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New Year’s Hangover

1. Januar 2014
Wer zählt die Tage?

Wer zählt die Tage?

Ein bißchen hab ich von der Silvesternacht noch einen Kater. Aber warum heißt das eigentlich so? Niemand kann mir das erklären*. Warum jammert man nicht: Menno, ich habe vielleicht ein Mordskänguruh? Oder ein verflucht schlimmes Nacktnasenwombat, nur beispielsweise? Ich selbst besaß früher einmal einen Kater, er hieß originellerweise Tiger, aber außer dass er etwas streng roch und immer versucht hat, die Sofalehne zu vögeln (sagt man bei Katzen überhaupt vögeln?), war das ein ganz liebes Tier, ein ganz liebes. Weder hat er mir den Magen umgedreht noch im Kopf herumgehämmert wie blöde. Manchmal kapiere ich Metaphern nicht, da liegt irgendeine Blockade vor. Kann die mal jemand wegmachen? Ich wage jetzt auch mal eine Metapher, die nicht jeder verstehen wird, und zwar: Ein Jahr ist eine Tüte Chips. Oder, Moment, vielleicht besser: eine Tüte Erdnussflips. Genau! Ich darf kurz einflechten, dass die Erdnuss gar keine Nuss ist, sondern eine Hülsenfrucht; dies zu wissen kann Partys bereichern und einen in den Mittelpunkt einer faszinierten Damenwelt stellen, von der man rotwangig angestaunt wird. Was der alles weiß! Zurück zur Erdnuss. Kürzlich sah ich das Plakat einer Gutmenschenorganisation, da stand drauf: Problem: Kinder weltweit verhungern. Lösung: – und als Lösung war da dann eine Erdnuss abgebildet. Eine  (1) einzelne Erdnuss! Das muss man sich mal vorstellen: Da streckt einem ein armes Negerkind – früher hatten die sowas und das hieß auch so: Negerkind – streckt einem also verzweifelt die dürren Hungerärmchen entgegen, und was tut man als saturierter weißer Scheißer? Man wirft ihm eine (1!) Erdnuss in den Schoß. Welthunger-Problem gelöst! Soviel zum europäischen Humanismus, Leute. Das prangere ich an! Das muss sich ändern!

Eine Tüte Erdnussflips also, und zwar, es ist doch so: Mitten in der Nacht sagt man Prost! und reißt eine Packung dieser köstlich-knusprigen, würzig-fettigen, mit naturidentischen, indes enorm Sucht erregenden Aromastoffen aufgepimpten Erdnussmehl-Würmchen auf, weil man nur mal probieren will, ob die heutigen noch so schmecken wie in der Kindheit die guten von der Fa. Bahlsen – und zack! ist die Tüte, man weiß nicht wie, schon leer geknuspert. Das ganze Jahr kurzerhand eingepfiffen, wegschmaust, uffjefressen, komplettamente. Boah! Schon kommt die Gattin, guckt streng und äußerst sich kritisch: Sag mal, hast du etwa die ganze Tüte 2013 einfach mirnichts dirnichts weggefuttert?! Muss ich wohl. Die Packung ist jedenfalls leer und das Jahr konsumiert, als wäre man nicht dabei gewesen. Viel war ja auch nicht. Von den Naturkatastrophen ist mir nur die in Erinnerung geblieben, wo die ARD vorher schon zwei Extras gesendet hat, und dann kam der Orkan hinterher gar nicht. Emmissio praecox, wie wir Altklugsprachler sagen. Und sonst? Krisekrisekrise, Skandale, Randale („Rote Flora“, die Arschgeigen), dann wieder Krise, dann Krieg. Massakermassakermassaker: Rattarattata! Austattung von der Firma Heckler&Koch, weltweit tätiger deutscher Mittelstand. Apropos Rüstungsindustrie. Irgendein frommer Leitartikelidiot maulte kürzlich, die bösen Israelis würden ihre Waffen an den armen, friedfertigen Hamas-Arabern „ausprobieren“. Ja – sollen sie es besser in Deutschland tun? Vielleicht in der Redaktion der ZEIT oder der Süddeutschen? Oder, horribile dictu, an Peter Scholl-Latour? No way, sagt Helmut Schmidt, die uralte Morla, das Orakel der bleiernen Zeit.

