Real gone


„Sach ma, wo is eintlich der Proff gezz immer? Ich wollt ma nach dem hin wegen so paar kleine Schriftstücke…“ – Tut mir leid, Freunde. The master of desaster(-prevention) is temporarily not available. Ich muss jetzt in den Obergrund. Untergrund ist zu voll geworden. Außerdem brauch ich mal gemäßigte Sozialklima-Tapeten und will auch nicht mehr immer der bunte Hund sein. Inzwischen kennen mich sogar die beiden Brennpunkt-Bullen schon so gut, dass man auf der Straße stehen bleibt, um ein Pläuschchen mit mir zu halten: Wie läufts? Alles ruhig? Irgendwelche neuen Drogerie-Märkte eröffnet? Die Herren haben übrigens – was? Etwa Verstärkung bekommen? Na, das nun nicht gerade, aber brandneue, total schnieke dunkelblaue Uniformen, dazu blaue Krawatten und schneeweiße s-steife Dienstmützen. Wenn das doppelte Kriminalabschreckungslottchen des Sommermorgens, wenn es mal nicht regnet, gemeinsam Arm in Arm im Geddo auf Streife geht, sehen sie aus wie Kapitänleutnants-zur-See auf Landgang. Hey-Ho! Dies nur nebenbei. Alles wird gut, manches sogar besser.

Einige Nachbar-Menschen werden mir fehlen: Der Trinkteufel und eiserne Sportrentner Horst, der dauertraurige Milan, mein Busenfreund und Busfahrer Branco-Bär natürlich, und sogar der bekloppte Nachbar, Bastelbaumeister  und Spezialist für die Produktion kostspieliger Wasserschäden, Emre Özgur, sowie sowieso die gescheite nette Kopftuch-Frau von gegenüber, die mir immer meine Vorurteile zerlegt hat; dazu „Mazze“ Vlado, der mazedonische Ex-Seemann, der in Ex-Jugoslawien immer nur in der Kaserne blieb („war wegen damalig leider scharfes Mangel an Schiffe, verstehst?“), ferner Ahmed (Import-Export), besonders überdies Pitti, der stocktaube Hausbesorgerinnen-Witwer, treue Blockwart und Hausverweser der Mülldomäne; die black community werde ich nahezu durch die Bank vermissen – die Männer, mehr noch ihre Königinnen und am meisten die blitzgescheiten, pfiffigen polyglotten Milchkaffee-Kids, dazu noch die blujungen, ranken beauty queens des Disco-Islam, allen voran Azizze, das kurdische Bildungsdornröschen, und zu guter letzt vor allem Werner Rombach, den lebenstüchtigen, aber interessanterweise komplett wahnsinnigen Querulatoriker und international umtriebigen Nah-Ost-Korrespondenten aus Phantasialand.

Weitaus weniger wird mir die Bande der altdeutschen Alk-Fraktion abgehen, die in dem verschimmelten Loch unter mir bis vor kurzem nachts um drei oder Hatz4 ihre Wodka-Parties feierte, stur weg allnächtlich Marius-Müller-Westernhagen-Hits aus den 70ern gröhlte und mich – halbwegs widerwillig – die Muslime hoch schätzen lehrte, die wenigstens niemals volltrunken durch die Nacht klabautern und auch nicht morgens ihre doofen Mops-Köter zum Scheißen in den Hof schicken.

Was ich sonst noch erleichtert hinter mir lasse, erwähne ich nicht, um den stets über mir schwebenden Vorwurf der Ausländerfeindseligkeit zu umgehen. Dabei bin ich nicht im mindesten Fremdenfeind, im Gegenteil, ich kann nur Menschen generell nicht besonders gut leiden. Wo sie jeweils im Einzel- oder Gruppenfall dahergeschneit kommen, ist mir dabei herzlich egal. Blödheit ist per se kosmopolitisch und eine durchaus globale Erscheinung – das lernt man im Geddo. Überhaupt durfte ich hier eine Menge kapieren lernen: Z. B., dass der viel beschworene Multikulturalismus im wesentlichen darin besteht und solchermaßen funktioniert, dass ein gutes Hundert diverser Nationen auf engstem Raum, unter Aufbietung aller erdenklichen Höflichkeit und diskreter Distanz, gepflegt aneinander vorbeilebt.

Was Besucher aus dem bürgerlichen Ausland ja nie glauben wollen: Sicherer als hier ist es nirgends. Drei Jahre im übelbeleumdesten Geddo – und ich fahre immer noch das gleiche Fahrrad! Das ist ein Rekord, den ich im „bürgerlichen“ Innenstadtviertel nie geschafft habe. Es wird ja viel, unter anderem von mir, über die archaischen und mittelalterlichen Mentalitäten gewisser Zugewanderter geredet. Aber, mal im Ernst und andererseits: Zu den überkommenen Traditionen gehört auch der Respekt vor älteren Menschen und vor Lehrern. Ich habe das zu schätzen gelernt.

Jetzt bin ich ein paar Tage offline.

Demnächst something completely different: Spannende Berichte über Rollatoren-Rocker, Kirchentags-Punks und die allsonntägliche Morgenmahls-Prozession der Methadon-Marginalen. Geddo, Leute, ist im Grunde nämlich überall.

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11 Kommentare - “Real gone”

  1. Thomas Says:

    Jetzt, 9:28 Uhr, nach dem Lesen dieses Eintrags schon sentimental durchseucht – das kann ja ein lustiger Samstag werden. Aber knapp reicht die Energie, sich noch aufzuraffen, und dem Mag. & seiner Gattin einen allseits gelingenden Umzug zu wünschen! Lebbe geht weiter, um es mal auf Serbisch-Hessisch zu sagen.

  2. oachkatz Says:

    Na, denn, komm gut an, Herr Magister.


  3. Wir wünschen gutes Um-, Auf-, und Zusammenräumen … und nach 21Uhr nicht mehr so viel Lärm machen.

  4. rotewelt Says:

    Na, da relativiert sich ja plötzlich nun doch Einiges, aber das war ja zu erwarten… 😉

  5. Lakritze Says:

    Neues Spiel, neues Glück. Guten Umzug!

  6. Lakritze Says:

    Übrigens: Jedes Mal, wenn mir dieses Titelbild vor die Augen kommt, antwortet mein Hirn mit »… frische Treffer ausgeschlüpft!« Das Lästigste daran ist, daß mir ein guter Name für das Phänomen fehlt. Ein Ohrwurm ist es mal nicht …

  7. joulupukki Says:

    … und solchermaßen funktioniert, dass ein gutes Hundert diverser Nationen auf engstem Raum, unter Aufbietung aller erdenklichen Höflichkeit und diskreter Distanz, gepflegt aneinander vorbeilebt.

    Das habe ich auch schon beobachtet – ist aber mMn. auch nicht die schlechteste Lösung und eine gute Basis, um in den nächsten Generationen aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu machen.

    Gute Reise in den nächsten Lebensabschnitt!


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