Posted tagged ‘französische Bulldogge’

Über das Halten von Meinungen

17. Juni 2011

Meinungslos und vollbeschäftigt: Der Magister wandelt im Beruf des Nichts-Tuns

„Bei uns auf Kummerland, der Insel der unruhigen Seelen und unzufriedenen Seligen, herrscht Beschäftigungsnotstand. Die Zeit ist aus den Fugen und allzu verfügbar. Sabattikalisten, Dauerrentner, Langzeitpausierer, ausgebrannte Beamte: Wie die nur zähflüssig verrinnende Lebenszeit hinbringen? Süße Sahne des Überdrusses, fade Suppe des Ennui. Gewiss, man kann französische Bulldoggen mit immer größeren Fledermausohren züchten und versuchen, ihnen das echolotgesteuerte Fliegen beizubringen, man kann kennerisch provençalische Rohmilchweine sammeln, mollige Wollschweinwolle zu drolligen Pullovern verstricken oder beflissen sein Lebensrisiko durch das Ausprobieren bizarrer Trendsportarten erhöhen. Ob aber topmodische Übersprungshandlungen die Spanne auch bis zum Exitus ausfüllen?

Ein nostalgischer Trend gewinnt hier neues Interesse: Das Halten von Meinungen. Meinungen sind fröhliche, vitale Hausgenossen. Das Leben mit ihnen beugt wirksam Alterserscheinungen vor – Selbstzweifel, Ironismus, Differenzierungssucht werden nachweisbar reduziert! Gesunde, bereits stubenreine Meinungswelpen bekommt man am besten bei renommierten Züchtern (Süddeutsche, FR, taz, ZEIT, F.A.Z.-Feuilleton), aber dann geht’s erstmal zur Meinungsschule. Grundkommandos („links!“, „rechts“, „Fortschritt!“) müssen gelernt und eine Charakterprüfung („politcal-correctness“-Siegel) abgelegt werden. Gut erzogene Meinungen reagieren auf Stich- und Reizworte, haben einen guten Jagdinstinkt, was Abweichler angeht, und heben durch ihre nie erlahmende Beißfreude die Laune ihrer Besitzer. Amerikanische Forscher haben nachgewiesen, dass Meinungen in der Lage sind, Komplexität zu reduzieren, Ich-Schwäche abzubauen und resignative Tendenzen („Sterben – schlafen –
Schlafen! Vielleicht auch träumen!“, Shakespeare, Hamlet) aufzuhalten.

Mancher jung gebliebene Senior will das Herumtollen mit seinen Meinungen gegen keine andere Lebenslustbarkeit mehr eintauschen (Aber bitte daran denken: Kleinere „Hinterlassenschaften“ [z. B. In Leserbrief- und Kommentar-Spalten] werden selbstverständlich diskret entfernt!). Besser als jeder Blindenhund gibt eine Meinung Orientierung und Halt im Chaos des Daseins, sorgt im unaufgeräumten Denkhaushalt wieder für Stabilität und Redundanz, fördert Gemeinschaftsgefühle und verhilft zu mehr Selbstbestätigung, die gerade der älter werdende Körper benötigt…“ –

– so in etwa träumte mir am frühen Morgen ein Artikel in der Apotheken-Rundschau oder wo. Aus solch dumpfer Wirrnis erwachte ich nur unvollständig und in der vagen Furcht, auch bei mir hätten sich vielleicht Meinungen niedergelassen. Offenbar war das aber nicht der Fall. Aufatmend versenkte ich mich beim Morgenkaffee in das XIX. Buch der esoterischen Schriften des Dschuang Dsi, wo es heißt: „Der Philosoph sprach: ‚Habt Ihr denn noch nicht vernommen, wie der höchste Mann sein Leben führt? Er vergisst seinen Leib und kümmert sich nicht um seine Sinne. Ziellos schwebt er jenseits des Staubes der Welt und wandelt im Beruf des Nichts-Tuns.’“ Sich in diesem Beruf vervollkommnen sei das höchste Ziel! – Meine Meinung!