Wo ich bei Blei und Orakel bin – ich mache mal den Nostradamus von Notredame und verrate, wie das Jahr 2014 werden wird (damit die ARD ihre Sondersendungen planen kann): Zuvörderst wird irgendwo das Meer überschwappen und evtl. Mitmenschen ersäufen, was uns betroffen macht, aber auch nicht so sehr, dass wir uns anderntags nicht schon wieder mit anderem Grusel verwöhnen lassen. Es wird ein bisschen schneien ( ARD-Extra: „Ganz Deutschland versinkt im Schneechaos“) oder auch nicht, was wahlweise als Indiz für Erderwärmung, Klimawandel oder neue Eiszeit bekakelt werden wird. Später wird es etwas wärmer („Ganz Deutschland stöhnt unter der Hitzewelle“). Kaum ist das durchgestanden, wird ein Minister in flagranti erwischt, mit der Hand in anderer Leute Knabbergebäck-Tüte. Aufschrei! Dann Fortschritt durch Rücktritt. Guido Westerwelle wird vor einer weltweiten Erdnussölkrise warnen. So Anne Will. Dann schließlich die wirkliche Katastrophe: Dreitägiger bundesweiter Stromausfall (Sondersendung der ARD: entfällt). Die Züge der Deutschen Bundesbahn werden danach zwei Jahre Verspätung haben, die Wirtschaft bricht zusammen, die Deutschen hungern. Die Unesco schickt jedem Bürger eine Erdnuss. Rettung! Puh, das war knapp! Überdies werden wieder mehrere betagte Mitmenschen den Löffel abgeben. Ein Berufskraftfahrer wird sich böse den Kopf anstoßen (Extra: „Ganz Deutschland betet für Idol Schumi!“), aber nee, Augenblick, das war ja schon. Am Ende aber, so weissage ich, wird es eine bundesweite Finsternis geben, die Menschen werden sich betrinken, Polytox-Cocktails in den Himmel werfen und eine neue Tüte Leben aufreißen, sofern beide Hände gesund drangeblieben sind bei der Knallerei. Und dann die Tüte. Lecker neue Erdnusslocken locken. Bitte, greift nur zu! – Ausblick auf 2015: The same procedure as every year: Die Menschen werden einen Kater haben.

 *Wer das unbedingt wissen will, der klopfe hier an: http://www.gfds.de/sprachberatung/fragen-und-antworten/uebersichtsseite/einen-kater-haben/

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Immer milder: Kraska hat Klimawandel

14. April 2011

All along the watchtower: Vallah, klar lesisch Bibel!

Ich hab voll Klimawandel! Im Kopf! Die Gattin meint, ich würde immer cholerischer, dabei werde ich langfristig auch milder. Gestern Mittag in der klandestinen Denkstube reißt mich die Türglocke aus dem Denksport-Krafttraining. Verdammter Bengel, denk ich, weil Nachhilfeschüler Milan „kann“ immer noch „nicht Uhr“ und kommt gern, wenn er das Gefühl hat, es wäre vielleicht Zeit. Aber im Treppenhaus steht gar nicht Serbiens Sonnenschein, den hätte ich schon von weitem erkannt, weil er derzeit, wenn er die Stufen hochkommt, immer laut die Monatsnamen deklamiert, weil ich ihm gesagt hab, die nicht zu können sei für einen frisch gebackenen 8-jährigen voll Baby. Wenn nicht sogar Mädchen! Im Pädagogischen bin ich halt Autodidakt.

Vor der Tür steht vielmehr eine verhuschte Dame mittleren Alters, dezent schlammgrau Popeline-ummantelt, ungeschminkt und wetterfest; zwei Schritte hinter ihr ein älterer Herr (also sogar von mir her gesehen „älterer“), der ihr vage besorgt über die Schulter linst und mich präventiv etwas kummervoll betrachtet. Vielleicht handelt es sich um ihren im Dienst gebleichten Schutzengel. Beide wirken hier im tiefsten Geddo so schutzbedürftig deutsch, dass ich spontan brüderliche Instinkte in mir empor perlen fühle. Ob man eventuell, wenn es nicht sehr ungelegen käme, wispert Frau Graumann, mir wohl eine Frage stellen dürfe? Sie wusste ja nicht, dass ich als unterforderter Geistesmagister leidenschaftlich gern Fragen beantworte. Frag mich was, dann bin ich. Nun also, ahem, – ob ich denn die Bibel kennen würde, schon, vielleicht? Was ich nicht so mag, ist, wenn man mich für doof hält.

