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Verehrtes Publikum, dies ist ein Überfall!

15. September 2009
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Dramaturgie des Verkehrsunfalls: Bei La Fura gibts eine Menge zu gucken...

Ich dachte echt, ich werd nicht mehr! Und so etwas in Recklinghausen! Da hätte man den blasierten Weltmann Kraska aber mal offenen Mundes glotzen sehen können! Und um sein kümmerliches, dummes Leben rennen! „Keine Ahnung, irgendwie so modernes Theater“, hatte man mir gesagt. Na gut, dachte ich damals, Anfang der 90er, pöh, was soll da schon sein, Becketts „Endspiel“ vielleicht, diese köstliche Art hochintellektuell augenzwinkernder Unverständlichkeit, oder vielleicht Aragon, Pinter oder Ionescos „Kahle Sängerin“, okay, bißchen schräg, aber für gelernte Hochdruckhermeneutiker doch kein Problem! Ich habe ja nicht mal Angst vor Virginia Woolf, warum soll ich modernes Theater fürchten? (Genau so gut hätte ich sagen können: „Ich hab meine Mutti auch lieb, warum soll ich mich vor dem Schizo-Serienkiller Norman Bates in Hitchcocks „Psycho“ fürchten?“)

 Es begann damit, daß man zur Einlaßzeit das ca. 500-köpfige Publikum in das lichtlose Dunkel einer fensterlosen, wirklich völlig undurchdringlich finsteren, unbestuhlten Fabrikhalle trieb und dort erstmal kommentarlos einsperrte und sich selbst überließ. Lange, ereignislose, dunkle Minuten! Man konnte oder durfte andere kultivierte TheaterliebhaberInnen neben sich riechen, spüren, erahnen, darunter bestimmt äußerst frisch gebadete, mit erlesener Körper-Lotion eingecremte, kostbare und teure  Audrey-Heburn-Schönheiten  (- „Süße, zieh dir mal was Hübsches an, ja? Wir gehen heute ins Theater!“) im schulterfreien „Kleinen Schwarzen“, – aber zu sehen? Praktisch  nüschte. Die Hand vor Augen nicht!

 Ein nervöses Weilchen standen wir so im Dunklen herum und waren etwas genervt: Hach Gott, dieses REGIETHEATER! Was denn JETZT schon wieder! Ha, von wegen Regietheater, das wär ja noch angegangen. Stattdessen bricht urplötzlich die nackte Horror-Hölle los und über uns herein: grellweiße Stroboskopblitze, brutal donnerndes, dumpf bauchvibrierendes Drum-Gewummer, kalkweiße Suchscheinwerfer-Spotlights, die schreckhaft über die Wände huschen: Und dort, da! Und da! Da drüben auch! Was ist DAS denn!? Von der Hallendecke hangeln sich sechs, sieben, nein noch mehr ekle, unheimliche Halbmenschen herab. Sie tragen gebügeltes Business-Hemd und Krawatte  – ansonsten sind sie nackt. Man sieht im Flackerlicht ihre Penisse baumeln. Die muskulösen Halbwilden turnen äffisch herunter in die Menge. Und was sie da in den Händen tragen? Das sind dröhnend, knatternd, immer wieder aggressiv aufbrüllend, eindeutig… Motorkettensägen. Mit denen rennen sie nun auf uns zu, mitten in die Menge, hinein in den Pulk und wild losgesägt! (Daß sich an den Sägen keine Zahnketten befinden, kann man im flackernden Helldunkel nicht gleich erkennen! Außerdem sind da noch andere zivilisiertere, ebenfalls halbnackte Irre, die mit Supermarkt-Einkaufswagen wild in der auseinanderstiebenden Masse herumkarren und dann noch die, die an fingerdicken klirrenden Stahlketten kiloschwere Schrottklumpen um sich herumwirbeln, um dir damit die Schienbeine zu brechen. Theater? Der absolute Terror! Waren das spießige Zeiten, als man sich in Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ von Schauspielern ein bißchen ausschimpfen ließ! Hier heißt es um sein Leben zu rennen!

 Da ich weder Lust habe, mich von offenbar völlig durchgeknallten Irren zersägen oder mir die Knochen brechen zu lassen, beginne ich, im Dunklen, inmitten einer panisch hin und her wogenden Masse, zu fliehen, planlos, versteht sich. Und da haben sie mich dann schon in der Adrenalin-Situation, in der sie mich sehen wollen: Die nächsten anderthalb Stunden werden wir gnadenlos wie Schafe durch die Halle gehetzt, mit heftig klopfenden Herzen, von Angstlust, Neugier und Entsetzen umhergetrieben. Mal angelockt von wüstem Spektakel, mal fortgescheucht mit Gewalt oder weil Leute aus der Truppe mit mehlgefüllten Papiertüten werfen. Martern, Folter, Opferrituale werden simuliert. Auf fremdartigen Gerüsten und Apparaturen über unseren Köpfen toben halbnackte, durchtrainierte Männer in archaischer Wut, bewerfen sich mit Fleischbrocken, schütteln drohend Speere, spalten mit Hackmessern Köpfe – oder sind das Melonen? Ja, bloß Melonen!– ; weibliche Militante aus der Terroristengruppe – auch sie kampfsporttauglich trainiert und fast nackt – umzingeln uns, kreischen, schreien Unverständliches, hantieren mit brennenden Fackeln, trommeln auf Benzinfässer, spritzen mit etwas, das nach Blut aussieht. In einem wassergefüllten Glastank schwimmt ein nackter Mensch, der mit Stangen traktiert wird, bis sich das Wasser blutig rot färbt…

