
Momentan weiß ich nicht, wer die Rechte an diesem Foto hat. Ich werde es rausfinden. Jedenfalls bin ich solidarisch...
Texte, die mit „eigentlich“ anfangen, grooven nicht. „Eigentlich“ ist ein weinerliches Wort und leitet keine hook line ein. Eigentlich. Eigentlich wollte ich etwas über 9/11 schreiben; dass ich den islamo-faschistischen Massenmord damals persönlich genommen habe und dies noch heute tue; dass es meine Leute waren, die starben; dass meine Art, zu leben, meine Kultur und meine Werte angegriffen wurden. Ich wollte meine Verachtung für Antiamerikanismus, Antisemitismus und Anti-Zionismus zum Ausdruck bringen, Verschwörungstheoretiker verspotten und die ebenso verlogenen wie windelweich-ideologischen Islam-Versteher, Dialog-Phantasten und Totalitarismus-Verharmloser wortgewaltig niederpolemisieren. Ich wollte, kurz gesagt, mit einem einzigen Kurztext die Zahl meiner facebook-Freunde halbieren, dito die Zahl meiner LeserInnen. Heroisch wollte ich mir den gelben Stern des bekennenden Israel-Verteidigers anheften und mich als beinharter USA-Fan outen. Gegebenenfalls hätte ich noch erwähnt, dass „mein“ Amerika das von Dylan, Bukowski, Joplin, Hendrix, James Ellroy, Buddy Guy und Robert Crumb ist, das Amerika von Tom Waits, Captain Beefhart, Woody Allen und Tarantino, weniger das von Georg W. Bush, Donald Rumsfeld und Dick Cheney. Obwohl das ja wohl klar ist.
Ich erwog, von meinen Freunden in Chicago, Illinois, zu erzählen, die meine „linken“ anti-amerikanischen Vorurteile einst in wenigen Wochen in Luft auflösten; am Ende hätte ich Persönliches ausgeplaudert, dass ich nämlich, wiewohl nicht ungern Deutscher, eigentlich lieber Amerikaner wäre; noch lieber vielleicht Israeli, aber dafür wäre ich vermutlich zu feige.
Eigentlich wollte ich sogar noch philosophisch werden und erklären, dass es keine Situation ohne Macht gibt: Wer nicht für die Macht des Westens ist, hält es halt mit einer anderen Macht. „Keine Macht“ gibt es nicht, auch wenn grün-linke Ideologen solche Idylle nicht müde werden, zu beschwören. Möglicherweise wäre ich sogar so weit gegangen, öffentlich zu machen, dass ich für die weltweite Dominanz der Ideale der Aufklärung bin, und zwar militant, auch wenn Militanz bei einem adipösen, osteoporotischen alten Sack wie mir natürlich der Komik nicht entbehrt. Kurzum, eigentlich wollte ich mich erklären.
Aber dann walzte die ungeheure graue Staubwolke des Geschwätzes heran, in Leitartikeln, Kommentaren, Talkshows, Sondersendungen und Blogs und schlug über mir zusammen. Die großen 24 Stunden der Selbstgerechten, der Besser- und Bescheidwisser, der Klugscheißer, der Leute, die den Juden den Holocaust nicht verzeihen können und den USA nicht, dass sie uns vom Faschismus befreit und wieder aufgepäppelt haben. Diese Wolke hat mir den Atem genommen, den Mut und Lust, die Dinge gerade zu rücken. Die Einsicht von Karl Kraus, dass manche Äußerungen so dumm sind, dass noch nicht mal ihr Gegenteil wahr ist, hat mir die Kraft geraubt und den Glauben ans Wort.
Eigentlich sollte ich mich auf meine Rolle als unerheblicher, melancholisch-romantischer und impressionistischer Idylliker beschränken und das Politisieren lassen. Zum Politischen tauge ich echt nicht, weil ich die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Welt zu gut kenne; das Schweigen erlaubt mir wenigstens, mit vollem Bewusstsein naiv zu bleiben: Obwohl ich die Bilder vom Einschlag der Flugzeuge ungefähr tausendmal gesehen habe, krampft sich mir immer noch das Herz zusammen. Ich habe anscheinend ein empfindsames Herz, zugegeben, aber darin haben nicht alle Platz. Mein Mitgefühl für Taliban, die Mädchen die Nase abschneiden, „Ehebrecher“ auspeitschen und Vernunftanhänger steinigen, hält sich in äußerst engen Grenzen. Klar, die Politik von Bush, Rumsfeld, Sharon oder Netanjahu ist möglicherweise nicht klug, nicht weise, nur, wer bin ich, darüber zu urteilen?
Im Fernsehen werden klippgeschulte Hobby-Flieger-Idioten wie Roger Willemsen oder Elke Heydenreich (!!?) darüber interviewt, warum die Amerikaner alles falsch gemacht haben und die jüdische Geld-Verschwörung an allem die Schuld trägt. Jeder halbgebildete Skribent oder ambitionierte Ingenieur* (ups! Damit meinte ich die gerade im TY verfolgten Sprengmeister, die behaupten, es sei gar kein Flugzeug ins Pentagon geflogen – nicht indessen befreundete Ingenieure!) glaubt, er wüsste es besser als „die Amerikaner“, „die Juden“, „die Imperialisten“ oder, horribilie dictu, „das System“. Nach meinem Eindruck wird viel dummes Zeug publiziert, selten aber dümmeres als das über „9/11“. Sollte man sich an diesem Geschwätz beteiligen?
Eigentlich nicht. Deswegen schreibe ich nichts über 9/11. Ich bin traurig.
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