Penibilitätsprinzen und Inkompetenzkompensationskompetenz
Ein Nachteil der weltumspannenden elektronisch-digitalen Müllaufbereitungsanlage, die sich “die Medien“ nennt, besteht in der atemberaubenden und sinnenbetörenden Geschwindigkeit, mit der sich auch noch das ätzendste Geschwätz verbreitet. Der sprichwörtliche Sack Reis ist noch gar nicht umgefallen, da plustern sich schon landesweit die Hühner und rucken vor Erregung mit den Köpfchen und picken wie aufgezogen ins Leere, wirbeln Staub und Kot auf und gackern, dass es in den Ohren gellt. – So harsch urteile ich unter anderem aus purem Neid, denn ich selbst bin analog, langsam und träge, und bis ich mir etwas gebildet habe, was wenigstens ansatzweise einer Meinung ähnelt, womöglich sogar einer eigenen, bebrütet das federführende Federvieh längst andere Themen und ich habe allenfalls das Nachsehen. Aber trotzdem!
Ausgerechnet die Journaille, die Tag für Tag nichts anderes tut, als geistlos und stumpfsinnig voneinander ultrageläufige Phrasen abzuschreiben oder nachzubeten, kaut jetzt wieder die Plagiatsgeschichte durch, das Heuchelschmalzbrot dick mit Schadenfreude gesalzen. Es rührt und schüttelt mich, zu erfahren, wie viele kompetente Menschen sich Sorgen um die Reputation der deutschen Geisteswissenschaften machen! Und das alles zu Ehren einer weitgehend verkommenen, hirnlosen Bürokratie verbeamteter Pedantenseelen und Gänsefüßchenzähler, die in ihrer gesamten Universitätskarriere noch nicht einen einzigen eigenen Gedanken zu fassen vermochten und demzufolge „korrekte Zitierweise“ für das Nonplusultra ihrer „Wissenschaftlichkeit“ halten! Die Standards! Ha!
Ich habe Annette Schavans Werk „Person und Gewissen“ nicht gelesen, zum einen, weil es mich nur mäßig fesselt, was eine knapp 25-jährige, kinderlose katholische Studentin ohne Hochschulabschluss zu moralphilosophischen Monumentalfragen der pädagogischen Gewissensbildung so denkt, zum anderen, weil dieses Opus in der Fachwelt kaum für Furore gesorgt hat, obwohl es hierzu 33 Jahre Zeit hatte. Womit ich zum Punkt komme: Mir altem Immoralisten ist es aufs Rücksichtsloseste und skandalös Wurstigste vollkommen und totaliter gleichgültig, ob Frau Schavan irgendwelche Zitate verschusselt oder Fußnoten vergessen hat – dies für wichtig zu halten mag unter erzdeutschen Bügelfaltern und Krawattenstutzern für intellektuell gelten – , sondern, obacht! ob sich in ihrem Elaborat anregende, interessante, nicht-langweilige, vielleicht sogar neue Gedanken tummeln oder verbergen oder was solche Gedanken sonst tun, wenn man ihnen freien Auslauf gewährt. Michel Foucault, ein Heros der französischen Postmoderne, hat mal einen üppigen und einigermaßen bahnbrechenden Aufsatz geschrieben, der zu ca. 80% ungekennzeichnete (!) Nietzsche-Zitate collagiert. Dieser Text hat die Geschichtswissenschaft revolutioniert. Noch nicht mal mehrfach sitzengebliebene Schulkinder kämen indes in Frankreich auf die Idee, dem Starphilosophen deshalb „betrügerische Absicht“ zu unterstellen.
Womit wir beim nächsten Merkpunkt ankommen: Nach ca. 50 Jahren Postmoderne sollte sich eigentlich beim letzten Dorfdeppen die Einsicht eingenistet haben, dass wir immer, immer zitieren. Niemand denkt als Originalgenie im Vakuum zwischen den eigenen tauben Ohren. Alles, was wir wissen, haben wir gelesen (oder, na ja, im Fernseh gesehen); alles, was wir denken, wurde so oder geringfügig anders schon einmal gedacht. Sowenig wir, um Strümpfe oder Nachtmützen zu stricken, hierzu Wolle verwenden, die auf dem eigenen Kopf gewachsen ist, so sehr sind wir auf bereits Gedachtes, Gesagtes und Geschriebenes angewiesen, an das wir anknüpfen. Wir collagieren, arrangieren, zitieren und re-zitieren, prinzipiell und unausweichlich. Die Frage ist, ob wir das auf eine inspirierende, innovative und originelle Weise tun. Eine weitere (bislang meines Wissens nie gestellte) Frage ist, ob Frau Schavan das geschafft hat. Und noch eine abschließende Frage wäre, ob ihre damaligen Pädagogikprofessoren, die allesamt aus Johannes Raus upgegradeten Bildungsvolksturm der sozialdemokratischen 70er Jahre stammten, eine originelle Arbeit überhaupt erkennen würden, wenn sie die ernsthaft läsen, wozu diese universitären Karnevalsprinzen freilich selten die Zeit haben.