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Schärfer als Möpse und Sex: franz. Bulldogge

19. April 2011

Sexy Lockvogel im Netz: Franz. Bulldogge (Quelle: Wikipedia, gemeinfreies Foto)

Einfach mal irgendwas tippen und dann ins Netz stellen reicht ja nicht, das weiß jedes Blogger-Kind. Man muss LeserInnen ködern und unaufhörlich „traffic generieren“, wie der Eingeweihte sagt. Mit den tags, den Hieb-, Stich-, Schlag- und Suchwörtern, mit denen man seine Artikelchen beklebt, damit Leser dran hängen bleiben, hat es freilich sein eigene Bewandtnis. Sie führen oft in die Irre, vor allem solche Zeitgenossen, die sich vom Internet sensationelle neue Kicks im bunten Bereich des Sexuellen versprechen. Einmal hab ich eine Art Kolumnen-Geschichte geschrieben, in der, ganz marginal und sozusagen nur so zu  Dekorationszwecken, die Achselhaare des Pop-Stars Madonna vorkamen. Ein anderes Mal hatte ich ein Aufsätzchen über Sprachpsychologie und Neurophysiologie keckerweise mit dem Foto einer gut gebauten, freizügig posierenden Blondine geschmückt. Das Foto aber, aus dem Netz gefischt, trug, was ich vorerst gar nicht bemerkt hatte, den Titel „busted blonde girlfriend“. In beiden Fällen schnellte kurz- bis mittelfristig meine Leserschaft ins Astronomische!

 Je nun, wohlan, „sex sells“, denkt der Weltkundige und geht müde schmunzelnd zur Tagesordnung über. Denke ich auch. Aber nun habe ich etwas entdeckt, das noch tausendmal mehr Besucher – für, wie ich vermute, sehr, sehr kurze Zeit – auf mein Blog  lockt, und sie in der Folge bitter enttäuscht wieder abschwirren lässt, und das hat mit kleinen dicken Hunden zu tun. Wer jetzt „Ha! Möpse! Möpse! Er hat ‚Möpse’ als Schlagwort!“ denkt, den muss ich eines anderen belehren. Keineswegs. Ich habe lediglich irgendwo am Rande mal erwähnt, dass mir die Französische Bulldogge zum unangefochtenen Modehund der Nuller und Zehner Jahre des Jahrtausends avanciert zu sein scheint. So eine Beobachtung kann man ja mal machen und beiläufig äußern, oder?

 Zumal ich da wohl richtig liege, weil ich seither täglich (!) zwischen hundertfünfzig und zweihundert BesucherInnen verzeichne, die mein Blog mit dem Stichwort „französische Bulldogge“ er-googelt haben. Was für eine herbe Enttäuschung erwartet die modehund-bewussten Tierfreunde! Bei mir erfahren sie über diese Rasse überhaupt nichts, es sei denn, für sie sei die Information wertvoll, dass diese Tiere für mich aussehen wie mit Kuhfell bespannte Leberwürste, denen man aus purem Züchterübermut alberne Fledermausohren appliziert hat, mutierte Möpse mit abgrundtief traurigem, ja anklagenden Blick, der mir nicht völlig unberechtigt erscheint. Die Züchtermafia, die alle 15 Jahre eine neue bescheuerte Creation (Nackthunde, Chihuahuas, Pinscher, Mini-Yorkshire-Zitterlinge etc.) auf den Markt wirft, kann bei mir nicht auf freundschaftliche Gefühle rechnen.

