Posted tagged ‘Brüste’

Löffel treuer als Socken. Was selbst bei IKEA nicht zusammengebaut werden muß

13. August 2009
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Unzertrennlich: Löffel verehrt Gabel

BESTECK IN DER BEZIEHUNGSKISTE

 Da gibt es nichts: Die sattsamst bekannteste Vergnügung der Welt (Sexualität. Ja, genau, gääähn!) ist immer noch der absolute Renner Nr. 1! Weil ich allergisch auf die höhnisch-fiesen Sprayer-Parolen reagiere, die auch bei uns an die Tunnel-Durchgänge geschmiert werden („Keiner liest deinen Blog!“), guck ich aus purer Eitelkeit alle paar Tage auf meine Blog-Statistik, um mir ein Bild über meine tatsächlich zahlenmäßig recht bescheiden ausfallende, aber nicht gänzlich gegen Null tendierende  Lesergemeinde zu machen. Dankenswerterweise wird einem ja angezeigt, wer von wo warum mit welchen Suchwörtern zu mir gelangt ist. Meine Statistik ist recht ansehnlich! Ich habe rund hundert Leser pro Tag. Immerhin!

Schau ich genauer, sinkt mein Triumpfgefühl wieder auf Normalnull. Irgendwann, bei einem Artikel über Sprache, Alltagssemiotik und Presse-Wahnsinn hab ich mal ein völlig sachfremdes Foto verwendet, das eine unbekleidete vollbusige Blondine zeigt (in Teilansicht!) und in Internet, wo ich’s her hab, den Titel „busted teen girlfriend“ trägt, also zu deutsch „mit Brüsten ausgestattetete Freundin zwischen Dreizehn und Neunzehn“. Wie sich zu meiner Beschämung herausstellt, ist diese Dame, die ich noch nicht mal zu kennen die Ehre habe, für den – relativ – passablen Leserdurchschnitt meines Blogs praktisch fast alleine verantwortlich! Zahllose Interessenten müssen im Netz von der Nachricht förmlich elektrisiert werden, daß es U-20-Frauen gibt, die a) blond, b) mit Brüsten ausgestattet sind, welche man sich c) bei  mir auf dem Blog zu zwei Dritteln ansehen kann! Sechs bis elf Männer (na, Frauen werdens wohl nicht sein, oder?) surfen pro Tag im Durchschnitt auf meine Seite, bloß weil ich vor zig Wochen mal die einladend ausladenden Möpse einer Anonyma in einen Text integriert habe! Ist das zu fassen? Meine Phantasie reicht so weit, daß ich mir ausmalen kann, wie man im Internet nach Anregungsbildchen sucht. Auf die Idee aber, zu diesem Zwecke die Suchwort-Kombi „busted teen girlfriend“ einzugeben, wäre ich wohl im Leben nicht gekommen.

Während das menschliche Triebleben offenbar unausschöpfliche Aufmerksamkeit beansprucht, wird das Liebesleben der Dinge selten erörtert. Gut, es gibt ein paar Aufsätze zur Frage, warum bei der Spezies der Socken die Paare sich meist schon nach der ersten Wäsche trennen und nie wieder zusammenkommen, und der frühe Thomas Kapielski hat in Berlin, wenn ich richtig informiert bin, mal ein Werk namens „Sex mit Möbelstücke“ vorgelegt – das wars dann aber auch schon.

Was ist zum Beispiel mit Besteck? Anders als Socken bleiben Löffel und Gabel zumeist ein Leben lang unzertrennlich. Zwar gehen sie auch mal getrennte Wege, wenn etwa dem Löffel nach Suppe ist und der Gabel nach Pasta, aber sie wissen immer, daß sie letztlich in ein- und denselben Besteckkasten gehören. Zumindest in gehobenen Besteckläden sind Löffel und Gabel gar nicht getrennt erhältlich, immer nur als Paar. Ich besitze ein Besteckset aus Stahl (glaub ich jedenfalls, daß das Stahl ist, Tafelsilber brauch ich alltags nicht), daß ich vor zwanzig Jahren bei IKEA gekauft habe, und noch immer sind alle Teile zusammen, trotz mehrerer Umzüge! Ich bin also noch immer versorgt.

Wer aber erstmals aus dem Hotel Mama auszieht und eine preisgünstige Erstausstattung benötigt, kann sich sein Küchenzubehör ruhig bei IKEA kaufen, zumal Messer, Gabel und Löffel so ziemlich die einzigen Teile im IKEA-Angebot sind, die man NICHT nach diesen verdammt bescheuerten, piktographischen Bauanleitungen SELBER ZUSAMMENPFRIEMELN muß!

