Wider die Orthopädographie
Warumb nuhr, theuere Genoßsen, seyd Ier unter die be-schämickt Sklaverey der RechtSSchreibunck gerahten, Ier armen Thoren? Wass lasset Ier, zu Gnaden, Euch denne vom großmechtigen Leviathan vulgo Satan oder so genannter Staat, in Euere partes privatissimae was ist die hochmögende Orthographia hineyngrappschen und herrumm pfuschen? Sünd nicht die Herren Grafen von Dudenn eyne veritabul Pestilenßz und Lantplahk, eyn beßerwisserisch Volck und Heerbann von lauther verderbtenn ehrloßen Kannegießern, krumben Pedannten der scola unt vor die Freyheit böß gesatzten Lummppenpack? Iie! deß Schröckenn und fauliges Gyfft vorspreizenden Natterngezücht, wo muthwillig cujonieren thut, was Freyheit der Scribenten seyn mußs & seyn soll, vor immerdahr und vuon unsrem HErrn GOtt geben! Mir ist die aerwig Schulmeysterei der orthopädaeisch Schwetzer und Wortdrexler ein Gräuel und wahrchafft Eckel! Sie solln ablassen von denen ierer elennt Beßsrungswuth, Thugend-Terreur und Gängelband-Binden! Ich schrob von Geburth an nemlich nach dehm eygen Schnabel und fuhr gutt nach dem Gefüel und Geschmakk deß puren Odems in meyne Brust! Hab ich nicht ius, nach dero Sitten der ehrwürdigen Aeltern zu faren? Meyn Hertz ersehned zuweylen eyn ächte Schweyzer Gard zu miehten, dem Thun der forfluchten, führwitzigen Correctores eyn End zu settzen und seys mit Schrecken, Bluth und Brannt!
– Also, zur Erklärung, es war so: Heute im medientheoretischen Seminar über Schrift und Schriftlichkeit, kamen wir, einem Textchen von Roland Barthes folgend, methodisch, dialektisch und systematisch ordentlich vom Hölzchen aufs Stöckchen, will sagen am Ende auf den beinahe staatlichen orthopädographischen Terror der sog. Rechtschreibung bzw. die Diskriminierung der kreativen Heterographen. Kaum schreibt einer, von der Macht der Begeisterung hingerissen, in seiner Bewerbung z. B. bei der Fa. Fielmann, er hätte „fielerlei Interessen“, wird er schon aussortiert und kommt auf den Lehrlings-Kompost! Ist das gerecht? Ehre den Helden der kreativen Schreibung, wie zum Beispiel James Joyce und Arno Schmidt! Und den barocken Anarchen! Kürzlich entschuldigte sich eine werte Kollegin dafür, versehentlich „Liedschatten“ geschrieben zu haben. Dabei! was für ein herrliches Wort! „Ich bin im Liedschatten der Beatles aufgewachsen!“ – ist das denn unklar, missverständlich oder verwerflich? Nicht im mindesten! Das ist wahr, das ist gut, das ist schön. Was verschlägt denn die unmaßgebliche Meinung der Duden-Terroristen?
Ich weiß ja nicht, wie das zugeht, aber hinter jedem Word-Dokument, das ich öffne, sitzen heute hundert unsichtbare, anonyme kleine Chinesen und unterkringeln mir jedes zweite Wort, das ich schreibe, blutrot mit Droh-Verbesserungen. Bitte, ich möchte das nicht! Gezeugt, gestillt und genährt noch in der Griechischen Antike, wuchs ich gymnasial in der frühen Goethe-Zeit auf und das war eine herrlich freie (freye) Ära! Ein jeder, zuvörderst Goethen, schrieb, wie er’s sich dachte, wie er fühlte und klingen mochte, und kein absolutistischer Sprachpolizey-Kommandant namens Literalhauptkommissar Duden verwies ihm diese Freiheit des persönlichen Ausdrucks. Der Staat hatte andere Sorgen, als seynen Unterthanen vorzuschreiben, wo sie das Komma hinklecksen sollten. Kommata setzte man dort, wo man mal Luft holen musste, und gut wars! Wo bitte gibt es denn allgemeine Regeln zum Luftholen? Ein Engbrüstiger, ein Asthmatiker oder luftknapper Adept der Schwindsucht setzte viele dieser Beistriche, ein weitbrüstiger Rhapsode, Musikal-Kastrat oder Opern-Arier deren halt weniger. Ja, na und? Gab es deswegen etwa babylonische Verwirrung, gegenseitiges Missverständnis und Zungenverwirrung? I wo!
