„Oh Himmel, strahlender Azur!“ (Brecht) – Der Frühlingstag im Geddo so rücksichtlos schön, dass es fast wehtut. Bäume und Sträucher im Festtagsgrün, die Amseln flöten fromme Motetten, blank poliert und seinsfromm ruhen die silbernen Daimler am Straßenrand. Nachbar Özgür ist das wurscht, seit Tagen wütetet er im Nachbarhaus mit Bohrmaschine, Hammer und Meißel, schleppt Steine und Rigipsplatten, kurz, schuftet, dass die ganze Straße etwas davon hat. Soviel arbeitet der sonst im Jahr nicht! Tagelang war ich genervt, heute bin ich verärgert, denn es ist, nun ja … Karfreitag, weswegen ich mich persönlich herunter bemühe, um Nachbar Özgür mordsmäßig zusammenzuscheißen, dergestalt, dass ich ihm in derben Worten donnernd, zum Teil auf Türkisch (ayıp! haram!), vorhalte und verdeutliche, dass heute im Gedenken an den Märtyrertod des Propheten Isa ein hoher christlicher Feiertag begangen werde, an dem ruhestörender Arbeitslärm wahlweise Polizeieinsatz oder Höllenverdammnis nach sich ziehe. Schwer beeindruckt und offenbar eingeschüchtert lässt Häusleumbauer Özgür den Hammer sinken und verspricht eilfertig die Einstellung der Bauarbeiten.
Befriedigt ziehe ich ab. Die Gattin hingegen, zufällige Zeugin meines Einsatzes zur höheren Ehre Gottes, zieht die Brauen hoch und spöttelt: „Oha! Der Magister als oberster Religionswächter im Geddo! Ist ja mal ganz was Neues!“
Nun ja, stimmt schon, als gläubiger Christ bin ich seit meiner Konfirmation nicht mehr hervor-, sondern vielmehr definitiv ausgetreten. Und doch. Man kann aus einer Kirche austreten und eine Religion ablehnen und ist ja doch in ihrem Dunstkreis aufgewachsen, von ihren Traditionen kontaminiert und visuell oder musikalisch verstrahlt. Ich hab zu viele öde Kindergottesdienststunden auf Bilder des am Kreuz gemarterten Jesus gestarrt und zu viele barocke Passionsoratorien gehört, als dass mir die wirre, traurige, unfassbare Passions-Poesie nicht irgendwie, sagen wir ruhig: im Herzen, naheginge, was immer diese gequälte, triste Geschichte nun symbolisieren will.
Man erkenne mir meinetwegen deshalb das Goldene Ausrufezeichen am Bande (für fünfzig Jahre linientreuen Atheismus) ab, – es ist halt so. Ich habe auch die immer mal auftauchenden, von eher pubertär geprägtem Humor zeugenden Persiflagen auf das Kruzifix, bei dem da ein Frosch, eine Osterhase oder sonst was gekreuzigt wird, nie besonders lustig gefunden. Und als kürzlich der öde Landeslümmel von den NRW-Grünen die Aufgabe der karfreitäglichen Feiertagsrestriktionen forderte – diese scheiß Generation implodiert halt, wenn sie mal einen Tag nicht „Party machen“ dürfen –, erlitt ich einen knapp einstündigen Anfall mittelalterlichen Glaubenskriegertums und rief nach dem Zorn Gottes, dass er niedergehe oder wahlweise bitte sich ergieße auf die Landeszentrale der Grünen, die mir sowieso immer mehr auf den Sack gehen, diese islamophil-debilen Erzschelme. Damit das auch mal gesagt ist.
So. Was noch? Gestern waren schon wieder die Zeugen Jehovas an der Tür. Haben mich die Sekten-Ganoven doch tatsächlich notiert, weil ich sie neulich nicht gleich die Treppe herunterwarf, sondern freundlich ihres Weges schickte! Da könnte man ja eventuell noch mal mit dem „Wachturm“ nachbohren, dachten sie sich, in eklatantem Missverständnis dessen, was der dicke Magister sein „Tao der Sanftmut“ nennt. Selbst der sanfte Jesus soll ja gelegentlich recht grobianisch gewesen und mit dem Schwert gedroht haben. Manche Leute verstehen halt keine andere Sprache, wird er sich gedacht haben, und verzichtete daher darauf, soweit wir Leben-Jesu-Forscher wissen, mit doofen Heftchen von Tür zu Tür zu latschen. –
Im Übrigen tröstete mich als Kind an der Passionsgeschichte immer, dass nach drei Tagen alles wieder gut, heil und in Butter war. Dramaturgisch ist das vielleicht etwas übers Knie gebrochen, aber was schluckt man nicht alles für ein bisschen Hoffnung. In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Osterfest, an dem ihr glauben möget, was ihr wollt – wenn ihr nur die Finger vom Heimwerkern lasst!
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