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Konsequent inkonsequent (Text mit Zwinker-Smiley)

23. Juni 2011

Menschen kommen und gehen en passant wieder; manche begleiten einen ein Weilchen. Der einzige, mit dem man sein Leben lang zusammengepfercht bleibt, ist man selbst. Da stellt sich natürlich, wenn der erste Zauber der Verliebtheit verflogen ist, leicht Langeweile und Überdruss ein: Man kennt sich, durchschaut sich, man ödet sich an und verabscheut sich, oft zudem mit gutem Grund. Dem Selbst-Ennui lässt sich aber vorbeugen, indem man sich immer einmal wieder überrascht – etwa durch radikale Inkonsequenz. Konsequenz wird, ähnlich wie Logik, zumeist weit überschätzt. Konsequent sind Zwangsneurotiker, Selbstmordattentäter und Betreiber russischer Inkasso-Büros. Leute, die von einem Konsequenz verlangen, wollen auch, dass man „immer ganz der alte“ bleibe und kapriziöse Widersprüchlichkeiten gefälligst unterlasse. (Wie in der Bibel: „Deine Rede sei ja, ja, nein, nein“. – Und keinesfalls „ja aber“, „jein“ oder „mal sehen…“!) Das sind übrigens dieselben Leute, denen man Ironie generell durch Zwinker-Smileys anzeigen muss.

Zu meinen sorgfältig gepflegten Inkonsequenzen gehört, mich über Kleinigkeiten aufzuregen, die mich definitiv nichts angehen, ja, gegen die ich eigentlich gar nichts haben dürfte. Für mich gehört solche Reizbarkeit zu den Symptomen ungebrochener Vitalität; die Gattin meint, dies sei eher ein Anzeichen cholerischer Sklerose oder schleichender nörgelrentnerischer Verspießerung. Wie dem auch sei, ich bin zum Beispiel „eigentlich“ ein passionierter Drogen-Freund. Ich kapriziere mich auf die Überzeugung: Drogen sind eine zweifellos gute Gabe Gottes oder zumindest ein Geschenk der Natur, verfeinert durch kunstreich angewandte Chemie und menschlichen Erfindungsreichtum. Ohne Drogen wäre m. E. die Menschheit längst ausgestorben,  weil wir einander ohne gezielte Bewusstseinseintrübung gar nicht ertragen würden. Wer nähme schon die monotone, schmutzige und unbelohnte Arbeit des Existierens auf sich, gäbe es keine Substanzen, mit denen man sein Belohnungssystem kitzelte? Was spricht also gegen Drogen – außer der erzverlogenen, durch und durch verheuchelten, im tiefsten Grunde zynisch-verdorbenen Drogen-Politik unseres Landes? – So anarchisch und geradezu subversiv ist mein Überzeugungshaushalt gestrickt! Einerseits.

Denn warum echauffiere ich mich dann aber andererseits dermaßen über den frappierend schwungvollen Drogenhandel, der seit vier Wochen direkt vor meiner Haustür offensichtlich aufs Glänzendste floriert? Und dann noch in meiner ehemaligen Stammkneipe! Normalerweise schaue ich, wie es sich für einen Weltmann gehört, diskret beiseite, wenn Mitbürger lässliche Gesetzwidrigkeiten begehen. Bin ich denn Ethik-Kommissar? Schwarzfahrer, Mundräuber, Ladendiebe und sogar Vor-den-Augen-von-Kindern-bei-Rot-über-die-Ampel-Geher haben von mir nichts zu befürchten. Ich liege auch nicht den lieben, langen Tag im Fenster und schreibe Falschparker auf.

