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Jour Fixe bei Winterseel (8): Kunstdouble im Blutbusiness

21. Juni 2009
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Enver Konopke (r) in seiner Paraderolle als Hermann Nitsch

KONOPKES JOB

für jou

Die Nachricht schlug im Salon ein wie eine im Gottesdienst geworfene Wasserbombe: Enver Konopke, unser selbsternannter Paradiesvogel, der einmal einen mehrtägigen Schluckauf bei Altlyriker Anatol Blankenvers ausgelöst hatte, indem und weil er sich selbst als „metaphysisch unbehost“ bezeichnet hatte, Konopke also, der unverbesserliche Schnorrer und durch langjährigen Alkoholmissbrauch stark verwirrte (Konopke: „Wieso’n jezz ditte? Missbrauch is höhssens, wennssu dich damit die Füße einreibst!“) Sohn eines preußisch-protestantischen Pedanteriewarenhändlers aus Rixdorf, hatte neuerdings, so mussten wir trotz aller ungläubigen Verblüffung realisieren, einen Job! Einen veritablen Arbeitsplatz! Und zwar, wie er kryptisch per unfrankierter Postkarte mitgeteilt hatte, „im Auslandseinsatz, höheren Orts in der allerobersten Welt-Kunstszene“! Erregt bestürmten wir Frau Geisträtin Mag. Isolde Kobloch-Gumpertting, Winterseels alte Integrierte-Gestalttherapeuttin, Psychoanalytikerin und Holographologin aus Wien, die uns die gute Botschaft mit verschmitztem Lächeln erläuterte: In der Tat sei Konopke, der religiös so hoffnungsfern Verwahrloste, bei einem mehrtätigen Casting auf Schloß Prinzendings als einer von mehreren Doppelgängern eines berühmten, nichtgenanntwerdenwollenden Wiener Malers und para-mystischen Aktionskünstlers engagiert worden!

Ein paar Augenblicksmysterien lang senkte sich eine Stille über den Salon, daß man das räuspernde Knospen, Knispeln und Knobeln von Milliarden Synapsen hören zu können meinte. „Neiiin!“ kreischte es dann, Sven Aaron Mangold, der Einserjurist, war wieder mal der Fixeste, „neiiin! Vom Nitsch? Doch nicht vom Nitsch, oder? Vom Blut-und-Hoden-Nitsch?! Konopke und … Nitsch??!“ Die Wiener Seelenprofessorin schmunzelte mit jenem unnachahmlich unergründlichen Analytiker-Gesichtsausdruck, den sie, dem Ondit nach, noch von Sigmund Freud selbst in mehrjähriger Lehranalyse übertragen bekommen hatte, und schwieg zur beredten Antwort ihr aufmunternd-vorurteilsfreies Ich-höre-Ihnen-zu-Schweigen.

„Wie? Wie’n Wien? Wassn? Wer issnn-ndieser Nnüscht?“ fragte Miss Cutie aufgeregt in die Runde. Sie schnupfnäselte noch, nach ihrer in einer Schönheitsnase mündenden Beauty-OP. Ironischerweise waren es ausgerechnet die Aquavit-Zwillinge, die schon mal einem „Orgien-Mysterien-Theater“-Spiel des berühmten Aktionskaspers Hermann Nitsch beigewohnt hatten. Verstanden hätten sie damals Nitsch nicht, nix, nüschte,  aber es sei sehr sinnenaufpeitschend, mystisch, mythologisch, liturgisch und para-ekklesiastisch, eklektizistisch und sogar auch etwas bemüht pseudo-dionysisch-orgiastisch zugegangen. Oder, um es mehr in der genuinen Ausdrucksweise der Aquavit-Zwillinge zu formulieren: Es war wohl in jeder Hinsicht „eine ziemliche Sauerei“ gewesen, bei dem mit dem Blut und Gedärm einer geschlachteten Sau herumgeschmiert worden wäre und, so Hauke, „so’ne s-plitterfasernackte Christussi hatten sie doa an so’n SM-Kruzifick-Kreuz angebunnen, und die mußte denn so’n ganzen Humpen Schweineblut runnerschlucken…“ – „Bah! Näh, was fürn Schweinkram!“ krakeelte Oma Hager im Brustton tiefsten Angewiedertseins dazwischen. Hinnerk ergänzte noch, man hätte zu dem Spektakel noch „so nebelartige Waber-Klang-Musik-Mansche“ gespielt, „so elektronische Softporno-Musik wie bei ‚Schulmädchenreport’“. (Hauke korrigierte: „Du meinz Emmanuelle Teil III!“)

