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Faultiergrinsen: Das Gesicht aufgehängt

26. Juli 2009
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Keine Aussicht auf einen Paß: Grinsendes Faultier

Ab und zu schieben sie sich Blattsalat zwischen die Zähne; einmal in der Woche gehen sie ins fließende Wasser, um sich zu erleichtern; wenn es sich ergibt, paaren sie sich schon mal, aber ohne große Aufregung, ansonsten hängen sie einfach nur ’rum und chillen: Faultiere. Faultiere sind die Energiesparschlampen unter den Säugetieren. Auf Fellpflege verzichten sie, um sich von ekligen Algen bewachsen zu lassen, das gibt eine schöne schimmeliggrüne Tarnfarbe. Sie sparen sogar an der Mimik: Egal was passiert, sie tragen ungerührt ein breites, ungemein einfältiges Grinsen zur Schau. Dieses Grinsen ist im Gesicht fest eingedübelt; seit Jahrmillionen der Evolution ist es den Faultieren nicht mehr vergangen. Sie grinsen auch noch so debil, wenn der Jaguar sie frisst oder wenn sie irgendwann aussterben. Es ist ein bißchen, wie mit der berühmten Grinsekatze in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“: Die Katze ist schon weg, aber ihr Grinsen ist noch da; es verschwindet als letztes.

Im Spiegel hab ich’s noch nicht kontrolliert, aber ich glaube, manchmal mache ich ein komplettes Faultiergesicht! Etwa nachts, wenn ich nicht schlafen kann und ein Privatsender-Comedy-Spektakel anschaue, im TV. Pocher oder so. Den reflexiven Verstand laß ich dabei aus, der stört ja bloß den Empfang. Und während ich nun düstreren Sinnes, den progredienten Untergang des Abendlandes begrübelnd, das hilflos peinliche Gehampel der lausigen Clowns verfolge, stiehlt sich unmerklich dieses kretineske Faultiergrinsen in mein Gesicht! Ich will das gar nicht! Das machen meine Spiegelneuronen! Weil die Narrenkappen im Fernseh ihre öden Schenkelklopfereien abziehen, muß ich quasi zwanghaft mitgrinsen. Teils natürlich, um intensive Fremdscham zu kompensieren, teils wegen dieser besagten Spiegelneuronen, die auch für unsere unbewussten Imitationen anderer Menschen verantwortlich sind.  Wenn ich’s dann merke, was ich tue, ist es zu spät. Mein Gesicht hat sich „aufgehängt“ wie ein Programm, das Grinsen ist in den Backen eingefroren! Mit meiner Stimmung hat das nichts zu tun – ich kann, wie jetzt, eher ziemlich traurig sein, und trotzdem: Ich griene wie der diensthabende Dorfidiot. Furchtbar. Auf Partys oder Empfängen, wo ich mich nicht wohlfühle, bekomme ich auch oft das Faultiergesicht; ich hab vom festgefrorenen Dauergrinsen sogar schon mal Wangenmuskelkater bekommen!

Wenn ich früher im Fotoladen Bewerbungsfotos habe machen lassen, war es schlimm: Die Fotographierer wollten mich jedesmal par tout zum Smilen verleiten; gleichzeitig mußte ich den Kopf so dynamisch nach hinten oben schräg links abgewinkelt ins Licht drehen, und am Ende sah ich auf dem Foto aus wie ein völlig verkrampfter, verschlagen und sardonisch grinsender, pädophiler Religionslehrer (katholisch), der gerade eine Erleuchtung kriegt. Scheußlich. Natürlich habe ich die Jobs nie bekommen.

Jetzt ist es irrerweise ja genau umgekehrt, zumindest bei biometrischen Passfotos: Jetzt darf man nicht einen Anflug von Lächeln mehr zeigen, man muß absolut leer, ausdruckslos und symmetrisch wie ein Montage-Roboter in die Kamera gucken, und gelungen ist das Foto dann, wenn man auf dem Bild wie schon gestorben aussieht. Natürlich können die freundlichen, willigen Mitarbeiter des Ladens da nichts für, die visuelle Leichenstarre ist Anweisung von Schäuble, wegen Terror und weil maschinelle Gesichts-Scanner mit lebendigen Menschen nicht gut harmonieren. Ein Faultier würden die erst recht nicht durch die Passkontrolle lassen!

Also erst krampfhaft „Cheeeese“, jetzt ebenso verbissen Model „Pokerface“! Eine ganz schöne Umstellung für die Leute vom Fotoladen, denk ich mir mal! Aber das sind ja flexibie junge Leute, die schon die Umstellung von analog auf digital und von mechanisch auf elektronisch lässig gemeistert haben, die machen das schon. Daß meine Fotos noch immer zum Weglaufen aussehen, das ist weißgott nicht ihre Schuld, das ist meistenteils genetisch bedingt, der Rest sind Spuren eines Lebens, in dem es nicht nur immer etwas zu grinsen gab. Insofern gibt es keinen Grund, den Fotoladen nicht auf Qype zu empfehlen, was ich daher dort mit undurchdringlich ausdruckslosem Gesicht kundtat.

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