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Arabische Revolution, Sexismus, Macho wird wesbisch

21. August 2011

Halblang: Gemeine Naddel (Fotoquelle Copyright: http://www.chili-balkon.de)

Das aktuelle Wort der Woche: Zwetschgenkuchenwespenplage. – Wer sich schon immer gefragt hat, für wen eigentlich diese trash news sind, die von Unterschichtsmedien wie SPON, Bild.de, ARD-„brisant“ oder ZDF-„Hallo Deutschland“ verbreitet werden – die sind für mich, die philosophierende Couch-Kartoffel, die seit ihrem vierten Lebensjahr ebenso gierig wie mechanisch alles wegliest, was ihr vor die Augen kommt. Klar, ich könnte mir an einem blanken Sommertag im Freibad auch mal wieder Kants „Kritik der reinen Vernunft“ vornehmen, oder, auch erregend, Hegels „Wissenschaft der Logik“, aber nein, heute widme ich mich der Revolution bei N. Abd El-Faraq. Das ist kein von libyschen Rebellen eingenommener Grenzort, sondern bloß eine etwas abgetakelte Medienschnalle, die mal was mit Dieter Bohlen hatte. Ihr Spitzname ist „Naddel“. Ob sie sonst noch was kann, weiß ich nicht. „Über mich“, lässt sie die Medien verbreiten, „hat sich viel Häme ergossen“. Mein Unbewusstes, ein fürchterlich pubertär unartiges Ding, das ich nie in den Griff kriege, posaunt mir blitzschnell, eh ich erzieherisch eingreifen kann, ein „Na, wird nicht nur Häme gewesen sein“ ins Bewusstsein. Das ist mir peinlich. Ich distanziere mich vom Sexismus meines Unbewussten!

So, nun rasch zu den breaking news. Frau Abd El-Fraraq hat „nach fünfzehn Jahren ihre Perücke abgenommen!“ (Beweisbilder überall im Netz) – und dies sei für sie „ein Befreiungsschlag“ gewesen. Eine neue Perle in der Kette der arabischen Revolutionen! Ich erkläre mich uneingeschränkt solidarisch! Wenn doch nur alle Frauen so mutig wären und ihre Perücke, oder wenigstens das Kopftuch ablegten! – Festzuhalten für das Lexikon der Zeitgeschichte ist, dass Frau Nadja „Naddel“ Abd E. jetzt wohl die einzige Frau ist, die dafür international-medial berühmt ist, „in Wirklichkeit halblange Haare zu haben“. Möge ihr das auf ihrem weiteren Lebensweg viel Schwung geben!

Über die besagte Zwetschgenkuchenwespenplage habe ich Innerfamiliäres zu berichten. Die Gattin, eigentlich beinhart pragmatisch und als Journalistin berufsbedingt ohne sentimentales Mitgefühl für z. B. meine (wirklich jetzt echt schlimmen!) Alterswehwehchen oder das sonstige Leid der Kreatur („la bella donna senza pietà“) berichtete beim Abendbrot von einem Ereignis, das an Bedeutung der Perücken-Sache nahe kommt: Ihr ist, als sie mit dem Wagen im Stau stand, eine solche Wespe ins Auto geflogen, sei gegen die Scheibe geknallt und habe sich offenbar, so die Gattin, „wohl eine Gehirnerschütterung zugezogen“. (Ich musste erstmal googeln, ob Wespen überhaupt ein Gehirn haben!) Dem folgte eine ergreifende pantomimische Darstellung der Verwirrung, Desorientiertheit und Bestürzung des Insekts, dergestalt, dass ich beinahe in Tränen ausbrach, denn so packend, dramatisch, ja, tragödienhaft ist mir die schmerzerfüllte Derangiertheit einer verunfallten Wespe bislang nie in die Seele gedrungen, ich schwör! Meine Liebe erblühte abermals frühlingshaft: Ich bin vielleicht der einzige glückliche Mann, dessen Gattin in einem Stummfilm mit Klavierbegleitung eine „Wespe mit Gehirnerschütterung“ darstellen könnte, auch wenn sie das natürlich leider nie tun würde, denn sie verschmäht medialen Ruhm.

Da ich geringfügig anders gestrickt bin als Herr Bohlen, der wohl zu den von Robert Walser so perhorreszierten „pomadisierten Gorillas“ gehört, freue ich mich überdies darüber, dass die Gattin keine Perücke trägt.

