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Frühling im Geddo. Eine Idylle

28. März 2011

Mittelgebirge im Geddo (wächst nachts noch...)

„Maßlos ist das Wachstum der Bäume und Gräser im Frühjahr
Ohne Unterlaß fruchtbar
Ist der Wald, sind die Wiesen, die Felder.
Und es gebiert die Erde das Neue ohne Vorsicht.“

(Bertolt Brecht)

Erste arabische Aufstandsbewegung um 6.49 Uhr morgens (ja, ich hab umgestellt!), zum Glück nur Musik, freilich Straßen füllend. Allah und Habibi-Gejodel. „Tod dem Merkel“ skandiert noch keiner und Schuhe fliegen noch nicht. Trotzdem: Aufstehen! Apropos: Das übliche Meisen- und Amselkleingeflügel tiriliert schon. Zart randaliert das Frühjahr. Meine Freunde, die Elstern, hat der harte Winter allerdings offenbar stark dezimiert. Dafür schreitet ein Kollegium ernster Rabenkrähen in schwarzglänzenden Seidenroben gravitätisch über den Hinterhof und erörtert anscheinend irgendetwas Juristisches.

Sonor volltönend Südostanatolisches pünktlich ab Acht. Nee, nicht der Muezzin, das ist bloß wieder Nachbar Abdul, der jetzt wichtige Ferngespräche führt, wie immer ohne Telefon, diagonal über die Straße. Es geht, ebenfalls wie immer (mein Basis-Türkisch reicht wirklich aus!), um Autos und sowie Geschäfte mit Autos. Ein richtiges Autohaus hat Abdul wohl nicht, er betreibt seinen Handel ambulant, was sicherlich sinnvoller ist. Er lehnt an seinem handpolierten silbernen Daimler und streicht sich wägend den Schnauzbart. Manchmal fliegen die Rabenkrähen ohne ersichtlichen Grund auf und krächzen hämisch, dann wirken sie fast wie Geier oder Anwälte.

Auf den ersten Bäumen und Sträuchern unnachahmlich frischgrüner Hauch. Wie Deo gegen den Wintermuff. Forsythien und Japankirschen feuerwerkeln schon protzig in der Morgensonne. Begleitet von unübersichtlich zahlreichem Nachwuchs schieben die ersten langmäntligen Mütter ihre Kinderwagen durchs Viertel. Oft auch Zwillingskinderwagen. Willkommen in Sarrazins Albtraum: Hier scheinen Migrantenkids im Stundentakt geboren zu werden. Man gebiert das Neue ohne Vor-, hier und da aber vielleicht mit Absicht. Merkwürdig genug: Überraschend viele Leute in unserem muslimischen Viertel besitzen auch noch Hunde (haram wie Schwein, aber außer mir weiß das mal wieder kein hiesiger Muslim), alle Größen und Sorten, vom monströsen Kangal über den toitschen Schäferrrrhund bis zur französischen Bulldogge und dem zittrig-winzelnden Yorkshire. Die werden jetzt ausgeführt, den Bolzplatz zuscheißen.

Aus meiner serbischen Stammkneipe stolpern blinzelnd die letzten Gäste  der Nacht. Es ist neun Uhr früh! Ich weiß Bescheid: Es gibt nämlich eine neue weibliche Bedienung. Die hat legendärerweise schon mal in einem Porno mitgemacht, den hat natürlich jeder Gast bereits auf dem Handy. Den Unterschied zwischen nacktem Märchen und bekleideter Arbeit zu checken, wird niemand müde. Der Slibo fließt die ganze Nacht. Ist ja eh eine Stunde weniger. Und der Schwanz, wie eine serbische Redensart heißt, guckt wenigstens nicht in die Schuhe.

Ab mittags steigt aus allen Ecken weißer Rauch auf. Keine Angst, kein neuer Papst und kein Super-GAU: Sobald der Himmel blaut und die Quecksilbersäule über 15°C steigt, wird unweigerlich der Holzkohlengrill angeworfen. Der betörende Duft von Grillfleisch umhüllt das Gesamtgeddo. Das ist ganz gut so, denn der Sonntag ist in der Folklore einer bestimmten, nicht genannt werden wollenden Volksgruppe auch der Tag, an dem man traditionell seinen verwesenden Haus- und krumpeligen Sperrmüll auf die Straße kippt. Verwesung vs. Fleischverkohlung: 0:1 nach Verlängerung.

Auf der Straße zeigen sich die ersten Grüppchen von türkischen Schönheiten, die jetzt mit Schminken und Kopftuchknüpfen fertig sind. Allgemein herrscht Disco-Islam: hautenge Hüftjeans, körperbetonte Tops, aber Kopftuch, in grell leuchtendem Rosa-, Türkis- oder Mintgrünmetallic. Mode ist, sich das Haar unterm Kopftuch dergestalt in einem Knoten zu binden, dass der Hinterkopf aristokratisch ausladend aussieht wie bei einer altägyptischen Prinzessin. Straße und Park sind schwarz von bunten Menschen, später auch bunt von schwarzen Menschen. Ganz selten mal das graue, verkniffen-argwöhnische Gesicht eines scheuen Deutschen – er wirkt irgendwie fremdartig hier, komischerweise auch auf mich.

Hinterm Kraftwerk parken über Nacht  Kohle-Trucks aus Bulgarien, der Tschechei und Polen. Es riecht nach Kohlenstaub, Nachtschweiß und Illegalität. Vor den Schlafkojen spreizen die Raben ihre Roben und warten auf Mandanten. „Honorarrr, Honorarrr, Honorarrr!“ krächzen sie erregt. Schlaftrunken blinzeln die Trucker in die Sonne. Sie bewegen sich vorsichtig und schwerfällig, wie die Leute bei der Mondlandung. Die Luft scheint zum Atmen geeignet, mit Abstrichen, aber ob der Planet Geddo auch bewohnbar ist? Immerhin, über allem – auch wenn man das Verb nicht mehr gern in den Mund nimmt – strahlt ein kobaltblauer Himmel.

