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Nationalmigräne (Umdenken)

4. Juli 2011

Dynamisches Wachstum mit internationalem Flair

Neulich im Geddo: Einer unserer vorletzten Wurzeldeutschen hat Nationalmigräne und bepöbelt auf der Straße einen der allfällig Maulaffen feilhaltenden Almancılar. In sein Handy, mit dem er angeblich die Polizei ruft, bölkt er empört: „Kommen Sie sofort! Mich belästigt hier ein Ausländer! Ein AUSLÄNDER!!“ – So siehts aus bei uns: Selbst belästigt werden möchte man lieber von seinesgleichen. Ist ja auch ein offenes Geheimnis: Die Belästigungsqualität ist stark gesunken durch den Zuzug von Migranten, die nicht alle die Belästigungsqualifikation von selbstbewussten Anatoliern oder geburtenstarken Roma-Bulgaren besitzen. Schwarzafrikaner, Tamilen, Kroaten, selbst Ägypter sind praktisch gänzlich molestifikationsunfähig!

Ach, na ja, das Geddo! seufze ich wohlig vor Mieselsucht: Hier kriegt man Nörgelgründe, die für ein lang-langes Rentnerleben reichen! Zwielichtiges Gesindel allerorten, chauvinistische Blicke, unverhohlen verhüllte Frauen, gewetzte Messer, gefletschte Zähne. Anarchischer Müll türmt sich an jeder Ecke, halbwilde Kinderhorden terrorisieren die Ruheständler, das Viertel verschlampt, verroht, verwahrlost. Die Toleranzschwellen sind längst überschwemmt, hier hilft nur noch Indolenz und Ignoranz. Wenn nicht sogar Intransigenz. So dachte ich bis her.

Es ist aber alles ganz anders. In einer Immobilienannonce las ich jetzt von meinem einzigartigen Privileg: Ich lebe gar nicht, wie immer gedacht, im multi-ethnisch asozialen Problem-Brennpunkt, sondern in „einem dynamischen multikulturellen Viertel mit internationalem Flair“! Oha, oder wie man in meiner norddeutschen Heimat sagt: Ohauaha! Jetzt geht es mir wie Omid Djalili in seiner Filmkomödie „Alles koscher!“, wo er nach 40 Jahren als pakistanischer Moslembruder in London erfahren muss, dass er bloß adoptiert – und in Wahrheit ein blutsgebürtiger Jude ist: Oi! Ich muss umdenken, unbedingt flexibler werden, möglicherweise sogar, wie es im Medien-Werbe-Gequatsch jetzt immer heißt, „mich neu erfinden“!

Der römische Stoiker Epiktet hatt es schon vor knapp zweitausend Jahren gewusst: „Nicht die Verhältnisse beunruhigen uns, sondern unsere Ansichten über diese!“ Will sagen: Ändere deine Sichtweise und alles wird gut! Diese Kunst kreativer Umdeutung habe ich in letzter Zeit etwas vernachlässigt.

Ich habe das wie Pubertätspickel wuchernde Konglomerat von Spielhöllen, Dealer-Dielen, Nutten-Kaschemmen, Schmierinfektionspizzerien und osmanischen Wärmestuben scheeläugig beargwöhnt, anstatt die Dynamik des agilen Kleingewerbes zu würdigen; anstatt anzuerkennen, dass die südosteuropäischen Zwangsprostituierten hier immerhin völlig unverschleiert ihrem traurigen Gewerbe nachgehen, habe ich mich über Burkassen und Kopftuchmädchen echauffiert; mit finsteren Blicken bedachte ich den bulgarischen Schwarzarbeiter-Strich am Wanheimer Dreieck, anstatt mich über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu freuen. Nicht mal das ultra-babylonische Sprachen-Gewirr, das den LIDL-Einkauf regelmäßig zum UNO-Erlebnis macht, konnte ich gutheißen! Innerlich geflucht sogar habe ich über Bäuerinnen, die nach dreißig Jahren hier noch immer nicht geschnallt haben, dass die Amtssprache vor Ort weder albanisch, bulgarisch, marrokanisch, libanesisch noch serbisch oder tamilisch ist, sondern, verdammt noch mal: deutsch. Stattdessen hätte ich mich schon seit langem am „internationalen Flair“ ergötzen können! Zumindest flair-mäßig steht Duisburg-Hochfeld nämlich Metropolen wie New York in nichts nach!

