Keine Ode an den Pfirsichmond: Eingangstür zum Karl-Marx-Haus in Trier
Lange Zeit bin ich in die Irre gefahren, von allzu schüchternen Schildchen missleitet. Dabei hätte ich bloß den Chinesen folgen müssen. Der Chineser findet sich ja überall zurecht. Schwarmintelligenz halt. Ihm wird es freundlicher Weise in seiner Landessprache untersagt, Eis zu lutschen oder Zigarettchen zu rauchen. Darüber lächelt er großzügig. Das aus der Heimat vertraute Auf-den-Boden-Spucken unterlässt er unaufgefordert. Ich kannte einmal eine blonde Bonnerin, die sich „Rauchen verboten“ in chinesischen Schriftzeichen auf den Nacken tätowieren ließ, in der verzeihlichen Meinung, es handele sich um ein romantisches Gedicht an den zarten Pfirsichmond.
Den zierlichen Fern-Ossis nachspürend fand ich es jedenfalls schließlich: das Karl-Marx-Haus in Trier.
Es heißt so, weil darinnen Karl Marx geboren wurde. Marx war also eine Hausgeburt. Das wusste ich gar nicht. Aber wahrscheinlich ist das der Lauf der Geschichte: Jesus war ja noch Stallgeburt, ich hingegen schon ein Entbindungsheimkind. Im Entbindungsheim, das hieß wirklich so, bin ich wahrscheinlich vertauscht worden. Ich bin Generation Tauschkind! Kinder wurden damals in rauen Mengen verwechselt, vertauscht oder gebraucht verkauft, weswegen große Unzufriedenheit mit denen herrschte, die sich dann als unsere Eltern ausgaben. Man nannte uns deshalb summarisch „die Kinder von Marx und Coca Cola“.
Eine besondere Aura hat das Marx-Haus eigentlich nicht. Weil die SPD es gekauft hat? Auch, sicher, vor allem aber, weil der kleine Kerl Karl hier nur als bettlägriger Säugling tätig wurde. Bevor er laufen konnte, zog man schon weg. Anders als in der Berggasse in Wien, wo der spießige Mief von Sigmund Freuds psychoanalytischen Quacksalberkuren noch immer irgendwie in den Möbeln hängt und Atmosphäre verbreitet, spürt man hier keinerlei marxistischen Brausewind, sondern nur den stickigen Mulm der sozialbürokratischen Partei. An einer Wand hängen „Intellektuelle“, die „vom Marxismus beeinflusst“ waren. Gut, dass man mich nicht auch da hingehängt hat!
Ich habe am Ausgang noch den Gipskopf von Marx in klein gekauft, weil ich so etwas nämlich passioniert sammele. In Weimar erstand ich einst sogar Goethe und Schiller als Salzstreuer. So etwas dient mir zur Mahnung, mich jeder Ruhmsucht zu enthalten. Nachruhm in Form idiotischen Esstischnippes kann mir ganz gut gestohlen bleiben. Auch wäre mir die Vorstellung unangenehm, dass täglich hundert rauchende Chinesen Eis schlürfend durch den Schuhkarton stoffeln, in dem ich einst verzweifelt versuchte aufzuwachsen, nur um sich dann grinsend vor meinem in Mandarin-Schrift erläuterten Gitterbettchen photographieren zu lassen.
Es muß kurz vor Feierabend gewesen sein, als der Schöpfer Heidi Klum ihren Body zuteilte. In der Eile vergaß er, die hübsche Hülle innen zu füllen. Damit will ich nicht behaupten, daß Frau Klums Innenleben gänzlich aus Sägemehl besteht; wohl aber, daß die arme Attraktivitätsattrappe gezwungen ist, mit einer Stimme herumzulaufen, die einem kleinen gelben Plastik-Quietscheentchen mit Gewalt entrissen worden zu sein scheint. Manche werden sagen, ja, und? „Barbie“ – die ja heuer auch schon in die Wechseljahre kommt – konnte noch überhaupt nicht sprechen! Ästheten hingegen entgegnen: So etwas geht heute gar nicht mehr! 90-60-90er Blondinenweiber mit Luxusleibern, – und dann die Intelligenz einer feuchten Scheibe Weizentoast! Und dazu diese entsetzliche Quietschentenstimme! Das will unserem modernen Frauenbild gar nicht mehr schmecken!
Und jetzt huscht die Fleisch gewordene Vorspieldose ja auch noch durchs Fernseh, macht komische Geräusche und quietscht Tumbheiten ins Mikro, die als männermörderische Hohlmuschel-DummDumm-Geschosse eigentlich unters Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Frau Klum kommandiert, kujoniert oder schikaniert da, man weiß es nicht genau, als eine Art Schnallentreiberin oder so, ein Rudel hipper Jung-Tussies (z. B. die Jennifer, Chantal, Leonie-Lena, Valerie, Cloe und Samantha), die offenbar keine größeren Wünsche kennen, als a) in immer kleinere Kleidchen zu passen und ansonsten b) haargenauso zu sein wie Kommandeuse Heidi Klum! Inkl. Entenstimmchen, schnatterquakquaak.
