Menschen kommen und gehen en passant wieder; manche begleiten einen ein Weilchen. Der einzige, mit dem man sein Leben lang zusammengepfercht bleibt, ist man selbst. Da stellt sich natürlich, wenn der erste Zauber der Verliebtheit verflogen ist, leicht Langeweile und Überdruss ein: Man kennt sich, durchschaut sich, man ödet sich an und verabscheut sich, oft zudem mit gutem Grund. Dem Selbst-Ennui lässt sich aber vorbeugen, indem man sich immer einmal wieder überrascht – etwa durch radikale Inkonsequenz. Konsequenz wird, ähnlich wie Logik, zumeist weit überschätzt. Konsequent sind Zwangsneurotiker, Selbstmordattentäter und Betreiber russischer Inkasso-Büros. Leute, die von einem Konsequenz verlangen, wollen auch, dass man „immer ganz der alte“ bleibe und kapriziöse Widersprüchlichkeiten gefälligst unterlasse. (Wie in der Bibel: „Deine Rede sei ja, ja, nein, nein“. – Und keinesfalls „ja aber“, „jein“ oder „mal sehen…“!) Das sind übrigens dieselben Leute, denen man Ironie generell durch Zwinker-Smileys anzeigen muss.
Zu meinen sorgfältig gepflegten Inkonsequenzen gehört, mich über Kleinigkeiten aufzuregen, die mich definitiv nichts angehen, ja, gegen die ich eigentlich gar nichts haben dürfte. Für mich gehört solche Reizbarkeit zu den Symptomen ungebrochener Vitalität; die Gattin meint, dies sei eher ein Anzeichen cholerischer Sklerose oder schleichender nörgelrentnerischer Verspießerung. Wie dem auch sei, ich bin zum Beispiel „eigentlich“ ein passionierter Drogen-Freund. Ich kapriziere mich auf die Überzeugung: Drogen sind eine zweifellos gute Gabe Gottes oder zumindest ein Geschenk der Natur, verfeinert durch kunstreich angewandte Chemie und menschlichen Erfindungsreichtum. Ohne Drogen wäre m. E. die Menschheit längst ausgestorben, weil wir einander ohne gezielte Bewusstseinseintrübung gar nicht ertragen würden. Wer nähme schon die monotone, schmutzige und unbelohnte Arbeit des Existierens auf sich, gäbe es keine Substanzen, mit denen man sein Belohnungssystem kitzelte? Was spricht also gegen Drogen – außer der erzverlogenen, durch und durch verheuchelten, im tiefsten Grunde zynisch-verdorbenen Drogen-Politik unseres Landes? – So anarchisch und geradezu subversiv ist mein Überzeugungshaushalt gestrickt! Einerseits.
Denn warum echauffiere ich mich dann aber andererseits dermaßen über den frappierend schwungvollen Drogenhandel, der seit vier Wochen direkt vor meiner Haustür offensichtlich aufs Glänzendste floriert? Und dann noch in meiner ehemaligen Stammkneipe! Normalerweise schaue ich, wie es sich für einen Weltmann gehört, diskret beiseite, wenn Mitbürger lässliche Gesetzwidrigkeiten begehen. Bin ich denn Ethik-Kommissar? Schwarzfahrer, Mundräuber, Ladendiebe und sogar Vor-den-Augen-von-Kindern-bei-Rot-über-die-Ampel-Geher haben von mir nichts zu befürchten. Ich liege auch nicht den lieben, langen Tag im Fenster und schreibe Falschparker auf.
Allerdings verlange ich aus ästhetischen Gründen, dass Verstöße gegen die Öffentliche Ordnung und das Strafgesetzbuch diskret und dezent vonstatten gehen. Ostentativ und impertinent zur Schau getragene Kriminalität behagt mir nicht; sich damit zu brüsten, ein Tunichtgut zu sein, finde ich geschmacklos. Ich mag auch keinen Gangsta-Rap. Ebenfalls überwiegend ästhetisch motiviert ist meine latente Abneigung gegen Männer vom Typ „extrem schmieriger Schiffschaukelbremser“, vor allem, wenn sie hordenweise auftreten und uniformiert sind (Glatze, schwarze Ballseidenhose mit drei weißen Längsstreifen, im Winter Kunstlederblouson). Bin ich eventuell doch ein bisschen Rassist? So klammheimlich, tief in der Mördergrube meines Herzens? Würde ich mich weniger mopsen, wenn der Drogen-Handel in wurzeldeutschen Händen läge? Oder bin ich hochnäsig, nur weil ich meine Rauschmittel beim französischen Weinhändler kaufe und nicht in der bulgarischen Drogerie-Spelunke? Das glaube ich eigentlich nicht. Aber bei meiner Inkonsequenz weiß man natürlich nie.
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