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Kirche, Kunst, Wurst

22. Oktober 2010

Protzblitz: der Dom!

Abgesichert durch Geistesmagistertum und Hochkulturjob leiste ich mir gelegentlich entspannungshalber und stimmungsabhängig Anfälle braatzbrutalen Banausentums. An solchen Tagen gönne ich mir die Exzentrizität, megalomanisch bombastischen Kirchenprotz, selbst wenn er steinalt und kunsthandwerklich erste Sahne zu sein scheint, dennoch hässlich und gemein, zumindest undelikat und indezent zu finden. So ist für mich beispielsweise unsere Duisburger Moschee (die größte in Deutschland), von der die harmoniesüchtige Integrationspresse behauptet, „der Volksmund“ (ha!) nenne sie „das Wunder von Marxloh“ (in Wahrheit bloß eine dieser bescheuerten, ekelhaften Medienfatzke-Quatsch-Erfindungen), architektonisch nichts als eine brunzdoofe altosmanische Herrentorte – einfallslos, rückwärtsgewandt und ein Relikt aus der Durchschnarchzeit von Sultan Selim dem Unseligen, auch wenn oder gerade weil sie jüngst neu gebaut wurde. Ein „Wunder“ ist lediglich, dass deutsche Baubehörden so etwas genehmigen! Aber keine Angst, mein Amok-Lauf macht vor dem christlichen Abendland nicht halt.

Der Erfurter Dom zum Beispiel. Mann, Mann, Mann. So eine hybride, offen geistesverwahrloste, beschämend demutvergessene und satanisch hoffärtige Aberglaubensfestung! Todsünde der superbia. Ein ärgerlich motzmördermonströses Monumentalgebirge aus Stein und Bein vulgo eine gigantomanische, petrifizierte Weihrauchvergiftung! Sturblöde, dummdreist auftrumpfende Einschüchterungsarchitektur von Bischof Kinderschreck, patzig und erzkatholisch anmaßend auf den Hügel geklotzt und präpotent selbstverknallt in den mitteldeutschen Himmel geschraubt, menschenfeindlich und gottbesoffen, selbstherrlich, herrisch und hochmögend wie sonst nur der Turm zu Babel oder der Dom zu Köln! Das ist donnich schön! So wohnt nicht Gott, sondern der Anti-Christ. Feige ducken sich die Stadthäuschen unter dem dräuenden, absurd lächerlichen Albtraumschiff. Thüringer und Touristen ziehen bänglich die Kopf zwischen die Schultern, wenn sie zum finstren Mons Trumm hochgucken: „Manno, det Ding lässt sich janichma in eim Stück knipsen, Mensch!

Der Mensch, die Laus. Damit er sich noch kleiner, erbärmlicher und insektenhafter fühle, haben die Erfurter vor dem kathedralen Fossil-Dinosaurier einen weiten, leeren Platz gelassen, so riesig, dass es für ganze Kirchen- oder Reichsparteitage reichte! Man muss sich das mal vorstellen! Ausgerechnet Erfurt, die zipfelmützig verschnarchte „Landeshaupt“-Stadt unmodern beengter Gassen, treudeutscher Touristen-Tristesse und verwinkelter, windschief und haltlos sich aneinander klammernder Fachwerkbutzen klotzt mit einem innerstädtischen Freigelände, auf dem sich sämtliche erzabbauenden Zwerge des Erzgebirges versammeln könnten, um „Hosiannah“ zu schreien.  („Hosiannah“ ist übrigens aramäisch und heißt so viel wie „Herr, hilf bitte!“) Der Herr kommt und hilft aber nicht, ist ihm hier viel zu zugig und ungemütlich. Ich wundere mich aber nun nicht mehr, dass Luther ungefähr hierorts erstmals den Plan fasste, die aufgeblähte Mutter Kirche mal wieder auf den Teppich der menschlichen Realitäten herunter zu holen. Jedenfalls mich, den gewisse spät-byzanthinisch-frühromanische Basiliken (wie auf Torcello in der Laguna della Venezia) schon zu Tränen der Ergriffenheit rührten und an den Rand der Konversion brachten, ließ die monströse Monstranz spirituell kalt wie eine heidnische Hundeschnauze.

