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Bein vom Baumarkt

4. Juli 2012

Gutes aus dem Baumarkt. Heute im Angebot: Gute Beine

Maden. „Los, komm!“ ruft die Gattin, „wir rudern vom Lottofelsen über den Butterrand auf die Marmeladenseite! Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal! Dort in der süßen Pampe siedeln wir auf den Toast-Inseln, tanzen Seniorentango, bis der Notdienst kommt und fühlen uns wie Fliegen im Speck!“ – „Maden“, sage ich, „es heißt MADEN im Speck.“ – „Du bist ein alter, miesepetrigerr Spielverderber“, sagt die Gattin. Wir müssen uns halt erst wieder zusammenraufen.  Aber es heißt doch „Maden“, oder? – Oha, Waldorf und Stattner wollen zusammen ziehen. „Die Idee gefällt mir“, sagt Waldorf, und Stattner entgegnet: „Kein Wunder, Dir hat ja auch der zweite Weltkrieg gefallen“ – Soweit würde ich zwar nicht gehen, aber Umzüge sind einfach ein Horror. Gelernte Philosophen haben allerlei erstaunliche Kompetenzen erworben: Die Handhabung von Akku-Schraubern, die Formulierung von Kreditanträgen oder das hiebfeste Meistern der Stichsäge gehören nicht dazu.

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Sommernacht. Im ganzen Geddo riecht es heute nach Gras, aber nicht wie ihr vielleicht denkt, sondern nach frisch gemähtem Geddo-Park-Gras. Rasen also. Ich finde immer, dieser Geruch gehört in die gleiche Kategorie wie Schlangen-Gurken-Duft: ganz fein, subtil, sehr grün und extrem vegetabil. Gibt es das Wort? Ich denke ja. Man wird nachgerade zum Pflanzenträumling, zum botanischen Erotomanen, zum Schwarmgeist – man möchte ausschwärmen, summen und Grillen befruchten!

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Duisburger Dialoge. Imbiss am Baumarkt. Fachsimpel unter sich, dazwischen Kassel-Pit, genannt Rollo, der mit seinen elektrischen Rollstuhl auf der Suche nach einer Rampe gelassen über die Terrasse cruist. Ich gucke hin, weil ich mal irgendwo in einer Benimm-Sendung gehört habe, Behinderte fänden es besser, wenn man glotzt, als wenn man krampfhaft wegsieht. Rollo grinst mich an, klopft auf den halbleeren Sitz und erläutert unaufgefordert: „Ich warte nämlich auf mein Bein, das ist erst in drei Stunden fertig!“ – „Ah, Bein inner Werkstatt?“ frag ich bemüht beiläufig. „Genau“, sagt Rollo, „Wartung“, und, fügt er, um Missverständnisse zu verhüten, sicherheitshalber hinzu: „… is aber’n gutes Bein!“ Er ist längst weg, als ich stutze: Ein Bein aus dem Baumarkt? Kann denn das? Aber so sind die Leute hier: rustikal, solide, genügsam.

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Deutsche Vokabeln. Ein Wort, das mählich ausstirbt, ist das Adjektiv saumselig. Schade. Im Adelung von 1793 steht: „ein auch für säumig übliches Wort, besonders in engerer Bedeutung, auf eine fehlerhafte Art langsam, die pflichtmäßige Eilfertigkeit und den pflichtmäßigen Gebrauch der Gelegenheit aus Trägheit unterlassend. Saumselig seyn. Ein saumseliger Schuldner. Das im Hochdeutschen veraltete Hauptwort Saumsal, wovon dieses Beywort abstammet, ist noch in Baiern üblich, so wie auch Logau es noch gebraucht.“ Meine eigene Saumseligkeit ist notorisch, und gehört zu meinen Persönlichkeitsmerkmalen, die ich jetzt mal für ein paar Wochen stecken lassen muss, erledigungshalber.

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Lebenslanges Lernen. Ist ja nie zu spät: Dem leise wackelndem Greisenkopf werden jetzt energisch und endlich mal noch drauf geschafft: Reluktanz, Torpor, Coriolis-Kraft, Higgs-Boson sowie, zum Nachtisch, dunkle Materie. Ärgerlicher als sterben ist dumm sterben.

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Barock im Baumarkt: Die Nacht der leitenden Reichen

4. Februar 2010

...raffgierig-schlaraffische Gier nach Weiberfleisch (Peter Paul Rubens, Fleischereifachgemälde-Herstellung en gros)

OH FREUDE, TOCHTER DES DELIRIUMS

Etymologische Ironie: Das Wort „Banause“ kommt, – ich hoffe, manchen LeserInnen damit noch etwas Neues zu erzählen – , vom altgriechischen Wort bánausos, was ausgerechnet soviel hieß wie „Handwerker“. Die Zeitgenossen von Platon und Sokrates hegten nämlich noch eine schnippische Verachtung für Leute, die mit eigenen Händen arbeiteten, erst recht, wenn sie’s um des Geldes willen taten.

