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Weniger Wein? Romananfangstraumfragment

5. Dezember 2011

Weniger Wein ist keine Lösung!

„Er sei, sagte Joliasse, mit Ganja-Pitter und einem der beiden Wolles, wahrscheinlich Wolle-Egkbert, jedenfalls eher wohl nicht Wolle-Dickkopf, später, als ich schon gegangen war, noch ‚um die Häuser gezogen’, bei welcher Gelegenheit man, seiner vagen, von Filmrissen durchzogenen Erinnerung zufolge, zunächst ‚formidabel geschmaust’, dann aber zunehmend und zugegebenermaßen ‚schwer gezecht’ habe, vor allem und im einzelnen Wodka-Redbull, Marguerita und Tequila-Sunrise durcheinander;  jedenfalls, so Joliasse, der sich noch immer ein penibel gebügeltes Stoff-Taschentuch an die blutende Stirnwunde presste, sei es im Verlauf der Trinkerei zu einem Disput über ‚Fragen der Gravitation’ gekommen, zu einem Disput, in dem in Sonderheit Ganja-Pitter, so wenigstens Joliasse, ‚geradezu hanebüchene Theorien’ geäußert habe und er wiederum, Joliasse, der Künstler und Selbstdenker, deswegen den aufkommenden Streit ‚experimentell-empirisch’ habe entscheiden wollen, in dem er sich anheischig gemacht hätte, mit bloßer Mannes- bzw. Muskelkraft eine volle Bierdose („Guinness“) in den Orbit zu schießen, was sich als Idee noch blendend ausnahm, in der Praxis sich auch zunächst ganz gut anließ, dann aber zu Enttäuschungen, ja Verletzungen einigen Anlass gab, weil besagte Bierdose, so der ambulante Patient weiter und in einigermaßen wehleidigem Tone, nach ca. drei Metern lichten Höhengewinns ‚offenbar der Mut verließ’, dergestalt, dass sie ‚säumte, ihren Aufstieg fortzusetzen’ und sie, am gravitationsmäßigem Optimismus offenbar urplötzlich irre geworden, ihre Flugbahn komplett mutverlassen änderte und feige zur Erde zurückkehrte, und zwar – Joliasse deutete wehmütig auf seine Platzwunde – wohl exakt an den per GPS georteten Platz, an dem sich zu diesem Zeitpunkt seine hohe Stirn befunden habe, die sich als denkbar – er sagte wirklich: ‚denkbar’! – schlechter Landeplatz erwiesen habe, nämlich auf den unerwarteten Sturzlandeflug mit Hautläsionen und hämorrhagischen Reaktionen Antwort und Bescheid gegeben hätte, was ihn, so Joliasse, nicht ohne feierliches Versprechungspathos, dazu bewöge, ‚inskünftig mit solchen Experimenten mehr sich  zurückhalten’ zu wollen sich anheim stellen lasse…“ –

Morgens zwischen vier und sieben Uhr: Der prä-senile Insomniker kennt und fürchtet diese Tageszeit: Entweder bekommt man viszerale Depressionen würgenster Art oder man träumt total bescheuerten Scheiß, wie ich heute Morgen, ich schwör, diesen bizarren Romananfang, den ich hiermit der geneigten Öffentlichkeit mitzuteilen wage. Abgesehen davon, dass der Traum mir gewisslich mitteilen wollte, dass ich mich in letzter Zeit zuviel mit Heinrich von Kleist beschäftigte und Stil wohl dann doch irgendwo ansteckend sei, – hätte ich ja nun doch gern gewusst, wie es weiter ging, aber, typisch für solche Morgenträume, er verweigerte die Antwort und trat stattdessen matt, müd und marod komplett auf der Stelle.

Dafür war er, der Traum, bereit, mir mitzuteilen, Joliasse (was für ein beknackter Name!) sei ein aufstrebender Künstler, der das Genre des Flipclips ersonnen habe. Dabei handelt es sich um visuelle Werke, die für ein Bild zu lang, für einen Videoclip aber zu kurz seien. Es handele sich, so immer weiter der ambitionierte Traum, um Bildwerke, die ca. 2- max. 5 Sekunden lang einen Film zeigten; bekannt geworden sei beispielsweise das in der venezianischen Galerie „Bei Andreotti“  gezeigte Opus „Amphibisches Nirvana 2.0“: das Bild von einem abspringenden Frosch, der plötzlich dann nirgends mehr zu sehen ist. – Da ich im Träume-Notieren nicht geübt bin, kann ich die anderen Werke von Joliasse, und davon gab es eine üppige Menge, nicht mehr referieren; sie waren aber, soweit ich mich erinnere, sonder Zahl und verblüffend facettenreich.

Träume ist also das Stichwort. Freud, der alte Scharlatan, lag mutmaßlich völlig daneben, aber ich frage mich doch: Versagt die wissenschaftliche Traum-Theorie noch immer – oder ist Demenz viel vergnüglicher, bunter und interessanter als angenommen? Offenbart einem der miese Morgentraum ein schlummerndes Genie oder will er bloß sagen: „Das nächste Mal bitte, halten zu Gnaden, abends weniger Wein!“

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Abwesenheitsnotiz, mit guten Zitaten

31. August 2011

Hier geht es evtl. rund! Kraska ist moseln...