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Gefälschte Kriminelle (Meine Frau heißt nicht Mutti!)

9. Mai 2009
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PhotoShop machts möglich: Porträt Kraskas (digital überarbeitet)

DIE WELT IST EIN FAKE, LEUTE! („YO, BROTHER!“)

Eine Frage, die ich ruhig einmal zur gefälligen Beantwortung in den Raum stellen möchte, ist, ob man seiner Gattin zum Muttertag Blumen schenken sollte. Es gibt ja Ehemänner, die ihre Frauen ganz ungeniert „Mutti“ nennen. (Mein Schwiegervater, der allerdings besonders stoffelig und ungalant agiert, sagt zu seiner zwei Jahre älteren Gattin sogar „Oma“!) Konzediere ich also mit einem Blumenstrauß zum morgigen Muttertag, daß unsere knisternd funkensprühende Beziehung nunmehr leider endgültig in ein ödipal ausgebaggertes Mutti-Sohnemann-Fahrwasser einläuft? Das wäre ja schlimm! Außerdem ist meine Frau um Jahre jünger als ich, da kann sie gar nicht meine Mutter sein! 

Noch besser in dieser Hinsicht hat es der sauerländische SPD-Kapitän Franz Müntefering (69), denn seine neue, junge, hübsche Frau ist, wie die Presse mir breitwandig auf den Frühstückstisch tratscht (und natürlich lese ich Trottel das auch noch!), erst 29 Jahre alt. Was sind schon 40 Jahre Unterschied! Ich glaube, Joschka Fischers aus Afghanistan stammende 14. Ehefrau ist auch erst 11 oder 12, – na und?

Macht, so tutet es aus der Klischee-Fabrik der Presse-Lümmel, Macht mache eben „sexy“. Echt? Ist das so? Dann leide ich wohl an einer Linseneintrübung auf meinem Sexuelle-Attraktivitäts-Wahrnehmungsauge. Es mag ein Minderheitengeschmack sein, der in mir herumspukt, aber ich würde die meisten Machthaber kaltlächelnd „von der Bettkante schubsen“, wie man so sagt. Ich finde beispielsweise Herrn Wladimir Putin nicht sexy, sondern abstoßend; Herrn Erdoğan würd ich nicht heiraten, nicht mal, wenn er ein Kopftuch trüge; der Mann zwischen den beiden Ohren von Prinz Charles macht mich auch nicht an (obwohl ich seiner Frau „Mom“ ein bißchen ähnlich sehe) und „sexy“ wäre leider nicht unter den hundert ersten Adjektiven, die mir zu Franz Müntefering einfielen. –

Aber, ich sei, so wendet man ein, doch ohnehin keine Frau? Nun, darauf könnte ich jetzt schnöde mit einem Film-Zitat antworten, etwa dem letzten Dialogsatz aus „Manche mögens heiß“, wo Jack Lemon seinem verliebten Multimilliardär am Ende gesteht, gar keine Frau zu sein und der nur lächelnd die Schultern zuckt und sagt: „So what? Nobody is perfect“. – Nun, heute sind wir allerdings einen Schritt weiter: Was nicht vollkommen ist, wird eben perfekt gemacht! Zum Beispiel mit PhotoShop.

Angenommen, ich wollte aufs Titelblatt einer Fernsehzeitschrift. Ich schickte einfach ein Foto von dem struppigen, triefäugigen, unrasierten alten Sack, der ich leider bin, und zwar, tunlichst, „zu Händen der Abteilung Bildbearbeitung“. Dort sitzen blutjunge Nerd-Genies und Retuschevirtuosen, die mich mit einer Serie blitzschneller Maus-Operationen per Adobe PhotoShop-Programm medienästhetisch umarbeiten. Das Haar wird verlängert und gelockt sowie neu eingefärbt – weg mit den grauen Schläfen! Die Augen werden aufgearbeitet und dramatisiert und bekommen statt des 08/15-Dackelbrauns einen geheimnisvoll irisierenden Smaragd-Ton. Das gesamte Gesicht muß natürlich komplett neu, das geht so gar nicht! Eine solche Fresse, die sieht ja aus wie schon mal gelebt! Das ist doch nicht fabrikneu! Also flugs ein digitales Total-MakeUp: Jugendfrischer Teint, die Lippen kriegen Bluttransfusion, die Nase wird eingekürzt und schmal gestellt, das Doppelkinn wird mit digitalen Abnähern beseitigt und zu einem formidablen Decolletée umgearbeitet, das durch zwei blusensprengende Brüste aus dem Ordner „Möpse-Bibliothek“ (unter „Größe DD“ abgelegt) mehr als abgerundet wird. Der Abteilungsleiter geht zum Schluß noch mal „kurz drüber“, setzt ein paar Reflexe, Schattierungen und Spezialeffekte – und fertig bin ich als süße sexy Brünette, die aussieht wie die legendäre Essener Edelnutte Ilona, die ich mal verehrte!