Über all diese beglückenden Nachrichten, Neuigkeiten und Gewissheiten fühle ich mich vitalisiert und verjüngt. Fast bin ich revolutioniert. Aber sich die dritten Zähne herauszunehmen, würde vermutlich nicht als Befreiungsschlag gewertet und in den Medien erwähnt werden, oder? Aber Männer-Befreiung ist eh eine andere Baustelle.

Was übrigens das Schicksal der demolierten Wespe angeht: Geleitet von einer vorbildlich buddhistischen Einstellung hat die Gattin – im Stau war Zeit genug – die arme Wespe therapiert, gesund gepflegt und nach geeigneten Reha-Maßnahmen in die Freiheit entlassen. Nie, wirklich nie werde ich die pantomimische Darstellung der Wiedererlangung des wespischen Bewusstseins vergessen!

Wer ihr, also der Wespe, nicht der Gattin, auf seinem Zwetschgenkuchen begegnet, begegne ihr mit Respekt. Sie hat, wie „Naddel“, viel durchgemacht. Ach, ach, wie ich die Frauen liebe! Man könnte fast wesbisch werden!

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Im Geddo: Cherchez le pig (Deutsch nichso gut)

9. Dezember 2010

Rätselhaftes Schweinchen: Was hat man auf der Pfanne?

 

Für Chris & Hella (Gute Besserung, Mensch!)

„Dialog der Kulturen“ im Geddo. Fragt kleiner serbischer Nachhilfe-Schüler mich: „Lehrerr! Ch’abb isch mal Frage – darf ich? – „Hhmmm?“ – „Lehrerr, bist eintlich … Müslim?“ – „Nee! Niemals nich!“ – „Und, ja aber, Herrr Lehrerr, ch’ast du doch Frau! – Deine Frau, ist der denn Müslima?“– „Also erstens heißt es: ‚die’! Und außerdem, nö, schätz ma erst recht nich!“ – „Ach so, denn is der Krist oda was?“ – „’Die’, Blödmann!!! Aber sonsten: nö, wohl auch nicht…“ – „Unn was seit’n ihr denn zusammen?“ – „Na, weißt … eher so … halt … nix!“  – „???“ – „Na, schaust, Kleiner, Deutsche sind oft weder Krist noch Müslima…“ – (Schüler, sich stolz aufrichtend): „Aba binnisch auch Deutscher … –  und ischbinnich Muslim!“ – Ich, etwas jovial: „Ja, und? Was issn das gezz überhaupt so dolles, Muslim?“„Wir essen kein Schweinfleisch!“ kommt die Antwort prompt wie aus dem Bolzenschussgerät geschossen. Aha.

Aber mal andere Frage: Schweine jetzt – sind die, also von sich her, eigentlich „halal“, „koscher“ oder „ungläubig? Kurzum, was frisst’n so’n Schwein denn selbst? Ja klar, die Studis von der Wikipedia-Uni schnipsen eifrig mit den Fingern. Nach ihrem frisch gebackenen Klickwissen sind Schweine nämlich „Allesfresser“. How how! Beißen, schlingen und knuspern also alles Organische, was nicht bei „drei“ auf den Bäumen ist! Toastscheiben, Suppenreste, Kartoffelschalen: Dem Schwein ist alles Wurscht! Notfallls, wie mein Lieblingsfilm „Hannibal“ zeigt, frisst das wilde Waldschwein auch unmenschliche Bösewichter. Verdient hamses ja wohl, oder?!

Weil isch bin gutte Lehrer, ging ich Sache auf Grund. Schwein! Gibssu mir Wahheit! Bist du koscher, halal oder bös schlimmer Finger? Stieß ich auf so rundes Töppchen „Appel-Grieben-Schmalz“ von öko-edlem „Apfelparadies“. Aah! Ha! – Bzw.: Was? Wie? Ob denn lecker? Ja, ja, klar! Aber nicht die Frage. Auf Deckel von Töppchen hatte Chef von Schmalz-Schmiede (wer sonst traut sich so, bitte?) unbeholfen visuelle Graphik appliziert. Siessu drauf eines von den drei kleinen Schweinchen (Oink-oink-oink, aber ohne böse Wolf, wo pustet Häuschen um!), keckes Kochmützchen auffm Schweinskopp druff. Unterm Hals war so dünnes linkes (!) Ärmchen windschief drangemalt, wo hält seinerseits Pfanne in Pfötchen (sieht bisschen aus wie Augsburger Puppenkiste, Serie: „Die Mumins“). In Pfanne aber nun wiederum entweder vielleicht a) boah! ein klein niedlich Hundchen (hä? Is das chinés Schwein? Unn essen süß-saure arme Hundchen mit Soja unn Anananas, wo doch aber niedlich? – Bah!) , – oder doch vielleicht eher b) noch mal’n Schweinchen (also das zweite von den drei kleinen…). Was soll’n das? Grübel-grieben-grübel.

