Klagen in Tränenfurt


Die große alte Träne im Knopfloch der Selbsterfahrungsliteratur

Zu meinen exzentrischen Hobbies gehört es, nach Möglichkeit allsommerlich auf 3Sat dem Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb zu Klagenfurt beizuwohnen und mit wohligem Gruseln schaudernd zu verfolgen. Wahrscheinlich tut das außer mir niemand. Oder vielleicht noch die Eltern und Tanten der DebütantInnen beiderlei Geschlechts, welche dort mit zittriger Stimme oder hornbrillenschwer selbst gehäkelte Texte vortragen, – vorwiegend unfassbar dünnblütige, sterbenslangweilige GermanistInnen-Prosa über angelesene Erfahrungen und falsche Gefühle: Wehrlos durchstreift man zähflüssig-triviale stilistische Holperstrecken durch Wüsten verdorrter Erlebnisdefizienz, kramt in unerbittlich prätentiösem Sprach-Nippes aus den trostfernsten Geistes-Einöden Deutschlands, Österreichs und, nun ja, der Schweiz, die man zum deutschen Straf-, quatsch, Sprachraum rechnet, und man seufzt herzenstief: Ach, ach. Innerfamiliäre Traumata, unausgegorene und mediokre Durchschnitts-Psychosen sowie immer wieder gern das Misslingen halbherziger Beziehungskatastrophen aus feministischer Sicht wollen zur Sprache kommen, was nicht unbedingt immer von vollem Erfolg resp. Kunstgenuss gekrönt ist, denn Sprache ist ein sprödes, sensibles Geschöpf, das wimmert und ächzt, wenn man es misshandelt, und solche Nebengeräusche werden als durchaus störend empfunden.

Nicht so allerdings von den öffentlich-rechtlich bestallten, tiefschlafgestählten Schmocks und Schnarch-Ischen in viel zu jugendlichen Retro-Knautschlack-Blousons, die über das gequälte Quark-Unglück als Juroren zu Gericht sitzen (also die Ischen, nicht die Blousons – man sieht, die deutsche Grammatik steckt voller Tücken!): Mit schonungslosem  Bierernst wird auch der bestürzenst vergeigte Intellektualschamott und -schrott noch hoch und heilig emporgewürdigt und egal wegaffirmiert, denn, erstens, Verrisse möchten Verlagswesen und Buchhandel nicht so gerne hören, ätzenden Kritiker-Esprit verschmäht das ohne schmale Publikum und drittens schwebt über dem permanent überanstrengten Elend immer noch unausrottbar wie die haltbare Graugans dräuend der Geist von Ingeborg Bachmann, der großen, alten Träne im Knopfloch humorfreier Selbsterfahrungsliteratur. – „Texte“: Aus Staub seid ihr geboren, zu Staub sollt ihr wieder werden – zwischendurch aber gut verkauft und in vormittäglichen VHS-Lesekreisen von postklimakteriellen Beflissenheits-Damen unbedarft stur erörtert und mit wackelndem Kopf wägend durchsonnen. Durchsonnen? Doch, doch.

Aus Gründen das gender-Proporzes muss hier eingeschoben bzw, dienstbeflissen unterstrichen werden, dass die Misere nicht geschlechtsspezifisch webt & west. Auch die zumeist zornigen oder zumindest tief vergnatzten jungen nerd-Herren ziehen Leichenbittermienen und demonstrieren aus jeder Pore, dass es ihnen mit der LITERATUR! bitter-würgender Ernst ist. Einziger Unterschied: Im Schnitt schauen Damen mehr ins unaufgeräumte Innere, während die Herren zumeist entschieden zuviel gelesen haben (vorwiegend Thomas Bernhardt, Jack Kerouac, William Borroughs, Rainald Götz). Ein drittes, mysteriöses Geschlecht vertritt alljährlich eine Quoten-Migrantin aus Slowenien, Serbien, Russland oder Bosnien-Herzegowina. Sie ist kreidebleich vor schwerer Kindheits-Vergangenheit, trägt eine pechschwarze Herta-Müller-Gedächtnis-Frisur und radebrecht recht und schlecht etwas Bürgerkriegsfolklore oder Migrantenschicksal „zwischen den Kulturen“. – Meistens ist deren Auftritt der Moment, an dem ich entweder hysterisch zu lachen beginne oder, wenn ich allein bin, hemmungslos Unflätigkeiten in den Fernseher schreie.

