Bein vom Baumarkt
Maden. „Los, komm!“ ruft die Gattin, „wir rudern vom Lottofelsen über den Butterrand auf die Marmeladenseite! Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal! Dort in der süßen Pampe siedeln wir auf den Toast-Inseln, tanzen Seniorentango, bis der Notdienst kommt und fühlen uns wie Fliegen im Speck!“ – „Maden“, sage ich, „es heißt MADEN im Speck.“ – „Du bist ein alter, miesepetrigerr Spielverderber“, sagt die Gattin. Wir müssen uns halt erst wieder zusammenraufen. Aber es heißt doch „Maden“, oder? – Oha, Waldorf und Stattner wollen zusammen ziehen. „Die Idee gefällt mir“, sagt Waldorf, und Stattner entgegnet: „Kein Wunder, Dir hat ja auch der zweite Weltkrieg gefallen“ – Soweit würde ich zwar nicht gehen, aber Umzüge sind einfach ein Horror. Gelernte Philosophen haben allerlei erstaunliche Kompetenzen erworben: Die Handhabung von Akku-Schraubern, die Formulierung von Kreditanträgen oder das hiebfeste Meistern der Stichsäge gehören nicht dazu.
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Sommernacht. Im ganzen Geddo riecht es heute nach Gras, aber nicht wie ihr vielleicht denkt, sondern nach frisch gemähtem Geddo-Park-Gras. Rasen also. Ich finde immer, dieser Geruch gehört in die gleiche Kategorie wie Schlangen-Gurken-Duft: ganz fein, subtil, sehr grün und extrem vegetabil. Gibt es das Wort? Ich denke ja. Man wird nachgerade zum Pflanzenträumling, zum botanischen Erotomanen, zum Schwarmgeist – man möchte ausschwärmen, summen und Grillen befruchten!
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Duisburger Dialoge. Imbiss am Baumarkt. Fachsimpel unter sich, dazwischen Kassel-Pit, genannt Rollo, der mit seinen elektrischen Rollstuhl auf der Suche nach einer Rampe gelassen über die Terrasse cruist. Ich gucke hin, weil ich mal irgendwo in einer Benimm-Sendung gehört habe, Behinderte fänden es besser, wenn man glotzt, als wenn man krampfhaft wegsieht. Rollo grinst mich an, klopft auf den halbleeren Sitz und erläutert unaufgefordert: „Ich warte nämlich auf mein Bein, das ist erst in drei Stunden fertig!“ – „Ah, Bein inner Werkstatt?“ frag ich bemüht beiläufig. „Genau“, sagt Rollo, „Wartung“, und, fügt er, um Missverständnisse zu verhüten, sicherheitshalber hinzu: „… is aber’n gutes Bein!“ Er ist längst weg, als ich stutze: Ein Bein aus dem Baumarkt? Kann denn das? Aber so sind die Leute hier: rustikal, solide, genügsam.
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Deutsche Vokabeln. Ein Wort, das mählich ausstirbt, ist das Adjektiv saumselig. Schade. Im Adelung von 1793 steht: „ein auch für säumig übliches Wort, besonders in engerer Bedeutung, auf eine fehlerhafte Art langsam, die pflichtmäßige Eilfertigkeit und den pflichtmäßigen Gebrauch der Gelegenheit aus Trägheit unterlassend. Saumselig seyn. Ein saumseliger Schuldner. Das im Hochdeutschen veraltete Hauptwort Saumsal, wovon dieses Beywort abstammet, ist noch in Baiern üblich, so wie auch Logau es noch gebraucht.“ Meine eigene Saumseligkeit ist notorisch, und gehört zu meinen Persönlichkeitsmerkmalen, die ich jetzt mal für ein paar Wochen stecken lassen muss, erledigungshalber.
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Lebenslanges Lernen. Ist ja nie zu spät: Dem leise wackelndem Greisenkopf werden jetzt energisch und endlich mal noch drauf geschafft: Reluktanz, Torpor, Coriolis-Kraft, Higgs-Boson sowie, zum Nachtisch, dunkle Materie. Ärgerlicher als sterben ist dumm sterben.
Schlagwörter: Baumarkt, Bein, Coriolis-Kraft, dunkle Materie, Fliegen, Gras, Higgs-Boson, Maden, Reluktanz, saumselig, Sommernacht, Speck, Torpor, Waldorf und Stattner
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5. Juli 2012 um 5:09 PM
Am Rande: Das Befruchten von Grillen kann zu bösen Verbrennungen führen.
5. Juli 2012 um 5:12 PM
Das muss man manchmal riskieren. Auch das Befruchten von Frauen kann zu Verbrennungen führen, z. B. von Geld. Grillen sind, anders als Libellen, halt zur Parthenogenese nicht gebaut….
5. Juli 2012 um 5:16 PM
Da machen die Libellen ihre ineinander verhenkelten Kunstflüge zum Spaß?! Das wäre eine ganz wunderbare Vergeudung.
5. Juli 2012 um 5:19 PM
Die Libellen sind flexibel. Sie verschmähen Männchen nicht, aber in Hungerjahren können sie auch ohne Sex. Von Tieren lernen heißt fliegen lernen!
5. Juli 2012 um 5:34 PM
Ehe ich jetzt die Gemeinsamkeiten von Vögeln und Fliegen erörtere, gehe ich doch lieber wieder an die Arbeit …
5. Juli 2012 um 10:04 PM
You made my day – und der war schwierig.
6. Juli 2012 um 5:40 PM
Eigentlich wollten wir nur den feinen Text genießen, bei einer guten Zigarre und einem Glas Cognac im abgeschabten Ledersessel, aber der Baumarkt ließ uns nicht ruhen, denn der heimische Baumarkt wird gemeinhin unterschätzt. Die besseren unter ihnen verfügen über ein ungeahntes Sonderangebotpotential, dem nicht nur der Do-it-yourself-Mann mit offenem Herzen (und ebensolchem Geldbeutel) gegenüberstehen sollte. Auch der unpraktisch veranlagte Geisteswissenschaftler kann hier eine Einführung in die schweißtreibende Praxis erhalten, z.B.: „Vom Handbohrer zum Pressluft-Hammer. Eine historische Einführung in die Praxis des Bohrens und Dengelns“. Wer würde sich da noch über ein brauchbares Bein wundern? Indes musste einfach mal eine Lanze gebrochen werden für diese herrlichen Baumärkte … obwohl, wir werden die Lanze nicht brechen, sondern sauber zersägen, wie es sich für Baumarktgeschulte gehört … selbst wenn sie so dick wie ein Holzbein sein sollte.
Mit beste Grüßen
Haushundhirsch