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Keine Ahnung (Dim Sum)

1. November 2009
Dimsum_breakfast_in_Hong_Kong

Dim Sum (Quelle: Wikipedia). Die Bälle rechts hab ich auch gegessen!

Die Seuche ist wohl am Abklingen. Aber es ist noch nicht lange her, daß Teenies bei uns eine sonderbare verbale Epidemie mit sich herumschleppten: den Keine-Ahnung-Virus. Jeder geäußerte Satz mußte mindestens dreimal von dieser sinnfreien Floskel unterbrochen werden. Das ging etwa dann so, über das Outfit einer Lehrerin: „Also voll krass irgendwie so, ich finde, keine Ahnung, also wo die ihre Klamotten her hat, keine Ahnung, aber das ist so voll daneben, wie die rumläuft, ich glaub, keine Ahnung, die ist Zeuge Jehova oder was, echt, keine Ahnung, aber…“. Lustig war dies insbesondere, weil das Jungvolk dieser Altersklasse sich ja tatsächlich zumeist durch eine erfrischende, aber auch umfassende Ahnungslosigkeit auszeichnet. Im Laufe des Lebens versucht man dann später, bestenfalls, den mitgebrachten Berg von Ahnungslosigkeit abzuarbeiten.

Eine meiner persönlichen Ahnungslosigkeiten betrifft das tiefere Geheimnis ostasiatischer Kulinarik. Obschon ich mich für vergleichsweise weltläufig halte und daher bereits unerschrocken allerhand jenseits meines Tellerrandes Gelegenes genascht habe, blieb ich in dieser Hinsicht doch ein staunender Provinzler. Zwar weiß ich (ein beträchtlicher Teil meines Weltwissens stammt aus dem Fernsehen oder der Presse!), daß man beispielsweise in China gar nicht „A17“ oder „C75“ speist, sondern eher gedämpfte Hühnerfüße, Klöpschen aus gehackten Rindersehnen, Entenzungen oder delikates Wasserkastanien-Gelee an gebackenem Schweinedarm; man knuspert in Wahrheit gar keine ledrig-fasrigen, mit Ananas und Bambus versetzten Ententeile aus Styropor-Kartons, sondern lieber knackigfrische Röstkakerlaken aus Thailand, seltsam „schwarze“, irgendwie verweste Eier, ferner auch Fischkopf-Tofu aus Hainan oder man streut sich gleich gänzlich Undefinierbares oder köstlich Unaussprechliches über die mandschurischen Reisnudeln!

Jahrzehnte blieb mir all dies, trotz xenophiler Aufgeschlossenheit, ein Buch mit sieben Siegeln bzw. acht Kostbarkeiten. Wenn Metropolitiker aus Hamburg und Berlin lässig über die besten Dim-Sum-Läden der Stadt parlierten, fühlte ich mich ausgeschlossen, und drückte, die gelbe Gefahr des Neides mühsam herunterschluckend, mir gleichsam an der harten Glasscheibe meiner Unkenntnis die Langnase platt.

Ob daß FOK MON LOU mir nun meine lukullischen Bildungslücken stopft? Keine Ahnung. Visavis vom Spielcasino, in der Kneipe, die früher „Im Büro“ hieß, dann eine Pizzeria war, zwischendurch als „Kongreß-Stübchen“ firmierte und dann leer stand, haben jetzt Chinesen aus Malaysia ein kleines einfaches Restaurant eröffnet. (Ich habe überhaupt das Gefühl, allein chinesische Entrepreneurs lassen sich von der allgemeinen Krisendepression nicht unterkriegen – die unternehmen noch was!) Das gemischt rustikal-germanische und italo-indonesisch-mediterran-niederrheinische Ambiente unterm gemütlichkeitsabweisenden Neon-Himmel verleiht dem Etablissement den globalisierten Charme planetarischer Beliebigkeit:  Während man herinnen seine Acht Undefinierbarkeiten löffelt bzw. stäbelt, mag draußen Mumbay sein, Kuala Lumpur oder Singapoore, es ist egal. Man fühlt sich wie in einer interstellaren Raststätte an der Daten-Autobahn. Per Anhalter durch die Galaxis!

Die unternehmerische Zuversicht der Betreiber drückt sich zuweilen in den Speise-Namen aus: Wer Appetit hat, kann „Gute Zukunft“ bestellen, den Feuertopf „Wahre Liebe“ oder den „Ball der Hundert Blumen“. Größere Kenner als ich bekommen vielleicht glänzende Augen, wenn sie hören, daß man sich auch auf „Chau-Fan nach Yuen-Chow Art“ versteht, „Mui-Choi-Kau mit Mui-Choi“ anbietet und „Chau-Ho à la Hong Kong“ zubereiten kann. Eine fulminante Liste exotischer Dim-Sum-Köstlichkeiten wird – erstmals in unsrer Stadt! – auch empfohlen. Neben den erwähnten Entenzungen, Schweinedärmen und Hühnerfüßen darf der Liebhaber durchaus Ungewohntes kosten: Rettichkuchen mit Räucherfleisch, Saures Gemüse im Schweinemagen, frittierte Seetang-Röllchen oder Lauchgemüse mit Schweineblut. Mmmh, lecker, vielleicht. Die Portionen sind durchweg üppig, preiswert und, was mich irritierte, überwiegend sehr fett. Muß das so? (Keine Ahnung!)

Das Personal ist flink, höflich und zuvorkommend. Dem wissbegierigen Westler steht man nach Kräften Rede und Antwort. Ich hatte unter anderem so Klößchen aus zerkleinerten Rinderbestandteilen, die frappierend nach chloriertem Fichtennadel-Badeschaum schmeckten. Meine Frage, womit man es da denn wohl zu tun hätte, beschied man mit dem geheimnisvollen Lächeln Asiens und einem geflüsterten „sin chinesisch Kräuterrh“. Je nun, immerhin, so in etwa hatte ich auch schon vermutet.

Im übrigen serviert man einen hervorragenden, soliden, perfekt temperierten deutschen Grauburgunder zum Rätsel-Mahl. Wenn Gäste anwesend sind, was im Gegensatz zu anderen China-Restaurants in Duisburg durchaus vorkommt, handelt es sich des öfteren um Original-Chinesen. Das will mir als ein gewisses Authentizitäts-Merkmal vorkommen. Aber was weiß ich schon? Des Chinesischen nicht mächtig, könnte man mir auch weis machen, FOK MON LOU hieße: „Ich habe keine Ahnung“.

 

 

 

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