„Und was hat nun unser Kamerad, der olle bekloppte Konopke, mit diesem Schweinkrämer zu tun?“ brachte Blankenvers die Diskussion wieder auf den Punkt. Nun, dies war rasch erklärt. Originalkünstler Hermann Nitsch sei es seit seinem 70. Geburtstag unendlich leid, überall den impertinent-beleidigenden, unverschämt-anmaßenden, nichtganzvondieserweltseienden Kunst-Naturburschen und Hundsbua zu geben. Das unentwegte Leute-Beleidigen, Kapriziösitäten-Vorgaukeln und Assistenten-Herumschubsen sei ihm in seinem Alter nicht mehr allein zuzumuten! Daraufhin sei die Entourage des Meisterswingers und Profi-Orgiasten auf die Idee verfallen, nach kleinen, drummeligen Opas mit grauem Bart und irrem Blick zu suchen, die evtl. nicht ganz richtig im Kopf, emotional instabil und metaphysisch beschlagen genug seien, um Nitsch an drei Abenden der Festspielwoche überzeugend zu doubeln und zu vertreten. Ende vom Lied: Enver Konopke hatten sie vom Fleck weg genommen und eingestellt! Mit Vertrag, Sozialversicherung und Ausfallgarantie!

Traurigkeitslehrer Arnold Winterseel, wie immer bemitleidenswert fröstelnd in sein schwarzes Samt-Sakko gewickelt, war gerade zur Tapetentür eingetreten, als aus dem Hintergrund eine straffe Sportsdame, die – wenn Fredi Asperger, der mir diese Information steckte, das denn mal richtig verstanden hatte –, als Modezarin firmierte und ihre Abstammung auf etwas undurchsichtige Weise vom finnischen Weihnachtsmann (?!) ableitete, mit einer Frage den verqualmten Luftraum durchschnitt: „Ist denn dieser Herr Konopke, wenn er von der Kunstwelt als Kunst-Nitsch akzeptiert wird, somit denn nun selbst auch als Künstler zu betrachten? Oder ist das vom Nitsch-Double Konopke vergossene Schweineblut weniger dionysisch-mysterien-orgiastisch als das vom Original-Nitsch verschmierte?“

Dr. Wintersell räusperte sich, um zu einem Vortrag über Ontologie, Semiologie und Phänomenologie des Orginalkunstwerks, der Kopie, der Fälschung und des Selbstplagiats anzusetzen, als die Amazone einfach weiter schwadronierte: „Weil, nämlich, ich kenn da einen angeblichen Star-Künstler, Cy Twombly, den gibt es in Wirklichkeit gar nicht, den hat man bloß erfunden, um mal zu testen, was fürn doofes uninspiriertes Gekritzel man den Leuten noch als Kunst verkaufen kann!“  Abermals stieg – wie „weißer Nebel wunderbar“ – Stille empor zwischen den Sitzgruppen. Diesesmal handelte es sich jedoch nicht um eine Schwingung des sprichwörtlichen Engelsflügels, sondern um frostig peinliche Betroffenheit. Alles starrte gebannt auf Winterseel, der, wie jeder sonst wusste, enger Freund und autorisierter strukturalistischer Exeget Twomblys gewesen war, und an dessen Stirn jetzt eine Vene deutlich pochend hervortrat. – Der fällige Vulkanausbruch blieb jedoch aus.

Winterseel seufzte nur milde und murmelte: „Gewiß, liebes Kind, der Meinungen sind viele, in Sonderheit der irrigen, aberwitzigen oder sonst der Häresie, Blasphemie oder Hebephrenie verdächtigen…! – Still, einer jeder in sich gekehrt, gingen wir an diesem Abend heim, allerlei Denkwürdigkeiten wägend.

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Wiener G’schichtn (Impertinente Prominenz)

17. Juni 2009
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Aus großer Zeit: Hermann Nitschs "Orgien-Mysterien-Theater"

WAS UNS TRENNT

„Deutsche und Österreicher unterscheiden sich durch die gemeinsame Sprache“ spöttelte einst Karl Kraus, und kaum ist man als Nordnordwestdeutscher in Wien-Schwechat aus dem Flieger gestiegen, merkt man das wieder. Eingeborene Wiener beherrschen die musikalische Kunst, ein unglaublich breites, vokalreiches und gedeeeeehntes Idiom zu sprechen, dies aber in einem Wahnsinnstempo. Daß Deutsche in Österreich oft als arrogant verschrieen sind, hat vielleicht hier seine Wurzel. Wiener scheinen es nicht für denkbar zu halten, daß man sie schlichtweg nicht versteht, und unsereins traut sich nicht, ständig nachzufragen, was noch mal Blunzn sind, Kiwara, Hawara, Naderer,Tschecheranten, G’stopfte oder Gfrastsackl. Da kann die Kommunikation schon mal holpern. Wie wir später beim Dorfwirt in Purkersdorf überm Blunzgröstl gesessen sind, hab ich zur Gattin gesagt: „Hier ist alles wie bei uns – nur eben ganz anders“. Gut so! sonst hätt ma ja nicht extra nach Österreich foahrn miassn.