Gute Wurst, gutes Karma

Indes: Ganz unten links auf dem frommen Aufmarschgelände unter dem Dom steht in vorbildlich demütiger, wahrhaft christlicher Bescheidenheit eine andere, wesentlich menschenwürdigere Kathedrale thüringischen Kulturschaffens: Ein alter Mann, eng umhüllt von einer dünnen, niedrigen, schief gewachsenen Blechröhre, aus der heraus er ehrliche, ungemein preiswerte Rostbratwürste verkauft, der Region bescheidenen Beitrag zum Weltkulturerbe. Diese Bratwürste sollen ja in ganz Thüringen weltberühmt sein! Also reihten wir uns, von der mühseligen Dom-Besichtigung (diese Freitreppe allein! Eine Bußfertigkeits-Turnübung!) noch flauen Magens, geflissentlich in die Käufermenge ein. (In Erfurt steht man halt Schlange, nicht weil man müsste, sondern weil man es von früher her so gewohnt ist.)

„Und? und?“ beben die Leser vor Ungeduld, „wie ist die denn nun so, diese berühmte  Weltkulturerbewurst?“ – Hm, nun, eigentlich … gar nicht schlecht. Schmackhaft, doch. Leicht und unfettig, die Haut, der Darm, zart wie unschuldige Jungfrauenhaut, das fluffige Brät ohne Phosphat und anderen teuflischen Scheiß- und Schwefeldreck. Eine gottesfürchtige Wurst, wie sie in der Bibel steht: „Dein Wort sei ja, ja, nein, nein.“ Bzw. „Ich hätte – ja, ja! – gern noch so eine!“ Experten, die sich auch gern Glaubenskriege über die einzig wahre Curry-Wurst oder andere Trivialitäten liefern, werden mir sagen können, ob die auf dem Dom-Platz dargereichte Bratwurst auch zu Thüringens Ehre gereicht und „authentisch“ ist.

Als ketzerischer Häretiker, Renegat und Eklektiker, der sich aus jeder Religion nur das beste nimmt, halte ich es hier mit dem Hinduismus: Anderen Leuten was Leckeres zu essen zu geben, macht gutes Karma. Der Dom hingegen machte mir schlechte Laune. Gut, die Orgel war soundmäßig eine Bombe, und es hingen viele so komische halbrunde Bilder an den Säulen, vom finsteren Mittelalter schon ganz eingedunkelt. Sie zeigten im Wesentlichen, dass die Leute früher noch nicht so gut malen konnten. Der düster überschnörkelte Hauptaltar, unter der Last seines frühbarocken Deko-Schmonzes fast zusammenbrechend, offenbarte, dass die gemeinsame Basis aller Glaubenssysteme eine hysterische, überkandidelte  und hirnvernebelnde Art von selfmade-Voodoo ist. Singen, Tanzen, Hühnerschlachten, Bauen – alles der gleiche Wahn.

Im Vergleich also: 1:0 für Thüringer Wurstigkeit!

 

Hier die podcast-Version, vom Autor gesprochen, unter Verwendung eines Loops vom Esbjön Svensson Trio („Behind the yashmark“)

erfurt



 

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Durch(h)aus freiwillig

20. Juni 2009

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Ich bin ein Freund der Freiheit. Das geht bis zur anarchistischen Tendenz. Verbote, Befehle, Anordnungen – so etwas finde ich irgendwie … unhöflich. „Durchgang verboten!“, „Rasen nicht betreten!“, „Nicht auf den Boden spucken!“ – solche barschen, begründungslosen Autoritätsbrocken, die einem von unbekannten, evtl. sogar kafkaesk gestaltlosen Mächten vor die Füße geworfen werden, reizen dazu, umgangen, unterlaufen oder übersprungen zu werden. So ein Ton macht mich renitent! Da krieg ich grad erst Lust, das Verbotene zu tun! Dabei spucke ich sonst nie auf den Boden – und nun mit Fleiß!

