Über das Schreiben (Ersatztext)
Thema Hochkultur, direkt durch die Hornbrille des Erzeugers: Mut, Mut, und noch mal Mut braucht es fürs Schreiben! Freche Dreistigkeit ist vonnöten, verdammt! Autist sollte man schon sein, ein Egozentriker eventuell und jedenfalls gestandener Ich-Inhaber! Natürlich ist im Vorteil, wer die Rückenschule besucht hat. Oft bläst strenger Krittel-Wind von vorn, da heißt es Tränen schlucken und den Trotzkopf hochhalten. Der Tag wird sonst eine Katastrophe! Buchstabierenkönnen ist auch wichtig, zum Beispiel das Wort Finanzmarktstabilisierungsgesetznovelle, – das ist wohl Ehrensache! Das nötige Mentaltraining erwirbt sich, wer etwa ausgiebig blutjungen Hefeteig knetet oder über rohen, ungeschälten Kartoffeln das Pendel schwingt, denn nicht immer sind Ergebnisse von Bedeutung.
Wie oft fördert nächtelanges Schlürfen im Wörterbergwerk nur wortreiches, aber wertloses Geraffel und Geschmeißgestein zutage? Das muss man aushalten! Von der Tiefe des Daseins sei man übrigens bereits in Kenntnis gesetzt: Wer nie über verknoteten Schnürsenkeln in Ohnmacht verzweifelte, wer die Kunst des Brotfaltens nicht erlernte oder das Schnorcheln mit Schnabeltassen, der hat nicht das Zeug zum Schriftsteller, der weiß nicht von Unbill und Not.
Ich selber komme ja von der Bocksbeutelflöte her, das war eine gute Schule! Wer in kurzen Texten lange Sätze unterbringen möchte, sollte ein rhythmisch kompetentes Gerät zur Geräuscherzeugung bedienen können, zwar nicht unbedingt virtuos, aber doch so, dass zwischendurch nichts schluchzt, quietscht oder klappert, denn Nebengeräusche sind in der schönen Literatur mit Recht verpönt. Also: Schön tief aus den Beinen atmen!
Oft wird die Frage aufgeworfen, ob es zum Schreiben hilfreich wäre, nicht ganz richtig im Kopf zu sein, was ich ohne Zögern bejahen möchte, indem ich indes zu Bedenken gebe, es möchte dies womöglich eine zwar notwendige, aber vielleicht nicht hinreichende Bedingung sein. Der Rentner Herr Rombach, mein guter Freund und Nachbar, ist zum Beispiel zwar definitiv wahnsinnig, aber gänzlich illiterat; ich meine, nicht jede Sprühdose spielt Kunstlieder – oft kommt nur Quacksilber heraus, das noch alchymistischer Veredelung bedarf, um als ein Bröckchen Wörtergold zu glänzen.
Hier haben wir soeben gerade die Metapher kennen gelernt, das wichtigste Werkzeug des Literaten. Metaphern sind die Dessous der Gedanken: Lediglich vage ahnen soll man, was sie an Sinn gerade so eben durchschimmern lassen – schnöde Nacktheit bleibt pornographischen Sachbüchern vorbehalten! Wie bei Lingerie nicht unüblich, gibt es auch undurchsichtige, blickdichte Metaphern. Man nennt sie hermetisch, nach Hermes, dem Gott der unzuverlässigen Paketboten, die nicht mal klingeln, sondern aus Faulheit gleich Benachrichtigungszettel einwerfen. Mit hermetischen Metaphern bekommt man es praktisch nur in der Abitur-Phase zu tun; wenn sie länger anhalten, muss man allerdings zum Hermeneutiker, dem studierten Facharzt für Hirnschwurbel.
Apropos – immer wieder werde ich auch gefragt: Was ist denn jetzt nun mit Alkohol? Wie schreibt es sich besser, „heilignüchtern“ (Hölderlin) oder „trunken vom Wein der Glückseligkeit“ (Dschalal ad-Din Rumi)? Hierüber experimentiere ich noch, bin der Wahrheit aber hart auf der Spur: Es hat offenbar mit Geschwindigkeit zu tun. Gern ein, zwei Gläschen, damit die Einfälle purzeln, aber dann auch in Windeseile wie wild in die Tastatur gehämmert! denn schon das dritte, gar das vierte Gläschen steigert das Hochgefühl bereits derart, dass sich morgens meist herausstellt, was einen nächtens noch begeisterte – es war, bei Licht betrachtet, leider bloß schnöder Müll. Eine bestürzende Erfahrung: Was einen bei Glas Nr. 4 in der Nacht noch haltlos kichern ließ, windet sich im harten Morgenlicht klamm, doof und grau wie kalte Grütze! Ein Tag, der somit in eitel Selbstzweifeln beginnt, ist ein verlorener Tag, da kann ich ebenso gut gleich wieder ins Bett gehen.