Heute ist nämlich, und es sei jedem unbenommen, diese Behauptung als missgelaunte Kulturkritik mißzuverstehen, nahezu alles fake. Ich bin sonst kein Freund immer neuer Anglizismen, aber fake trifft es: Gefinkeltes, Angetäuschtes, Künstliches, Unechtes, Talmi, im Oberfränkischen auch schlicht: „a Scheißdreck, a depperter“! Wo man hinguckt, überarbeitete Kopien, manchmal auch ohne Original. „Naturidentische Aromastoffe“ aus der Hexenküche der Lebensmittel-Techniker verseuchen unser Essen, Intellektuellen-Imitatoren unser Kulturleben, und regiert werden wir von angeheiterten Phrasen-Robotern, die nicht viel tun, weil sie sich ja für ihre verdammt blutjungen Dinger fit halten müssen! So läufts doch! Und selbst ich verkleide mich auch noch digital als Edelnutte Ilona oder als Frau Nicole Kidman, bloß um auf ein Titelbild zu kommen!

Wer einen Intensiv-Kurs in fake-Kultur benötigt, soll mal bei Viva reingucken. Ich unternahm  dies heute vor Sonnenaufgang und begann daher den Tag frühzeitig mit einem herzhaften Lachen! Für meine gewiß zahlreichen LeserInnen im deutschsprachigen Ausland und den benachbarten Steueroasen muß ich kurz etwas ausholen: Wir haben hier bei uns so einen peinigend unbegabten, nervigen, aber häufig auf der Mattscheibe präsenten Schauspieler namens Uwe Ochsenknecht. Das ist dieser eine blonde Typ mit dem Karpfen-Flunsch und den badkachelblauen Basedow-Augen, der seine beiden Söhne aus karriere-strategischen Gründen  Jimmy Blue, Wilson Gonzales und seine Tochter Cheyenne Savannah genannt hat. Nun ja, wenn halt Proll- und Knallchargen-Geschmack zusammenkommen. Übrigens, in der populären Filmkomödie „Keinohrhasen“ sagt im Kindergarten eine Göre namens „Cheyenne“ zu einem erwachsenen Besucher, der sich ob dieses Namens doch ein wenig verstört zeigt: „Meine Mutter ist Schauspielerin, da dürfen die Kinder nicht normal heißen“. Hihi, gut gegeben! Gut übrigens auch, wie der Dialog weitergeht: Auf die Frage: „Ist denn dein Vater auch Schauspieler?“ versetzt die kesse kleine Cheyenne, von der Mutter gut informiert: „Nein, der ist ein Arschloch.“ Damit sind wir wieder beim Thema Ochsenknecht, Jimmy Blue Ochsenknecht in diesem Fall. Wie sein Bruder Wilson Gonzales (Ha! Prust! Es ist einfach zu schön!) ist er seit Kindesbeinen in den Fußstapfen seines berühmten Vaters unterwegs und schauspielerte in Kinderfilmen, bis er pubertätshalber dafür zu alt wurde. Nun tritt er, weil Medienbekanntheit Kapital ist, mit dem man wuchern sollte, als „Musiker“ auf, wie sein Bruder auch, und zwar.

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Jimmy Blue, Bruder von Wilson Gonzales und Cheyenne Savannah Ochsenknecht

Mein subjektiver Ein… – Was? Wie? Und zwar was? Ach so… – und zwar als „Rapper“. Aber dazu komme ich noch. Zunächst: Meinem natürlich ganz subjektiven Eindruck nach hat Jimmy Blue Ochsenknecht vom Vater nicht nur Namen und Begabungsmangel geerbt, sondern auch mit seinen 17, 18 Jahren ein unfaßbar einfältiges, eitel selbstgefälliges Backpfeifengesicht (siehe Foto!). Ein Backpfeifengesicht ist, falls man das im Österreichischen nicht kennt, ein Gesicht, das dazu einlädt, oder auch danach schreit, mal links und rechts eine reingesemmelt zu bekommen, ein Schrei nach Hieben, den in diesem Falle selbst Gewaltlosigkeitsfreunde wie ich gut vernehmen können.

