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Sorry, hab grad keine Zeit

2. Juni 2011

Zeit - relativ relativ...

Zeit, Zeit. „Wann hast du denn mal Zeit für mich?“ drängen die 2, 3 Leute meines Freundeskreises. Eigentlich habe ich nie Zeit. Betonung auf „eigentlich“, denn im Grunde habe ich Zeit ohne Ende, weil, ich arbeite ja nicht. Ich meine, ich habe schon Arbeit, aber nur als schlecht bezahlter Freiberufler, was bedeutet, ich kann sie mir einteilen. Das wiederum ist schön, aber ganz schlecht, denn meine Aufteilung sieht so aus: Alles aufschieben, bis es gar nicht mehr anders geht. Daraus resultiert: 90% meiner Lebenszeit müsste ich „eigentlich“ arbeiten und hab deswegen keine Zeit; nur, dass ich in dieser Zeit halt zumeist nicht arbeite, sondern meine Arbeit aufschiebe, um traumverloren (natürlich nur metaphorisch!) in der Nase zu bohren, meiner Benjamin-Feige beim Wachsen zuzuschauen oder darüber nach zu grübeln, ob es ein Zeichen von Vergreisung darstellt, dass ich immer seltener Lust zum Onanieren verspüre.

Prokrastination habe ich bis vor zwei Jahren für eine abstoßende Hautkrankheit gehalten, bei der man so grässlichen wie sozialunverträglich schrundige-verkrusteten Hautausschlag bekommt, so dass man sich in klandestinen, hygienisch isolierten vorstädtischen Prokrastinierer-Lagern verstecken muss; heute weiß ich, prokrastinieren ist das heimliche Laster der Kreativen, Phantasievollen und Beinahe-Genies.

Die berühmt-berüchtigte Relativität der Zeit kann man sich daran verdeutlichen, dass astrophysikalisch tätige Forscher im CERN sich verzweifelt die Haare raufen, weil sie es nicht schaffen, sich auf weniger als Zehn hoch minus 47stel Sekunden an den Urknall heranzurechnen. Also als Laie kann ich mir diese Zahl nur mit Mühe vorstellen, glaube aber, dass eine „Zehn-hoch-minus-47stel Sekunde“ eine verdammt knappe Zeit ist, zumindest zu knapp, um aufgeschobene Arbeiten noch zu erledigen.

Warum ich sonst noch so selten Zeit habe, entnahm ich jetzt einem von Schlafforschern zusammengestellten Dossier, das mir die Gattin zu-mailte, um mich über meine chronische Insomnie hinweg zu trösten. In dem Konvolut befindet sich ein simples, aber eindrückliches Spielzeug: ein Schieber nämlich, wo man sein Alter einstellt und dann nachlesen kann, wie viel Zeit seines Daseins man bereits verschlafen hat. Bei mir kam es auf 21,16 Jahre! Das heißt, selbst wenn man die Schlaflosigkeit in Anschlag bringt, andererseits die Phasen des Wahns, der erotischen Obsessionen und drogen-induzierten Absencen wiederum hinzuschlägt, war ich bei einem satten Drittel meines Lebens gar nicht dabei! Kaum auszudenken, was ich alles verpennt habe!

Eine eulenkluge Freundin, der ich meine Bestürzung über meine Schnarchsack-Existenz mitteilte, frug: „Und? Was hättest du in diesen 21 Jahren – wach – gemacht?“ „Noch mehr Unfug?“ schlug ich zagend vor – und erntete ein weise bedächtiges Nicken. Stimmt ja auch. Ich stelle mir das so vor: Gott beugte sich über sein Fehl-Konstrukt „Mensch“ und bekümmerte sich: Dieses Wesen, stellte er fest, treibt allerhand Allotria und wenn es mal was tun soll, schiebt es das ewig auf. Seine Lebensdauer beträgt zwar, wenn es hochkommt, siebzig, achtzig Jahr, aber wir könnten dem Blödsinn abhelfen, wenn wir ein Drittel davon in gnädiger Bewusstlosigkeit versinken lassen! Wie bei Gott, der kein Prokrastinierer ist, üblich: Gesagt, getan.

Trotzdem, Leute: 21,16 Jahre! Was hätte man theoretisch alles verschlafen können: Kennedy-Mord, Mondlandung, Mauerbau und -fall, Modern Talking, den Vokuhila-Haarschnitt, aber eben auch Regine, Hildegard und Ilona! Auf Bewussstseinslücken angesprochen, darf man guten Gewissens die Achseln zucken – tut mir Leid, da hatte ich keine Zeit, da hab ich grad schlafen müssen….

Ich gedenke mir dies in existentiellen Situationen zu nutze zu machen. Klopft dereinst der Tod an meine Wohnbüro-Tür, murmele ich durch diese hindurch, ohne zu öffnen: „Sorry, lieber Freund,  aber im Moment passt es leider überhaupt nicht – ich hab grad GAR KEINE ZEIT!“

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