Allerdings verlange ich aus ästhetischen Gründen, dass Verstöße gegen die Öffentliche Ordnung und das Strafgesetzbuch diskret und dezent vonstatten gehen. Ostentativ und impertinent zur Schau getragene Kriminalität behagt mir nicht; sich damit zu brüsten, ein Tunichtgut zu sein, finde ich geschmacklos. Ich mag auch keinen Gangsta-Rap. Ebenfalls überwiegend ästhetisch motiviert ist meine latente Abneigung gegen Männer vom Typ „extrem schmieriger Schiffschaukelbremser“, vor allem, wenn sie hordenweise auftreten und uniformiert sind (Glatze, schwarze Ballseidenhose mit drei weißen Längsstreifen, im Winter Kunstlederblouson). Bin ich eventuell doch ein bisschen Rassist? So klammheimlich, tief in der Mördergrube meines Herzens? Würde ich mich weniger mopsen, wenn der Drogen-Handel in wurzeldeutschen Händen läge? Oder bin ich hochnäsig, nur weil ich meine Rauschmittel beim französischen Weinhändler kaufe und nicht in der bulgarischen Drogerie-Spelunke? Das glaube ich eigentlich nicht. Aber bei meiner Inkonsequenz weiß man natürlich nie.

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Ein kurzes Lob der Inkonsequenz

15. Juni 2009
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Konsequent inkonsequent: Echthaarperücken für die Orthodoxie

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Jehovas Liebling: Wuschelbrünett

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Please, call me Eve: Blondes Gift

ORTHODOXE ECHTHAARPERÜCKEN BOOMEN: KONSEQUENZ MELDET INSOLVENZ AN!

Jemand bemängelte, ich hätte mich mieselsüchtig über das Reisen geäußert, sei aber selber nach Wien gefahren, in die Sommerfrische. Erwischt! Touché! Nun könnte ich das zwar erklären („Es ist nicht, wie Ihr denkt! Ich kann alles erklären!“), aber das klänge ungut nach Rechtfertigung, und wir sind ja hier nicht beim Plenum der GRÜNEN oder wo. Nö, aux contraire: Ich werde gleich wieder frech und behaupte neuerlich wenig Konsensfähiges: Wenn ich eines nicht ausstehen kann, außer Geiz, dann ist  es … Konsequenz! Präziser: eigentlich gar nicht mal Konsequenz als solche, sondern ihre Erhebung zur Tugend.

Ohne Inkonsequenz wären wir längst verloren: Konsequent geht die Welt zugrunde. Konsequent ist ein Wort mit lateinischem Migrationshintergrund und heißt zu deutsch eigentlich bloß: folgerichtig. Dies wiederum meint halbwegs: in seinen Handlungen den Gesetzen bzw. Schlussregeln der Logik folgend. Und was soll nun daran gut sein? Die Welt, Freunde, das Leben, das sog. Dasein oder die Realität: Nichts davon ist logisch! Das meint vielleicht Professor Dr. Oberreiter aus Unterföhring, der uns in einem Leserbrief mitteilt, seines akademischen Wissens nach sei ja wohl A = A, es gelte doch der Satz vom Widerspruch und der vom ausgeschlossenen Dritten auch?! Ja, Pustekuchen! Mögen die Hirnwindungen eines deutschen Geisteswissenschaftlers auch rechtwinklig sein, die Quartiere und Straßen der Existenz sind es nicht! Im Leben ist A gar nicht immer gleich A, und der ausgeschlossene Dritte wartet im Schrank, bis der Ehemann wieder zur Arbeit ist!

Die Menschen sind eh nie konsequent. Da liebt einer sein Gespons, ist aber garstig zu ihm, oder ihr. Da weiß einer, das Rauchen zerrüttet das Organische, und qualmt doch wie ein Schlot, weil Gott ihm wohl gesagt hat, die Welt sei heute ausnahmsweise ein Raucherclub. Da sagt Hinz zu Kunz, er haue ihm gleich aufs Maul – tut es aber gottlob dann doch lieber nicht, und die Wirthausschlägerei ist mangels Konsequenz abgesagt.

Ich spiele hier bewußt ans Militärische an, denn Konsequenz scheint mir auf dem Gebiet von Oberbefehlshabern und Staatsgewalttätern bevorzugt zu siedeln. Hitler war konsequent, Stalin oder Mao. Mir sind Staatsmenschen letztlich lieber, die ein wenig herumeiern, wie Frau Dr. Anke Merkel oder dieser eine von der SPD, der immer guckt wie eine verschlafene Eule, wenn’s tagsüber donnert. Solche Leute sind wie Du und ich, sie schließen Fitness-Center-Verträge ab und gehen dann nicht hin, sie machen Brigitte-Diät und belohnen sich dafür mit Käsekuchen, sie lassen das Kondom mal weg, weil, wer so schöne grüne Augen besitzt, der hat doch kein Aids! Kurzum, man kennt die Regeln, findet sie auch gut, aber vor allem findet man: „Ab und zu ist auch mal was egal!“ – Und das ist zufällig die Maxime der Lebemänner, Bonvivants, ja sogar der savoir-vivre-Experten in Brüssel!

