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Tao des schönen Sterbens

23. April 2009
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Christoph Schlingensief, öffentlich krank

ES MAG VERSTÄNDICH SEIN, ABER IST ES AUCH … SCHÖN?

Heikles Thema heute! Vorab: Ich mag Christoph Schlingensief. Der sympathische Wirrkopf mit dem adrett verwuschelten Schopf und den blanken, lebensvollen Augen, der seine Karriere als Aufnahmeleiter bei der „Lindenstraße“ begann, hatte immer eine so charmante Art, einem auf dem Senkel zu gehen! Auch für den größten Quatsch („Deutsches Kettensägen Massaker“, „Tötet Helmut Kohl“) konnte man ihm nicht böse sein, weil sein ganzes vorlautes theatralisches Getue, Gewürge und Gefrickel immer mal wieder auch überraschend Sinn machte. Außerdem ist er Oberhausener, also praktisch ein Junge aus der Nachbarschaft. Katholisch zwar, aber auf angemessen verquälte, verschwurbelte und mit Gott hadernde Art.  Theater-Leute haben ja oft Sinn fürs Katholische, wg. der visuellen Unterhaltungswerte. [Es mag ein reichlich schlechtes Licht auf mich selbst werfen, wenn ich bekenne: Ich persönlich fands auch gut an ihm, daß ein unangepaßter, schräger Intellektuellenvogel ausnahmsweise mal nicht schwul war…] Außerdem hat er eine unsentimentale, denkwürdige Theater-Arbeit mit Behinderten und Kranken gemacht, ohne diese für seine eigene Reputation auszubeuten. Also weder Zyniker noch affiger Gutmensch: Gar nicht so einfach, sich da hindurchzulavieren! Kurzum: Nervig manchmal, okay, aber unterm Strich für mich sicher einer von den Guten!

Aber nun zum Aber. Schlingensief (47) ist krank, todkrank. Lungenkrebs. Ein Lungenflügel wurde schon entfernt, im anderen gibts Metastasen. Gut möglich, daß Christoph Schlingensief bald stirbt. Nach schwerer OP und Chemo sieht er schon ziemlich scheiße aus, er ist bleich, hat tiefliegende brennende Augen und er weint viel – und zwar häufig und gern vor laufenden Kameras. Der habituelle Selbst-Inszenierer hat es für gut befunden, seine höchst privaten Schmerzen, seine Ängste, seine Verzweiflung und sein Elend vollrohr öffentlich auf alle erreichbaren Bühnen (TV, Print-Medien, Buch) zu kotzen. Schonungslos, ungefiltert, nicht ohne Larmoyanz und Peinlichkeit. Was mich ärgert: Meine Neugier ist noch immer größer als meine Geschmackserziehung zuläßt: Ich habe Christoph Schlingensiefs gestern erschienenes Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ gekauft und gelesen – und ich bin unangenehm berührt.

Natürlich möchte ich niemandem vorschreiben, noch nicht einmal bewerten, wie sich jemand zu Krankheit und Tod stellt, wenn er selbst davon betroffen ist. Nach meinem Eindruck machen es die meisten Menschen mehr oder weniger still ab, mit sich, der Familie, ein paar Freunden, wenns hochkommt. Man zieht sich zurück aus dem Trubel und leckt seine Wunden stilvoll, wie ein kranker Wolf oder ein alter Indianer. Kaum einer, den ich je kannte, rannte, als er erkrankte, laut schreiend durch die Straßen auf den Marktplatz, um dort eine Bühne zu erklimmen, sich in der Raserei hiobsmäßiger Verzweiflung die Haare zu raufen, das Hemd zu zerreißen und mit blutiger Brust hinauf zum Himmel zu schreien: „Gott! Warum nur! Warum ich? Warum jetzt schon?“ Da ich, obwohl ein alter zauseliger Emo, der auf Beerdigungen immer als erster losflennt, dennoch ein etwas herzloses Verhältnis zum Tod habe, ist es mal gut, daß ich nicht Gott bin, – ich würde dem Schreihals und kleinen Häwwelmann nämlich kühl antworten: „Ja – was? Warum nicht du? Und wann, wenn nicht jetzt? Wann wäre es denn genehm?“