Es gilt unter Kennern nicht gerade als untrügliches Zeichen geistigen Überfliegertums, sich über das Wetter zu beklagen, ich weiß. Es wäre so, als wollte man über die Gravitation jammern, was ich aus schwergewichtigen Gründen zwar im Stillen auch manchmal tue, aber es ist halt dieses Allerweltslamento doch von so eklatanter Sinnlosigkeit und ein derart plattes Klischee, dass man gute Erziehung und korrekt gebügelte Lebensart eher dadurch unter Beweis stellt, dass man mit einem mild stoischen Lächeln über die unvermeidlichen Unbill des Erden-Daseins hinweg geht. Vielleicht ist es ein Vorurteil, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein britischer Gentleman jemals über das Wetter spricht. – Freilich gibt es zu jedem einer- auch ein andererseits.

In dem Film „Willkommen Mr. Chance“ (im Original: „Being there“), einem meiner zehn Lieblingsstreifen aus den späten  70ern, die ich  einst in Cihcago, Illinois, im Kino sah oder sehen und entziffern durfte (war ohne Untertitel!), spielt der legendäre Peter Sellers in einer seiner letzten Rollen einen tumben Einfaltspinsel von Gärtner, der nur eine Weisheit beherrscht: „Well, first there is spring, then you’ll have summer, which just follows autum, and after that – winter. Then spring again“. Diese Binsenweisheits-Worte spricht er aber mit solchem Ernst und so großer Emphase, dass alle Welt denkt, er meint das bestimmt irgendwie metaphorisch und als sibyllinische politische Anspielung; man hält es für ein Statement über Ökonomie und Marktzyklen, lädt ihn in TV-Talkshows ein und am Ende wird er damit Präsidentschaftskandidat in den USA. Damals eine super Satire, würde der Film heute nicht mehr funktionieren, weil die Behauptung, dem Frühling folge der bzw. ein Sommer, nicht mehr als Binsenweisheit gilt, sondern als heikle, unsichere und höchst umstrittene Prophezeiung.

Das Blöde ist: Ich bin Sternzeichen Salamander, von der Physiologie also wechselwarm, und hatte eine längere sonnig-warme Phase fest eingeplant, um leichtblütig über die bevorstehende Herbst- und Winterdepression zu kommen. Stattdessen regnete es mir monatelang kühl und herzlos ins Hirn. (Wer sich Sorgen um mich machen will, sollte es JETZT tun, bitte. – Vielen Dank, sehr freundlich.) Die Depression erhebt ihr träges Haupt. Bang deklamiere ich für mich den armen Hölderlin: „Weh mir, wo nehm ich, wenn
/ Es Winter ist, die Blumen, und wo
/ Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde?
/ Die Mauern stehn
/ Sprachlos und kalt, im Winde
| Klirren die Fahnen.“ So sieht es doch aus! Vor lauter Fahnenklirren und Blumenvermissen ist mir schon jetzt ganz blümerant zumute.

Erstaunlicherweise war es der große Elisabethanische Unterhaltungsschriftsteller, theatralische Räuberpistolen-Dichter und Prophet William Shakespeare, der meinen Zustand vorausahnte, als er seinen Narren („Was ihr wollt“) folgenden Singsang anstimmen ließ: „Und als der Wein mir steckt’ im Kopf / Hopheisa, bei Regen und Wind! / Da war ich ein armer betrunkener Tropf; / Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.“ – Yes, Sir, so kann man es ausdrücken! Hier im Westen regnet in der Tat der Regen jeglichen Tag. Erst war er warm, der Regen, dann fröstelig kühl, jetzt wird er schon empfindlich kalt. Ich will nicht übertreiben, aber – ist schon mal jemand am Wetter gestorben? Darauf ankommen lassen werde ich’s grad nicht, Freunde – weshalb ich zu einem verzweifelten Mittel greife: Obwohl ich diese Tätigkeit perhorresziere: Ich reise! Und zwar ab!

Bloß an die Mosel zwar nur, und lediglich ein paar Tage, weswegen die Gattin schon ätzt: „Das wird bestimmt mehr so’n Rentnerurlaub!“ – Sicher, doch „immerhin“, repliziere ich schlagfertig, „wandern wir noch nicht durch den Harz, du mit blauem Popeline-Blouson und ich in straff gebügelter beiger Anglerweste!“ Kann nichts schaden, der Gattin schon mal die eheliche Zukunft auszumalen; die stillen Tage im Alzheim.

Wenn also hier einige Tage nichts Neues unter der Sonne (Ha!) erscheint, dann, weil ich moseln gefahren bin. Entweder herrscht dort eitel Sonnenschein, oder ich stecke mir enorme Mengen Wein in den Kopf. Vielleicht, begeisterungshalber, auch beides. Danach habe ich mit Sicherheit SAD („seasonal affective disorder“), wofür zumindest die Klassiker noch angemessenes Verständnis hatten. Wenn ich es irgendwie vermeiden kann, werde ich von dem romantischen Moselort keine Fotos machen, keine Klöster und Burgen beschreiben und auf die Belobigung von Restaurants und Weinprobierstuben strikt verzichten. So viel Noblesse muss sein. Indes, falls ich dort, in der Fremde, dem wahren Leben begegne, dann lass ich es von euch grüßen.