Dass Werthern sich in Lotten verliebte, als er sie beim Brothschneiden beobachtete; dass er, da er sie nicht haben konnte, sich am Ende zwangsgerecht selbst entleibte – haben wir das etwa deshalben nicht verstanden, weil im Original Seyn statt sein, Muthwillen statt Mutwillen stand? Ob was mit „ß“ oder „sz“ oder „ss“ geschrieben wird – macht uns das das Ausgedrückte etwa undurchsichtig? Ach was! – Ich weiß, der staatliche Rechtsschreibungsterror wird nicht leicht zum ersten Motiv einer Revolution werden, aber dennoch, wenn dereinst, nach den „Piraten“, den „Halunken“ und den „Ganoven“ endlich als achte Partei die „Barbaren“ kommen – ich wünschte, sie gäben, im Zuge einer erweiterten Aufklärung, nicht nur frei, was man glauben, sondern auch, wie man schreiben dürfte! Das wäre ein Fest! Der grammatische und orthographische Frühling! Wir strömten auf die Straße, auf den Dudenplatz, unsere Fahnen schwingend, auf denen, als Logo und Freiheitsfanal, ein „y“ prangte, ein „ß“ und ein „th“, sowie das Symbol einer Gießkanne, andeutend, dass wir unsere Kommata nach anderen Prinzipien vergössen als die Pedanten. – Ah, Freyheit!
This entry was posted on 15. Mai 2012 at 10:08 AM and is filed under Aus dem Kulturbeutel älterer Jugendlicher, Bizarres aus der Denkfabrik. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Arno Schmidt, Barbaren, Barock, Duden, Freiheit, Goethe, James Joyce, Komma, Ortographie, Piraten, Rechtschreibung, Roland Barthes, Schrift, Sprache
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15. Mai 2012 um 11:00 AM
Voller Solidarithät entblösse ich meine linke Brust, hisse die Druckfahne und stürme gemeinsam mit Dir, geschätzter Magister, die Bastionen und Bastillen der Rechtschreibrechthaber!
Die letzten 100 Reformen haben mich zum Analfabeten gemacht, der, endlich frei vom Zwang es endlich auch schafft, den Inhalt vor die Rechts(chreib)form zu stellen.
Nieder mit den Dudendödeln!
Allein – eins lehrt mich der Umgang mit so manchem jungen Schriftumserzeuger dann doch: Seid bitte lieb zu den Satzzeichen!
denn wer weiß wo sätze enden wenn der punkt dies nicht verrät wer erkennt eine frage ohne fragezeichen
Eben.
15. Mai 2012 um 11:55 AM
Entlich mal Einer, der auf 200-Prozentler unter uns Rechtschreiber scheisst, verbal zumindest. Kein Sick, der sich ergötzt am genitiven Dativ. Na gut, einige Regeln mögen Verständlichkeit bringen, ob ich aber Dich oder dich als Trottel beschimpfen täte, es wäre so oder so eine Beleidigung.
15. Mai 2012 um 12:31 PM
^^^^^^^^ Das sind solche Lach-Häkchen, keine ägyptischen Korrekturunterkringelungen. Bei der Barbarendemo auf dem Dudenplatz gegen die doofen Kommaregeln wäre ich sofort dabei. Aber „Liedschatten“ ist schon ein bisschen indolent.
15. Mai 2012 um 9:35 PM
Jawoll,
stürmet hinaus auf die Straßen und stoßet ab das Joch der Dudioten.
