Text für bis zu 9 Leser
Noch brühwarm und elektrisierend aus der intellektuellen Mikrowelle: Ich habe ein neues Wort! Und nicht nur ein Wort, gleich ein veritables Studienfach, ach was sage ich – eine neue Berufsperspektive: Vexillologie. Doch, das gibt es! Hätte ich mal bloß das studiert, denn wenn man bekennt, Philosophie-Magister zu sein, gucken die Leute nur immer mitleidig und streicheln einem herablassend über den Kopf. Und ich hasse Mitleid. Aber Vexillologe, ja, da hieße es gleich ehrerbietig: „Ach, ’tschuldigung, könnse nich ma gucken, Herr Dokter, ich happda morns immer son steifen Arm…“ – Allerdings übersteigt es mein Vorstellungsvermögen, mir auszumalen, was Vexillologen den lieben Tag über eigentlich so treiben, ein ganzes Berufsleben lang, bis zur Emeritierung. Gut, sie reisen sicher zu internationalen Vexillologen-Kongressen, halten dort Vorträge über ihr Spezialgebiet und arbeiten ansonsten wahrscheinlich viel mit Buntstiften, die natürlich auch mal angespitzt werden müssen – aber dann? und sonst?
Wird der Vexillologe wohl schon zeitig am Nachmittag heimkehren, nehme ich an, und daher noch Frau Frerkes antreffen, seine Haushälterin, die seit fünfzig Jahren in ihren Dienstherren verliebt ist und ihm gerade am Herd sein Leibgericht zubereitet, Tafelspitz mit Meerettichsauce, und während sie ihm seine Hauspuschen in der Mikrowelle anwärmt, dürfte sie, ein alter Scherz zwischen den beiden, flöten: „Na, Professorchen, was machen die Vexillen?“ – worauf der Gelehrte behaglich schmunzelnd die Hände reibt und wie immer entgegnet: „Nun, Frerkelchen, ich darf mir schmeicheln, dass meine Enzyklopädie der Querstreifen horrende Fortschritte macht!“ Das brikettschwere Werk wird seinem Todfeind Dekan Gregorius, dem Chef der Abteilung für quer gestreifte Trikoloristik, dereinst endgültig das Maul stopfen, hofft der Professor, den wir jetzt aber schleunigst verlassen, denn das Thema wird ja langsam uninteressant. Deutlich spannender ist eine Meldung, die mir gerade jetzt rechtzeitig auf den Bildschirm schneit:
„Wenn Sie sich bei Google+ anmelden, müssen Sie im Video-Chat nicht immer nur zu zweit sein, sondern können sich zum Beispiel mit bis zu 9 Teilnehmern gleichzeitig unterhalten oder zusammen YouTube-Videos anschauen.“ So sehen gute Nachrichten aus. Schon lange habe ich es im Video-Chat „nur zu zweit“ kaum noch ausgehalten! Immer die gleiche Visage vis-a-vis! Leider ist mein Bekanntenkreis zu klein, um auszuprobieren, ob es eine tatsächlich sensationelle Erfahrung darstellen würde, mich „mit 9 Teilnehmern gleichzeitig zu unterhalten“ und dabei auch noch YouTube zu gucken – oder gar YouPorn, hihi. Warum es aber gerade bloß „bis zu neun Personen“ sein dürfen, mit denen ich meine bevorzugten lustigen Kätzchen-Videos gucken kann und nicht zum Beispiel elf Freunde, das wird mir ein Fachmann erklären müssen, ein Videologe oder Numerologe vielleicht. Aber ich glaube, mir wäre das eh zu hektisch; ich kann es schon im Kino nicht ausstehen, wenn immer so Leute dazwischenbrabbeln, während ich mich auf einen Film konzentrieren möchte.