Seit kurzen trage ich nun zum exotischen Flair des Geddos bei, in dem ich eine deutsche Fahne aus dem Fenster hänge, was ich als galanten Tribut an die Frauen-Fußball-Nationalmannschaft verstanden wissen will. Bei Weltmeisterschaften erleide ich regelmäßig Anfälle von Patriotismus. Wie ein Pawlowscher Hund: Sobald ich durchtrainierte junge Menschen Kaugummi kauend der Nationalhymne („Brüh im Glanze“) lauschen sehe, bügle ich mein kleines Schwarz-Rot-Goldenes auf!

Falls wir das Viertelfinale überstehen, worüber ich mir nicht geringe Sorgen mache, hänge ich wieder, ich bin halt unverbesserlicher Intellektueller, die große schwarze Piratenflagge daneben, um mein nationales Bekenntnis ironisch zu brechen. Ob diese Subtilität von der Nachbarschaft gewürdigt wird, bezweifle ich allerdings. – Das kapieren die doch nicht, die Ausländer!

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Inländer, heimatlos beim Weltuntergang

25. Mai 2011

"Da hörsse dich selpz deine eichne Sprache...!"

Samstag, 21. Mai. Wir hockten klamm beim Sportrentner Horst im dicke mit Schrankwand, Lederpolsterlandschaft und Flachbild vollgemachten Wohnzimmer und fremdelten. Seit Branko seine Kneipe an die bulgaro-türkische Mafia verscheuert hat, haben wir nämlich kein Heim mehr. Wir (zwei Griechisch-Orthodoxe, ein Russisch-Orthodoxer – glaubt er jedenfalls, weil er sich anders bekreuzigt als „die Griechen“ –, ein Atheist, ein Agnostiker und ein Quoten-Muslim, der aber „mit Religion nicht so viel am Hut hat“ – nuckelten am Diebels, guckten DFB-Pokalfinale und warteten auf den errechneten Weltuntergang. Von uns wurde natürlich niemand „entrückt“. Und untergegangen ist bloß der MSV Duisburg. Es war ganz furchtbar, obwohl Sportrentner Horst extra Buffet gemacht hatte mit Würstchen, Frikadellen und Nudelsalat, lecker Gürkchen auch dabei.

Es stand schon 5:0 für Schalke und wir waren eher ver-, als entrückt geworden, da schellte es und der verwitwete Ex-Hausbesorger Pitti schneite noch in die Runde (zwei Serben, ein Albaner, ein Mazedonier, ein Türke und zwei Deutsche), die gerade diskutierten, ob man nicht „alle Ausländer aus dem MSV rausschschmeißen“ sollte. Pitti sieht aus wie ein Trauer-Schlumpf, königsblaue Nase vom Kummer-Bier und schlohweißes Haupthaar vor Trauer; er ist der gegenwärtige Hauptvertreter der Duisburger Schule des Stoizismus (Maxime: „Watt willze machen? Da kannzze nix machen!“ – Was soll man zum Krebstod der Frau, mit der man 45 Jahre verheiratet war, auch weiter sagen?).

Speziell die Ausländer unter uns waren aus Frust extrem ausländerfeindlicher Stimmung. Als nach dem Spiel der Schalker Christoph Metzelder interviewt wurde und außer Atem etwas nuschelte, schollerte und bollerte, brüllte Vlado, der Mazedonier, der, obgleich seit 30 Jahren in Deutschland, die hiesige Landessprache nur rudimentär beherrscht, in den Fernseher: „Spreche maa deutsch, du Arscheloch!“, was unter den noch nicht-komatösen Stammtischlern für gewisse Erheiterung sorgte.

Pitti aber, durch bereits aushäusig stattgehabten Alkoholgenuss der vielleicht einzige „Entrückte“ unter uns, erzählte ein ums andere Mal, die lieben Knopfaugen weit aufgerissen, von dem Wunderding von Hörgerät, das „dem Arzt“ ihm verschrieben hätte. „Ey, datt glaubzze nich, da hörsse dich selpz deine eichne Sprache“, schwärmte er verträumt, „datt geht so per Funk von den einen Ohr an datt annere!“ Dass ich laut aufglucksen musste, verstand keiner, ebenso wenig wie meine kichernd hervorgebrachte Frage, ob der Funk jetzt um den Kopf herum oder quer hindurchginge, irgendeine Resonanz fand. Natürlich trägt Pitti das Hörgerät nicht, weil, bei 2000,00 Euro Selbstbeteiligung ist das einfach zu teuer, um benutzt zu werden.