Am Ende wird es dann noch wirklich brenzlig: Der Saal geht in Flammen auf! Strohballen, ringsum an den Wänden deponiert, brennen lichterloh. Das Finale! Mensch, jetzt nichts wie raus! Puh, was für ein Theaterabend! Die Überlebenden applaudieren teils frenetisch, teils diskutieren sie schon, welche Versicherung das ruinierte Kleid und das aufgeschürfte Knie abdeckt und ob man die Irren nicht verklagen sollte. Ja, Herrschaften, das war das „Theater der Grausamkeit“, von dem der halbwahnsinnige Antonin Artaud immer geträumt hat!

Ich war nämlich nicht in der Parallelwelt, auf einem Rockkonzert von Neandertalern auf Crack oder Crystal Meth, nein, das war eine Veranstaltung der ehrwürdigen Ruhrfestspiele Recklinghausen, und was es zu besichtigen bzw. zu befürchten gab, war die furiose katalanische Schauspielerkommune „La Fura dels Baus“, was aus dem Katalanischen ins Deutsche übersetzt angeblich soviel heißt wie „Das Frettchen von der Müllhalde“ (andere sagen, es bedeute schlicht „Die Kanalratten“) mit ihrem damaligen Projekt Suz/o/Suz. „Die Dramaturgie unserer Stücke“, erläuterte damals ein Mitglied im Interview bedächtig, „folgt der Logik sehr großer, blutiger Verkehrsunfälle.“ Sollte heißen: Man hat fürchterlich Angst, darin verwickelt zu werden, muß andererseits aber immer wieder fasziniert hingaffen….

In den nachfolgenden 15 Jahren mauserte sich die radikal-anarchistische, erstmals schon 1979 gegründete Straßentheater-Kommune zu einer international renommierten und begehrten Gruppe von Schauspielern, Regisseuren, Musikern, Show-und Event-Designern. In letzter Zeit wird die neu formierte Truppe wieder terroristischer, buchstäblich: – sie überfiel, als Terroristen verkleidet und mit Kalaschnikovs bewaffnet, ihre eigene Aufführung von „Boris Godunov“ und inszeniert vor mit den teilsweise völlig veränstigten Zuschauern das Moskauer Geiseldrama von 2002 nach.

(siehe SPIEGEL online:

 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,540066,00.html)

 Die informative Homepage der Theater-Terroristen:

 http://www.lafura.com/web/eng/home.php 

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Luxusleiber, Entenstimmen: Wir sind Heidi Klum!

23. März 2009
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Nicht wie Heidi Klum: Magersüchtiges Model

HEIDI-KLUM-LOOKALIKES BEIM COCACOLA-SPASS

Es muß kurz vor Feierabend gewesen sein, als der Schöpfer Heidi Klum ihren Body zuteilte. In der Eile vergaß er, die hübsche Hülle innen zu füllen. Damit will ich nicht behaupten, daß Frau Klums Innenleben gänzlich aus Sägemehl besteht; wohl aber, daß die arme Attraktivitätsattrappe gezwungen ist, mit einer Stimme herumzulaufen, die einem kleinen gelben Plastik-Quietscheentchen mit Gewalt entrissen worden zu sein scheint. Manche werden sagen, ja, und? „Barbie“ – die ja heuer auch schon in die Wechseljahre kommt – konnte noch überhaupt nicht sprechen! Ästheten hingegen entgegnen: So etwas geht heute gar nicht mehr! 90-60-90er Blondinenweiber mit Luxusleibern, – und dann die Intelligenz einer feuchten Scheibe Weizentoast! Und dazu diese entsetzliche Quietschentenstimme! Das will unserem modernen Frauenbild gar nicht mehr schmecken! 

Und jetzt huscht die Fleisch gewordene Vorspieldose ja auch noch durchs Fernseh, macht komische Geräusche und quietscht Tumbheiten ins Mikro, die als männermörderische Hohlmuschel-DummDumm-Geschosse eigentlich unters Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Frau Klum kommandiert, kujoniert oder schikaniert da, man weiß es nicht genau, als eine Art Schnallentreiberin oder so, ein Rudel hipper Jung-Tussies (z. B. die Jennifer, Chantal, Leonie-Lena, Valerie, Cloe und Samantha), die offenbar keine größeren Wünsche kennen, als a) in immer kleinere Kleidchen zu passen und ansonsten b) haargenauso zu sein wie Kommandeuse Heidi Klum! Inkl. Entenstimmchen, schnatterquakquaak.