In Kopp von zweitem Schweinchen stecken, schlarraffenlandesk surreal unwirklich bereits verzehrfertig & verbrauchergerecht Messerchen und Gabeline. Geht Hermeneutik auf Grundeis: Wie jetzt? Is Schweinchen denn kannibal? Schwein & Schweinchen im Blickwechsel: Mag ich disch? Fress isch disch? Bissu Koch oder Opfer, du … Sau? Kannibalische Wohlfühlkommunikation! Schwein guckt Schwein guckt Schwein guckt Schwein … und so weiter. Rätselbild! Fiesolophisch gesagt;  „Selbstobjektiviert und entfremdet durch den die Anerkennung verweigernden Blick des Anderen wird das Subjekt, den Fremden er-blickend als subjektiviertes Objekt auf der ent-fernt anderen Seite des Blick-Agons, seinerseits subjektiviert, kurz: wird im dialektischen Blickwechsel das identifizierte Andere seiner selbst im Spiegel des fremden Blicks“ (J.-P. Sartre, „Das Sein und das Nichts“). Jaha! Genau! Resp. Au weh!  Das Schwein ist des Schweinchens böser Wolfi! Das Böse lauert überall. Wer Schwein, wer Wolf, wer Werwolf? Der Apfel der Erkenntnis fällt im Apfelparadies (!) nicht weit vom Schwein. Hirnschmalz siedet, mit Apfel und Zwiebelgemüse, Grieben noch dabei. Dem Reinen ist alles Schwein. Aber wie soll das ausgehen?

Wie schön iss Muslim-Sein. Nix Dialektik, nix kannibal, nur sauber Übersicht und klare Regel: „Wir essen nix Schwein!“ Kann Schwein mal sehen, wo bleibt. Botschaft von Werbung ist schweindeutig: „Wir obergut, wir vorsichtshalber mal nix essen von unübersichtlich Tier! Wie sagt Proffeeht? Kannibalschwein is grundbös das! Genau wie Schnaps und fiese Kippen!“ – So, jetzt klar das. Schwein unrein unn hat Gesicht wie Steckdos! Sogenannt Schi-nitzel ist Essen von Ungläubige Hunde wie mich und dir! Womit geklärt  Ontologie von Schwein, – wir nix essen dies, bah & basta!

Weil gutte Lehrer immer geben Weltwissen, ich erklär: Wir auch nix essen Oile, Meerschawein und Käng-Guru! Aber sind deswegen nicht doll stolz drauf. Gebe kein Distinktionsgewinn. (Wort Schüler nich verstehn. Aach, mache nix, egal!) Weil deutsch, auch nich schlingen Frosche, Spaghetto und Kakerlak. Aber deswegen nich gleich gut, weil andermal wieder knuspere Kroko, Hummere und Auster-Schleim. Stecke in Mund, was kommt. Unsere Gott egal. Will nur nich, dass wir beiße in Goldene Kalb. Goldene Kalb ganz schlecht, auch in Scheibe (Schi-nitzl).

Serbische Freund’ von „Lehrerr“ fressen gern Manne-Essen: Fett mit Fett an Fett in Fett, aber bittscheen mit gut Buttersoße, sowie viel mit dicke Käse bei. Ja, schaust du: Dicke Mann, gutte Mann, unn is auch viel testosterone Mann-Mann! Frauen machen scharf, wenn dicke Mann! Mann muss immer könne, esse Viagra, fette Lamm, Hammelbein und mächtige Huhn mit Fetttauge-Suppen. Geht alles, wenn hinterher Slibo gut viel.  Hauptsach, nix Schwein. Schwein doppelplusungut. Allah unn Proffeht will nich wissen von Schwein. „Ich soll geschöpft haben? Nie, nix, nimmer. Ist doch krass eeklich Geziefer! Sieht aus wie Mensch, schmeckt wie Mensch, rolle blonde Auge wie Mensch, wenn köpfe.“, so sagt Herr Koran.  Allah meine nich gut mit Schwein. Zwar geschöpft, aber Ausschuß von Schöpfung!

