir machen uns halt so klein wie möglich. Ein politisches Schwergewichtel. Nach Japan schicken wir 45 (!) Mann, Frau und Hund, um selbige nach drei Tagen wieder abzuziehen. Nach Lybiien schicken wir nicht mal nen symbolischen Eurofighter. Einst ließen wir uns stolz mit den „Hunnen“ vergleichen – heute gehören wir zu der in der UNO zu vernachlässigenden Gruppe der Leisetreter, Heuchler, Ausweicheier und unsicheren Kantonisten. Wenn die USA noch immer den Weltpolizisten spielt, geben wir den Welt-Sozialarbeiter. Ich habs nicht glauben wollen, kam aber in den Nachrichten: Deutschland hat generös angeboten, „Anti-Konflikt-Teams“ nach Liibüen zu schicken. Was Gadaffi vielleicht brauchen könnte und bestimmt noch nicht kennt, ist ein von deutschen Sozialpädagogen geleiteter Anti-Aggressionskurs. Ansonsten immer bei uns zu haben: die sog. „Humanitäre Hilfe“. Schicken die Verbündeten Flugzeugträger, setzen wir ein Lazarett-Schiff von „Ärzte ohne Grenzen“ in Marsch. Aber nur, wenn wir von der Weltgemeinschaft drum gebeten werden. Ansonsten steht das THW bereit, beim Aufbau von IKEA-Zelten zu helfen, und – es ist noch Suppe da!

Wie ich höre, gab es als Reaktion auf das japanische Atom-Unglück neben einer Menschen-Kette  mit Gesang vor allem einen Ansturm auf Jod-Tabletten. Dabei ist höchstbehördlich noch gar nicht geprüft, ob deutsches Jod gegen japanisches Atom überhaupt hilft. Andere Impfungen (Vogel-, Schweinegrippe etc.) waren ja verbraucherschutzmäßig auch umstritten. Und apropos, die ersten Avantgardisten greinen schon: Was darf man denn JETZT überhaupt noch essen? Unsere Fischstäbchen werden nämlich vor Japan gefangen! Weiß BILD das schon? Und wie verstrahlt ist Sushi? Wird Sushi überhaupt artgerecht gehalten? Oder, nebenbei, der Döner? Weil, wie unsere Tierschützer bemängeln, Knut wurde nämlich nicht artgerecht gehalten. Tatenlos sahen grausame Tierquäler zu, wie er von drei alten Weibern gemobbt wurde! Auf n-tv war das übrigens nach Japan und Lüybien die drittte Top-Nachricht. Zum Glück haben wir in Deutschland einen relativ neuen Beruf geschaffen: den Notfallseelsorger. Er schließt den deutschen Kreis, der einst mit, ich glaube einem Schlager von Ralph Bendix, begann: „Ich zähle täglich meine Sorgen“. Wenn ich mich recht erinnere, wurden es täglich „immer mehr“. Ein prophetisches Liedchen, das man mal gut re-mixen könnte. Vielleicht können wir wenigstens am Welt-Sorgentag punkten.

PS: Frage an die Experten: Wie erkenne ich bloß, ob mein Haustier schon Atom hat?

 

 

 

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Vom liveticker gefickt

20. März 2011

Schon nicht mehr live: Älterer Ticker (Quelle: Siemens/Wikipedia)

Eine neue Cerebralsklerose, ein neuer Hirn-Herpes verbreitet sich durch mediale Tröpfcheninfektion und verpeilt resp. „verperlt“ (Dittsche) ganze Landstriche: der Liveticker. Schon das Wort bewirkt Bluthochdruck. Ich habe doch längst einen, denken viele – meine Wanduhr von Tchibo nämlich, die in stillen einsamen Stunden der  Depression lauthals tickt und dir auditiv vor Ohren führt, wie dein unbedeutendes, ereignisloses Leben verrinnt, tick-tak-tick-tak. Sekunde für Sekunde. Sekunden sind Kleinvieh, aber aus ihnen setzt sich der Mist zusammen. – Aber das ist nicht gemeint. Der „Liveticker“, etwa bei n-tv oder SPIEGEL online, das ist informationelle Vollkaskao-Vollkorn-, quatsch, Vollverkostung mit Null Prozent Kalorien. Fast food, der nicht dick macht, geschweige denn klug. „+++ 17.03 Uhr: Bengasi: Ein Panzer biegt um die Ecke. Noch ist unklar, wer drin sitzt. Ist es der Gaddaffe, der King Kong der durchgeknallten Diktatoren? Oder eine terroristische Al-Quaida-Ratte? Diplomatische Beobachter runzeln die Stirn.+++“ “ +++ 18.69 Uhr:  Fukoshima: Auch der dritte Reaktor riecht irgendwie komisch. Näheres wollten die Betreiber zunächst nicht bestätigen.+++ „ So tickt life, und du bist live dabei, nur ohne Radioaktivität oder Blei in der Luft. Herrlich! Darauf ein Senfglas Senfgas!

