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Nach dem Abendessen. Ein Dramolett mit Kommentar

12. April 2011

Das Mudra der Anrufung

 

Frau:             (Eine Mappe auf den Tisch werfend) Ich hab dir hier was ausgedruckt, wegen deiner Fitness, dass du da mal anrufst, in dem Rücken-Studio, okay?
Mann: Dank dir. Les ich mir durch.
Frau: Ja, ja, klar. Und dann machst du es doch nicht!
Mann:          Doch, doch, mach ich schon, gleich morgen….
Frau:             (schnippisch) Sicher! Morgen, morgen, morgen…
Mann:           Ja, soll ich’s vielleicht  JETZT lesen?
Frau:             Nein, JETZT natürlich nicht! Du brauchst nicht gleich aggressiv zu werden! Und du musst mich nicht lächerlich machen, bloß weil ich so nett war, dir was auszudrucken!
Mann:          (durchatmend) Eben, sag ich doch. Ich lese mir das morgen durch.
Frau:            Aber nicht immer nur sagen! Du musst das auch mal TUN!

Mann:          (gereiztIch TU es ja!
Frau:            Tsss. So geht das jedes Mal! Das ist dein typisches Vermeidungsverhalten! Immer vermeiden, aufschieben, reden… Ich druck dir Material aus, und das verschwindet dann bei dir in                           der Schublade! Mit Reden ist das nicht erledigt!
Mann:          (schaltet auf Zen-Atmung, bildet mit den Fingern das Mudra der Anrufung des mitfühlenden Buddha) Also soll ich’s DOCH jetzt gleich lesen?
Frau:             Das ist wieder typisch! So geht das jedes Mal! Sobald du ein Glas Wein getrunken hast, wirst du unsachlich und unausstehlich!
Mann:          Kannst du jetzt bitte damit aufhören? Ich hab doch schon gesagt, ich werde es mir morgen durchlesen!
Frau:            Sag ich doch – (flötend) Vermeiden, vermeiden, vermeiden! Du liest das doch wieder nicht! Aber Herumreden! Ausflüchte! Das alte Lied!
Mann:          (rauh aufschluchzend) Ja, verdammt! Ich habs doch jetzt schon  tausendmal gesagt: ICH LESE ES!
Frau:             Siehst du! Und dann fängst du an zu schreien...

Es gab Zeiten, da verfügte ich über schier unbegrenzte Ressourcen an Kraft und Zeit, da konnte ich solche Gespräche notfalls bis vier Uhr morgens führen und dann um 6.00 Uhr zur Arbeit fahren. Sie, die Gespräche, endeten übrigens meistens so:

Mann:     Ich hab das Gefühl, das bringt jetzt nichts mehr. Lass uns aufhören…
Frau:       (bitter) Ja, sicher, wie immer! DU bestimmst natürlich, wann Schluss ist!

Es war wohl damals, dass ich dermaßen verzweifelt und vergeblich nach einem göttlichen Schiedsrichter im leeren Himmel gesucht habe, dass ich schließlich darüber das Beten verlernte. Mein verehrter Meister Laotse sagt: Sei wie das Wasser! Sammle dich an der tiefsten Stelle. Die Kraft der Nachgiebigkeit ist unüberwindbar.


Das Schlimme ist: Ich bin mir absolut sicher, SIE hält mich jetzt für einen sturen, uneinsichtigen alten Sack, dem wirklich nicht zu helfen ist. Sie hats ja weißgott versucht, oder?

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