Posted tagged ‘Jahreswechsel’

Was von Silvester übrig blieb

3. Januar 2012

Liegen bleiben ( http://www.halternerzeitung.de/ storage/scl/mdhl/_adm... )

Mit dem Bleigießen fing es wieder an. Alle konnten schöne, hermeneutisch griffige Figuren vorweisen: Verspratzten Spinatfladen, angebissene Pizza, überfahrene Katze; nur ich hatte wieder so ein längliches, einem Zepter ähnelndes Gerät mit einem Knubbel oben dran gegossen, das selbst ein ausgemachter Anti-Freudianer wie ich als Phallus-Symbol konzedieren musste. Das übliche Ho-Ho und Ha-Hah, und natürlich zischte die feministische Gastgeberin empört, wie jedes Jahr: „Du bist soo was von peinlich! Die Kinder sind noch auf, Mensch!“ Es ist zugegeben so, dass ich noch nie etwas anderes habe gießen können. Jedes Jahr nehme ich mir vor, dass es mal ein Bücherschrank wird, eine Schreibmaschine oder wenigstens der „Denker“ von Rodin, aber nichts da, immer dieses blöde und nahezu identische Phallus-Ding.

Ich könnte die sammeln und mir als eine Art Ordensschnalle ans Revers heften, um mir einen rasant Don-Juanesken Anstrich zu geben! Als mir dann auch noch Ulf-der-Schwamm, der doofe Steuerberater, jovial auf die Schultern klopfte und gönnerhaft prustete: „Du bist ja aber mal ganz schön schwanzgesteuert, alter Knabe!“, fing ich leise an, in mich hinein  zu weinen. Ich konnte doch nichts für das verdammte Blei! Gieß ich das doch nicht mit Absicht! – Die Pfirsich-Maracuja-Bowle erwies sich als verständnisvoll und war ganz meiner Meinung. Wir setzten uns in eine Ecke und ich schöpfte becherweise Trost.

Dann war Balkan-Disco mit Blechbläsern und die Bowle wurde plötzlich lustig und wollte mit mir tanzen. Ich zierte mich zunächst, aber als ich jemand tuscheln hörte, ich könne ja eh bloß noch Sitz-Polka, warf ich mich trotzig ins Getümmel, freilich zu dessen schmerzhaftem Nachteil. Ich bitte um Entschuldigung. Die aufpeitschende Blechblasmusik ging mir in die Beine, aber dort war bereits die Bowle angekommen bzw. ansässig und so kam es leider zu einem körperinternen Konflikt. Man nehme mein Bedauern entgegen. In regelmäßigen Abständen genoss ich uneleganten Bodenkontakt. Ich fand das übrigens lange nicht so komisch wie die anderen.

Bowle war also nichts für mich, also ging ich zu Bourbon-Cola über, damit kenne ich mich besser aus. Das Getränk belebte mich nach einigen Gläsern und ich begann mit Verve, eine neben mir platzierte, auffallend schöne, ziemlich intelligente Frau anzubaggern und kam damit auch gut voran, sogar ohne bleierne Phalli am Revers. Erst an der konsternierten Reaktion der Schönen auf meine wahrheitswidrige Behauptung, nein, nein, ich sei keineswegs verheiratet, sondern ein durchaus verfügbarer Single mit Tagesfreizeit, öffnete mir die Augen – es war ja die Gattin! Die eigene! Mein Kopfhaar kribbelte voller Ameisen und ein heißes Bügeleisen fuhr mir über die Wangen. Zum Glück gab es noch eiskaltes Bier! Ich hätte nur Spaß gemacht, versicherte ich und erbot mich bemüht generös, Getränke zu holen.

Um Mitternacht, die vom Fernseher angezählt wurde, strömte es mich mit den anderen hinaus auf die feiernde Plaza. Das Strömen gelang mir dank Bowle, Bourbon und Bier ganz fulminant. Schräg gegen die Straße gelehnt, beobachtete ich vorsichtig den sich anbahnenden expressionistischen Bürgerkrieg: Polen-Böller gegen China-Kracher. Ich setzte mir einen symbolischen Blauhelm auf und stand heroisch im Pulverdampf. The last man standing, summte ich und fühlte mich soweit ganz gut. Keine Ahnung wieso, aber unversehens war ich mit zwei Gläsern Crémant bewaffnet, aus denen ich, mir sentimental zuprostend, abwechselnd trank und mit deren Hilfe ich zugleich, ein verzeihungsheischendes Lächeln auf den Lippen, die Umarmungen wildfremder Menschen abwies.

Zurück bei in der Party. Mann! Man hatte inzwischen eine sich drehende Tanzfläche aufgebaut. Die Gattin hat später erzählt, ich hätte mich deshalb in die Küche zurückgezogen, um mit zwei Kumpanen beim Wein Scrabble zu spielen. Als Buchstaben hatten wir aber nur eine halbe Tüte Russisch Brot und einen Haufen Erdnuss-Locken. Darunter habe wohl die Semantik gelitten, denn mein Super-Siegerwort „Ungern-Erdnuss-Ypsilon-Erdnuss-Erdnuss-XYZ-Unge-Doppel-Erdnuss-ss-Erdnuss-t“ sei nicht akzeptiert worden, zumal die Mitspieler glaubten, es würde Poker (Kurti) bzw. Monopoly (Ulf-der-Schwamm) gespielt. Die Boxen im Wohnzimmer waren zu Salsamuffin oder Raggapunk übergegangen. Die Tanschfläche drehte sich jetzt schon dann aber auch um mehrere Achsen.

Irgendwann schlug die Gattin vor zu gehen. Darüber dachte ich lange nach, nickte dabei ein, schreckte wieder auf und beschied in sonderbarer Clairevoyance: „Weißt du, ich glaub, ich kann gar nicht mehr gehen“ und machte einen Gegenvorschlag, der mir rational-pragmatisch vorkam: „Lass mich doch einfach noch bisschen hier liegen!“ – „Ja, klar“ versetzte sie schneidend, das weiß ich noch, dann kuschelte ich mich aber auch schon in den Kofferraum des Taxis und widmete mich dem Vergessen…

Wie ich höre, haben wir jetzt schon 2012. Wieder ein Jahr weniger Lebenszeit! Immerhin, ich bin gut reingerutscht, so wie mir es alle gewünscht haben!

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