Unhektische Konzentration ist auch beim Lesen ratsam, sonst kommt es zu unwillkommenen Verlesern, manchmal sogar zu solchen, die man selbst Professor Freud selig nur errötend beichtete. Ich gab mich gerade meinem Laster hin, mehrere Dinge gleichzeitig bewältigen zu wollen, wobei eine dieser Tätigkeit im Überfliegen der Schlagzeilen von F.A.Z.online bestand, wo es dann hieß: „Durch Masturbation ans Krankenbett“. Die im Zustand milder Schockiertheit mein Gehirn überflutenden Bilder und Assoziationen möchte ich lieber dezent für mich behalten, zumal es in Wirklichkeit „Masterstudium“ hieß, was ja eine halbwegs seriöse Angelegenheit darstellt, wiewohl ich lieber altmodischer Magister als „Master“ bin, oder sogar bloß „Bachelor“, was in meinen Ohren doch irgendwie erbämlich nach Schmalspur und RTL klingt. „Ich habe einen Bachelor in Vexillologie“ – das wäre jedenfalls eine Information, die ich persönlich auf einer Party mit, sagen wir „bis zu 9 Teilnehmern“ kaum voller Stolz herumposaunen würde!
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14. August 2012 um 6:19 PM
Hm. Vexillologie. Das klingt schon recht akademisch und dennoch ausreichend kryptisch, um viele dumme Fragen noch in statu nascendi zu ersticken. Was? Wie sagte ich doch immer zu meinen Studenten: „Es gibt keine dummen Fragen. Nur dumme Studenten.“
Wäre ich mit meinem Schicksal als der Germanistik gerade so eben entronnener Inschenjör nicht weitgehend zufrieden, so würde ich eine völlig andere Karriere anstreben. Bezugnehmend auf die Berichte von Ijon Tichy möchte ich mich mit größter Begeisterung dem konzertanten Jucken widmen.
Gerne auch mit mehr als neun Teilnehmern.
14. August 2012 um 7:02 PM
Ijon Tichy was hat sich gemacht Verbastelung von Spielmaschine fier Hallizunelle?
14. August 2012 um 8:35 PM
Du hast Dir die TV-Trash-Version angesehen? Respect! Da habe ich nach drei Folgen aufgegeben. Trotz Nora Tschirner.
Die Kunst des konzertanten Juckens hat Tichy übrigens beim Futurologischen Kongress kennengelernt.
16. August 2012 um 6:18 PM
Ich (w.) hätte beinahe wegen Nora Tschirner aufgegeben. Aber dann doch nur beinahe, was gut war, weil ich sonst z.B. »Sepulken verboten« nicht gesehen hätte. Trotzdem, natürlich, bleibt Lem unverfilmbar.
16. August 2012 um 3:54 PM
Ganz klar: Ab 9 Personen braucht man einen Busführerschein.
16. August 2012 um 6:23 PM
Die Verblüffende Ähnlichkeit zwischen Masterstudium und Masturbation war mir auch schon aufgefallen!
Und als Vexillologen-Aufbaustudium schlage ich Blasonierung vor. Da wird einem schon bei Links und Rechts ganz schwummrig.
16. August 2012 um 6:24 PM
PS: Ich war jetzt wohl die neunte Leserin. Artikel aufgebraucht! Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!
16. August 2012 um 6:48 PM
Einer darf noch…
18. August 2012 um 2:17 PM
Gerade noch geschafft!
18. August 2012 um 2:23 PM
So´ne künstliche Verknappung hält zwar die Preis hoch, aber frustet auch, wenn man einen Tag zu spät ist.
19. August 2012 um 1:24 PM
Oh, zu spät …
19. August 2012 um 4:11 PM
Ich hab´s gewußt!
20. August 2012 um 11:09 PM
Ich finde die Veralberung der Vexillologie ganz gemein! Im Krieg zum Beispiel (und sind wir nicht immer irgendwie im Krieg?) kann sie wertvollste Dienste leisten, wenn es um Freund oder Feind, hopp oder topp, Leben oder Tod geht. Da must Du nur mal die Frau Frerkes fragen, die ist nämlich vom Typ her Mutter, auch wenn ihr dieses Glück vermutlich vorenthalten blieb, aber bloß, weil jemand sein Potential oder seine Leistung (da streiten sich die gelehrten Olympiaberichtbestatter) nicht abrufen konnte, ändert das nichts an seinem Gefühl für das Richtige.