Schlimm leider: Der Ententeich ist oft genug ein Haifischbecken! Nicht alle kommen durch. Einige Schnallen gehen baden, können kein vernünftiges Wort Englisch außer „shoppen“ und „Händi“, wundern sich, warum die Amerikaner in LA nachts das Licht brennen lassen oder brechen sich unbeherrscht die extraordinär langen Streichholzbeine, weil sie das elegante Stöckeln auf HighHeel-Schühchen nicht beherrschen. Autsch, Pech, – raus! Dem „Playboy“ zum Fraß vorgeworfen mit Haut und Knochen. Mehr ist ja eh nicht.
Tussen mit Gewinner-Gen und Stöckelpumpsführerschein hingegen dürfen dafür gleich im Fernseh bleiben und uns weiter multimedial auf den Senkel gehen. Zum Beispiel kommen sie in die CocaCola-Reklame.
Die CocaCola-Reklame ist ein Episodenfilm (Farbe, 25“) mit dem bestürzend preziösen Titel „Nur du bist du!“ Es ist ein Stummfilm mit Musik, das heißt, die tragenden Frauenrollen sind sprachlos. Ohne Text. Entchen hat mal Pause. Schon nicht schlecht! In der ersten Episode fährt eine jüngere, sommerlich leger bekleidete Heidi-Klum-Lookalike-Contest-Gewinnerin einen auffallenden Kleinstwagen aus der Tiefgarage. Feuerrote Fiat 500 „Topolinos“ mit Schiebedach, die aus Parkhäusern kommen, gelten unter Freudianern bekanntlich als ausgemachte Mösensymbole. Die junge Fahrerin ist aber mördergut drauf, denn sie kennt keinen Penisneid. Den scheint aber der junge Mann in der Parallelspur zu hegen, denn er sitzt in einem schweren Kompensationscabriolet, ist in einem typischen Porschloch-Auto, vielleicht ist es auch ein Daimler mit zu kleinem Benz, „unterwegs“. Weil aber die rote Fiat-Schnalle vor guter Laune schier platzen will, fährt sie dem doof hinterherschauenden Penisheini lachend davon, nicht ohne michael-schuhmacherhaft das Siegesfäustchen zum Schiebedach hinauszurecken. –
Nächste Episode: Eine rothaarige (Natur?) Trulla heiratet „in weiß“ (psychoanal. Symbol für GV-unerfahren!), will aber nicht bis zur Dienstreise oder bis zur Scheidung warten, sondern verarscht den dümmlichen Ehe-Deppen gleich an Ort und Stelle, indem sie, prähysterisch-uralter Clownstrick, auf dem Hochzeitsfoto mit gespreizten Fingern ihrem Gespons heimlich von hinten symbolische Hörner aufsetzt (psycho-symbolisch für: Hörner). Die Braut strahlt über den gelungenen Scherz und die zu erwartenden Unterhaltszahlungen wie ein zuckerfreies Honigkuchenpferd.
Episode drei: Ein Modelmannequin mit häßlicher Badekappe (beige mit braunen Applikationen; Symbol für: Klimakterium) macht in einem Wellness-Pool, an dessen Rand sorgfältig gurken- oder joghurtbreimaskentragende, in hoteleigene schneeweiße (Unschuld!) Frotteeflauschigkeiten eingemümmelte postklimakterielle Damen der Ruhe in Liegestühlen pflegen, eine sog. „Arschbombe“, wodurch die Ruhedamen ordentlich naßgespritzt (symbol. für: Sexualität) werden. Unter Wellness-Zicken natürlich ein Heidenspaß!
Schlußepisode: Eine Businessklassefrau im Economykostüm macht vor dem Aufsichtsrat oder so eine Art PowerPointPräsentation. Kennt man ja. Aber jetzt taucht glucksenderweise ihr humorvoller Powerfrauschwesterscherzkeks im Businesskostüm auf und treibt allerhand Allotria und Possen: Quetscht von außen ihre Nase an die Glastür, womit sie ein ganz bizarr lustiges Grimassengesicht zustande und ihre Businesskollegin heillos zum Lachen bringt. Es ist zum Schenkelklopfen irre spaßig, das alles! Schauspielerleistungsmäßig schon glatt oskarreif, dieses Gesicht gehört auf den Roten Teppich! Oder drunter zumindest!
Nach dem letzten lustigen Streich der kleinen Strolche ist Abspann: Fetzmusik, Abbild einer Flasche CocaCola und der Satz: „Nur du bist du!“
Klar. „Ich“ bin ja schon ich! Zum Glück ist die Gattin zur Stelle, nimmt mir sanft die Kettensäge aus der Hand und fragt, ob ich jetzt meine Medikamente möchte.
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