So, willzu esse gut Schweinschmalz, gehssu in Paradies von Apfel. Nix 72 Jungfraue, aber gut esse! Mann stark danach! Ganze Runde ruft: „Ey, Wirt, mache Slibo fiehr Lehrerr! Is nich Müslim, aber gutte Mann, derr Magistrevic!! Weiß immer Bescheid!“ Frau aber schittelt Kopf (ohn Tuch). Hat sie wirklich gesagt: „Mann! Du bist zuviel in dieser Serbenkneipe! Du verblödest da noch!“ ?

PS: Chabb ich gehert, Freund von Freund Chris is anne Airport London gestoppt, weil hatte Töppchen Grieben-Schmalz in Gepäck. Musste ausläffeln an Gate zweihunderfuffzich Gramm von die fette Schmier! Hat danach nebbich bisschen explodiert, und war dann alles voll … Schweinesch…malz. – Allah! Wußt ich, dass Schmalz is fettich und schwer im Magen. Aber Sprengstoff? Nich glauben. Schwein harmlos. Und Islamerer-Terrorist geht nie mit Schwein!

 

Integrierte Kopftuchmuttis und von der Sprachpolizei gesuchte Diskriminelle treffen sich bei LIDL

2. Dezember 2009

Vollintegrierte Kopftuchmutti: W. Buschs Witwe Bolte

Kürzlich wurde ausgerechnet ich von einer offenbar stark hysterisierten Sprachhilfspolizistin des „Rassismus“ bezichtigt, weil ich in einem launigen Stimmungsbericht aus der Nachbarschaft u. a. von „watschelnden anatolischen Kopftuchmuttis“ erzählte. Ja, was? Und? Erstens werde ich eher die Verkehrssprache wechseln, als daß ich stattdessen „korpulente, kinderliebe Damen in korrekt konservativ-islamisch-anatolischer Dörflerinnentracht“ sage;  zweitens wimmelt es hier von diesen meines Erachtens ziemlich präzise beschriebenen Erscheinungen, drittens sind weder Anatolier noch Muslime eine „Rasse“, deren Inferiorität man satisfaktionsfähig behaupten könnte, noch würde ich viertens so etwas jemals auch nur im Traum tun. Also, so what!

Blöde Sprachpolizei! Die treibt mich noch in den semantischen Untergrund, wo ich dann, in dunklen Ecken mit Gleichgesinnten um brennende Mülltonnen herumstünde und heiser flüsternd verbotene Wörter austauschte. „Mohrenkopf, Zigeunerschnitzel, Negerkuss, Kümmeltürke, Jubelperser, Russennutte, Kosakenzipfel“, so hörte man mich dort evtl. trotzig murmeln, und nachts wohnte ich in düstren Kellern illegalen Punk-Konzerten der Diskriminellen-Szene bei, auf denen „Zehn kleine Negerlein“ gesungen und performt würde, und zwar von den Drei Chinesen mit dem Kontrabaß!

Ansonsten steh ich zu dieser Art ost- oder südanatolischen Traditionsmuttis nicht anders als zu düsseldorferisch protzreichen, edelbajuwarischen Damen mit eisenhart gesprayter Silberlocke, Trachtenhut und teurem Lodenmantel. Ich nehme Abstand und zeige meine Missbilligung auf die denkbar dezenteste Weise (für zwei Sekunden hochgezogene rechte Augenbraue) . –  Obwohl mich im Straßenbild vieles nervt, bin ich indessen im praktischen Alltag von höflich-gelassener Laissez-faire-Toleranz, – auch wenn ich ja persönlich an der Einschätzung festhalte, daß die Frauen mit Türban, Hijab, Burka oder diesem kleidsam-bodenlangem, beige-braunen Popeline-Mantel nicht zur Speerspitze der Frauenemanzipationsbewegung gehören. Und ich, ich bin halt seit Jugendjahren ein schüchtern am Rande beifallklatschender Sympathisant der Frauen und ihrer Emanzipation.

Ich gehe noch einen dreisten Schritt weiter, als sei ich ein mit Freisprech-Einrichtung ausgestatteter Seiltänzer im Zirkus Sarrazini, und behaupte: Die meisten Klischees, die man so über integrationsunwillige Mitbürger, Hartz4-Opfer und Unterschichtler mit Frühstücksbier und Flachbildzeitung im Kopf bewegen kann, fänden, wenn man es darauf anlegte, in meinem Viertel – das ich auch nicht mehr ironisch „Geddo“ nennen darf, weil das die Judenverfolgung irgendwie leugnet oder verherrlicht oder was –, fänden dort also durchaus gewisse Bestätigung in Form zahlreicher Belegexemplare.