Ursprünglich war der „Liveticker“ mal eine einigermaßen passable Ersatzkasse für Leute ohne Radio und Fernsehen, die ein Bundesliga-Spiel verfolgen wollten: „89. Minute. Kaiserslauterner Stürmer steckt Nase in den gegnerischen Strafraum. Olli Kahn beißt  sofort zu. Gelbe Karte!“ Inzwischen ist der Liveticker zur bescheuertsten, weil komplett sinnfreien Illusionsmaschine des Journalismus verkommen. Ich musste schon immer lachen, wenn man Auslandskorrespondenten vor dem Weißen Haus oder dem Kreml postiert, als würde die Aura des Gebäudes ihnen irgendwie besonders privilegierte Nachrichtenströme senden. Dabei lesen die auch nur Zeitung. Aber der Liveticker ist natürlich um Längen heißer, mega-aktueller und dranner an der  so called reality. Oh Mann, sekündlich weiß ich, was los ist – wenn ich mir dann noch gefühlte tausend Sondersendungen, specials (Schpäschels) und Breaking-News-Gewitter antue, Experten-Auftritte reinziehe und Bescheidwisserrunden mit Peter Scholl-Latour und Heiner Geißler verfolge, dann bin ich mal so richtig durch—informiert. Als wäre ich live dabei, was Gott natürlich lieber verhüten möge. Wer möchte jetzt schon in Fukushima 1-4 oder in Bengasi sein.

Schon eine tolle Erfindung: Liveticker. Jetzt wünsch ich mir nur noch, dass Videokameras aus Rettungswagen und Jagdbombern Livestreams senden. Ich meine: Nuklearkatastrophen und chirurgische Luftschläge – das ist ja nun definitiv geiler als Verkehrsunfälle. Get your kicks by liveticker!

 

Trotzdem. Deprimiert im Paradies

13. März 2011

Manchmal, angesichts gewisser Nachrichtenlagen, schäme ich mich für mein entbehrliches Verbrauchergeschwätz in paradise county. Ich meine, mein Gott! Libyen brennt, der Sudan hungert und in Japan droht der Katastrophen-Overkill – und was mache ich? Mich über die fehlende Aromatisierung eines Kaffees in einem x-beliebigen Frühstückscafé ereifern? Wirke ich nicht wie ein Idiot, ein ignoranter Stoffel? Doch, doch, unvermeidlich. Der Globus fliegt uns gerade um die Ohren, und ich habe nichts Besseres zu tun, als Ciabatta-Beläge zu bewerten! Bin ich noch zu retten? Wahrscheinlich nicht. Ich bin ein Décadent, ein überflüssiger Genussdandy, ein menschenverachtender Zyniker, ein Trivialitäten-Bestauner! Tut mir leid. Nach Menschheitstragödien heißt es immer: Das Leben geht weiter. Und wer ist schuld? Wir Banalitäten-Bastler.

Andererseits hab ich seit früher Kindheit das Gefühl, das Elend der Welt zwänge mich nicht automatisch dazu, alles, was mir widerfährt, gut zu finden, nur weil es allen anderen noch viel schlechter geht. Eine stehende, oft wiederholte Redensart meiner Mutti, wenn ich meine verkochte Spinat-Pampe mal wieder nicht essen wollte, lautete, dass hungernde Kinder in Indien froh wären, wenn sie meinen Spinat essen dürften. Für die Antwort, darüber wäre ich auch froh, bekam ich regelmäßig eine geschallert. Diese nicht restlos gewaltfreie Erziehung hat mich übrigens nicht zu einem besseren Menschen gemacht, ich bin bloß wehleidiger geworden.

Aber mal realistisch: Was genau soll ich machen, um mich nicht wie ein Depp zu fühlen? Ich bin weder Erdbebenhelfer noch TV-„Atom-Experte“, und was eine Kernschmelze ist, musste ich sogar erst googeln. Also geh ich bloß Kaffee trinken, zwänge mir appetitlos ein, zwei Ciabatta rein, puste fassungslos in meinen Milchkaffee und starre auf die Schlagzeilen der ausliegenden Tagespresse. Ich bin deprimiert, aber das ist normal, das kann ich nicht mal auf Erdbeben, Tsunamis und Nuklearkatastrophen schieben. Und auf das Café erst recht nicht, das ist ganz gut. Ich wäre selbst in Xanadu deprimiert oder unter resp. auf 72 Jungfrauen. Apropos: Überfordert bin ich auch. Die Gleichzeitigkeit des Unvergleichbaren macht mich krank. Zehntausende verrecken im Schlamm, Tausende werden vom eigenen Diktator bombardiert, am Nebentisch quatschen eine MILF und drei mittelhohe Töchter über Modekram und ich trink gemütlich Kaffee und überlege, ob ich noch so ein leckeres Ciabatta mit frischem Rührei bestellen soll. It’s a wonderful world. Jetzt bloß nicht larmoyant werden und in die Tasse weinen, denn der Kaffee ist eh schon nicht übermäßig stark. Das Leben geht weiter.

Deswegen ist jetzt auch aus der „Mokka-Bar“ das „Lu-cafe.de“ geworden; die Leitung ist nicht mehr polnisch, sondern italo. Meinetwegen gerne. Es gibt schmackhafte Ciabatta, mittags auch Pasta & Co. Die Karte klingt appetitlich. Die Kaffee-Spezialitäten können mit denen des „Fino“ am Salvatorweg nicht ganz mithalten, sind aber immerhin trinkbar und ziemlich preiswert. Bequeme Sitzgelegenheiten gibt es noch immer keine, aber was zählt das schon angesichts einer halben Million Obdachloser in Japan. Man mahnt sich zu Bescheidenheit. Den neuen Betreibern wünsch ich Glück und Erfolg. Cafés, in denen man ungestört vor sich hin deprimieren darf, kann es nie genug geben.

Oder fast ungestört. Beim Warten am Tresen sagt jemand hinter mir: „Hallo!“ – „Hallo!“ antworte ich reflexhaft. Darauf der Mann hinter mir hochnäselnd: „SIE habe ich nicht gemeint!“ – „Egal“, hör ich mich sagen, „…trotzdem!“ – Ich hoffe, ihm wird das zu denken geben. Den Tag mit einem „trotzdem“ im Frühstückscafé zu beginnen, schien mir im nachhinein eine gute Idee.