 Ob die Möpse, quatsch, franz. Bulldoggen nett zu Kindern und kleinen Ferkeln sind, ob sie beißen, betteln, zu becircen wissen, ob sie verträgliche Hausgenossen sind oder hässliche, mies gelaunte und stinkende Köter – all das weiß ich nicht. Schrübe ich, dieses Blog sei für Liebhaber der französischen Dogge völlig irrelevant, und sie sollten ihn keinesfalls lesen, würde er von diesen bestimmt erst recht angeklickt, weil sie auf solche kontrafaktisch-rekursiven Mätzchen („Dieses Schild nicht beachten!“) besonders gerne hereinfallen. Das Übrige erledigt die doofe Suchmaschine.

 Was, frage ich die anwesenden Fachleute, tut man da? Ich hab doch keine Lust, dass fünfzig Prozent der  Besucher wutenbrannt wieder abziehen, weil über die hochgeschätzte Französische Bulldogge hier absolut nichts zu erfahren ist! Mir scheint, Negation bringt hier gar nichts. Man kann nur seufzend einwilligen. Ich versuch mich demnächst mal an einem Text über Möpse. Der könnte immerhin zwei große Gruppen von Fehl-Googlern mal zusammenbringen. Vielleicht wird eine virtuelle Freundschaft daraus?

Frühling im Geddo. Eine Idylle

28. März 2011

Mittelgebirge im Geddo (wächst nachts noch...)

„Maßlos ist das Wachstum der Bäume und Gräser im Frühjahr
Ohne Unterlaß fruchtbar
Ist der Wald, sind die Wiesen, die Felder.
Und es gebiert die Erde das Neue ohne Vorsicht.“

(Bertolt Brecht)

Erste arabische Aufstandsbewegung um 6.49 Uhr morgens (ja, ich hab umgestellt!), zum Glück nur Musik, freilich Straßen füllend. Allah und Habibi-Gejodel. „Tod dem Merkel“ skandiert noch keiner und Schuhe fliegen noch nicht. Trotzdem: Aufstehen! Apropos: Das übliche Meisen- und Amselkleingeflügel tiriliert schon. Zart randaliert das Frühjahr. Meine Freunde, die Elstern, hat der harte Winter allerdings offenbar stark dezimiert. Dafür schreitet ein Kollegium ernster Rabenkrähen in schwarzglänzenden Seidenroben gravitätisch über den Hinterhof und erörtert anscheinend irgendetwas Juristisches.

Sonor volltönend Südostanatolisches pünktlich ab Acht. Nee, nicht der Muezzin, das ist bloß wieder Nachbar Abdul, der jetzt wichtige Ferngespräche führt, wie immer ohne Telefon, diagonal über die Straße. Es geht, ebenfalls wie immer (mein Basis-Türkisch reicht wirklich aus!), um Autos und sowie Geschäfte mit Autos. Ein richtiges Autohaus hat Abdul wohl nicht, er betreibt seinen Handel ambulant, was sicherlich sinnvoller ist. Er lehnt an seinem handpolierten silbernen Daimler und streicht sich wägend den Schnauzbart. Manchmal fliegen die Rabenkrähen ohne ersichtlichen Grund auf und krächzen hämisch, dann wirken sie fast wie Geier oder Anwälte.

Auf den ersten Bäumen und Sträuchern unnachahmlich frischgrüner Hauch. Wie Deo gegen den Wintermuff. Forsythien und Japankirschen feuerwerkeln schon protzig in der Morgensonne. Begleitet von unübersichtlich zahlreichem Nachwuchs schieben die ersten langmäntligen Mütter ihre Kinderwagen durchs Viertel. Oft auch Zwillingskinderwagen. Willkommen in Sarrazins Albtraum: Hier scheinen Migrantenkids im Stundentakt geboren zu werden. Man gebiert das Neue ohne Vor-, hier und da aber vielleicht mit Absicht. Merkwürdig genug: Überraschend viele Leute in unserem muslimischen Viertel besitzen auch noch Hunde (haram wie Schwein, aber außer mir weiß das mal wieder kein hiesiger Muslim), alle Größen und Sorten, vom monströsen Kangal über den toitschen Schäferrrrhund bis zur französischen Bulldogge und dem zittrig-winzelnden Yorkshire. Die werden jetzt ausgeführt, den Bolzplatz zuscheißen.