Schlimm leider: Der Ententeich ist oft genug ein Haifischbecken! Nicht alle kommen durch. Einige Schnallen gehen baden, können kein vernünftiges Wort Englisch außer „shoppen“ und „Händi“, wundern sich, warum die Amerikaner in LA nachts das Licht brennen lassen oder brechen sich unbeherrscht die extraordinär langen Streichholzbeine, weil sie das elegante Stöckeln auf HighHeel-Schühchen nicht beherrschen. Autsch, Pech, – raus! Dem „Playboy“ zum Fraß vorgeworfen mit Haut und Knochen. Mehr ist ja eh nicht. 

Tussen mit Gewinner-Gen und Stöckelpumpsführerschein hingegen dürfen dafür gleich im Fernseh bleiben und uns weiter multimedial auf den Senkel gehen. Zum Beispiel kommen sie in die CocaCola-Reklame. 

Die CocaCola-Reklame ist ein Episodenfilm (Farbe, 25“) mit dem bestürzend preziösen Titel „Nur du bist du!“ Es ist ein Stummfilm mit Musik, das heißt, die tragenden Frauenrollen sind sprachlos. Ohne Text. Entchen hat mal Pause. Schon nicht schlecht! In der ersten Episode fährt eine jüngere, sommerlich leger bekleidete Heidi-Klum-Lookalike-Contest-Gewinnerin einen auffallenden Kleinstwagen aus der Tiefgarage. Feuerrote Fiat 500 „Topolinos“ mit Schiebedach, die aus Parkhäusern kommen, gelten unter Freudianern bekanntlich als ausgemachte Mösensymbole. Die junge Fahrerin ist aber mördergut drauf, denn sie kennt keinen Penisneid. Den scheint aber der junge Mann in der Parallelspur zu hegen, denn er sitzt in einem schweren Kompensationscabriolet, ist in einem typischen Porschloch-Auto, vielleicht ist es auch ein Daimler mit zu kleinem Benz, „unterwegs“. Weil aber die rote Fiat-Schnalle vor guter Laune schier platzen will, fährt sie dem doof hinterherschauenden Penisheini lachend davon, nicht ohne michael-schuhmacherhaft das Siegesfäustchen zum Schiebedach hinauszurecken. –

Nächste Episode: Eine rothaarige (Natur?) Trulla heiratet „in weiß“ (psychoanal. Symbol für GV-unerfahren!), will aber nicht bis zur Dienstreise oder bis zur Scheidung warten, sondern verarscht den dümmlichen Ehe-Deppen gleich an Ort und Stelle, indem sie, prähysterisch-uralter Clownstrick, auf dem Hochzeitsfoto mit gespreizten Fingern ihrem Gespons heimlich von hinten symbolische Hörner aufsetzt (psycho-symbolisch für: Hörner). Die Braut strahlt über den gelungenen Scherz und die zu erwartenden Unterhaltszahlungen wie ein zuckerfreies Honigkuchenpferd.

Episode drei: Ein Modelmannequin mit häßlicher Badekappe (beige mit braunen Applikationen; Symbol für: Klimakterium) macht in einem Wellness-Pool, an dessen Rand sorgfältig gurken- oder joghurtbreimaskentragende, in hoteleigene schneeweiße (Unschuld!) Frotteeflauschigkeiten eingemümmelte postklimakterielle Damen der Ruhe in Liegestühlen pflegen, eine sog. „Arschbombe“, wodurch die Ruhedamen ordentlich naßgespritzt (symbol. für: Sexualität) werden. Unter Wellness-Zicken natürlich ein Heidenspaß!

Schlußepisode: Eine Businessklassefrau im Economykostüm macht vor dem Aufsichtsrat oder so eine Art PowerPointPräsentation. Kennt man ja. Aber jetzt taucht glucksenderweise ihr humorvoller Powerfrauschwesterscherzkeks im Businesskostüm auf und treibt allerhand Allotria und Possen: Quetscht von außen ihre Nase an die Glastür, womit sie ein ganz bizarr lustiges Grimassengesicht zustande und ihre Businesskollegin heillos zum Lachen bringt. Es ist zum Schenkelklopfen irre spaßig, das alles! Schauspielerleistungsmäßig schon glatt oskarreif, dieses Gesicht gehört auf den Roten Teppich! Oder drunter zumindest!

Nach dem letzten lustigen Streich der kleinen Strolche ist Abspann: Fetzmusik, Abbild einer Flasche CocaCola und der Satz: „Nur du bist du!“

Klar. „Ich“ bin ja schon ich! Zum Glück ist die Gattin zur Stelle, nimmt mir sanft die Kettensäge aus der Hand und fragt, ob ich jetzt meine Medikamente möchte.