Dennoch antworte ich milde (!): Gute Frau, in diesem wunderlichen Buch habe ich bereits herumbuchstabiert und nach gewissen „Stellen“ gesucht, als Sie – ich ziehe charmant eine Braue hoch wie der frühe Mickey Rourke – mutmaßlich noch gar nicht auf Erden wandelten! Zudem setze ich Sie ungefragt noch in Kenntnis, dass ich als Religionsphänomenologe selbstredend auch Thora und Kabbala, Koran und Hadithe, tibetanische und ägyptische Totenbücher, ferner das Popul Vuh, das Gilgamesch-Epos, die griechischen Mythen, die buddhistischen Sutren und die taoistischen Schriften des Daodeking mit Fleiß studiert habe. Ferner verfüge ich über Grundkenntnisse der Gnosis, der Plotinischen Metaphysik, der Mystik des Dionysios Areopagita, der Schriften von…

… ich bremse erstmal ab, denn Frau Graumann schaut betreten auf ihre flachen Gesundheitsschuhe, während der ältere Herr Engel die Backen aufbläst und mich mit weit aufgerissenen Augen fixiert, als wäre ihm eben bewusst geworden, bei Dr. Mephisto persönlich geschellt zu haben. Pause. Dann ist das brave Aschenmuttel wohl durch mit der inneren Repitition ihrer Demutsregeln und setzt schüchtern nach: „Ja, aber wissen Sie auch, dass die Bibel praktische Hinweise zur Lebensführung gibt?“ Im Stillen denke ich: Nun ja, doch, schon, und ich bemühe mich zumeist, keinen von diesen Tipps arglos zu befolgen. Ich begehrte allerdings schon mancherlei Nächsten Weib, hatte gelegentlich Lust, meinen Sohn zu schlachten, hätte, gerade jetzt, wo die Steuernachzahlung droht, gegen ein Kalb aus eitel Gold nichts einzuwenden und die sieben ägyptischen Plagen habe ich meinen Mitmenschen auch schon an den Hals gewünscht. – Laut aber verweise ich darauf, als Philosoph und Geisteswissenschaftler leider ohnehin nicht mit praktischen Lebensfragen konfrontiert zu sein, und wenn doch mal, würde ich diese zumeist an die pragmatische Gattin überweisen, die sich mit Praxis auskennt.

Bekümmert bezeugt das verhärmte, sanfte Duo Verständnis für meine vermutlich irreversible Heidenhaftigkeit; mit dem letzten Schimmer verdämmernder Hoffnung fragt die Missionarsdame aber noch, ob man mir wenigstens ein Faltblatt andienen dürfe, als Denkanstoß und zwecks eventuell später noch einsetzender Bekehrung. Höflich unterdrücke ich die patzige Antwort, da trauten sie ihrem mickrigen Flyer aber eine Menge zu, nehme stattdessen das Blatt huldreich entgegen und wünsche noch einen Guten Tag. Schon hab ich die Tür geschlossen, da wird mir die Lage bewusst, weswegen ich sie, die Tür, wieder aufreiße und dem Pärchen hinterher rufe: „Und passen Sie bloß auf sich auf!“ – Mann! wissen die denn nicht, wo sie unterwegs sind? Hier wohnen 75% Muslime! Ich male mir aus, was Izmet, Muhammad, Asiz, Fuat und der dicke Erol antworten, wenn sie an der Tür gefragt werden, ob sie auch schön die Bibel lesen…

Schau an, denke ich, und das ist eben der Klimawandel bei mir, die guten alten „Zeugen Jehovas“! Entweder faszinierend unerschrocken oder echt nicht von dieser Welt! Irgendwie schon wieder rührend. – So milde bin ich geworden. Allerdings, wenn die tausendmal lästigeren, dreimal gottverfluchten Drücker-Ganoven klingeln, die mir zudringlich und schamlos trickbetrügerisch neue Vodafone-, O2- oder Telekom-Verträge   aufschwatzen wollen, dann solltet ihr mich mal hören. Da brülle ich los wie Luzifer, Leviathan und Behemoth zusammen, so dass die kleinkriminellen Nepper und Rentnerfängner glauben, der Tag des Zorns („dies irae“) sei angebrochen. Da bin ich cholerisch wie Jehova!