Umso magischer zieht mich da ein Torbogen in der Wiener Josefstadt (Lerchenfelder Straße 13) an, über dem steht die große Inschrift: „Freiwilliger Durchgang“! Ja, so ist es charmant! Enchanté! Ein Durchgang, des es mir in höflicher Unverbindlichkeit anheim stellt, ihn gern zu betreten – der es aber unaufgeregt und gelassen durchaus auch hinnähme, wenn ich sein Angebot für jetzt erst einmal dankend ablehnte – denn es beruht dies alles ja auf reiner Freiwilligkeit! –, DAS ist nach meinem Geschmack, da – Freiwilligkeit adé ! – MUSS ich einfach eintreten!

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Wie sich später herausstellt, war auch gar nicht meine Freiheit gemeint, sondern daß hier zur Biedermeier-Zeit, als Wien immer dichter bebaut wurde, der gnädige Herr Hausbesitzer es „freiwillig“ gestattete, daß man, um ohne Umweg von einer Gasse zur anderen zu kommen, praktisch durch sein Haus hindurchlief, weshalb diese Häuser, auf der Grundlage des sog. „überbauten Wegerechts“, auch „Durchhäuser“ oder eben „Freiwillige Durchgänge“ hießen. Aber beiseite mit dem juristischen Aktenkram! Dahinter verbirgt sich nämlich Zauberhaftes und eine der weniger bekannten, selten in Reiseführern herausgestellten Attraktionen Wiens, das noch mehrere solcher Durchhäuser besitzt.

Im Grunde handelt es sich um eine verbundene Kette von Hinter- bzw. Innenhöfen, durch die hindurch man von einer Straße oder Gasse rasch zu einer parallel verlaufenden gelangt – wenn man das noch will! Denn in den Durchgängen findet man sich urplötzlich in einer anderen, nämlich 150 Jahre zurückliegenden Welt. Cafés, Beisl, Heurige, kleine Manufakturen (handgenähte Schuhe!), Galerien und Lädchen reihen sich aneinander, Efeugrün filtert das goldene Sonnenlicht zu dezent indirekter Beleuchtung, Gewerbefleiß und Wiener Gelassenheit verbinden sich zu dezenter Geschäftigkeit, und als fremder Flaneur findet man sich mitten in der Riesenmetropole allem Stress enthoben, geborgen und behütet, und man ahnt, was Urbanität einmal bedeutet hat und wäre gern freiwilliger Mitbürger einer Zeit, die als „Biedermeier“ zu unrecht einen etwas spießen Ruf besitzt.

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Manche „Durchhäuser“ verbinden drei, vier oder mehr Höfe und umfassen oft sechs oder sieben „Stiegen“ (Hausaufgänge), zumeist sind sie luftig, sanft lichtdurchflutet, immer ein wenig geheimnisvoll und versprechen dem neugierigen Entdecker ein ähnlich erregendes Glücksgefühl wie eine Wundertüte in der Kindheit. Durchhäuser sind architektonische, gastronomische, künstlerische etc. Wundertüten! 

Der „Freiwillige Durchgang“, den ich hier fotographisch dokumentiere, verbindet, am Rand der Josefstadt, Lerchenfelder Straße und Neustiftgasse (Das ist dann schon Neubau, also 7. Bezirk). Im Durchhaus befindet sich u. a. Galerie und Café Kandinsky, das ich aber NOCH nicht besucht habe. Macht nichts, denn hier will ich eh noch mal hin!

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