Aus meiner serbischen Stammkneipe stolpern blinzelnd die letzten Gäste  der Nacht. Es ist neun Uhr früh! Ich weiß Bescheid: Es gibt nämlich eine neue weibliche Bedienung. Die hat legendärerweise schon mal in einem Porno mitgemacht, den hat natürlich jeder Gast bereits auf dem Handy. Den Unterschied zwischen nacktem Märchen und bekleideter Arbeit zu checken, wird niemand müde. Der Slibo fließt die ganze Nacht. Ist ja eh eine Stunde weniger. Und der Schwanz, wie eine serbische Redensart heißt, guckt wenigstens nicht in die Schuhe.

Ab mittags steigt aus allen Ecken weißer Rauch auf. Keine Angst, kein neuer Papst und kein Super-GAU: Sobald der Himmel blaut und die Quecksilbersäule über 15°C steigt, wird unweigerlich der Holzkohlengrill angeworfen. Der betörende Duft von Grillfleisch umhüllt das Gesamtgeddo. Das ist ganz gut so, denn der Sonntag ist in der Folklore einer bestimmten, nicht genannt werden wollenden Volksgruppe auch der Tag, an dem man traditionell seinen verwesenden Haus- und krumpeligen Sperrmüll auf die Straße kippt. Verwesung vs. Fleischverkohlung: 0:1 nach Verlängerung.

Auf der Straße zeigen sich die ersten Grüppchen von türkischen Schönheiten, die jetzt mit Schminken und Kopftuchknüpfen fertig sind. Allgemein herrscht Disco-Islam: hautenge Hüftjeans, körperbetonte Tops, aber Kopftuch, in grell leuchtendem Rosa-, Türkis- oder Mintgrünmetallic. Mode ist, sich das Haar unterm Kopftuch dergestalt in einem Knoten zu binden, dass der Hinterkopf aristokratisch ausladend aussieht wie bei einer altägyptischen Prinzessin. Straße und Park sind schwarz von bunten Menschen, später auch bunt von schwarzen Menschen. Ganz selten mal das graue, verkniffen-argwöhnische Gesicht eines scheuen Deutschen – er wirkt irgendwie fremdartig hier, komischerweise auch auf mich.

Hinterm Kraftwerk parken über Nacht  Kohle-Trucks aus Bulgarien, der Tschechei und Polen. Es riecht nach Kohlenstaub, Nachtschweiß und Illegalität. Vor den Schlafkojen spreizen die Raben ihre Roben und warten auf Mandanten. „Honorarrr, Honorarrr, Honorarrr!“ krächzen sie erregt. Schlaftrunken blinzeln die Trucker in die Sonne. Sie bewegen sich vorsichtig und schwerfällig, wie die Leute bei der Mondlandung. Die Luft scheint zum Atmen geeignet, mit Abstrichen, aber ob der Planet Geddo auch bewohnbar ist? Immerhin, über allem – auch wenn man das Verb nicht mehr gern in den Mund nimmt – strahlt ein kobaltblauer Himmel.

Abends. Die Sonne versinkt postkartenreif hinter den Müllbergen. Es wird kühl. Wer jetzt kein Haus hat … schläft halt im Auto. Daheim aber beginnt die Natur unermüdlich und maßlos ihr fruchtbares Werk. Du spürst den Frühling, auch im Geddo.

Who let the dogs in?