Manche Erfolgsautoren empfehlen, man solle sich, bevor man sich gleichsam nackt in den Wörtersee stürzt, genau überlegen, was man sagen will. Das fände ich aber langweilig. Wenn ich vorher schon weiß, was ich sagen will, brauche ich es doch nicht mehr aufzuschreiben! Ich strebe im Gegenteil beim Schreiben einen Zustand gelassener, tiefen-fluider Gedankenlosigkeit an. Das ist praktisch Zen, wie beim Bogenschießen. Es schreibt! Blöderweise ist mein Es, wenn es unbeaufsichtigt herumtollt, eine Art Soziopath, der für eine hübsche Formulierung seine Mutter verkauft, weshalb das gedankenfreie Bogenschießen auch schon mal einen Bock erwischt oder schwer ins Auge geht. – Deshalb ist dies hier ein Ersatztext für ein Stückchen, das ich jüngst beschämt aus legitimen Gründen einstampfen musste.
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Schlagwörter: Autismus, Bogenschießen, Gedankenlosigkeit, Literatur, Litreratur, schöne Literatur, Schreib-Kurs, Schreiben, Soziopath, Zen
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26. Januar 2012 um 11:23 PM
Ach, was les ich dich gern :o)
26. Januar 2012 um 11:24 PM
Pöh. Und wp macht aus meinem : o ) so einen blöden gelben Typen. Ich schäme mich^^
26. Januar 2012 um 11:23 PM
Die kritischste Zensurstelle ist das eigene Schamgefühl. Schade um das Orginalstück.
26. Januar 2012 um 11:35 PM
„Mit hermetischen Metaphern bekommt man es praktisch nur in der Abitur-Phase zu tun; wenn sie länger anhalten, muss man allerdings zum Hermeneutiker, dem studierten Facharzt für Hirnschwurbel.“
Weil es schon so schön vor sich hin schreibt: Ist der Hermeneutiker für den wahren Literaten nicht das, was der Inschenjör für den wahren Vielosoffen ist? Ein dröger axiomatischer Autist, Semantik-Sadist, rücksichtsloser Rechner und zimperlicher Zahlen-Zwirbler?
Die wahren Abenteuer sind im Kopf – und wenn sie dort nicht sind…
…dann hilft auch kein auf toten Baum gewürgter Wortbrei mehr.
Nieder mit der Syntax! Nieder mit der Semantik! Nieder mit der Hermeneutik! Nieder mit den Sätzen!
den ihre wieder Worten Gebt Freiheit!
27. Januar 2012 um 11:42 AM
Schon, sicher. Aber wie es Ausnahme-Ingenieure gibt, gibt es auch ingeniöse Hermeneuten!
28. Januar 2012 um 9:58 PM
Nein, nein, / cbx, am Ende wünscht sich jeder Autor seinen hauseigenen Hermeneuten, der die Lizenz zum Zeitverbrennen hat, so lange er dabei den Text hin und her wendend durchleuchtet und all die kleinen verbalen und kontextsituierten Spitzfindigkeiten, an denen man sich jahrelang schier verrückt geschrieben hat, aus dem Textgebirge herausskulpturiert und so der schnöden Schnelllesewelt erst die wahren Tiefendimensionen des Werkes eröffnet. Davon träumt man selbst als Krimiautor (jedenfalls wenn er im Vorleben ein Hermeneutiker gewesen ist.)
26. Januar 2012 um 11:35 PM
Word!
26. Januar 2012 um 11:48 PM
Ich habe zwischendrin ein wenig den Faden verloren, vielleicht heute schon zu viel Brot gefaltet oder zu hochkonzentrierten Rosenkohlextrakt in den Inhalator gefüllt, aber es liest sich großartig.
27. Januar 2012 um 11:43 AM
Wenn Du den Faden noch findest, darfst Du ihn behalten! Rosenkohl inhalieren, hm, hm, so, so. Erwägenswerte Sache.
27. Januar 2012 um 3:27 PM
… und auf der anderen Seite wieder aus dem Wörtersee auftauchen, keineswegs mehr nackt, sondern angetan mit schönstem Ölzeug samt Kapuze und ner Buddel Rum in der Tasche. So stell ich mir das jetzt vor.
27. Januar 2012 um 3:32 PM
Den Rum hat man sich dann ja auch verdient!
27. Januar 2012 um 6:02 PM
Rum und Ehre dank E(h)rsatztext. Ist das nix?
28. Januar 2012 um 11:37 PM
@thomas: Hier spricht in der Tat jemand, der Schreiber im emphatischen Sinne ist! Am teuerstem sind einem Autoren natürlich Hermeneutiker, die im Text Kunstgriffe entdecken, die man selbst gar nicht intendiert hatte!
3. Februar 2012 um 6:07 PM
[…] mir die Metapher schon besser. Und dann fiel mir ein, dass ich vor kurzem las, dass Metaphern die Dessous der Gedanken wären. Eine schöne […]