Mein Problem mit Schlingensiefs Selbstentblößungen betrifft nicht so sehr die „Tyrannei der Intimität“, also die Tatsache, daß er dem Zeitgeist entsprechend offensiv, ja brutal mit dem herumtratscht, was besser privat bliebe (ich führe auch nicht gern Wartezimmergespräche mit Senioren, die ihre mehr oder weniger fiesen Krankheiten zum Lebensinhalt machen – ich find mich selbst schon eklig genug!), – sondern daß er es offenbar für extrem ungerecht hält, daß er todkrank ist – wo er doch noch so viel vorhatte! Er will, er will, er will! doch noch so viel: Pizza essen gehen, heiraten, Kinder zeugen, im Fiebersumpf von Kamerun ein Opernhaus bauen (echt! im Ernst! Ein Schlingensief muß doch „Spuren hinterlassen“!), nachdenken, herausfinden, wer er ist, und weiß der Teufel noch, was alles. – Ja und? Wessen Problem ist das? Ohne wen hat er denn da seine Rechnungen und Pläne gemacht? Wenn Orientalen muselmanischer Richtung persönliche Zukunftspläne, und sei es nur ein Wirtshausbesuch am nächsten Tag, verabreden, flechten sie immer ein: Inşallah! Was so viel heißt wie: Falls mir nicht Gottes Hand dazwischen funkt und mich arme Eintagsfliege vorher auf die Tischplattte klatscht. Damit ist, Gottesglaube hin oder her, nämlich allezeit und immer zu rechnen, da wir, und zwar wir alle, eben ausnahmslos sterblich sind. Und ziemlich empfindlich. Wir gehen halt leicht kaputt. Auch wir ganz besonderen Menschen, wir Künstler, Gelehrte, Schönheiten und Daseins-Adlige, auch wir Ausnahmebegabungen, Genies und Unverzichtbare … selbst wir, ohne die die Welt kaum noch Grund hat, sich weiterzudrehen, werden sterben, und zwar, wie man so sagt: früher oder später.

Der Tod ist in unserer Geselschaft nahezu das einzige, was gerecht verteilt ist: Er ereilt jeden, und die meisten zur Unzeit. Aber was heißt das, Unzeit? Wer will das beurteilen? Wann ist es genug? Schließlich gibt es auch Menschen, die die Zeit zum Sterben versäumten: Nietzsche, der stolze Verherrlicher der Gesundheit und Souveränität, starb nach elenden, demütigenden Jahren als dementer Pflegefall. Walter Jens, der einst so brilliante, intellektuelle Rhetoriker ist jetzt das, was er auf keinen Fall werden wollte: ein in Windeln liegender, hilfloser greiser Alzheimer-Patient ohne Verstand. 

Die alten Griechen priesen diejenigen glücklich, die im Vollbesitz ihrer Kräfte, in Schönheit und mitten im Kampf aus dem Leben gerissen wurden. So dumm war das nicht. Weder Dummheit noch Fanatismus kann man auch den stillen Betrachtungen nachsagen, die der ehrwürdige Mönch Yoshida Kenkô dem Thema widmete:

„Wie die Ameisen scharen sie sich zusammen, eilen nach Ost und West, laufen nach Nord und Süd. Menschen von hohem und niederen Stande, Alte und Junge haben ein Ziel und haben ein Haus, in das sie heimkehren; abends gehen sie schlafen, und am Morgen stehen sie auf. Aber was treiben sie denn? Sie sehnen sich nach einem langen Leben, und sie streben unaufhörlich nach Gewinn. Welches Glück erwarten sie denn, während sie sich so plagen? Nichts als Alter und Tod stehen ihnen bevor, und sie kommen schnell, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Worüber freuen sie sich etwa, während sie auf Alter und Tod warten? (…) Dumme Leute jammern über Alter und Tod. Sie möchten, daß alles ewig währe, und sie wissen nichts von dem Gesetz der Hinfälligkeit alles Irdischen.“ [Yoshida Kenkô, „Betrachtungen aus der Stille„]

Man kann etwas lernen – ohne sich moralisch über andere erheben zu wollen. Ich tadele Schlingensief nicht. Wir überaus Mitteilungsbedürftige und Ausdruckssüchtige sind alle ein klein wenig narzißtisch gestört. Schlingensief, seit 25 Jahren daran gewöhnt, um sich und seine diversen Drolligkeiten maximalen Medien-Wind zu machen, Provokationen zu säen und öffentiche Aufmerksamkeit zu ernten, mit extra viel Theaterdonner irgendwelches Gekasper und post-Beuys’sches Sozialgemache anzuzetteln; gewöhnt auch daran, 24 Stunden am Tag auf erleuchteten Bühnen, vor laufenden Kameras und offenen Mikrophonen zu leben; begierig danach, den eigenen Namen täglich landauf landab, von Burma bis Bayreuth genannt zu hören; gesalbt, geölt und zu heiß gebadet in den Wassern massenmedialer Aufmerksamkeit – kann wohl gar nicht anders. Er will, wie Jean-Baptiste Molière, unbedingt auf offener Bühne, vor Publikum sterben. Seinen privaten Tod als Schaustück inszenieren. – Mein Gottt, soll er. Wir werden ihm den Applaus nicht verweigern, nur …

… das Tao des guten, bescheidenen Abschieds geht anders. Stiller Rückzug will rechtzeitig geübt werden. Für die Anhänger des Tao im japanischen Mittelalter war das nicht nur eine ethische, vielmehr noch eine ästhetische Frage.

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Zen-Garten: Die Welt ist auch schön, wenn wir weg sind!

 

 

 

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