Ich habe mal eine Abiturientin betreut, die mir schluchzend ihr Aufsatzheft vorzeigte. Ihr ganz gescheiter Text (ich hatte ein bisschen mitgearbeitet) war förmlich blutübertrömt vor lauter kritischer Pädagoginnentinte. Jedesmal, wenn mein Schützling auch nur den Hauch eines halben eigenen Gedankens geäußert hatte, sah sich die Lehrerin bemüßigt, anklagend „Beleg???“ an den Rand zu schreiben, und zwar ungefähr 241 Mal. „Das vorliegende Werk ist ein Roman“ – „Beleg???“ Gut möglich, dass die betrreffende Lehrerin in Düsseldorf studiert hat.
Ich komme zum Schluss. Preisausschreiben! Wer kann mir schlüssig und plausibel erklären, was an Pädagogik „wissenschaftlich“ ist? In Pädagogik „promovieren“ kann jeder Gemeinplatzwart und Verfasser von Bauernkalendern. Was solls also? Wäre Pädagogik eine Wissenschaft, hätten wir doch brave, kluge, fleißge Kinder! – Unter den Einsendungen verlose ich einen Text von mir, der nicht von mir ist. [Pädagogikprofessoren sind von der Teilnahme ausgeschlossen.]
PS: Dieser Text enthält keinen eigenen Gedanken. Jeder Satz wurde so oder ähnlich schon einmal geäußert, u. a. von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich „Fritz“ Schlegel, Friedrich Nietzsche, Karl Kraus, Odo Marquardt, Roland Barthes, Jacques Derrida und, hm, wie sagt, von Michel Foucault, sowie von meiner Kneipenbekanntschaft Klaus, dem Nörgelrentner Wolfgang Rombach und meiner Mutter.
Gez. Mag. Kraska
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Schlagwörter: Annette Schavan, Beleg, Deutschunterricht, Doktortitel, Friedrich Nietzsche, Geisteswissenschaft, Hegel, Intertextualität, Kinder, Michel Foucault, Originalität, Pädagogik, Pedanterie, Postmoderne, Promotion, Uni Düsseldorf, Wissenschaft, Zitate
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7. Februar 2013 um 3:12 PM
Herr Magister! Ich möchte aufs schärfste protestieren!
Es kann in diesem unseren Lande nicht angehen,dass in der ohnehin schlampig und unvollständig zusammengestellten Liste von Ideengebern ausgerechnet mein Name fehlt, wo doch dieser gesamte Text, nur verfremdet durch ein paar intellektuell klingende Namen, vollständig von mir plagiiert wurde.
Im Interesse der Seriosität und Glaubwürdigkeit der gesamten Blogsphäre sollten Sie wenigstens den Anstand haben und sofort Ihren Mac (oder wenigstens das Keyboard) freiwillig abzugeben.
mit freundlichen Grüßen
Dr. Pi.Pi. /cbx
Diplom-Blogwart
7. Februar 2013 um 5:59 PM
Tja. Flüchtigkeitsfehler?
9. Februar 2013 um 8:43 PM
Oh, natürlich. Ich bitte um Verzeihung für die unbegründeten Anschuldigungen. Nach den Maßstäben vom 7.2. gemessen haben Sie sich natürlich ganz im Rahmen des damals Üblichen verhalten.
7. Februar 2013 um 6:19 PM
Herrlich!
7. Februar 2013 um 7:58 PM
Ohne, dass wir dies belegen könnten, haben wir intern dem Artikel reichlich Beifall gespendet … die vier Wände um uns wackelten gehörig. Jetzt beginnen wir der vorzüglichen Bildwahl zu applaudieren …
12. Februar 2013 um 1:13 PM
Dann muss ich eine Spendenquittung ausstellen?
12. Februar 2013 um 8:39 PM
Ja, wäre schön. Vielleicht vordatiert auf Ende März.
10. Februar 2013 um 2:12 PM
In Düsseldorf ist doch wohl ganzjährig Karneval.
Auf alle fälle gefällt mir obiger Text, egal wie viele nicht genannte Gänsefüßchen hier fröhliche Urständ treiben.
2. September 2013 um 12:46 PM
Man braucht sich nicht zu entschuldigen dass man bestimmte Bücher nicht gelesen hat ;-)) wo sollte das hin führen, stelle ich mir gerade vor …