Allerdings eben dann auch wieder gerade nicht bzw. nicht nur! Immer mal wieder unterläuft die Realität das Klischee auch, und das gibt mir oft die kleine Dosis schmunzelnden Tagessüßstoff, die man braucht, um trotz allem bei Laune zu bleiben. Dafür ist die LIDL-Filiale an der Brückenstraße genau der richtige Ort. Personal und Kundschaft „international“ nennen hieße Griechen nach Athen tragen. Hier herrscht Diversität wie beim Turmbau zu Babel. Hier kaufen Kümmeltürken ihren Kümmel, deutsche Süffel ihren Schnaps, Paki-Paschtunen Pasta, Bantus aus Burkina Faso oder Burundi bunkern Buletten, und Roma Sinti neuen Preisvergleichs-Piraten. Preiswerter als bei LIDL geht praktisch kaum, das wär schon geklaut. (Daß die sensationellen Preise dieses Discounters sich u. a. einer ziemlich gnadenlosen, überfordernden Ausbeutung des Personals verdanken könnten, ist ein Gedanke, der mir flüchtig, aber regelmäßig, beim Betreten und Besichtigen der Filiale durch den Kopf schießt. Aber vielleicht ist das ja auch ein Klischee? Ein Vorutrteil, eine rassistische Invektive gegen Discount-Unternehmen?)

Jedenfalls erlebe ich beim dreimal wöchentlich absolvierten LIDL-Besuch manchmal Vorurteilsdurchbrechungen, die ich gut finde, weil sie das Differenzierungsvermögen schulen. Zwei davon zum Schluß. Ich stehe in der kilometerlangen Schlange vor der Kasse, die entsteht, weil LIDL seine Kunden mit der gleichen Hochachtung behandelt wie sein Personal. Vor mir eine „Kopftuchmutti“ mit grossfamilientauglichem Masseneinkauf im Wagen. Na, denke ich gerade noch vorurteilsbeladen, die wird am Ende wieder umständlich mit zusammengekratzten 2-Cent-Münzen bezahlen (die kriegen von ihren Männern nie Papiergeld in die Hand!) und die Kassenfrau zum augenrollenden Wahnsinn treiben und den ganzen Verkehr auf… – da wendet sich die Frau zu mir um, registriert meinen Single-Einkauf und spricht, freundlich und in akzentfreiem Deutsch: „Wenn Sie nur diese zwei Teile haben, lasse ich Sie gerne vor!“ Errötend stecke ich mein Vorurteil wieder in die Brieftasche und danke mit dienernder Höflichkeit.

Noch schöner fand ich freilich einen anderen Vorfall. Warum, kann ich gar nicht erklären, aber er erheitert mich schon seit zwei Wochen. Wir stehen, abermals wartend, im Pulk vor den zusammengeketteten Einkaufswagen. Die sind bei LIDL manchmal defekt und schlecht gewartet. Manchmal kriegt man seinen Pfandeuro nicht wieder, oder das Kettenschloß klemmt. Vor mir ruckelt eine tief verschleierte Ganzkörperorientalin mit nachlassender orientalischer Geduld vergeblich an ihrem festsitzenden Wagen. Zornig funkeln die schönen Augen unter den tiefschwarzen Brauen. Ein Bild rassiger Exotik! Doch dann entfährt der Dame, laut und klar, in perfektem, ungefärbten Deutsch ein tiefempfundes: „Manno! Was ist das denn hier für ein gottverdammtes, verficktes, saublödes Scheißteil!“ DAS ist für mich ein Stück Integration. In einer fremden Sprache spontan, fließend und korrekt fluchen zu können, ist nämlich ein Beweis dafür!  Ich war über diesen Wutausbruch so begeistert, daß ich die Dame spontan hätte umarmen und küssen können. Aber das wäre ja nun doch zuviel des integrativ Distanzlosen.

Ob ich ihren schönen Schimpfwortfluch hier überhaupt im Netz zitieren darf, ist natürlich fraglich. Man darf heute keinesfalls alles sagen, was man will. Womit dieser Besinnungs-Aufsatz wieder von vorne beginnt.