21. Dezember 2010

Modisch, doof, aber mit Allbein-Getriebe: Franz. Bulldogge (Fotoquelle: Gemeinfrei, Wikipedia, Artikel: "Französische Bulldogge")

Manche Leute, z. b. aus dem mir so überaus unkorrekt perhorrreszierten (nachschlagen, wenn nötig!) „grün-linken juste milieu“, und nicht nur die am Prenzlauerberg, sondern auch in Stuttgart „20,5“ oder im grünkernig-kleinbourgeoisen Freiburg, können sich allen möglichen Luxus leisten! Zum Beispiel – Kinder. (Wer noch die Wahl hat: Ich rate ab! Kinder sind schlimmer als junk bonds und hedge fonds – todsichere Methoden, sich nicht nur wirtschaftlich zu ruinieren, sondern auch noch ein richtiges scheiß Gefühl dabei zu kriegen. Kinder zu zeugen und deren rechtzeitige Abtreibung zu versäumen zeugt nicht nur von „ruchlosem Optimismus“ (Dr. A. Schopenhauer), es führt auch zu emotionaler Deprivation, chronischer Depression und u. U. multiplen Persönlichkeitsstörungen. Kinder kommen gleich nach Meerschweinchen, Schildkröten und Kanarienvögeln: Undankbare, nervende, kostspielige, krankheitsbehaftete, doofe und verfressene Spezies, Parasiten der Evolution, supraviskose Überflüssigkeiten mit krebsauslösendem Nervfaktor! Zeig mir, was Du transportierst, und ich sage Dir, wer Du bist: SUVs und Allrad-Toyotas mit Maxicosi-Kindersitzen indizieren einen Fahrzeuginhaber, der seine Groschen nicht mehr zusammen hat; jedenfalls spätestens, wenn die „Kinder“ in die Schule kommen, zum Ballettunterricht chauffiert werden müssen und Reitstunden verlangen, dann sind die Groschen nämlich rasch alle!

Wer von Kindern nicht wirklich lassen kann, aber schon einen Hauch kognitiver Kompetenz sein eigen nennt, greift zum Surrogat. Ein respektables Kinder-Surrogat ist beispielsweise ein Hund. Hunde haben eine überschaubarte Lebenserwartung, sie wollen weder Markenklamotten von Dolce & Gabbana, G-String oder Lagerfeld, oder gar Nokia-Handys, und weder „erstmal die Welt kennenlernen“ noch studieren bzw. jetzt doch erstmal „noch mal was ganz anderes studieren“ (Theaterwissenschaft, Sanskritologie, Meeresarchäologie), sie sind also kostengünstig, und außerdem treuer, anhänglicher und dankbarer als jedes denkbare Kind.

Hier rate ich aber: Nehmt bitte nicht wahllos einen hysterischen Jack Russel, keinen Mode-Mops und nicht die beknackte, aber hoch-modische rortweingeschwenkte franz. Bulldogge (diese dicke, debile Leberwurst mit Fledermaus-Ohren und Allbein-Gebtriebe), sondern, wenn schon-denn schon, einen richtig großen, womöglich klops-riesigen und dazu total exotischen Hund, der schon auf der roten Artenschutz-Liste steht! Der Magister empfiehlt Mastiffs, südafrikanische Bluthunde, mallorquinische Schäfer oder portugiesische Wasserhunde, jedenfalls Tiere, die man immer erst googeln muss, um eine Vorstellung von ihnen zu gewinnen. Frauen, die weniger als 50Kg wiegen, lege ich gern eine Dänische Dogge (70Kg) ans Herz, die ihr Frauchen gern mal vor ein fahrendes Auto zerrt. Der sich dann anbahnende oder abspielende Unfall wird bevorzugt „tragisch“ genannt.