15. Mai 2012 um 10:06 PM
Hier schreit ein Nein in mir und will hinaus! Leider verpasste dm diesem tolldreisten Text ein „like“, bevor ich eingreifen konnte. Von mir bekommst Du ein doppeltes, sobald ich mal einen Rechtschreibfehler bei Deinen komplexen Sätzen entdecken sollte.
Kannste mal schön warten, M.A.!
15. Mai 2012 um 10:46 PM
Du/ihr seht mich verwürrt: Wer seid denn das ihr? Mehrere oder nur gespalten einer? Selbzweit, Trinität oder multiples Mobile?
16. Mai 2012 um 7:25 PM
Wir tendieren eindeutig zum multiplen Mobile. Nachdem wir nochmal durchgezählt haben, kommen wir auf drei: Haus, Hund, Hirsch, wobei der Hund nichts Wesentliches beiträgt. Der frisst immer nur.
dm
16. Mai 2012 um 6:46 PM
mit dem weg: die anonymen kleinen Chinesen im Word, die rot pinselnden liessen sich ausschalten
16. Mai 2012 um 6:52 PM
Ich weiß – aber ich will sie ja auch nicht um ihr täglich Schälchen Reis bringen…
16. Mai 2012 um 7:38 PM
ach find ich doch sehr sozial 😀
17. Mai 2012 um 12:38 PM
Haha! Ist wohl klar, daß ich nun Haare spalten muß, als professionelle Besserwisserin, gell?
Wenn der deutsche Sprachraum voller sagenwirmal Mozarts wäre, die Schreibweise als Ausdrucksmittel einzusetzen verstünden, ja, dann! Dann läse ich alles, was mir unter die Finger käme, mit Vergnügen. Aber wo Schreibweise die Abwesenheit von Kenntnis, Gedanken oder gar Gefühl anzeigt, unnötige Verwirrung stiftet, unentbehrliche Zeit kostet und schlicht nervt, da halte ich die rechte Schreibung hoch und wedele notfalls sogar mit dem Duden. (Ungern allerdings, weil der kompromittiert ist von hirnlosen Reformen und missionarischem Eifer.)
Außerdem ist die Orthographie das Pferdchen, das meinen Karren zieht, die Unkenntnis ist der Acker, auf dem meine Rüben gedeihen, der Rotstift der Bumerang, der mir Vögel aus den Bäumen pflückt — also, bittschön, nichts gegen das Primat der Orthopädographen.
17. Mai 2012 um 1:19 PM
Na ja, da Du davon lebst – zähle ruhig die Silbenerbsen! Trotzdem und im Ernst würde ich gern wissen, welche historisch-soziologischen, politischen o. ä. Faktoren bei der Duden-Machterfreifung eine Rolle spielen. Bei Wikipedia steht nur: „Rufe nach einer einheitlichen Regelung wurden immer lauter…“ Aber wer rief da und mit was für Zielen? Hat das schon mal jemand untersucht, so diskursanalyrtsch?
17. Mai 2012 um 1:40 PM
Das würde mich ja auch interessieren. Aber wurde damals nicht gerade alles normiert? Raum- und Flächenmaße, unordentliche Kulturen, Schnurrbärte? Im Zweifel steckte eine gute Lobby dahinter. Vielleicht findet sich eine Antwort bei Professor Ickler; sicher findet sich da eine Meinung.
18. Mai 2012 um 10:03 AM
wenn ich es richtig verstehe, sind die (rechtschreib)regeln also dazu dienlich, die wortungewandten in schach zu halten, einigen das geldverdienen zu ermöglichen und anderen eine reibungsfläche und die möglichkeit zum regelverstoss zu bieten – ist doch pryma.
18. Mai 2012 um 11:59 AM
„Kommata setzte man dort, wo man mal Luft holen musste, und gut wars!“: Hach! Es „Gefällt mir“ nicht nur – ich bin begeistert.
13. März 2014 um 2:50 PM
Auch dieser Text goehtlich! 🙂
13. März 2014 um 2:55 PM
Danke Dir!
13. März 2014 um 3:46 PM
Für wahr gesprochen!