Dieser Jungspund „rappt“ nun also, was soll man auch machen als Reiche-Leute-Kid mit „qualifiziertem Hauptschulabschluß“, oder er bewegt jedenfalls den Mund zum Gesang von jemandem, der das kann, dies bleibt im Video unentscheidbar. Für das Musik-Video nun hat man den gepflegten Waldorf-Schüler (!), der grund-behütet, begütert und rund-betütert in Grünwald, einer der schweinereichst-exklusivsten Villen-Gegenden Münchens unter lauter gleichgestellten Schickimicki-Idioten aufwuchs, in so ein „original“ Gangsta-Rap-Outfit gesteckt, inklusive Kapuzen-Seidenbluson, Baseballcap, Hängehosen und Blinkblink-Goldkette, und dann tigert bzw. stiefelt (im unsäglichen Video) dieser streetgang-mäßig ausstaffierte Kleinkriminellendarsteller auch noch in so ’nem antrainierten schwarz-schwuchteligen Hampelgang durch ein Ghetto, als wäre er mindestens 50 Cent oder Snoop Doggy Dog, flankiert von vier, fünf harten, gemischtrassig-farbigen Background-Kriminellen, ahmt diese spastischen HipHopper-Moves nach und macht also einen auf sozialkritischen Gangster (Gangsta)! Deutsche Gangsta-Rapper mit Migrationshintergrund wie BushidoSido oder Massiv sind ja schon abgeschmackteste, abgefuckteste fake-Kriminelle, aber Freund Jimmy Blue ist davon noch der fünfte oder sechste Aufguß! Es ist zum Schreien! Volle 100% fake! und soviel angesammelte Anschleimerei, Kommerz-Wichse, Präpotenz und Anmaßung, daß es für die Jahreshauptversammlung der Verkäufer einer Gebrauchtwagen-Kette reichte! Das wird den Vater-Deppen Uwe aber stolz machen! Mein Sohn, ein echter Straßenkrimineller! Super! – Tja schade, meine Kinder heißen Hans und Else, da kann ich solche shooting-star-Karrieren wohl knicken.

Ausnahmsweise habe ich Jimmi Blue etwas gewünscht. Einen Auslandsaufenthalt. Ich kenne zufällig ganz gut ein paar Viertel in Southside Chikago, wo der kleine weiße Arsch, das nachgemachte Armani-Ghetto-Kid, spontan viele Mit-Rapper finden wird. Und Freunde fürs Leben. Dieses freilich, steht zu befürchten, wird dort kurz sein. Yo, Brother!

To have and have not…

29. März 2009
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Nicht nichts: Easy Rider mit Spar-Harley

DAS FUTUR ZWEI DES ENTBEHRENS

Wenn ich mich nicht irre, gehört es zu den derzeitig geläufigen Scherzüblichkeiten, in bestimmten Kontexten mit beleidigt-wehleidiger Stimme melodramatisch seufzend auszurufen: „Wir hatten ja damals nichts!“, womit jüngere Leute gern die selbstmystifizierende Privatmythologie ihrer Eltern ein wenig zu veralbern trachten. Die satirische Spitze ist ja auch berechtigt, wenn und sofern jemand angesichts der vergleichsweisen Ungesegnetheit seiner Kindheit mit materiellen Gütern es für ein besonders hervorhebenswertes Verdienst hält, daß er heute dennoch, dick und stark geworden, überregional viel Platz wegnimmt, vor Bedeutung platzt und sozialbeachtlich herumlärmt. (Daß „Nichts-Haben“ des weiteren natürlich äußerst relativ ist, wie man beim Besuch von Kindern, die in Manila auf Giftmüllhalden wohnen, ganz gut studieren kann, bedarf hier keiner weiteren Erörterung…)

Da ich zur „Generation Drehwählscheibe“ gehöre, bzw. zu denen, deren Kindheit noch auf vergilbenden Schwarz-Weiß-Photos mit gezacktem Rand dokumentiert wurde, könnte ich immerhin mit einigem Recht den Kids vorjammern: „Jedenfalls, also, Foto-Handys, Nintendos, Spielkonsolen, Computerspiele, CDs, MP3-Player, DVD-Player, Pay-TV,  Flachbild, Digitalcamera, Net-Community, MyFace und Spacebook.com, Baggy-Hosen und Baseball-Caps, Wodka-Redbull, Klassenfahrt nach Rom, Erlebnispädagogik, Koma-Saufen & Amok-Laufen – so etwas hatten wir alles nicht!“