Guggssu hier:

https://6kraska6.wordpress.com/2009/09/16/winterseels-jour…

Ob Hunde allerdings wirklich die definitive Lösung darstellen, ist für mich durch die Erzählungen einer Freundin und bekannten Reise-Qualitätsbloggerin  fraglich geworden, die bis vor kurzem einen imponierenden Irischen Wolfshund besaß – ein in der Tat eindrucksvolles Tier, keine Schönheit, aber ausgestattet mit einem Organ (bellen Hunde „bass-bariton“? Ich glaub, dieser schon!), dass dieses Tier Schutzfunktionen übernehmen ließ, die ein Kind, selbst wenn es quengelt, stinkt und quiekt, niemals erfüllen könnte. Ein solches Ungeheuer „Freund“ und „Kumpel“ nennen zu dürfen, erschien mir Naivling lange Zeit als exquisites Daseins-Höhepunktsmerkmal. Manno, dachte ich, wär ich nicht definitiv zu faul, allmorgendlich um 7.00 Uhr mit der Töle um den See zu marschieren, ich hätte verdammt noch mal auch gern so ein ego-steigerndes Monstrum! –

Besagte Freundin ernüchterte mich freilich harsch: Geh mit so einem „Kumpel“ mal menschlichen Bedürfnissen nach: Reisen, Hotelbesuche, Restaurants, Saunen, Museen – wohin wohl dann mit Nero, Tyson, Caligula oder Rocky (III)? – Hunde, und zwar egal ob neurotische Malteser, komplett irre Jack Russels oder meschuggene Doggen, werden in kultivierten Menschenbezirken oft überhaupt nicht akzeptiert! Wer durfte mit seinem Hund schon mal in die Irische Dampfsauna? Wo wird es toleriert, dass vierbeinige Freunde Beuyssche Fettecken wegschlabbern? Selbst in Philosophievorträgen werden große Hunde nur bedingt willkommen geheißen. 

Um so erstaunlicher, wie zögerlich sich eine Markt-Idee durchsetzt, deren menschen- wie tierfreundliche Grundgesinnung sich doch auf Anhieb erschließt: Professionelles Hunde-Hotel, gepflegter Hunde-Parkplatz, Hunde-Wellness-Spa, Hunde-Ayurveda-Bespaßung, Betreuung, Unterhaltung und tiergerechte Aufbewahrung! Hasso, Rex und Attila genießen einen frauchenfreien Wohlfühltag! Das geliebte Vieh wird nonchalant geparkt, abgegeben, ruhig gestellt und wohlmeinend untergebracht, während sich Frauchen gepflegt mal einen Latte Macchiato genehmigt, die Sauna besucht und ein Museum besichtigt. Danach schließen sich schweifwedelnd Frauchen und Hund wieder in die freundschaftlichen Arme, hecheln beglückt und haben nicht die Spur eines schlechten Gewissens. Beide haben ihr Leckerchen bekommen; beide kamen auf ihre Kosten, für die Frauchen dann natürlich leider, aber nur allzu gerne aufkommen muss. Aber für den Liebling ist doch nichts zu teuer!

Eine Gesellschaft, die mit ihren Hunden menschenwürdig umgeht, kann nicht ganz schlecht sein! Sodermaßen bin ich durchaus stolz auf meine Stadt, dass sie so etwas neuerdings bietet: Hunde-Spass! Dächte ich wie ein Rüde, würde ich allenfalls anregen: Ein … Hunde-Puff wäre noch eine Spur mondäner. Aber das kann ja noch werden.

PS: In Ermangelung eines eigenen Hundes kann ich auf das Unternehmen nur werbend hinweisen – persönlich AUSPROBIERT habe ich es freilich nicht.


Ich bin ein Pionier der Gentrification, denn ich finde mein abwrackreifes Ghetto „sexy“

16. August 2009

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SPÄTSOMMERBLUES NACHTS IM VIERTEL…