Mangels Hörgerät hatte er aber auch wiederum gar nicht mitbekommen, dass das Spiel schon zu Ende und die Welt bereits untergegangen war. Mir aber, dem aus verschiedenen Gründen (MSV, Religion, Alltagsrassismus, Wein) melancholisch gewordenem Volksmagister wurde die Welt schon wieder zu Gleichnis. Man stelle sich vor, es gibt Funk, aber zwischen dem einen und dem anderen Ohr … ist nichts, geht keiner hin, ist bloß weißes Rauschen. Endlich kann man sich hören – und dann stellt man gerade deswegen fest, zwischen den eigenen Ohren herrscht Funkstille, Verstummung, Schweigen. Nobody at home. Das weiße Rauschen, das schwarze Loch, zu groß, um es mit Bier und Schnaps zu füllen. „Isch geh denn gezz ma“ beschied Pitti der Runde würdevoll, „ich krich noch’n Anruf“. Wir protestieren höflich und denken im Stillen: „Ja klar, sicher doch, Hauptsache, du hörst den dann auch….“

Na ja, egal, Fazit ist – in der Welt wie im Geddo: Wir sind es, die HIER BLEIBEN müssen! Scheiß Propheten… – Das Pokaldebakel war dann überraschend rasch vergessen. Milos und Nikolaj bemühten sich, mir komplett Ungläubigen beizubringen, wie man sich korrekt russisch- bzw. griechisch-orthodox bekreuzigt. „Proffesser“, wachte Bogdan, der chronisch übermüdete Bosnier, der es als Baupolier wissen muss, kurz auf, „Professerweißt du, warum euer Jesus bei die Bosnier nich gekreuzigt worden wär?“ Nö, wusste ich nicht. „No, überlech maa, Professer – Nägel aus Eisen! Wärn doch längs alle  geklaut!“  – Treuherzig, wenn auch unmotiviert, erklärt mir der Mazedonier Vlado, „…und deswegen hass ich die Griechen!“ – „Wieso“, frage ich, „das sind doch eure Nachbarn?“ — „Eben“, schmunzelt Vlado gütig, „eben!

Dem Führer wird es zu blöd. Nix Anpassung

17. April 2011

Reden, wie der Schnabel gewachsen ist

Heute in der serbischen Stammkneipe. Komme wie immer zu spät, hab die ersten Runden Diebels oder Warsteiner verpasst. Am Stammtisch ist Schalke gegen Milano schon durch, es herrscht bereits Religionskrieg. Oh, Allah, dicke Lufthoheit! „Bismallah ah-Rahman i-rahim“, sage ich höflich, klopfe auf den Tisch und grüße brav „Selam-aleikum“. Ich bin halt so erzogen. Immer höflich, kommt von Mutti. Sportrentner Horst ist aber schon auf höchster Krakeelstufe. „Aaaannn-passsn solln die sich! Aannpass-ssen!“ – „Wer denn? Was denn jetzt? Woran denn?“ versuche ich die Tagesordnung zu eruieren. „Na, die scheiß Türken!“ brüllt Horst, und zeigt erbittert auf seinen serbisch-montenegrinischen Herzensfreund Branko. Wie sich nach einigen Gläsern Wein (vino bjelo), mit denen ich mich einzugrooven versuche, herausstellt, Horst möchte gern, dass unsere Muslime hier Schweinefleisch essen, „weil das numaa unsre Regeln sind“, greint er pampig. – „Horst“, rüge ich milde, „du bist doch noch nicht mal Christ! Also blas hier die Backen nicht so auf!“ – „Anpassen oder rausschmeißen!“ insistiert der Sportrentner bockig, der eigentlich, nüchtern, ein herzensguter Mensch ist und noch nicht mal wirklich Ausländerfeind. Der Alkohol hat ihm irgendwie die Koordinaten verknotet.