 

Oops, they did it again! Kommunikatiosguerilla stellt richtig…

22. September 2009
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Das Fake der NEW YORK TIMES, am 12. Nov. 2008, mit Datum 4. Juli 2009, verteilte Auflage 1,2 Mio., in denen die Welt so funktioniert, daß man "YES!" sagen könnte

Apropos „Und alle so ’Yeaahh!’“: – Auch die bewährte Kommunikationsguerilla der Yes Men hat wieder zugeschlagen, wie man dem Blog spreeblick.com entnehmen kann. Die Aktion im November 2008, bei der sie 1,2 Milionen gefälschte Exemplare der New York Times unters Volk brachten, in denen u. a. die Beendigung des Irak-Kriegs bekanntgegeben wurde, scheint zur Fortsetzung geeignet. Diesmal haben die Yes Men mit zweitausend Helfern eine gefakete Ausgabe der – nicht eben umweltinteressierten – Boulevard-Zeitung New York Post (im Besitz von Rupert Murdoch) „ausgeliefert“, die drastisch die Folgen des Klimawandels für New York ausmalt.

Die Yes Men, von WTO, Chemie- und Ölkonzernen gefürchtete Kommunikationsguerilleros, die sich gern auf internationalen Symposien und Kongressen einschleichen, verfolgen eine Kampftaktik, die man überraschender Weise bereits beim skurrilen Schweizer Literaten Robert Walser findet: die – ironische – Überidentifikation. Man übernimmt den Standpunkt des Gegners und übertreibt ihn dabei aber so wahnsinnig, daß seine eigentliche Geistesverwahrlosung und Menschenfeindlichkeit hervortritt. Unvergessen z. B. die Forderung gefaketer Repräsentanten auf einem internationalen Freihandelskongress, frei handelbare „Gerechtigkeitsgutscheine“ einzuführen, mit deren Hilfe sich Staaten und Konzerne, analog zum Handel mit Emissionslizenzen von Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen freikaufen könnten.

Seit ein Yes Men-Abgesandter auf einem international hochkarätig besetzten Wirtschaftskongress der WTO (World Trade Organisation) ausführlich Adolf Hitlers Wirtschaftspolitik lobte und für eine modifizierte Form der Sklaverei aussprach, bei der man den Sklaven ein zuhause („zum Beispiel in Gabun…“) belässt, weil er dort billiger verpflegt werden könne und man die „Transportkosten“ spare, – und unglaublicherweise NIEMAND Einspruch einlegte oder auch nur irrititiert war, seitdem also ist man in den Zentren der Macht alarmiert. Demonstranten, die sich gegen die Globalisierungspolitik auflehnen, kann man abdrängen, einkesseln, wegsperren, auch mal niederknüppeln. Aber wie man gegen unauffälligen grauen Anzugherren mit Access-Sticker am Revers vor, die als Referenten auftreten, und Ja! Jaa! Jaaa! zu den unsinnigsten Dingen sagen? Wie unterscheidet man sie von den eigenen Leuten?

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Zwei bekannte Aktivisten der Yes Men: Igor Vamos und Jacques Servin

Wenn die Welt sich zu bewegen verweigert, helfen die Yes Men freundlich ein bißchen nach, zumindest in der medialen Berichterstattung, die sie einfach selbst übernehmen. In der Millionenauflage der falschen New York Times wurde die Welt kurzerhand richtig gestellt: Die Yes Men beendeten den Irak-Krieg, ließen Georg W. Bush wegen Hochverrat anklagen und Condoleeza Rice sich für ihre Lügen-Politik entschuldigen. Aufsehen erregte auch die im britischen Fernsehen verlesene Erklärung des schuldigen Konzerns, man werde jetzt endlich die Opfer der Katastrophe von Bophal entschuldigen. Das Dementi der Dow Chemical-Giftmischer war dann natürlich peinlich… 

Man muß nachdenken: Diese Taktiken der Subversion scheinen mir vielversprechend: Ironische Affirmation, ironische Überidentifikation, Medien-Hijacking. Und alle so: „Yeaahh!“