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Über den rechten Umgang mit Ärzten (Maus-Modell)

8. Februar 2012

Ärzte unter sich: Abklärung der Werte

Oh, so ein Arztgespräch ist, neben Abiturprüfung und Fahrschule, eine der schwersten zwischenmenschlichen Herausforderungen! Man kniet in der Audienz-Ambulanz nackt auf der Auslegeware: „Herr Doktor, bitte, ich möchte ein Rezept!“„So, so“, schmunzelt der machthabende Arzt, sich gemütvoll zurücklehnend, „so, so, ein Rezept will Er! Schaun wir mal…“ Er wiegt milde den Kopf und begrübelt mit professioneller Nachdenklichkeit meine Akte. Ich scheine zu Bedenklichkeiten Anlass zu geben, denn „meine Werte“ sprechen eine andere Sprache als ich, und vor allem sprechen sie gegen mich. „Und wie steht es bei Ihnen mit Alkohol?“„Ja, klar, gern“, höre ich mich vorschnell jubeln, „aber gibt es den denn überhaupt  auf Rezept?“ Die Koryphäe betrachtet mich wie ein Insekt. Hab ich was Falsches gesagt? Dr. Herrenarzt scheint Insekten zu verabscheuen. Er verscheucht mit Mühe ein drastisches Stirnrunzeln und sagt dann: „Nun ja … das ist ja jetzt auch nicht thematisch…“ Puh, noch mal Glück gehabt! Arztgespräch ist ja immer auch ein Moralexamen. Bewegt der Wurm Woyzek sich genug? Frisst er ordentlich Gemüse? Lässt er die Finger von Drogen? Hat er nicht im Grunde selber Schuld? Na?

Arschloch“, denke ich herzlos, aber so etwas denke ich zwar ziemlich oft in mitmenschlichen Begegnissen, spreche es aber fast nie aus. Muttis Erziehung! – Bin gespannt, ob ich noch so alt werde, dass mir selbst meine guten Manieren mal egal werden und ich einfach sage, was ich denke. Könnte ja sein! Bei Ärzten natürlich riskant, denn sie sind schließlich die Herren des Befundes und der Rezeptausstellung. Und zwar aufgrund ihrer unbezweifelbar fundamentalen Diagnose-Kompotenz!  Famos ist die Durchblickfähigkeit der Ärzte! Dr. Quack ist zumeist überzeugt, „Arzt“ sei kein Beruf, sondern ein ontologischer Zustand metaphysischer Begnadung.

Deshalb drei Tipps für den Umgang mit Ärzten: 1. Lasse nie durchblicken, dass auch du Latein und Griechisch kannst – so etwas halten Ärzte nämlich immer noch für völlig undenkbar; sie glauben, du simulierst das nur! 2. Was Ärzte hassen wie die malefiziöse Pestilenz, sind Patienten, die an der Wikipedia-Universität Medizin studiert haben; verrate also nie, aber wirklich NIE, dass du evtl. selber schon weißt, was du hast, und das  womöglich noch aus Internetrecherchen! Viele Menschen verstarben schon unnötig, weil sie dem Internet vertrauten! 3. Man spiele im Patientenverhör grundsätzlich den komplett blickdichten Einfaltsinsel – anderes irritiert Mediziner nämlich. Also sage besser: „Ach?!! Gemüse? Und das wirkt? Hör ich ja zum ersten Mal!“ – Aber, Vorsicht: Den Idioten auch wieder nicht zu gut spielen – dann fühlen sich Ärzte nicht ernst genommen, und nichts hassen sie mehr als ihre eigene, selber dumpf beargwöhnte Lächerlichkeit.

Mit anderen Worten: Gutes Patiententum ist eine Kunstform. Takt, Sensibilität für die Existenzzwänge des Arztes und viel Rücksichtnahme für einen kognitiv prekären Berufsstand sind von Nöten! Die Labilität und Verunsicherung der Ärzte ist zu berücksichtigen. Auch ihre zunächst schlechte, später dann aber doch ganz gute Bezahlung. Am besten ist es, nur berühmte Chefärzte aufzusuchen, denn die kann man vorher googeln und weißt dann schon, was ihr Spezialgebiet ist – folglich kann man seine Beschwerden so modellieren, dass der Chef sie auch wiedererkennt. Man leide überhaupt grundsätzlich nur an Symptomen, welche die behandelnden Ärzte schon kennen, weil, sonst hat man wenig Aussicht, zu überleben.

Ob man ein Rezept bekommt, ist gar nicht mal sicher; oft wird man sogar ohne Gemüse fort geschickt; was man aber zuverlässig bei jedem Arztbesuch bekommt, ist die Überweisung zu einem anderen Arzt, zur „weiteren Abklärung der Werte“. Dank der Fortschritte in der Humanmedizin ist der heutige Mensch zu kompliziert geworden, um einfach so der gewünschten Genesung zugeführt zu werden; an deren Stelle ist die unbeendbare Untersuchung getreten, aus anderer Perspektive auch Ärzte-Odyssee genannt. Olli („Dittsche“) Dittrichs Kunstfigur „Herr Karger“ hat noch Glück: Das Krankenhaus kam angeblich zu dem Schluss, er leide unter „schwerer Diagnose“. Dann weiß man wenigstens, es geht irgendwann zu Ende.