 Horst stiert mich wütend an und versetzt: „Proff! Du hast von nix ne Ahnung!“ Ich schlucke das zunächst, wie alles, was man mir in dieser Kneipe vorsetzt (obwohl ich bei selbstgebranntem, mit dem Bus aus der Heimat [„Ch’aimath“] hergeschmuggelten Slibo inzwischen mädchenhaft zimperlich geworden bin). Eigentlich hatte ich die Chancen des MSV Duisburg beim Pokal-Endspiel diskutieren wollen, aber hilft nichts, der Integrationsmagister ist jetzt gefragt.

Ich formuliere ein paar wohlgesetzte Worte über religiöse Toleranz, werde aber von Horst direkt volley niedergebrüllt. „Der Türke“, beharrt er und macht eine weit ausholende Geste in Richtung der überwiegend serbisch-orthodoxen oder bosnisch-liberalmuslimischen Gäste, „der Türke“ sei ein „Sozialschmarotzer“. Und seine besondere Dreistigkeit sei, kein Schweinefleisch zu essen, obwohl er sich vom deutschen Staat durchfüttern ließe. Ich gebe zu, über diese logische Komplikation einen Moment lang nachgedacht zu haben, gab dann aber zu Protokoll, mir persönlich sei es völlig gleichgültig, was ein Mensch äße oder nicht; ich zum Beispiel verschmähte geröstete Kakerlaken und gegrillte Meerschweinchen, hielte mich deswegen aber nicht gleich für einen besseren Menschen. Zum Beispiel möge ich auch keinen Spinat, würde aber von niemandem verlangen, meine Abneigung gegen dieses köstliche, vitaminreiche Blattgemüse zu teilen. Geschweige denn, dass ich darauf eine Religion gründen möchte.

 „Außerdem: Was haben wir denn davon“, versuche ich es mit der gewaltfreien Kraft des Arguments (Habermas), „wenn der Türke jetzt Schweinefleisch isst?“„… unn die ganzen Zigeuner!“ trumpft der Sportrentner auf und gerät in Rage. „Alle rausschmeißen!“ – Ich gebe, um die Redundanz des Diskurses durch Bildungselemente aufzulockern, zu bedenken, dass diese Leute meines Wissens weder Muslime seien noch Schweinefleisch verschmähten. „Anpassn!“ beharrt Horst, „oder ehm raus hier!“ – „Wie denn anpassen, alter Mann“, frage ich, langsam etwas auf Krawall gebürstet, den Schweinefleisch-Fundamentalisten, „solln die sich auch die Haare blondieren wie du?“ – Nebenbei fällt mir auf, wenn der Sportrentner sich die Fusselfrisur schwarz färben würde, hätte er frappierende Ähnlichkeit mit Muammar al-Gaddafi, und ich kann mir nicht verkneifen, ihm (also Horst) das mitzuteilen.

 Weil man am Stammtisch deshalb nun auch lebhaft über „Egüppten“  und „Lübien“ redet und dabei Mubarak und Gaddafi ständig verwechselt, mache ich zur Güte den Vorschlag, nach 22.00 Uhr am Stammtisch evtl. die Sachgebiete Religion und Politik besser auszuklammern, vergeblich natürlich, weil, man hält mich als „Prof“, „Magister“ und „Lehrer“ zwar in gewissen Ehren, hört mir aber trotzdem nicht zu. Im Gegenteil, nach dem 20. Bier schlingert Horsts Blick ins Visionäre. „Ich grünne ne Paatei!“ verkündet er der vorwiegend aus „Ausländern“ bestehenden Runde charismatisch, fixiert mich dann plötzlich mit verliebtem Blick und donnert: „Unn du, Proff, wirst unser Führer!“ – „Horst“, repliziere ich maliziös, „ich glaube, die Partei, die dir vorschwebt, gibt es schon“, und ergänze, ich sei indes weder geneigt, deren „Führer“ noch auch der irgendeiner anderen Partei werden zu wollen und mache mich dann auf den kurzen Heimweg, was ich mit einem knappen, aber konzisen „Das wird mir jetzt zu blöd hier!“ begründe.