Manchmal, ich weiß auch nicht, sticht mich der Hafer, dann tu ich ignoranter, als ich eigentlich bin. Nur so „aus Daffke“, wie der Berliner früher sagte. Auch ich habe schroffe Seiten. Also nenne ich Aphrodite, den Hund der Alk-Fraktion im Erdgeschoß, einen Mops. „Na?“, sage ich beispielsweise sarkastisch zu Elli, der Hausbesorgerin, „watt machsn fürn Gesicht? Hat die Alk-Fraktion ihren Mops wieder erschöpfungshalber zum Scheißen bloß in den Garten geschickt?“ Der Ton in meinem neuen Ghetto ist halt rau, aber warmherzlich, ich kann nix dafür. Und natürlich weiß ich in Wirklichkeit sehr gut, daß Aphrodite kein Mops ist, sondern eine schwarz-weiß gescheckte französische Bulldogge, mit arttypischen Fledermausohren und dem wissenden, abgründig dunklen, unendlich todtraurigen Blick eines schwarzen, baumwollpflückenden Blues-Sängers. Ich nenne sie aber solange einen Mops, bis die Alk-Fraktion aufhört, mich durch nächtliche Gesänge oder Krakeelereien zu ängstigen! Man kann sich doch, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch mal still betrinken!

Tja, was soll ich sonst über mein Viertel sagen? Verkehrssprache ist hier ein basales Pidgin-Turk-Deutsch. Jungmännerdialog zwischen Osman und Tolgan (gestern im Rheinpark mitgehört) geht hier in etwa so: „Oh, Alter, Bruder, Weiber ey, isch sach dir! War Tussi an Händi!“ – „Escht? Scheise, Mann. Unnn? Haddse gestreitet?“ „Nee, war’m Heuln! Schwör! Die willmisch! Die Alde steht voll auf misch!“ „Schwör? Öylemi? Escht am Heuln, Ağabey?“ „Ja, Bruder, schwör! Ferttich war die, Mann, voll datt Opfer, eh, vallahi!“ „Boah, voll Missgeburt, Mann, äy! Issie scheis Jude, oder was?“ „Näh, die is auch Duisburger!“ „Abba Madonna is Jude, und, ey, die Alte da, in dem Film, wie heiß noch, Halle Berry…“

Thema der Woche bei der allabendlichen Hausgemeinschaftsbesprechung war, neben dem Dauerbrenner, daß die Alk-Fraktion immer das Treppenhaus versaut, das alljährliche Fest der Stadtwerke hier im Viertel, an diesem Wochenende. Wie früher die römischen Kaiser mit ihrem Zirkus, spendiert man fürs Volk Belustigungen. Hausbesorgerin Ellis Ehemann Pitti hat sichs schriftlich geben lassen und säuberlich aus dem Anzeigenblättchen ausgeschnitten: Costa Cordalis kommt! Und Olaf Hennig! Nach dieser Nachricht muß Pitti erstmal zur Bude, Frischbier holen, was mir Gelegenheit gibt, mich unauffällig zu erkundigen, wer die genannten Gaststars denn seien und welcher Lebensleistung sich ihr Ruhm verdanke. (Es handelt sich um einen ur- und einen mittelalten Schlagerheini mit Appeal zum Schlichtpublikum!) „Aber auch Sweet!“ trumpft Anneliese, der 60er-Spätlese-Teenager aus dem Nachbarhaus auf, „Sweet kommt auch! Die aus den 70ern! Fox on the run und so! Damdam dadada-damdam!“ Das Stadtwerkefest heißt übrigens „Energiespaßtage“, und ich bin ganz froh, nicht der herzlose Diktator von Deutschland zu sein, weil ich dann bestimmt zur Abschreckung ein paar Werbefuzzis für ihre scheiß Wortspiele ins Arbeitslager schicken würde.

Das friedliche Zusammenleben der Ethnien und Nationen wird bei uns nicht zuletzt durch sorgfältig getaktete Zeitkorridore geregelt. Alle haben ihre Zeit, die bulgarischen Menschen- und die serbischen Waffenhändler, die breit watschelnden, schnatternden anatolischen Kopftuchmuttis, die pakistanischen oder srilankesischen Krickett-Spieler, die verkniffenen altdeutschen Blockwarte, die beinharten russischen Putin-Doppelgänger und BMW-Kabrio fahrenden Bodybuilder vom Großpuff. An einem warmen Spätsommerabend wie gestern gehört seltsamerweise das Viertel ab 22.00 Uhr dem schwarzen Mann. Ich muß das leider so pauschal sagen, denn von außen sieht man ja nicht, ob einer jetzt Afro-Deutscher, Afroamerikaner oder Originalneger aus Mother Africa ist. Das hat mit Rassismus nichts zu tun! Ich kann von weitem sehen, ob einer Pole, Ukrainer, Kroate oder Slowenier ist, aber Hutu, Tutsi, Bantu oder Xhosa kann ich kaum unterscheiden! Ist hier aber auch nicht wichtig, nehm ich an.

