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Aus Hölderlins Papierkorb

10. August 2012

Oh so heilig-nüchtern der Blick des Greises auf
Die Jugend: Wie sie geht und sich bewegt, die Haare fönt und
Sich im Tanze dreht, des reschen Leibes Schönheit im Genusse
Pflegt und von sich selbst die höchste Meinung hegt und es
Schwant der glatten sorgenfreien Stirn noch kein Verdruss:
Still ruht von Zweifeln bar das Hirn –
Haupt und Alabasterknie aus lautrem Marmor und mondenrund.

Von den sauren Mühn des Sports aber wissen sie nichts und noch
Aller Diäten ledig schwingt sich des Lebens große Feier unbeschwert
Von Ast zu Ast und singt den Jubel des Vogel-Seyns: frei! Frei
Will ich sein und vor allem ein Ich! das wie Narziss im Sommerloch
Gähnend mit sich selbst verkehrt, in seinem Nabel bohrt und unbelehrt
Vollkommen ist wie Spiegelei.

Seinesgleichen sucht aber der Abend am Samstag. Der Götter Glocken
Rufen zur Party, lockender Nektar schäumt und die fromme Mutter spendet
Nudelsalat zu laben die strotzenden Glieder der Lieben – ihr Frohlocken
Und Jauchzen ist Lohn genug für das Hudeln am Herde, denn es wendet
Doch immer alles zum Wahren und Guten sich, worauf von Ferne zärtlich
Der sanfte Blick der Mutter ruht: Auf den satten Wiesen

Weiden unter ihrer klugen Hut die Herden wohlgenährter Kinder, die
Kugeldumme, herrliche Brut der Tugend: Jugend, du …

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Abwesenheitsnotiz, mit guten Zitaten

31. August 2011

Hier geht es evtl. rund! Kraska ist moseln...

Es gilt unter Kennern nicht gerade als untrügliches Zeichen geistigen Überfliegertums, sich über das Wetter zu beklagen, ich weiß. Es wäre so, als wollte man über die Gravitation jammern, was ich aus schwergewichtigen Gründen zwar im Stillen auch manchmal tue, aber es ist halt dieses Allerweltslamento doch von so eklatanter Sinnlosigkeit und ein derart plattes Klischee, dass man gute Erziehung und korrekt gebügelte Lebensart eher dadurch unter Beweis stellt, dass man mit einem mild stoischen Lächeln über die unvermeidlichen Unbill des Erden-Daseins hinweg geht. Vielleicht ist es ein Vorurteil, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein britischer Gentleman jemals über das Wetter spricht. – Freilich gibt es zu jedem einer- auch ein andererseits.

In dem Film „Willkommen Mr. Chance“ (im Original: „Being there“), einem meiner zehn Lieblingsstreifen aus den späten  70ern, die ich  einst in Cihcago, Illinois, im Kino sah oder sehen und entziffern durfte (war ohne Untertitel!), spielt der legendäre Peter Sellers in einer seiner letzten Rollen einen tumben Einfaltspinsel von Gärtner, der nur eine Weisheit beherrscht: „Well, first there is spring, then you’ll have summer, which just follows autum, and after that – winter. Then spring again“. Diese Binsenweisheits-Worte spricht er aber mit solchem Ernst und so großer Emphase, dass alle Welt denkt, er meint das bestimmt irgendwie metaphorisch und als sibyllinische politische Anspielung; man hält es für ein Statement über Ökonomie und Marktzyklen, lädt ihn in TV-Talkshows ein und am Ende wird er damit Präsidentschaftskandidat in den USA. Damals eine super Satire, würde der Film heute nicht mehr funktionieren, weil die Behauptung, dem Frühling folge der bzw. ein Sommer, nicht mehr als Binsenweisheit gilt, sondern als heikle, unsichere und höchst umstrittene Prophezeiung.

Das Blöde ist: Ich bin Sternzeichen Salamander, von der Physiologie also wechselwarm, und hatte eine längere sonnig-warme Phase fest eingeplant, um leichtblütig über die bevorstehende Herbst- und Winterdepression zu kommen. Stattdessen regnete es mir monatelang kühl und herzlos ins Hirn. (Wer sich Sorgen um mich machen will, sollte es JETZT tun, bitte. – Vielen Dank, sehr freundlich.) Die Depression erhebt ihr träges Haupt. Bang deklamiere ich für mich den armen Hölderlin: „Weh mir, wo nehm ich, wenn
/ Es Winter ist, die Blumen, und wo
/ Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde?
/ Die Mauern stehn
/ Sprachlos und kalt, im Winde
| Klirren die Fahnen.“ So sieht es doch aus! Vor lauter Fahnenklirren und Blumenvermissen ist mir schon jetzt ganz blümerant zumute.

Erstaunlicherweise war es der große Elisabethanische Unterhaltungsschriftsteller, theatralische Räuberpistolen-Dichter und Prophet William Shakespeare, der meinen Zustand vorausahnte, als er seinen Narren („Was ihr wollt“) folgenden Singsang anstimmen ließ: „Und als der Wein mir steckt’ im Kopf / Hopheisa, bei Regen und Wind! / Da war ich ein armer betrunkener Tropf; / Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.“ – Yes, Sir, so kann man es ausdrücken! Hier im Westen regnet in der Tat der Regen jeglichen Tag. Erst war er warm, der Regen, dann fröstelig kühl, jetzt wird er schon empfindlich kalt. Ich will nicht übertreiben, aber – ist schon mal jemand am Wetter gestorben? Darauf ankommen lassen werde ich’s grad nicht, Freunde – weshalb ich zu einem verzweifelten Mittel greife: Obwohl ich diese Tätigkeit perhorresziere: Ich reise! Und zwar ab!