Abends. Die Sonne versinkt postkartenreif hinter den Müllbergen. Es wird kühl. Wer jetzt kein Haus hat … schläft halt im Auto. Daheim aber beginnt die Natur unermüdlich und maßlos ihr fruchtbares Werk. Du spürst den Frühling, auch im Geddo.

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Kommunikation durch verstohlene Seitenblicke: Brunch für Ägerste

18. November 2009

Der mythische Bote (Foto Quelle: Wikipedia / Benutzer123 at de.wikipedia)

Magpie, pie bavarde, gazza, Atzel, Hatzel, Ägerste, Algarte, Agelhetsch, Agerist, Schalaster, Schalester, Scholaster, Schulaster, Schagaster, Aglaster, Agelaster, Agerluster, Heste, Heister, Egester, Hutsche, Kekersch, Hetze, Gackerhätzl, Häster, Tratschkattl und Diebsch: – Nein, das ist kein Dada-Lautgedicht, sondern die Liste der Namen, die man meinen – vom dummen Bauernvolk freilich gehassten und gefürchteten! – geliebten, aber immer wieder auch ehrfürchtig mystifizierten Freunden gegeben hat.

D. h., meine persönlichen Freunde heißen eigentlich Baldur der Prächtige, Schlanke-Heidrun und Klein-Frygga, aber ihr gemeinsame Gattungsname ist Pica pica L. – gestatten, ja, genau, die Elster! Als diebisch verschrieen, als geschwätzig diffamiert, des Singvögelchen-Mordes bezichtigt, immer verdächtig des dämonisch-hexerischen Kontakts mit Nachtwesen, Geistern und Todesgöttern, als Hexen-, Pech- oder Galgenvogel denunziert, führt die Elster ein gemobbtes Leben unter Rufmordbedingungen.
Für die germanischen Wikinger war die Elster Botin von Hel, der Herrscherin der Totenwelt. Die Todesgöttin Hel hatte, zum Zeichen, daß sie tot und lebendig zugleich war, eine halb weiße, halb schwarzblaue Haut. Die Elster trägt ihre Farben. Die dummen Christen haben gehetzt, die Elster sei der einzige Vogel, der bei der Kreuzigung Christi kein Klagelied angestimmt habe. Die Mandschuren hingegen verehren die Elter als Nothelfer, die Koreaner schätzen sie als Freund der unter Hindernissen Verliebten, die Chinesen halten sie für einen Glücksboten, der wahlweise Geld oder netten Besuch ankündigt. Bei den Sioux und den Blackfoot-Indianern galt die gewitzte Elster als Geistwesen, Trickster-Menschenfreund und Verbündeter bei der Büffeljagd.


Unter meinem Küchenfenster zum Hof liegt ein Flachdach, das dient mir zur Tafel, hier bin ich der Gastwirt und bereite täglich den Brunch für die Elstern. Es gibt gerösteten Mais, Saatgut, Käsewürfel sowie Hähnchenklein, Innereien und Fleischreste vom Menschentisch. Gutes vom Vortag halt. Hin und wieder ein aufgebrochnes rohes Hühnerei. Elstern, ihrer Eleganz wohl bewußt, verhalten sich beim Speisen ihrer Abendgarderobe angemessen. Knicksend und hüpfelnd danken sie für den gedeckten Tisch, picknicken manierlich, schnäbeln zierlich und schieben bescheiden, aber nicht ohne Grandezza wieder ab, wenn das Kröpfchen gefüllt ist. Wenn sie in blutigem Fleisch gewühlt haben, putzen sie sich hernach voller Noblesse den Schnabel mit Herbstlaub-Servietten. Elstern können übrigens lächeln, ich habe aber noch nicht herausgefunden, wie sie das hinkriegen.
Schlanke-Heidrun komm meistens zuerst und studiert das Angebot. Sie ist vom letzten Jahr und noch ohne großartige Erfahrung. Klein-Frygga folgt schüchtern, futtert aber für zwei; ich schätz, sie ist erst ein paar Monate alt, vielleicht die Tochter. Nur wenn es Fleisch gibt, gerät auch Baldur, das große Männchen, in Rage, vergisst seine Furcht vor Menschen und Aaskrähen und schreitet mit wehenden Frackschößen anerkennend nickend das Bufett ab. Warum die Elster niederdeutsch auch Scholaster heißt, sieht man an ihm, wenn er mit schräg gelegtem Kopf würdevoll den Inspizienten gibt: Magister Magpie, der Bescheidwisser unter den Vögeln.
Wir kommunizieren miteinander, ganz dem Tao der Höflichkeit hingegeben, durch verstohlene Seitenblicke. Wir tun zumeist so, als bemerkten wir uns nicht. Sie machen das, damit ich nicht denke, ihre Gier wäre größer als ihre Vorsicht. Ich verfahre genauso, damit sie mich nicht für jovial und paternalistisch halten. Baldur und ich sind Parallelgeschöpfe. Wir beide sorgen uns wegen dem Winter, wir denken an den Nestbau, der bald schon beginnen könnte und wir wissen beide, die Balz und alles, demnächst im frühen Jahr, das wird Kraft kosten.

Elegant, intelligent, wunderschön und mit miserablem Ruf: So hab ichs gern! (Foto Quelle: Wikipedia / Author: Skarabeusz)