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Deutsche Vokabeln (III)

20. Januar 2012

Unwahrscheinlich skrupellos: Shakespeares "Wucher-Jude"

Recht eigentlich der deutschen Sprache dankbar, beinahe gerührt bin ich über das Angebot der Formulierung: sich in Schweigen hüllen“. Ein Begriff bzw. eine Angelegenheit von gravitätischer Majestät, modischer Noblesse und, was die Attitude betrifft, von unerreichbarer Vornehmheit, zugleich aber von trauter Kuschligkeit, uriger Eigenheimlichkeit und wohliger Gemütstiefe. Hier sitze ich und hülle mich in Schweigen! In Schweigen gehüllt ist man immer korrekt angezogen, auf dem Empfang, im Opern-Foyer oder daheim am Küchentisch. Wenn die Gattin mich kritisch traktiert, hüte ich mich, fatale Widerworte zu geben, die stets die Gefahr bergen, zu Diskussionen und unerfreulichen Querelen Anlass zu geben; ich hülle mich in freundliches Schweigen – mag es dann auslegen, wer will. Das Schweigen bekommt so direkt etwas Frottée-haftes, großelterliche Geborgenheit Verheißendes, und nach außen strahlt es ordentlich Gedankentiefe, Bedächtigkeit und stille Regsamkeit der Verstandeskräfte aus. Si tacuisses, philosophus fuisses!, so sagten schon die alten Lateinlehrer. Hätte sich der Kaiser, anstatt in seine „neuen Kleider“, mal lieber in Schweigen gehüllt. – Ach, würde es doch nur einmal allgemeine Mode, sich in Schweigen zu hüllen! Kein Tier müsste dafür sterben, kein Kind in Bangladesh sich für kik die zarten Hände blutig weben – Schweigen, strapazierfähiges, dickfelliges, wattiertes Schweigen in hoher Qualität gibt es für jedermann völlig umsonst! Auch die etwas vollschlankere Dame kleidet es vorteilhaft!

Ein Wort, in das ich seit Jahren verliebt bin, heißt: schlaftrunken. Rhythmisch reizvoll ist es (als ein astreiner Daktylus nämlich) und semantisch nicht ohne Tiefe. Allein „trunken“ ist ja viel galanter als die modernen, von der Gosse geprägten Synonyme „besoffen“, „breit“ oder „hackedicht“. Trunkenheit hat etwas Leichtes, schwebend Beschwingtes, sanft schwankend Schwipsiges, als wäre der Schlaf nicht des Todes kleiner Bruder, sondern ein Kelch schäumenden Belustigungswassers, das zwischen Traum und Rausch in tiefen Zügen genossen, das Vergessen befördert und frohgemute Sorgenfreiheit verspricht. Im Gegensatz zu anderen Rausch- und Betäubungsmittel-Effekten ist Schlaftrunkenheit nicht gefährlich oder schädlich. Die Dösigen, die Träumer und Somnambuliker sind doch das Salz der Erde! Sie führen keine Kriege und sind liebreizend wie verwuschelte Kuscheltiere. Am schönsten das unschuldige schlaftrunkene Kind! Aber auch ich freue mich schon darauf, später wieder eine ordentliche Mütze Schlaf zu trinken!

Nun aber leider etwas Widriges. Die Sprache hat nicht nur Kuschelwörter, manche sind auch aus eitel Stacheldraht, hart, schneidend, picklig und abstoßend wie Krötenschleim. Ein solches Wort ist „skrupellos“. Zeitungsschreiber verwenden es gern, und natürlich Agitatoren, Aktivisten und … Andere. Zum Beispiel schreiben die Grünen, Betreiber von Ponyreitbahnen seien in Wahrheit (das Wort kommt meistens mit „in Wahrheit“!) „skrupellose Geschäftemacher“, denen Bandscheibe und Drehwurm der Reittiere kalt am Herzen vorbeigeht. Schlimm genug, wenn einer ein „Geschäftemacher“ ist, das sehen wir schon nicht gern, aber dann noch „skrupellos“, was bedeutet, er zeigt noch nicht einmal sittliche Zerknirschung (vgl. Luther: „Zerknyrschungk“) über seine Verworfenheit! Wer sich der Skrupellosigkeit schuldig macht, steht mit einem Bein schon außerhalb der Humanitas, er ist gebrandmarkt als gewissenloser Schurke, als Knecht des Mammon, als Wucher-Jude („raffendes Kapital“). „Skrupellos“ ist das Sahnehäubchen, der Kosakenzipfel auf der Verurteilungstirade, ein definitives Vernichtungswort, das sich anhört, als fiele eine rostige Kerkertür ins Schloss. – Aber Achtung! Nicht damit zu verwechseln ist das Wort „skrupulös“, denn es bezeichnet das gerade Gegenteil. Skrupulöse Menschen wären wahrscheinlich zu sensibel, um Wörter zu benutzen, die mit „skr“ beginnen, weil ihnen das klanglich nicht behagt. Sie würden auch nie „Wucher-Jude“ schreiben, weil ihnen bange wäre, dass einer die Ironie nicht mitbekommt.

