Wo der wahre Wahnsinn wohnt (Duschvorhang-Design)
Falls jemand vielleicht mal wissen möchte, was heute die wirklich unheilbar Geisteskranken, hoffnungslos Desparaten, Schwerstdepressiven und von jahrzehntelangem Drogenmissbrauch zerrütteten Hirnwütigen in unserem Land eigentlich rund um die Uhr so treiben, da kann ich jetzt Auskunft geben – sie sitzen unterzuckert, mit vereiterten Augen in stickigen, lichtlosen Isolationsbüros mit Resopalwänden und gestalten … Duschvorhänge! Ich weiß, kaum zu glauben, aber es ist, wie es ist, Kollegen.
Ich habs auch nur durch Zufall erfahren, am Abendbrottisch. Nur scheinbar banales, unverfängliches Thema war die Ausstaffierung der neuen Wohnung, die über immerhin zwei Bäder verfügt. – „Hört mal Leute“, wandte sich die Gattin an mich und die teilzeitmitwohnende Stiefstudentin, „was wollt ihr denn für Duschvorhänge?“ „Sonnengelb!“ krähte ich spontan. „Pink mit Blümchen!“ (Die Stiefstudentin wieder! „Ich habe einen gediegenen Geschmack!“ fügte sie überflüssigerweise trotzig auftrumpfend hinzu.) „Rosa Blümchen erst wenn ich tot bin!“ sprach ich ein Machtwort. Ein Konflikt zeichnete sich ab. „Lass domma Internet gucken“, schlug die salomonische Diplomaten-Gattin vor.
Die nächsten zwei Stunden brachten das psychodelischste und zerebral zersprengendste Erlebnis, seit ich als grüner Naivling mal in Amsterdam auf der Straße von ’nem kranken Zwielicht-Nigga ein Stück Löschpapier erstanden hatte und prompt auf einen hundsgemein fiesen Trip geraten war. – Die Stiefstudentin haute ihr MacBook auf den Tisch und scrollte uns geradewegs in die Hölle. Versandhandel-Duschvorhang-Design: „The horror, the horror!“ (Marlon Brando in „Apocalypse now“): Plastikgewordene Albträume in braun und uringelb, wirr-verwitwete Kittelschürzen-Muster, giftgrüne Bambusstiele, blutrote chinesische Schriftzeichen, die man sich auch auf intime Stellen tätowieren lassen kann und die angeblich „Glück und langes Leben“ bedeuten. „Wahrscheinlich heißt das bloß ‚Arschloch!’“ mutmaßte die Stiefstudentin, die die Welt kennt, achselzuckend. Außerdem: Katzentatzen, IHerzNY, Wasserblasen in türkisblau, die Skyline von Manhattan, aufgedruckte Blutspritzer (!) auf weißem Grund (Modell „Psycho“), beige-braune Tapetenmuster aus den ganz, ganz frühen 70ern, graugrüne kleine Delphine beim Baden und fröhliche Vögelchen in lila Geäst. Für die rebellische Dusch-Jugend die Rolling-Stones-Zunge. Dazu jede Menge unmotivierte Kreise, die sich überschneiden, tanzende Karos in poppigem Schrillbunt, das Streifenkleid betrunkener Zebras und für Sadomaso-Fans das ganze auch noch in dominantem Lacklederpechschwarz.
Uaarrgh!
Also blieb als Minimalkonsens nur klares Weiß. „Sieht allerdings auch so aus, als würden dahinter Irre aus den 50ern nach Elektroschock und Lobotomie mit eiskaltem Wasser abgespritzt“, gab die Stiefstudentin recht altklug zu bedenken. „Aber Kinder, das passt doch zu euch!“ versuchte die Gattin uns aufzumuntern, erntete dafür aber nur verkniffene Blicke. Ausnahmsweise war ich mit der Stiefstudentin mal einer Meinung. Die Diskussion endete in Erschöpfung und Resignation. Erst heute morgen, als die Gattin beim besinnlichen Frühstück beiläufig meinte: „Ich wollte jetzt noch mal auf die Duschvorhänge zu sprechen kommen…“, fing ich unkontrolliert an zu schreien.