Freund Branko, der in Erfüllung seiner Wirts-Pflicht, stumm brütend dabeigesessen hat, macht eine halb bedauernde, halb resignierte Geste. Seine Form von Islam ist von der fatalistischen Sorte und besteht im wesentlichen darin, seine Kinder sonntags zum Hodscha zu schicken, „damit die da Anstand kriegen“. –

Der Sportrentner aber hat das letzte Wort: „Typisch den Proff, eyh. Wennas ma kons… kons…trucktief wird, hauter ab!“

Ich bin ein Pionier der Gentrification, denn ich finde mein abwrackreifes Ghetto „sexy“

16. August 2009

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SPÄTSOMMERBLUES NACHTS IM VIERTEL…

Manchmal, ich weiß auch nicht, sticht mich der Hafer, dann tu ich ignoranter, als ich eigentlich bin. Nur so „aus Daffke“, wie der Berliner früher sagte. Auch ich habe schroffe Seiten. Also nenne ich Aphrodite, den Hund der Alk-Fraktion im Erdgeschoß, einen Mops. „Na?“, sage ich beispielsweise sarkastisch zu Elli, der Hausbesorgerin, „watt machsn fürn Gesicht? Hat die Alk-Fraktion ihren Mops wieder erschöpfungshalber zum Scheißen bloß in den Garten geschickt?“ Der Ton in meinem neuen Ghetto ist halt rau, aber warmherzlich, ich kann nix dafür. Und natürlich weiß ich in Wirklichkeit sehr gut, daß Aphrodite kein Mops ist, sondern eine schwarz-weiß gescheckte französische Bulldogge, mit arttypischen Fledermausohren und dem wissenden, abgründig dunklen, unendlich todtraurigen Blick eines schwarzen, baumwollpflückenden Blues-Sängers. Ich nenne sie aber solange einen Mops, bis die Alk-Fraktion aufhört, mich durch nächtliche Gesänge oder Krakeelereien zu ängstigen! Man kann sich doch, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch mal still betrinken!

Tja, was soll ich sonst über mein Viertel sagen? Verkehrssprache ist hier ein basales Pidgin-Turk-Deutsch. Jungmännerdialog zwischen Osman und Tolgan (gestern im Rheinpark mitgehört) geht hier in etwa so: „Oh, Alter, Bruder, Weiber ey, isch sach dir! War Tussi an Händi!“ – „Escht? Scheise, Mann. Unnn? Haddse gestreitet?“ „Nee, war’m Heuln! Schwör! Die willmisch! Die Alde steht voll auf misch!“ „Schwör? Öylemi? Escht am Heuln, Ağabey?“ „Ja, Bruder, schwör! Ferttich war die, Mann, voll datt Opfer, eh, vallahi!“ „Boah, voll Missgeburt, Mann, äy! Issie scheis Jude, oder was?“ „Näh, die is auch Duisburger!“ „Abba Madonna is Jude, und, ey, die Alte da, in dem Film, wie heiß noch, Halle Berry…“

Thema der Woche bei der allabendlichen Hausgemeinschaftsbesprechung war, neben dem Dauerbrenner, daß die Alk-Fraktion immer das Treppenhaus versaut, das alljährliche Fest der Stadtwerke hier im Viertel, an diesem Wochenende. Wie früher die römischen Kaiser mit ihrem Zirkus, spendiert man fürs Volk Belustigungen. Hausbesorgerin Ellis Ehemann Pitti hat sichs schriftlich geben lassen und säuberlich aus dem Anzeigenblättchen ausgeschnitten: Costa Cordalis kommt! Und Olaf Hennig! Nach dieser Nachricht muß Pitti erstmal zur Bude, Frischbier holen, was mir Gelegenheit gibt, mich unauffällig zu erkundigen, wer die genannten Gaststars denn seien und welcher Lebensleistung sich ihr Ruhm verdanke. (Es handelt sich um einen ur- und einen mittelalten Schlagerheini mit Appeal zum Schlichtpublikum!) „Aber auch Sweet!“ trumpft Anneliese, der 60er-Spätlese-Teenager aus dem Nachbarhaus auf, „Sweet kommt auch! Die aus den 70ern! Fox on the run und so! Damdam dadada-damdam!“ Das Stadtwerkefest heißt übrigens „Energiespaßtage“, und ich bin ganz froh, nicht der herzlose Diktator von Deutschland zu sein, weil ich dann bestimmt zur Abschreckung ein paar Werbefuzzis für ihre scheiß Wortspiele ins Arbeitslager schicken würde.