Warum soll ich denn etwas nicht doof finden dürfen, und es dann trotzdem tun? Bin ich denn etwas Besseres? Jahrzehntelang bin ich beispielsweise Exemplaren des weiblichen Geschlechts nachgelaufen, von denen ich wusste, sie sind entweder unerreichbar oder, wenn erreichbar, dann nicht gut für mich. Hörte ich deswegen etwa auf, zu hofieren, zu antichambrieren oder meinen Minnedienst abzuleisten?

„Det is aba jezze inkonsequent, Sie!“ – Ja, und? Oder: so what? Nur Menschen mit einer gewissen Inkonsequenzkompetenz kommen im chaotischen Zickzack-Kurs des täglichen Wahnsinns einigermaßen ans Ziel. „Deine Rede sei Ja, Ja und Nein, Nein“ heißt es, glaub ich, in Luthers oller Bibel, aber da steht auch, daß Reiche nicht ins Himmelreich kommen, weswegen aber kaum ein Auto-Manager, Kaufhaus-König und Immobilien-Schlawiner gleich seine Kohle für Bedürftige spendet. (Weswegen meine Rede auch zumeist „Jein“, „eventuell schon auch“ oder „das ist viel komplizierter, als du glaubst“ lautet.)

Religion und Konsequenz, das ist auch so eine verhängnisvolle Affäre.  Mir scheinen – aber bitte! Das ist nur eine ganz persönliche Ansicht, die nur bis heute abend gültig ist! – die geistig Gelenkigsten unter den Weltreligiösen noch die Juden zu sein. Jedenfalls sind sie die einzigen, deren Gott einen gewissen Humor besitzt und sich von seinen Anhängern auch schon mal ein wenig beschummeln und betuppen läßt, wenigstens wenn es stimmt, was man mir aus New York erzählt. Auch dort gilt, bei orthodoxen Juden, das Gebot, die Frauen möchten, bittschön, in der Öffentlichkeit ihr Haupthaar nicht herzeigen. Das ist nebbich auch wieder so ein doofes Gesetz, dessen Befolgung einen keinen Schritt weiter bringt. Was tun nun aber die orthodoxen Jüdinnen von New York? Tragen sie Tschador, Burka oder Türban? Verstecken sie sich unter blickdichten Schonbezügen? Keine Spur! In den entsprechenden Vierteln der Orthodoxen blühen dagegen Perückengeschäfte, in denen das zumeist von Inderinnen stammende Echthaar zu aufregenden Frisuren getrimmt wird – und DAS setzen sich die Damen auf den Kopf, denn es heißt in der Tora ja bloß: Zeige DEIN Haar nicht her in der Öffentlichkeit, auf daß kein Nächster gereizt werde, dich zu begehren!

Gesetze durch elegantes Unterlaufen derselben zugleich zu befolgen und auch wieder nicht: Das nennen wir intelligentes Verhalten. Kann sein, der liebe Hergott Jehova hat sich gedacht, er legt seinem ausgewählten Volk mal grad deswegen ein paar hundert komplett meschuggene Ge- und Verbote auf, „damits a bisserl mehr Intelligenz im Durchlavieren entwickeln. Brauchen derfen werdens des schon noch!“ Der brave Soldat Schweijk hat den Krieg ja nicht deshalb überlebt, weil er Befehlen widersprach, sondern weil er sie bis zur letzten absurden Konsequenz befolgte.

Kann aber auch sein, die Geschichte mit den Perücken, die ich aus zweiter Hand habe, stimmt gar nicht und gehört zu den urban myths, zu deren Verbreitung ich unwillentlich beitrug. Dann übernehme ich die Verantwortung und ziehe die Konsequenzen!