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Morns um Pfümpf (Zähneknirschen)

2. Dezember 2011

Bei Kilometer 8,5: Die Schmerzen kommen erst noch!

Verdammt, abends die Tabletten vergessen und zur Strafe morgens um 5.00 Uhr aufgestanden. Menno, greinte ich selbstmitleidig, um diese klamme Unzeit schläft ja selbst Frau Dr. Angela Merkel noch! Oder schlüpft höchstens gerade erst aus ihrem mit honigblauen Bärchen bedruckten Edelflanell-Pyjama, der in der kurzen Nacht kaum Zeit gehabt hatte, schlaftypisch seine sorgfältige Gebügeltheit zu verknittern, um sich, während man ihr die Haare macht und die verquollenen Äuglein pudert, von ihrer Assistentin das Redemanuskript reichen zu lassen, weil sie das „noch mal durchgehen“ will. Frau Merkel soll nämlich um neun eine Regierungserklärung verlesen und muss noch an dieser Metapher mit dem Marathon-Lauf feilen. Vor dem Frühstück!

Marathonläufer, wird sie später sagen, hätten ihr erzählt, ab Kilometer 35 würde es erst richtig, richtig schmerzhaft. Das sollte in Bezug auf die Euro-Krise wohl bedeuten, das schlimmste käme erst noch. Dazu deutete sie mimisch ganz kurz eine gewisse innere Finanzschmerzverzerrung an, um dann aber sogleich wieder ungemein mecklenburgisch-patent, tapfer und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Als Bundeskanzlerin braucht sie ja Contenance-Kompetenz und kann jetzt nicht einfach so losheulen! Außerdem muss sie gleich schon wieder weg, nach Frankreich trampen jetten, um den großen Pinocchio zu treffen, da will man ja gut aussehen. Im Bus Flieger wird sie noch mal mit ihrer Gesichtstrainerin diese liebreizende Miene aus errötender Mädchenhaftigkeit und mütterlichem Beruhigungstrostdusel üben, die sie immer aufsetzt, wenn sie den kleinen Frosch Prinzen in Paris küsst. In der Stadt der Liebe! Das kommt nämlich gnadenlos im Fernsehen.

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Ich selber kann morgens um fünf Uhr praktisch noch überhaupt gar nichts. Zitternd vor Desorientiertheit sitz ich am Schreibtisch und spüre, wie mir brachial die Bartstoppeln durch die Gesichtshaut brechen. Derart hypersensibilisiert studiere ich die Frühnachrichten, in denen es u. a. hieß, 10% aller Deutschen knirschten mit den Zähnen. Dazu haben sie auch allen Grund, denke ich, finde aber zugleich die Vorstellung grauenerregend, wie es sich anhört, wenn acht Millionen Menschen unisono mit den Zähnen knirschen. Man könnte das mal aufnehmen und mit so einem dumpfen, schleppenden TripHop-Beat unterlegen und vielleicht noch additiv dazu einsampeln, wie 25 Millionen Deutsche morgens verzweifelt gähnen, weil schon wieder so ein Tag ist. – Das Grauen! So etwas würde Frau Merkel sicher nicht hören mögen, sie hat sich wahrscheinlich eine schöne Entspannungs-CD eingelegt, für Flöte, Harmonium und Meeresrauschen, damit sie nach 35 Kilometern noch Puste hat. Mit Schnappatmung kann man keine Währung retten!

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Vorgestern hab ich mit der Gattin einen Fernsehfilm angeschaut, worin Götz George einen pensionierten, mählich dahinsterbenden Staatsanwalt spielt, der einen alten Fall aufklären will, bevor er krebshalber wegmuss, und schon bald wird klar, er ist selbst der von ihm gesuchte Mörder, ermittelt also wie Kleists Dorfrichter Adam gewissermaßen in Eigenbedarf. Wozu er aber denn da, frage ich die Gattin aufklärungsheischend, weil sie von Filmen mehr versteht als ich, erst anderthalb lange Stunden hustend durchs fahl-dunstige Brandenburg stochern musste – er hätte doch genauso gut gleich zur Polizei gehen und sagen können, ich wars. Also er jetzt. Dann wäre der Film in Nullkommanichts zu bewältigen gewesen und dieses ganze entsetzliche Brandenburg wäre uns erspart geblieben. Als ich mit der dummen Fragerei nicht aufhören wollte, breitete die Gattin schließlich genervt die Arme aus und tremolierte pathetisch: „Mensch – er tahaat es für uns!“ – Man würdigt das zuweilen vielleicht nicht genug?