Das ist also nun die Crème der „deutschsprachigen Literatur“? Wahrscheinlich wohl, ja, und das ist, um es frank und frei zu sagen: blankerwegs erschütternd. Beinahe, ja schon nahezu (und mit ganz wenigen, umso strahlenderen Ausnahmen) nichts Sinnliches, Böses, Temporeiches, Junges,Freches, Riskantes, Sadistisches, Sarkastisches, Zeitgemäßes, hemmungslos Verspieltes und Albernes oder, Gott bewahre! Ironisches, Theatralisches oder gar Cooles, Amüsantes oder Unterhaltsames! Null Überraschungen, Erkenntnisgehalt: praktisch kalorienfrei. Wortgewandtheit besitzt man ja vielleicht, aber man zeigt es nicht, denn man hat seine Magisterarbeit über Thomas Mann geschrieben, Peter Handke oder, gähn, Adalbert Stifter, der körpereigene Restwitz hat sich dabei komplett in Sitzfleisch verwandelt und wilde Ausdruckslust in tödlich öde-dröge Seminar-Germanistik, unterfüttert mit Feuilleton-Zuckerwatte und banalem Szene-Kneipen-Gequatsche.

Klagenfurt ist eine Leistungsschau der literarischen Nachwuchsjugend, also, sehen wir dem Unheil furchtlos ins Auge, derjenigen Generation, die wir einstmals, in Anfällen von Besinnungslosigkeit und akuter Verantwortungserblindung, mal im Eifer der Begierde gezeugt, fortan nolens volens rundum umsorgt, gepampert, beschützt, mit unverdientem Lob überschüttet, zudem geduldig ertragen, therapiert, bezahlt, aufgezogen und zwölf Jahre lang zur Reitstunde oder zum Ballett-Unterricht gefahren haben. Wir ernten, was wir säten, und fassen es nicht.

Die Klagetexte in Tränenfurt bringen eines gnadenlos ans Licht: Humor ist der unverzichtbare Grundbestandteil sozialer und literarischer Intelligenz, und der fundamentale Mangel an diesem sowie an Selbstironie der Grund, warum euch im ganzen deutschen Strafraum kein türkischer Türsteher in einen Club lässt. Eine miese Erfahrung, sicher, und eine narzisstische Kränkung, über die man tefflich und unbedingt einen Text schreiben sollte – wenigstens in der Geistesmetropole Klagenfurt wird man ihn sicher  „überragend“ finden. 

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9 Kommentare - “Klagen in Tränenfurt”


  1. Zuerst liegt also in Klagenfurt die „Crème“. Darum geht es aber dann doch nicht, wie Sie ja dann – chamäleonhaft – wenige Zeilen später selbsterkennend konstatieren („Leistungsschau der literarischen Nachwuchsjugend“). Aber was soll man auch von jemandem erwarten, der „Thomas Bernhardt“ und „Rainald Götz“ als Schlagwörter setzt.

    • 6kraska6 Says:

      Lieber unbekannter Kollege, wenn Sie meinen Text gründlich und genau läsen, würden Sie feststellen müssen, dass Ihr Kommentar komplett neben der Sache liegt. Aber Ironie ist halt auch ein schwieriges Feld…


  2. […] Klagen in Tränenfurt: “Zu meinen exzentrischen Hobbies gehört es, nach Möglichkeit allsommerlich auf 3Sat dem Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb zu Klagenfurt beizuwohnen und mit wohligem Gruseln schaudernd zu verfolgen. Wahrscheinlich tut das außer mir niemand. Oder vielleicht noch die Eltern und Tanten der DebütantInnen beiderlei Geschlechts, welche dort mit zittriger Stimme oder hornbrillenschwer selbst gehäkelte Texte vortragen, – vorwiegend unfassbar dünnblütige, sterbenslangweilige GermanistInnen-Prosa über angelesene Erfahrungen und falsche Gefühle.” […]


  3. Bester Magister!

    Wie jedes Jahr stellten wir uns auch heuer zu allererst die Frage, woher Daniela Strigl ihre wunderbaren Blusen bekommt; bei uns sind sie noch nicht mal auf einem gut sortierten Flohmarkt zu ergattern. Aber das, wie auch die Kommentare und Bewertungen der Jury oder die Lesung der AutorInnen, das Seitenumschlagen im Publikum oder die Dekoration des Studios … all das würde uns nicht über vier Tage in der Glotzeria aushalten lassen, wenn es nicht diese alljährlich wunderbare Begegnung zwischen der Moderatorin und dem jeweiligen Juristen gäbe! Denn das ist wirklich ein Spektakel, das sich zu verfolgen, absolut lohnt!

    (Und wann bewirbst Du Dich?)

    • 6kraska6 Says:

      Noch spannender finde ich ja die Frage, woher Daniela Strigl & Co. ihre Ansichten her beziehen – die dürften auch vom Flohmarkt sein…

  4. wassily Says:

    Die Geschichten ausm Gheddo müssen nach Tränenfurt. Auch die Klageweiber brauchen mal was zum Lachen.

  5. Lakritze Says:

    Ich hab’s dieses Jahr verpaßt. Hab ich was verpaßt?
    (Pro Klagenfurt übrigens hier.)


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