Mein Favoriten zu dieser Zeit waren Jimi Hendrix, die Rolling Stones, Ten Years After oder Psychodelisches wie Vanilla Fudge, dann Cream, Blind Faith oder Juli Driscoll, Bob Dylan, David Bowie und Carlos Santana, Alice Cooper und Thin Lizzy, Eric Burdon, The Fugs, Chikago Transit Authority, The Doors und Edgar Braughton Band. Gehörte damals alles zum straight stuff, und war das Gegenteil von Mädchenmusik (Beatles, Melanie, Joan Baez, Donovan, etc.) Zur deutschen Schlagerszene unterhielt ich keine Kontakte, höchstens zur deutschen Schlägerszene (Rocker).
Trotzdem machte mich dieser Tod betroffen: Am 31. Juli 1969, vor vierzig Jahren also, fährt ein elfenbeinfarbener Mercedes 220 SE mit Münchner Kennzeichen über die Landesstraße 149 bei Tellingstedt, Nordfriesland, und stößt, unter Missachtung des Stopp-Zeichens, in die Kreuzung mit der B203 vor. Von rechts donnert ein mit Gehwegplatten beladener LKW heran und rast ungebremst in den Mercedes, zermalmt diesen und fetzt die Trümmer 20 Meter durch den Straßengraben. Im Mercedes sterben Valeska Treitz und ihre am Steuer sitzende 27-jährige Tochter Doris, die ganz Deutschland unter ihrem Künstlernamen kennt: Alexandra. Alexandras Sohn Alexander, zum Unfallzeitpunkt sechs Jahre alt, überlebt wie durch ein Wunder fast unverletzt.
Ungefähr im Konfirmandenalter hatte ich mich in die schöne Alexandra ein bißchen verliebt, in ihr slawisch geprägtes Gesicht mit den traurigen braunen Augen und in ihre tiefe, rauchige Stimme, mit der sie zumeist, zur eigenen Erbitterung, unsäglich sentimentale, slawisch-folkloristisch eingebutterte Kitschlieder („Zigeunerjunge“, „Sehnsucht“, „Im frühen Morgenrot / Mein Freund der Baum“) sang, weil die Platttenfirma es so haben und den Markt derjenigen bedienen wollte, die noch den Ostfeldzug mitgemacht und im Wohnzimmer das Bild einer feurigen Zigeunerin überm Plüschsofa hängen hatten.
Alexandra konnte mehr und hatte das Zeug zum Star. Schon als Kind hatte sie vielfältige Talente entwickelt, spielte Klavier und Gitarre, zeichnete später, designte Mode und modelte. Sie schrieb und komponierte selbst, kam in Kontakt mit Gilbert Bécaud, Ives Montand und Charles Aznavour und spielte in Brasilien mit dem großen Antonio Carlos Jobim („The girl from Ipanema“) – ihre beste Zeit.
Die Melancholie Alexandras war allerdings keine Pose. Dem Druck des Musikmarktes und der Plattenindustrie war sie nicht gewachsen; ihr Privatleben verlief unglücklich; der Liebhaber der geschiedenen alleinerziehenden Mutter erwies sich als Heiratsschwindler sowie als us-amerikanischer Geheimagent. Schwer zu sagen, was schlimmer war. Sie fühlte sich unter Druck, verfolgt, ausgelaugt. Ihr Vertrag mit der Phonogramm lief aus, die Zukunft schien offen und beängstigend. Auf dem Weg in den Sylt-Urlaub, der Erholung bringen sollte, schlug der Tod zu.
Alexandras geheimnisvoller Nimbus, die zum Teil undurchsichtigen Umstände ihres Todes und das Bedürfnis der Menschen nach populären Mythen brachten eine Menge Verschwörungs-, ja sogar Mordtheorien in Umlauf, die unter Fans noch heute diskutiert werden. Wahr ist wohl keine; die junge Frau war erschöpft, übermüdet, gestreßt – den Rest besorgte der Zufall, der mit dem Tod befreundet ist. Schade. Armes, schönes, trauriges Mädchen. Alexandra hätte eine deutsche Chanson-Sängerin von Rang werden können. Dafür wurde sie zum Mythos.
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