Auf meiner Spätpatrouille entdecke ich vor „Gino’s Nachtcafé-Bistro“ die dicke Mandy, die, glaub ich, in Wirklichkeit Magdalena heißt und aus Kiew stammt. Es heißt, sie habe Architektur studiert oder Pharmazie. Auf jeden Fall macht ihr in Sachen Superblondheit keiner was vor. Ihr himmlisch weißbrotfarben schimmerndes Dekolletée erleuchtet die Straße wie ein dreidimensionaler Doppel(fast)vollmond; sie verhandelt auf der Straße mit zwei bejammernswert dürren, langen Schwarzen, und es sieht aus, als käme man ins Geschäft. Überhaupt kapier ich Naivling allmählich, daß die nachts überall an den Ecken herumstehenden, oft überraschend hübschen Mädchen gar nicht auf den Bus warten. Ich hab mich schon gewundert, weil hier nämlich gar keiner fährt!

Am Brückenplatz, der tagsüber der internationalen Alk-Fraktion gehört, sind in der Nacht alle Männer schwarz. Es müssen Afrikaner sein, denn sie frönen überwiegend ihrer, wie es aussieht, in der Fremde einzig kultivierten Obsession: Nach Hause telefonieren! „Hello?! Helloo?! Can you hear me?“ schallt es aus Rostlauben, Billigkneipen und Telefonierkabinen. Yes, we can! Die Dorfgemeinschaft daheim will schließlich informiert werden, was im deutschen Paradies so läuft. Ob man auch von Mandy erzählen wird?

Am Brückenplatz befindet sich die m. W. einzige Trinkhalle (für Nicht-Ruhris: Das ist ein Kiosk für Trinker- und Raucherbedarf mit extrem dehnbaren Öffnungszeiten) Duisburgs, die, ausweislich einer Reklameinschrift, auch jederzeit Zahngold und Unterhaltungselektronik ankauft.

Den südlichen Teil des Platzes beherrscht die bei mir hochrespektierte Duisburger Bäckereikette Bolten, die hier einen Brötchenladen mit angeschlossenem Café betreibt. Bolten ist gut: Deren Baguette z. B. kann ich warm empfehlen! Warm schmeckts jedenfalls am besten. Im Café sitzt die Bevölkerung der Postmoderne. Kaftan-Islamisten geben hier ihre zwei, drei Burkassen zur Aufbewahrung ab, wenn sie Koranlesen gehen; blasse, dünne Frauen aus Osteuropa ruhen sich hier aus, die all night long vergeblich auf den Bus gewartet haben; Herren aus aller Männer Ländern buchstabieren stirnrunzelnd ihre Zeitung, und manchmal trifft man auch mich hier, über esoterische Fragen nachgrübelnd, wie die, warum Konditoreimädel oft wirklich wahnsinnig und kinofilmreif süß sind, Fleischereifachverkäuferinnen hingegen überdurchschnittlich oft einen Hang zum Wurstigen und Grobfleischernen zeigen. Bei Bolten im Café sitzend und das Treiben im Viertel betrachtend, hat man die Wahl: Wahnsinnig werden, Amok laufen, oder still, bescheiden und konzentriert einer milden, wohlwollenden Melancholie verfallen.

Vielleicht bring ich Aphrodite mal ein Zipfelchen Wurst mit?