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Über sprachliche Verbringungsarten

13. Oktober 2011

Trotz Orden: Goethe sprach nicht bundeswehrisch!

Meinen Abi-Nachhilfis, die im Migrationshintergrundsumpf stecken geblieben sind, pflege ich immer zu predigen: Leute! Kiddos! Bambini! Çocuglarım! أطفال 

– lernt mit Fleiß fremde Sprachen! Wobei ich mit „fremd“ jetzt durchaus nicht eure Muttersprache sowie die einstweilen hiesige meine, die solltet ihr eh beherrschen, sondern noch ganz andere! Pfingstliche Polyglossalie gehört zu den skills, die ihr bringen müsst, um auf dem Arbeitsmarkt mengenmäßig krass viel unbezahlte Praktika zu ergattern! Wer von Lissabon bis Islamabad an der Rezeption in der jeweiligen Landessprache Beschwerde über das defekte Klo führen kann, oder gar in fließend Einheimisch zu monieren imstande ist, es hänge „da oben anner Decke so’n komisches Tier“, – aus dem wird mal was!

Meine eigene Sprachbiographie widerspricht dem allerdings. Ich musste zunächst Sprachen von Ländern lernen, in die ich entweder nie hin – oder aus denen ich schon immer weg wollte: Latein, Altgriechisch, Plattdeutsch, Urdu. Vorerst lernte ich aber Schulenglisch, leider bei einem ultra-extrem oxfordianischen Oscar-Wilde-Anhänger, mega-sophisticated, aber mit der Folge, dass ich noch Jahre später, in Chicago, Illinois, wo ich vorübergehend kurz Wohnsitz nahm, überall für schwul gehalten wurde. Nicht schlimm eigentlich, es sei denn, man hatte sich vorgenommen, das überaus faszinierende Volk der US-Amerikaner kennenlernmäßig von der weiblichen Seite her aufzurollen.

Zuvor schon hatte ich mich zunächst aufs Italienische gestürzt, wegen einer venezianischen Verlobten namens Luigiella; dann, weil ich als Historik-Student der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, zwecks höherem Verständnis der dänischen Arbeiterbewegung,  einen Schein in der Sprache unserer Erbfeinde machen musste, lernte ich im Chrash-Kurs Dänisch, was mir so lala zu gute kam, als ich mich in Mittelschweden als Strohrum-Schmuggler-Gehilfe  zu orientieren hatte. Eine unausschöpfliche Quelle kindlichen Vergnügens hingegen besteht im Geddo darin, türkisch zu verstehen, es sich aber nicht anmerken zu lassen. Türken sind unglaublich vertrauensselig!

Natürlich kann man sein Leben auch damit zubringen, Deutsch zu lernen. Ich kann Goethe-Deutsch, Geddo-Speak, ein bisschen Ärzte-Sprache (das haben die gar nicht so gern, wenn man mit ihnen in ihr eigenen Kauderwelsch plaudert!) sowie ganz gut juristisch, wenn auch nicht fließend. Jetzt habe ich mir vorgenommen, noch Bundeswehrisch zu lernen, denn das bietet einem völlig neue Perspektiven. Zum Beispiel: Wie heißt es auf bundeswehrisch, wenn einer unserer geheimen KSK-Kämpfer in Afghanistan mit dem Fallschirm abspringt? Das heißt, ehrlich wahr jetzt: „Verbringungsart: vertikal“, und zwar tunlichst unter Verwendung eines „luftbeweglichen Starr- oder Drehflüglers“ (deutsch: Flugzeug oder Hubschrauber), welcher zumeist dem „Eigenbestand“ entnommen wird. Dem Taliban seine Toyata-Pickups zu mopsen nennt man hingegen „Fremdgewinnung einsatzfähiger Transportmittel aus gegenerischen Beständen“.  

Natürlich darf so nur ein Staatsbürger in Uniform sprechen; alle anderen würden wohl in die Klappse gebracht, wobei die Verbringungsart eher horizontal sein dürfte.