Das friedliche Zusammenleben der Ethnien und Nationen wird bei uns nicht zuletzt durch sorgfältig getaktete Zeitkorridore geregelt. Alle haben ihre Zeit, die bulgarischen Menschen- und die serbischen Waffenhändler, die breit watschelnden, schnatternden anatolischen Kopftuchmuttis, die pakistanischen oder srilankesischen Krickett-Spieler, die verkniffenen altdeutschen Blockwarte, die beinharten russischen Putin-Doppelgänger und BMW-Kabrio fahrenden Bodybuilder vom Großpuff. An einem warmen Spätsommerabend wie gestern gehört seltsamerweise das Viertel ab 22.00 Uhr dem schwarzen Mann. Ich muß das leider so pauschal sagen, denn von außen sieht man ja nicht, ob einer jetzt Afro-Deutscher, Afroamerikaner oder Originalneger aus Mother Africa ist. Das hat mit Rassismus nichts zu tun! Ich kann von weitem sehen, ob einer Pole, Ukrainer, Kroate oder Slowenier ist, aber Hutu, Tutsi, Bantu oder Xhosa kann ich kaum unterscheiden! Ist hier aber auch nicht wichtig, nehm ich an.

Auf meiner Spätpatrouille entdecke ich vor „Gino’s Nachtcafé-Bistro“ die dicke Mandy, die, glaub ich, in Wirklichkeit Magdalena heißt und aus Kiew stammt. Es heißt, sie habe Architektur studiert oder Pharmazie. Auf jeden Fall macht ihr in Sachen Superblondheit keiner was vor. Ihr himmlisch weißbrotfarben schimmerndes Dekolletée erleuchtet die Straße wie ein dreidimensionaler Doppel(fast)vollmond; sie verhandelt auf der Straße mit zwei bejammernswert dürren, langen Schwarzen, und es sieht aus, als käme man ins Geschäft. Überhaupt kapier ich Naivling allmählich, daß die nachts überall an den Ecken herumstehenden, oft überraschend hübschen Mädchen gar nicht auf den Bus warten. Ich hab mich schon gewundert, weil hier nämlich gar keiner fährt!

Am Brückenplatz, der tagsüber der internationalen Alk-Fraktion gehört, sind in der Nacht alle Männer schwarz. Es müssen Afrikaner sein, denn sie frönen überwiegend ihrer, wie es aussieht, in der Fremde einzig kultivierten Obsession: Nach Hause telefonieren! „Hello?! Helloo?! Can you hear me?“ schallt es aus Rostlauben, Billigkneipen und Telefonierkabinen. Yes, we can! Die Dorfgemeinschaft daheim will schließlich informiert werden, was im deutschen Paradies so läuft. Ob man auch von Mandy erzählen wird?

Am Brückenplatz befindet sich die m. W. einzige Trinkhalle (für Nicht-Ruhris: Das ist ein Kiosk für Trinker- und Raucherbedarf mit extrem dehnbaren Öffnungszeiten) Duisburgs, die, ausweislich einer Reklameinschrift, auch jederzeit Zahngold und Unterhaltungselektronik ankauft.

Den südlichen Teil des Platzes beherrscht die bei mir hochrespektierte Duisburger Bäckereikette Bolten, die hier einen Brötchenladen mit angeschlossenem Café betreibt. Bolten ist gut: Deren Baguette z. B. kann ich warm empfehlen! Warm schmeckts jedenfalls am besten. Im Café sitzt die Bevölkerung der Postmoderne. Kaftan-Islamisten geben hier ihre zwei, drei Burkassen zur Aufbewahrung ab, wenn sie Koranlesen gehen; blasse, dünne Frauen aus Osteuropa ruhen sich hier aus, die all night long vergeblich auf den Bus gewartet haben; Herren aus aller Männer Ländern buchstabieren stirnrunzelnd ihre Zeitung, und manchmal trifft man auch mich hier, über esoterische Fragen nachgrübelnd, wie die, warum Konditoreimädel oft wirklich wahnsinnig und kinofilmreif süß sind, Fleischereifachverkäuferinnen hingegen überdurchschnittlich oft einen Hang zum Wurstigen und Grobfleischernen zeigen. Bei Bolten im Café sitzend und das Treiben im Viertel betrachtend, hat man die Wahl: Wahnsinnig werden, Amok laufen, oder still, bescheiden und konzentriert einer milden, wohlwollenden Melancholie verfallen.

Vielleicht bring ich Aphrodite mal ein Zipfelchen Wurst mit?