Stimmt ja doch auch! Selbst meine Harley (vgl. Foto!) war eine extrem abgespeckte DrittWelt-Ausführung, statt Handy hatten wir Dosen-Telefon und anstelle der DVDs bloß Kopfkino mit zwei Kanälen (1. Abenteuer: Blondes Nachbarmädchen aus Schurkenhänden retten, 2. Erotik: Sex mit dankbarem blonden Nachbarmädchen). – Aber war das schlecht, oder vielleicht eher gut? (Rhetorische Frage. Bitte hier nicht antworten!)

Die Ergänzungsbedürftigkeit kindlicher Ausrüstung sowie allgemein das Zu-Wünschen-übrig-Lassen der Realität trainiert früh den seelischen Phantasiemuskel und sorgt für blühende innere Kopflandschaften! Außerdem „hatte“ ich durchaus einiges: Ein nahezu unverwüstliches, reparatur-unanfälliges Fahrzeug (vgl. abermals Foto!); einen besten und engsten Freund und Blutsbruder (nämlich Gudrun, allerdings nur bis 12 Jahre, dann waren ihr plötzlich unterm Pullover Brüste gewachsen, sie war heimlich „eine junge Frau“ geworden, der Verräter! und ließ mich als dummen Jungen in kurzen Hosen zurück); ich war bewaffnet (Flitzebogen, Weckgummi-Katapult, Silberbüchse); ich hatte genug zu essen (Lieblingsspeise: Milch mit vollfett viel Kakao-Pulver und reichlich Zucker) und nachts wachte der lb. Gott in Vertretung von Mutti darüber, daß ich wg. dem blonden Nachbarsmädchen nicht zu handgreiflich in Wallung geriet. Außerdem hatte ich auch noch Eltern, die mich nicht verstanden, und mehr braucht man als aufstrebendes Kind gar nicht.

Nur eines habe ich meinem Vater, dem Geld-Verdiener und mittagstischlichem Weltherrscher, lange verübelt. Es mochte für ein Kind meines Alters und Geschlechts ja ungewöhnlich sein, aber mein Herzenswunsch war halt, neben der Anschaffung eines Hundes, der Besitz eines Klaviers. Selbstverständich bekam ich nie eines. Mein Vater hegte wegen meiner Leserattenexistenz und seitdem ich mir zum 7. Geburtstag eine „Negerpuppe“ gewünscht hatte, den heimlichen Verdacht, ich sei auf dem besten Wege zur Homosexualität, und das wollte er nicht noch durch unnötige musische Impulse unterstützen. Außerdem hatten wir für ein Klavier weder Platz noch Geld. Wutschnaubend besorgte ich mir daraufhin Schuhkarton, alte schwarze Schulheftumschläge und Kleber und baute mir eine Piano-Tastatur aus Pappe. Darauf gedachte ich, während ich mal wieder leichtes Fieber und Knieschmerzen simulierte, zuhaus im Bett, beim Schulfunkhören, auf der Bettdecke schon einmal das Klavierspiel zu üben; den dazugehörigen Klang mußte wie so vieles die Imagination übernehmen. – 

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Vater Heinz Haneld: Selber Klavier spielen und mir Wandergitarre predigen!

Wie man sich denken kann, geriet diese Übung zwar zur impressionablen Demonstration rebellenhaften jugendlichen Eigen- und Unabhängigkeitssinns, mündete jedoch nicht in die ersehnte Pianistenlaufbahn… Aber jetzt kommt erst das Schärfste: Jahrzehnte später finde ich ein Photo meines Vater im Alter von achtzehn Jahren, und zwar – an seinem Klavier! Der Hund! Der Sausack, der knausrige! Selber Piano spielen und anderen Wandergitarre predigen! Gut, die war dann zum Trost immerhin „drin“, für 49 Mark vom Quelle-Versand.

Zum Dank bin ich dann doch nicht schwul geworden, sondern nur so polymorph-pervers vielseitig interessiert…

Muttis preußisch-protestantischem Überwachungsgott habe ich schon früh gekündigt, aber ich bin immerhin bereit, gewisse, nicht näher zu bezeichnende höhere Mächte anzuerkennen: Ob man etwas hat oder ob man’s entbehrt: Man weiß nie, wozu es ( – Futur Zwei! – ) gut gewesen sein wird!