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Fremde Berufswelten wie die von Angela Merkel finde ich im Prinzip schon phantasieanregend. Weil ich mich morgens leicht verlese, stolperte ich über einen Roman-Satz, der besagte: „Vor der Klinik saßen die Krankenhausbesitzer und rauchten.“ Diesen Satz würde ich gerne verfilmen: Wie so feiste, in gestärkte weiße Anzüge gehüllte Hospitaliers vor ihrer Bude sitzen, Zigarren schmauchen und ihre blutigen Hände reibend auf Patienten lauern! (Es hieß aber bloß Besucher, nicht Besitzer.) Die Gattin indes, Meisterin des kreativen Versprechers, meldete noch, die Familie der Wasserableser sei unterwegs. Bevor sie sich noch in „Firma“ korrigieren konnte, erträumte ich mir bereits einen vage zigeunerhaften und dubiosen Clan, der seit Generationen die exklusive und irgendwie klandestine  Kunst des Wasserablesens hütete, deren Geheimnis aber bei Todesstrafe nicht ausplaudern dürfe. Manchmal, denke ich, sollte man sich sprachlich etwas mehr gehen lassen, um Neuland zu entdecken.

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Der Magister erklärt: „Dialektik“

15. August 2010

Der Dorfrichter Adolf

Immer wieder einmal werde ich zum Beispiel, das ist halt mein Job, gefragt: „Sag, Magister, was ist eigentlich noch mal genau Dialektik?“ – „Ganz einfach“, antworte ich dann keck (schon mal ein guter Anfang, oder?), „Dialektik ist, wenn sich Eines gerade durch sein innewohnendes Anderes, also durch Widerspruch oder Widerlegung, bestätigt und damit letztlich in seinem Sein, auf höherer Ebene hinwiederum, eben gerade durch sein Gegenteil also, bekräftigt, dabei andererseits sich aber auch ganz schön gewandelt hat.“ Manche Wissbegierige murmeln dann rasch: „Ach so, ja, na klar!“ Die meisten aber sagen: „Hä?“ – Ein Mutiger wirft sogar in dem Raum: „Kannze dat vlleich ma annem Beispiel klar machen?“ Kann ich natürlich – ist ja, wie gesagt, mein Job.

Die Veranschaulichung habe ich von unserem Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland, dem, na ja, zumindest dafür, Dank gebührt, nicht wahr? Also, Dialektik ganz einfach. Der moralisch-politisch Verantwortliche des Loveparade-Desasters erklärt heute im Interview: „Ich lehne einen Rücktritt ab, weil das hieße, keine Verantwortung übernehmen zu wollen.“ Nein, das ist nicht, wie der unbelehrte Volksmund glaubt, ein typischer Fall von „vom Schicksal gefickt“, und auch nicht eine simple Zwickmühle, sondern ein Beispiel echter höherer Dialektik. Mit anderen Worten beweist der Kommunal-Dialektiker damit seine höhere moralische Qualität als Nobelmensch erster Klasse, indem er gerade nicht tut, was in der Politik seine ureigene Rollenpflicht wäre, nämlich als federführendes und politisches Stadtoberhaupt zurückzutreten, um den Angehörigen der 21 Todesopfer und der Bevölkerung wenigstens symbolische Genugtuung und Erleichterung zu verschaffen. Er ist ein besserer Mensch, weil er es verschmäht, seiner moralischen Pflicht nachzukommen, weil, das wäre bloß gut, aber eben nicht das Gegenteil von gut, nämlich noch besser.

Oder, für die Lümmel in der letzten Bank, die nie was kapieren: „Ich bin vielleicht ein vernageltes Arschloch. Kann ja sein. Aber das muß erst bewiesen werden. Und damit ich dieser wichtigen Frage auf Grund gehen kann, muß ich widerstrebend im Amt bleiben, damit mir kein vernageltes Arschloch mir in die Untersuchung pfuscht!

In Heinrich von Kleists „Zerbrochenem Krug“ ist es der Dorfrichter Adam, der seine eigene Missetat aufklären will. Das Stück ist eine Komödie, denn es geht ja nur um eine versuchte Vergewaltigung und ein zerschmettertes Gefäß. Wie soll man nennen, was der Duisbu rger Oberbürgermeister mit seinen CDU-Schranzen aufführt? Eine … dialektische Farce? Ein Bubenstück? Eine Schule der Erbärmlichkeit?