Am Sonntagnachmittag hatte ich, und wer das als Vergreisungssymptom deuten will, ist dazu herzlich eingeladen, erstmals seit Jahren sog. „Kaffeebesuch“. Eine Dame zwar, aber Damenbesuch wäre dennoch ein Wort, das falsche Assoziationen weckte. Eine alte Freundin aus wüsteren Tagen halt; nennen wir sie, wegen ihrer enormen Hippelichkeit, Ritaline. Als Kind war Ritaline dermaßen hippelig, daß sie schon mit 11 Jahren NRW-Vizelandesjugendmeisterin im Akkordeonschnellspielen wurde. Damals war sie noch nicht der hinreißende „Schwan von Dinslaken“, sondern eine kleine rothaarige Ente mit Zahnspange und glasbausteindicken Brillengläsern. Ihre Tastenraserei ging dessen ungeachtet den ehrlichen Menschen des Reviers ins heiße Blut, oder, je nach Temperament, in die schweren Beine.
Apropos schwere Beine. Ritaline, auch heute, in mittleren Jahren, noch rank wie eine resche, kesse Tscherkessin, brachte ein Riesentablett Sahnetorte mit, zum Teil durchaus auf Eierlikörbasis. Weil wir beide saisonal bedingt deprimiert waren und den Winter-Blues hegten, fraßen wir zum Trost Unmengen Torte in uns hinein, weil, wie Max Goldt sagt, ab und zu auch mal was egal sein muß. Um die viele – und in meinem Fall völlig ungewohnte Torte – zu bewältigen, tranken wir im Anschluß besonnen, aber doch in rascher Folge einige Ouzo hinterher. (Ich hatte nichts besseres im Haus!) Der toxikulinarische Dreiklang Pfefferminztee, Eierlikörsahnetorte plus eisgekühlter Ouzo gab dem Sonntag insgesamt eine extravagant psychedelische Note, die den Winterblues mit einer goldbrokatenen Borte seligsüßer Melancholie umsäumte. Wir verabschiedeten uns tränenreich und unverhohlen blümerant.
Am Abend schrieb ich der grünäugigen Ritaline noch eine E-mail, ihren Besuch nachbereitend und mit Fußnoten-Links versehend. Darauf mailte sie mir eilends zurück, sie könne momentan leider nicht antworten, sie „tanze sich gerade die Torte von den Hüften“, und zwar, wie sie beiläufig anmerkte, „zur Film-Musik von Godzilla“. Ich erinnere mich an diesen Film, nicht aber an die Musik. Den Antitortentanz stelle ich mir daher als einen so breit- wie schwerbeinig dreifach gestampften Häuserzermalmmonstertanz vor, bei dem asthmatisch ächzendes Mobiliar panisch in tausend Stücke springt. In seiner Dramatik untermalt wird der formidable Ausdruckstanz durch gelegentliche gellende Entsetzensschreie, die eine entschiedene und zutiefst menschliche Abneigung gegen scheußliche Häuserzermalmmonster zur Sprache bringen.
Auch wenn ich es nötiger gehabt hätte als Ritaline, verzichtete ich, um meine Restwürde besorgt, auf Antitortentänze. Obschon, so einen breitbeinig aufstampfenden Godzilla hätte ich vielleicht ganz ordentlich hinbekommen. Gleichviel, Ritaline verriet mir, von welchem Dealer sie das locker-lecker-leichte, delikate und versucherische süße Tortengift bezogen hätte: Vom Café Ortjohann! Es sei das beste Haus am Platze und die Torten allemal eine Sünde wert. Das kann ich absolut rückhaltlos bestätigen. In der bevorstehenden Ruhestandszeit, in der gemütliche Tortennachmittage allmählich die Besuche im Swingerclub ersetzen, werde ich die Produkte des Cafés Ortjohann bestimmt öfter wohlwollend in Betracht ziehen. Einen flankierenden Magenbitter, womöglich der Marke „Fernet Branca“, werde ich dann freilich bereit halten.
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