Insofern bin ich eine wandelnde Paradoxie, nämlich bekanntlich sowohl Hausbau- als auch Bauhausbanause. Eher homo laber als homo faber, komm ich mit Ingenieuren meist nicht gut zurecht. Mir fehlt das Daniel-Düsentriebhafte. Mir sind Dichtungen Hölderlins und Rilkes vertrauter als jene von Spüle und Waschmaschine, ich besitze weder das Deutsche Dübeldiplom, noch habe ich eine Lizenz zum Löten. Ich bin ein notorischer Pfuscher, bekennender Bastel-Larifari und ein insgesamt eher blind herumprobierendes Frickelmännchen, was bedeutet, die Sachen kommen zwar letztlich schon „irgendwie“ an die Wand, unter Putz oder ins Lot, aber keine Schraubverbindung, Flunschverflanschung oder Silikonikone ist korrekt genug angepasst, getackert und eingenordet, um den Eindruck auch nur elementarer Professionalität zu erwecken. Bei mir ist mehr als nur eine Schraube locker, die Tassen klappern im Schrank, und alles ist ein bißchen schief, wackelt oder hat zuviel Spiel. Wäre Heimwerkelei mein Steckenpferd, hätte mich dieses längst wutschnaubend abgeworfen.

Nicht obwohl, sondern weil das so ist, erinnert mich jeder Besuch in einem richtig-richtig großen, gut sortierten Baumarkt – wie es z. B. Bauhaus ist – an meine erste Besichtigung des Louvre.

Ich war ja erst altkluge, aber noch jungfräulich ungebildete Vierzehn. Mein Wissen über die abendländische Kunstgeschichte beschränkte sich vorerst auf das wiederholte Durchblättern des Bertelsmann-Sammelbandes „Hundert Meisterwerke der Malerei“, den ich mal zum Geburtstag bekommen hatte („der Junge malt doch so gern…!“). Dementsprechend stiefelte oder schlurfte ich, – auf Klassenfahrt in Paris der marodierenden Mitschüler-Meute mal kurz entlaufen –, eingeschüchtert, irritiert und verstohlen staunend, durch das endlose Labyrinth der Louvrepalast-Säle und ließ mich u. a. von extrem üppigen Rubens-Schinken hypnotisieren, deren spektakuläre Grässlichkeit mich in eine Art atemlose Schockstarre bewundernder Abscheu versetzte. Peter-Paul Rubens! Die flamboyant-opulente Korpulenz der barock-nackerten Damenwelt verursachte mir Albträume: Die Nacht der leitenden Reichen! Deren raffgierig-schlaraffische Gier nach Weiberfleisch per Auftragsschinken in Öl gebadet! Urrghs! Da stand ich vor ca. vier Quadratmetern fleischlichen Gewusels, Gewürges und Geschwurbels, vom Boden bis zur Stuckdecke reichendem barocken Öl-Geprotze, von dem ich damals naiverweise dachte: Das würde ich aber mir ungern über meine Jugendliege hängen! –

Der nur scheinbar banale Bauhaus-Baumarkt hingegen zeigt mir Banausen, wie es in meinem Kopf aussehen könnte, wäre ich ein ganz anderer, ein Haus-Mann zum Beispiel, ein Heim-Vati und Pfiffikus. Ordnung, Funktionalität und Zweckmäßigkeit heißen die Generäle, die hier die Parade ihrer rechtwinklig organisierten Truppen abnehmen: Schraubenschwadrone, Dübeldivisionen, Kabelkavallerie, Nagelsortimente, dazu gefechtsbereite Schlagbohrer, Hieb- und Stichsägen, Pionierbatallione multifunktionaler Patentwerkzeuge, solide konsolidierte Konsolenmodule („Modell Konsul“), patent-vorverklemmte Lüster-Klemmen, Klabastersäulen aus original Kunstimitat sowie selbstverständlich nicht-klumpende Kleisterkanonen, raffiniert verdrahtete Spiegelmuffen, fettfreie Lauflafetten und gewiß, die neuen, hochmodernen doppelt geflanschten Traversal-Transformatoren, gleich daneben Scharnier-Schabrackenschoner und vorgehobelte Trubeldoubletten, kindersichere Überbetten und linksdrehende Unterlegscheiben, alles auch aus Filz, Holz, Bast, Gips und Gummi, Paletten voller Matten, Rabatt-Platten und Furnierholz-Matratzen, dazu gegen fiese Energieschlamperei gefeite Energiesparlampen, ganze Batterien komplett vormontierter, blank transparenter Nasszellen-Trakte, eine Superauswahl an Ziertapezierfasermustern, jederzeit auch Kleintierbedarf und garantiegrüne Pflanzenbrunst, reparaturorientierte Proletenpolitur, videogesteuerte Klingelstreichwurst, erschwingliche Kunstabzugshauben, kombinierte Fühlschränke und HiTec-Inflationsherdplatten mit Leckerleiste…

– es nimmt einfach kein Ende, die Fluchten der Realienregale deregulieren mein Realitätsbewusstsein, mir schwinden die Sinne, im Rausch der Zwecke erfüllt mich Beethovens Ode „Freude, Tochter des Deliriums“, und ich sinke, ermattet, überwältigt und in Ehrfurcht ergriffen auf die gutmütig bereitliegende Auslegeware: Wäre ich doch nur ein Heimwerkberserker – ich befände mich im Nirwana, Walhalla, Paradies und Garten Edeka des Wirkens und Werkens!

Ich schwömme im permanent funktionalen Erledigungsorgasmus; gelegentlich käme der Herrgott im Blaumann vorbei, um mir gütig ein paar Tricks zu verraten, wie man eine hübsche Welt zusammenschustert, ohne sich länger als höchstens sechs Tage hineinzuknien. Konvertierte ich zu dem Glauben an die prinzipielle Konstruierbarkeit der Weltbeheimatung – der Bauhaus-Baumarkt wäre meine Bastel-Basilika, mein Tool-Tempel, meine Malocher-Moschee!