 In der Flughafenhalle entdecke ich gleich unseren Chauffeur. Nicht, daß wir uns kennen, aber er hält ein Schild mit unserem Namen hoch und schaut a bissel fragend ins Menschengewühl. Irgendwann treffen sich von ferne unsere Blicke, ich zeig auf sein Schild, er zeigt ungläubig auf mich zurück, ich nicke heftig, er deutet sicherheitshalber noch einmal aufs Namensplakat, dann fragend auf uns, ich weise draufhin neuerlich auf mich und nicke noch mal frenetisch, das geht noch ein Weilchen so weiter, und schon haben wir uns verstanden: Das ist der Mann von C&K, der uns von Wien-Schwechat nach Purkersdorf kutschiert, was präzis 38 Euro kostet, also günstiger ist als ein Taxi, und Wiener Sprachmusikalien in Form von G’schichtn gibt’s gratis oben drauf.

 Das heißt, ein Weilchen beäugt uns der Mann etwas skeptisch, aber irgendwann wird’s ihm fad. „Ah, hoit foahr i proaktisch nuur a Promineeeenz…“ – „??“  –„Noo, dös Fernseh…“ deutet er aufs Namensschild, wo der Arbeitgeber-Sender der Gattin draufsteht. Ich unterlasse die fällige Richtigstellung, daß man auch vollkommen unberühmt beim „Fernseh“ arbeiten kann und lausche lieber einer atemberaubenden G’schicht, die so beginnt: „Und vor vier Stunden hob i den Nitsch gfoahrn! Den Maler, wissen’S? Mit am Flitscherl, dös könnt sei Enklin sein!“ Glücklicherweise bin ich bewandert und repliziere gekonnt: „A, gehn’S! Den Blut-Nitsch?!“ So entspannt sich ein Gespräch über Wiens berühmtesten lebenden Kunstmacher Hermann Nitsch, den Erfinder des Orgien-Mysterien-Theaters, bei dem bekanntlich u. a. viel Tierblut und nackerte junge Menschen zum Einsatz kamen.

 Unser C&K-Mann war vom Nitsch nicht begeistert, was aber außerkünstlerische Gründe hatte (der Wiener ist in Kunstdingen sicherheitshalber tolerant; man kann ja nie wissen, ob nicht einmal wieder ein Mozart oder Schubert oder Schiele herauskommt…): Der große alte Nitsch nämlich hatte sich „impertinent“ benommen und sich als Ungustl (= unsympathischer Mensch) erwiesen. Erst hatte der Malerfürst den Fahrer nur indirekt angesprochen, über sein Flitscherl („Sag dem Bua, er soll da einbiegn!“), dann hatte sich der Herr Chauffeur, ein gesetzter Mitfünfziger, vom alten Nitsch (71) nicht „Bua“ nennen lassen wollen, und dann gabs „a richtigs Gfrett (= reichlich Ärger)!

 Am End von der G’schicht war noch Zeit übrig, und so bekam ich noch einen Abriß der Firmengeschichte der Transportgesellschaft C&K dargelegt, den ich abkürzungshalber zusammenfasse: Die Firma unterhält mit 90 Wagen einen Transportservice von und zum Flughafen Wien-Schwechat. Bis 2008 war das Unternehmen im Besitz eines spielsüchtigen Falotts (= Gauners), der Steuern hinterzog und Fahrer schwarz („schwoazz“) arbeiten ließ. Dann haben Kiwara (=Polizisten) in einer Großaktion alles beschlagnahmt und den Chef einsackelt (= verhaftet). Die Wiener Lokalbahnen, eine Tochtergesellschaft der Wiener Stadtwerke, hat den Bestand dann übernommen, vom Wagenpark bis zur Buchhaltung alles renoviert und auf ordentliche Räder gestellt und jetzt ist es ein seriöses Unternehmen, dessen Dienste man gern in Anspruch nimmt. Besonders stolz scheint man darauf zu sein, so entnahm ich später Presseberichten, und so bestätigte es der Chauffeur, daß man nicht nur den Fuhrpark erwerben konnte, sondern auch die Telefonnummer („fünfmol die vier“), die zum Erfolg des Unternehmens viel beiträgt.

 Auf der gut halbstündigen Fahrt habe ich noch viel mehr erfahren: Einiges aus der Lebensgeschichte eines Urwieners; etwas über die spezifische Bösartigkeit Schwechater Gendarmen (= Kiwara!) gegenüber Droschken mit Wiener Nurmmernschild; einiges über Rapid Wien und das Ernst-Hanappel-Stadion sowie ferner noch einmal doppelt so viel andere G’schichtn, von denen ich leider nichts begriff, weil er erzählte sie in in der gemeinsamen Sprache, die uns trennt.