Zum Schluss etwas zum Nachdenken: „Das Problem“, grübelt im Fernsehen ein Alzheimer-Forscher, zärtlich seine schusseligen Labormäuse streichelnd, „das Problem ist, der Mensch funktioniert nicht immer nach dem Maus-Modell.“

 

 

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Abwesenheitsnotiz, mit guten Zitaten

31. August 2011

Hier geht es evtl. rund! Kraska ist moseln...

Es gilt unter Kennern nicht gerade als untrügliches Zeichen geistigen Überfliegertums, sich über das Wetter zu beklagen, ich weiß. Es wäre so, als wollte man über die Gravitation jammern, was ich aus schwergewichtigen Gründen zwar im Stillen auch manchmal tue, aber es ist halt dieses Allerweltslamento doch von so eklatanter Sinnlosigkeit und ein derart plattes Klischee, dass man gute Erziehung und korrekt gebügelte Lebensart eher dadurch unter Beweis stellt, dass man mit einem mild stoischen Lächeln über die unvermeidlichen Unbill des Erden-Daseins hinweg geht. Vielleicht ist es ein Vorurteil, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein britischer Gentleman jemals über das Wetter spricht. – Freilich gibt es zu jedem einer- auch ein andererseits.

In dem Film „Willkommen Mr. Chance“ (im Original: „Being there“), einem meiner zehn Lieblingsstreifen aus den späten  70ern, die ich  einst in Cihcago, Illinois, im Kino sah oder sehen und entziffern durfte (war ohne Untertitel!), spielt der legendäre Peter Sellers in einer seiner letzten Rollen einen tumben Einfaltspinsel von Gärtner, der nur eine Weisheit beherrscht: „Well, first there is spring, then you’ll have summer, which just follows autum, and after that – winter. Then spring again“. Diese Binsenweisheits-Worte spricht er aber mit solchem Ernst und so großer Emphase, dass alle Welt denkt, er meint das bestimmt irgendwie metaphorisch und als sibyllinische politische Anspielung; man hält es für ein Statement über Ökonomie und Marktzyklen, lädt ihn in TV-Talkshows ein und am Ende wird er damit Präsidentschaftskandidat in den USA. Damals eine super Satire, würde der Film heute nicht mehr funktionieren, weil die Behauptung, dem Frühling folge der bzw. ein Sommer, nicht mehr als Binsenweisheit gilt, sondern als heikle, unsichere und höchst umstrittene Prophezeiung.

Das Blöde ist: Ich bin Sternzeichen Salamander, von der Physiologie also wechselwarm, und hatte eine längere sonnig-warme Phase fest eingeplant, um leichtblütig über die bevorstehende Herbst- und Winterdepression zu kommen. Stattdessen regnete es mir monatelang kühl und herzlos ins Hirn. (Wer sich Sorgen um mich machen will, sollte es JETZT tun, bitte. – Vielen Dank, sehr freundlich.) Die Depression erhebt ihr träges Haupt. Bang deklamiere ich für mich den armen Hölderlin: „Weh mir, wo nehm ich, wenn
/ Es Winter ist, die Blumen, und wo
/ Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde?
/ Die Mauern stehn
/ Sprachlos und kalt, im Winde
| Klirren die Fahnen.“ So sieht es doch aus! Vor lauter Fahnenklirren und Blumenvermissen ist mir schon jetzt ganz blümerant zumute.

Erstaunlicherweise war es der große Elisabethanische Unterhaltungsschriftsteller, theatralische Räuberpistolen-Dichter und Prophet William Shakespeare, der meinen Zustand vorausahnte, als er seinen Narren („Was ihr wollt“) folgenden Singsang anstimmen ließ: „Und als der Wein mir steckt’ im Kopf / Hopheisa, bei Regen und Wind! / Da war ich ein armer betrunkener Tropf; / Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.“ – Yes, Sir, so kann man es ausdrücken! Hier im Westen regnet in der Tat der Regen jeglichen Tag. Erst war er warm, der Regen, dann fröstelig kühl, jetzt wird er schon empfindlich kalt. Ich will nicht übertreiben, aber – ist schon mal jemand am Wetter gestorben? Darauf ankommen lassen werde ich’s grad nicht, Freunde – weshalb ich zu einem verzweifelten Mittel greife: Obwohl ich diese Tätigkeit perhorresziere: Ich reise! Und zwar ab!

Bloß an die Mosel zwar nur, und lediglich ein paar Tage, weswegen die Gattin schon ätzt: „Das wird bestimmt mehr so’n Rentnerurlaub!“ – Sicher, doch „immerhin“, repliziere ich schlagfertig, „wandern wir noch nicht durch den Harz, du mit blauem Popeline-Blouson und ich in straff gebügelter beiger Anglerweste!“ Kann nichts schaden, der Gattin schon mal die eheliche Zukunft auszumalen; die stillen Tage im Alzheim.

Wenn also hier einige Tage nichts Neues unter der Sonne (Ha!) erscheint, dann, weil ich moseln gefahren bin. Entweder herrscht dort eitel Sonnenschein, oder ich stecke mir enorme Mengen Wein in den Kopf. Vielleicht, begeisterungshalber, auch beides. Danach habe ich mit Sicherheit SAD („seasonal affective disorder“), wofür zumindest die Klassiker noch angemessenes Verständnis hatten. Wenn ich es irgendwie vermeiden kann, werde ich von dem romantischen Moselort keine Fotos machen, keine Klöster und Burgen beschreiben und auf die Belobigung von Restaurants und Weinprobierstuben strikt verzichten. So viel Noblesse muss sein. Indes, falls ich dort, in der Fremde, dem wahren Leben begegne, dann lass ich es von euch grüßen.