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In den Mund gestopft

23. August 2012

Abendbrotabendidylle. – Bedächtig und mit methodischer Konzentration streicht sich der Verlobte der Stiefstudentin eine Butterstulle, welche er daraufhin mit sichtlichem Behagen verzehrt. Die Stulle, nicht die Studentin. „Daff Broop if neemich von Neddo“, verkündet er mit vollem Mund in der Runde, „iff da moomnpan daff Broop def Monapf!“ – Dass ein Geddo-Discounter sich die Mühe macht, aus seinem spartanischen Sortiment alle vier Wochen eigens ein „Brot des Monats“ zu küren, und sei dies auch bloß ein mieses, merkelig muffiges Mecklenburger Chemie-Graubrot der Marke Tristesse-am-Tisch, beweist den selten beachteten und öffentlich kaum gewürdigten, dennoch immer unermüdlich tätigen Bienenfleiß namenloser Marketing-Sklaven, die sich krumm schuften, um uns Verbraucher mit allerhand Quatsch bei frohgemuter Laune zu halten. Als politisch aufgeschlossener Bürger fände ich es kleingeistig, den Stammtisch-Kritikaster zu spielen und etwa auf Montags-Demos mit dem Megaphon lärmend nachzuhaken, wer denn bei der Wahl zum „Brot des Monats“ eigentlich überhaupt wahlberechtigt und ob die Kür auch frei und geheim sei.

Auch menschliches Graubrot, wie der vormalige Bundespräsident etwa, wird ja nicht vom breiten Volk der Stullenesser gewählt, sondern von sorgfältig ausgeguckten Elitemenschen aus Politik, Sport und Kultur. Wollen wir dem mauen Graubrotmann und nährstoffarmen Leistungsverweigerer übrigens gönnen, dass er neuerdings 18.000 Euro mehr einstreichen darf  bzw. sich dafür, wenn er möchte, lebenslang gute irische Bio-Butter ins Haar schmieren kann? Aber natürlich, so generös wollen wir sein! Zwar wird für uns, die wir ebenfalls nichts arbeiten, kaum jemals eine Gehaltserhöhung in dieser Höhe winken, aber wir beißen die Zähne zusammen – Neid ist unvornehm! Übrigens, meine durch Krieg und Hunger beschädigte Frau Mutter pflegte Butter bis in die 60er Jahre generell immer nur „guute Butter“ zu nennen, nie ohne dieses schmückende Beiwort, und immer mit einem  Blick frommer Begehrlichkeit in den hungrigen Augen; sie hatte aber auch recht, denn damals war die Lebensmitteltechnologie noch nicht erfunden. Heute besteht Butter bis zu 30% aus Wasser, weswegen sie zum Braten nicht mehr geeignet ist und fad schmeckt, selbst auf dem Brot des Monats. Wahrscheinlich wird die Wasserbutter in einem speziellen Verfahren hergestellt, – wie Bionade.

Ich gehöre nicht dazu, deswegen weiß ich auch nicht, ob die Gemeinde der Bionade-Trinker tatsächlich von der Frage gepeinigt wird, warum denn bloß Bionade „so einzigartig anders“ schmeckt, was jedenfalls die ekstatische Werbung behauptet. Das liegt, um die Sache mal aufzuklären und dazu den Chef-Tautologen der Brause-Firma mit seiner pampigen Antwort zu zitieren, daran, dass Bionade eben im „spezifischen Bionade-Verfahren“ hergestellt werde. Schon als Kind in kurzen Hosen nervten mich doofe, faule Erwachsene, die auf „Warum?“-Fragen mit „darum..!“ antworteten; ich möchte Bionade deshalb nicht zum Getränk des Monats wählen! Spitze Zungen werden anmerken mögen, Getränke ohne Alkohol hätten bei mir doch eh keine Chance, aber das stimmt so nicht. Nicht in die Tüte kommt mir lediglich der neumodische Bubble-Tee, egal, ob er Krebs macht oder nicht. Natürlich ist das wieder eine chinesische Erfindung.

Der radikal omnivore Chinese kennt offenbar generell nichts, was er nicht wenigstens versuchsweise in den Mund stopft. In der südostchinesischen Stadt Dongyang gelten zum Beispiel Eier als Delikatesse, die man stundenlang in Knabenurin geköchelt hat. Der Urin muss von Knaben stammen, die noch nicht zehn Jahre alt sind und wird, so heißt es, in den örtlichen Grundschulen gewonnen. Man beabsichtigt, glaube ich ferner gehört zu haben, diese kulinarische Sensation als Weltkulturerbe registrieren zu lassen; probieren möchte ich das  trotzdem nicht. Es verschaffte mir indes schon ein gewisses Vergnügen, „Eier in Knabenurin“ als Suchwort ins google-Feld einzugeben und umstandslos zahlreiche Treffer serviert zu bekommen. Apropos serviert bekommen: Man sollte mir nicht voreilig Mangel an Abenteuerlust unterstellen. Für mein Philo-Seminar im Herbstsemester, das sich ums Essen dreht – doch, bei mir drehen sich Seminare! –, habe ich bei einem thailändischen Versandhandel allerhand Köstlichkeiten geordert. Vielleicht werden die frittierten Schaben und gerösteten Heuschrecken ja von den Teilnehmern zum „Snack des Monats“ gewählt oder ich zum Dozenten, bei dem es „einzigartig anders“ zugeht. Dann gebe ich eine Bionade aus, die schmeckt wenigstens annähernd wie Knabenurin!

 

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