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19. Juli 2012 um 9:37 AM
Wie wahr! Und dabei wurde noch kein Gedanke darauf verschwendet, welche der sinnliche Empfindungen weniger schrecklich ist: wenn klebriges, schweres PCV-Material am duschnassen Körper anhaftet, oder doch leichteres, noch aufdringlicheres Nylon …
19. Juli 2012 um 9:48 AM
Als Auslandsbewohner dachte ich in Deutschland sei der Löwenanteil der Bevölkerung bereits zu den schicken wasserdichten Plexiglas ‚Dusch-Boxen‘ hinübergegetreten um die lauten Töne und feuchten Ergüsse der Turbo-Garnituren mit Doppelkupplungsgetriebe diskret abzuschirmen. Klarsichtausführung bei öfters-wechselndem Besuch, zigarrenbraun für den sportlich-südlandischen Teint; rosa für die feine gepflegte Dame.
Dem ist scheinbar nedd so.
19. Juli 2012 um 12:41 PM
Tja, na ja,aus altbaulichen Gründen sind bei uns Plexiglaswände leider nicht möglich. Daher das. Gruß ins Vereinigte Königreich!
19. Juli 2012 um 6:54 PM
Erstmal: Ihr solltet die Dusche gegen eine ordentliche Wanne auf vier Füßen tauschen, die passt zu Altbauwohnungen und spart Wasser. Früher ging das auch: immer freitags, alle hintereinander rein und gut is.
Sollte das der Gattin und der Stiefstudentin zuwider sein, kann man selbst zur Farbe greifen, hier Stofffarbe. Eine Schablone mit Nietzkes Konterfei würden wir Euch gratis anfertigen.
19. Juli 2012 um 9:01 PM
Betrifft: Schablone
Für den Duschvorhang krieg ich das nicht durchgesetzt. – Aber eine handliche Schablone von Nietzke, mit der ich sein Konterfei an jede Geddo-Ecke sprayen könnte, ja, DIE hätte ich wohl gern! War das ein ernst gemeintes Angebot? Wohl leider nicht, oder?
19. Juli 2012 um 10:04 PM
Klar war das ernst gemeint. Wir schicken demnächst eine!
20. Juli 2012 um 12:42 AM
Herr Haushundhirschblog ist gar nicht daneben mit seinem Vorschlag. Von Bülow präsentierte einmal mittels Fernsehen die Vorteile davon, gemeinsam zu baden anhand des Beispieles der Herren Müller-Lüdenscheid und Dr. Klöbner. http://www.youtube.com/watch?v=h2bt8MSGxlM
19. Juli 2012 um 10:06 PM
@hausundhirsch: Du kennst doch meine Adresse gar nicht, Malermeister Prahlhans! Oder etwa doch?
19. Juli 2012 um 10:15 PM
Ich dachte, die schickst Du mir per Mail … auch bei Gratis-Angeboten muss man schon ein bisschen was tun 🙂
20. Juli 2012 um 4:53 AM
So viele Kommentare zu einem Duschvorhang! >Lila gewordener Alptraum, Tapetenmuster, überflüssig, tot…
Bei uns war nix tot, der Duschvorhang war am Ende abgerissen, wir waren erschöpft und das war gut!
Tja, mal dazugesagt, das war auch der wahre Wahnsinn! ;.)
20. Juli 2012 um 10:30 AM
Tja, Magister.

Was da alles im Unterbewusstsein der Leserschaft so vor sich hinlauert.
Gut daß ihr das überlebt haben
20. Juli 2012 um 2:01 PM
Ich weiß, was Du meinst.
22. Juli 2012 um 11:43 AM
Wie lustig! Darf ich zur Duschvorhangauswahl noch etwas zur Anregung einwerfen, Herr Magister? Welche Farbe haben denn die Fliesen und der Boden eures Duschbades? 😉
25. Juli 2012 um 11:28 PM
Es heißt ja immer, am meisten litten die Lampen. Also unter Design. Aber das stimmt offenbar nicht. Gibt es eigentlich noch diese durchsichtigen PVC-Vorhänge mit den Fototaschen?
Neinnein, Nietzke ist schon das beste aller möglichen Muster.