Bloß an die Mosel zwar nur, und lediglich ein paar Tage, weswegen die Gattin schon ätzt: „Das wird bestimmt mehr so’n Rentnerurlaub!“ – Sicher, doch „immerhin“, repliziere ich schlagfertig, „wandern wir noch nicht durch den Harz, du mit blauem Popeline-Blouson und ich in straff gebügelter beiger Anglerweste!“ Kann nichts schaden, der Gattin schon mal die eheliche Zukunft auszumalen; die stillen Tage im Alzheim.

Wenn also hier einige Tage nichts Neues unter der Sonne (Ha!) erscheint, dann, weil ich moseln gefahren bin. Entweder herrscht dort eitel Sonnenschein, oder ich stecke mir enorme Mengen Wein in den Kopf. Vielleicht, begeisterungshalber, auch beides. Danach habe ich mit Sicherheit SAD („seasonal affective disorder“), wofür zumindest die Klassiker noch angemessenes Verständnis hatten. Wenn ich es irgendwie vermeiden kann, werde ich von dem romantischen Moselort keine Fotos machen, keine Klöster und Burgen beschreiben und auf die Belobigung von Restaurants und Weinprobierstuben strikt verzichten. So viel Noblesse muss sein. Indes, falls ich dort, in der Fremde, dem wahren Leben begegne, dann lass ich es von euch grüßen. 

Im Geddo mit Hölderlin

11. April 2011

Grillen im Park: Zwischen Hammel und Himmel

Gang aufs Land

Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute
Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes
Gipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng‘ und die Gassen und fast will
Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.
Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtgläubige zweifeln an
Einer
 Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag.“
(Friedrich Hölderlin)

Ooch, na ja, so schlimm war es dann gar nicht – gar nicht so eng und bleiern, es glänzte sogar, ozonlochbegünstigt, eher „ein Vieles“ vom Himmel, und „leer von Gesange“ ruhte die Luft keineswegs, vielmehr quirilierte und trötete enormes Balkan-Gedudel und Arabesk-Geknödel huldreich vom segensreichen Orient her, bzw. ortsüblich gewordenes fröhliches „Geräusch“: http://cbx.amadyne.net/blog/articles/869/die-welt-wird-doch-untergehen-oder-die-80er-sind-vorbei allenthalben, damit „die Gäng’ und Gassen“ im Geddo nicht schlummern, sondern ausgiebigst nach Heimat klingen, wenn auch nicht eben grad nach der meinigen.

Ich weihte den Sonntag meiner Lust, per Fahrrad durchs Geddo zu patroullieren und hiesige „Rechtgläubige“ zu besichtigen. Im „Offenen“ vulgo kommunal betreuten Park („Grünzug Hochfeld“) knubbelte sich des Volkes dunkle Masse und opferte dem Gott dichte Schwaden verbrannten Hammelfleisches, das fromm zum Himmel stank. Oh dieses Duftes! Ex oriente lux? Mag sein, wesentlicher aber die mobil-transportable olfaktorische Heimat-Tapete. Es gibt da den einen Song von Tom Waits, wo er krächzend behauptet, sein home sei, wo immer er seinen Hut hinhänge. So der Bürger der Neuen Welt. Altwelt-Nomaden haben indes ihr Heim, wo sie das großfamiliäre Grill-Lager aufschlagen; ums Knusperfeuer gelagert genießen sie Tag und Traum, Hammel und Himmel, Lust und Lamm des Frühlings, und versorgen das Viertel mit Atmosphäre.

Zwei stolze Altweltnomaden in typischer Landestracht

Manche Besucher sind enttäuscht, wenn ich ihnen mein Geddo zeige – als Sozialromantiker  stellen sie sich immer einen Slum, ein town-ship oder eine Wellblechhütten-Favela vor und wundern sich dann über Gründerzeit-Häuser, Parks und Baumbestand. Sehen kann man das Geddo in der Tat schwerlich, riechen indessen schon.

War es im Sinne Hölderlins, dieser edlen Seele, dass ich schließlich, betäubt von Spiritus, Holzkohle und Hammelfett, in meinen 15qm-Hinterhof retirierte, um mich, in Begleitung seiner „Vaterländischen Gesänge“, im Duft des dort anwesenden Wilden Flieders zu ergehen? Fast glaube ich das. Eitel Honigseim und Blütennektar umspielte mich im lauen Frühlings-Zephyr, mir wurde in traulicher Idylle ganz wunderlich, ich träumte von anmutsvollen Nymphen und flötenspielenden Hirtenknaben, von deutschem Wald und griechischen Wiesen, mir kam das Begehren an, zu dichten und zu weinen, und zum ewigholden, heimischen Fliederbaum sprach ich: „Komm ins Offene, Freund“ – lass uns da mal gegen an stinken!

Kraskas Lustgarten-Idylle: Taoistischer Bambus, idealistischer Flieder, Mülltonnen-Prosa