Dringender Aufruf
Demnächst, habe ich mir vorgenommen, werde ich eine krachende Eloge schreiben. Das kann ich zwar nicht so gut wie Verrisse, aber ich werde mir alle Mühe geben. Gott, wann LOBE ich denn schon mal? „Loben“ passt auch gar nicht – wer bin ich denn?! Hier ist pur rückhaltlose Bewunderung angesagt! In die Rubrik „Meine Idole“ passt er zwar nicht, weil er noch (mit knapper Not und ohne große Perspektiven) gerade so noch lebt und ich eigentlich nur bereits gut abgehangene und mindestens lange verstorbene Literaten idolatriesiere, – aber Leute, wahrlich, ich sage Euch: Wer in der tristen, sturzöden und strunzdoofen sog. Gegenwartsliteratur nach lichtvollen, ja erleuchteten Perlen sucht, der lese: Wolfgang Herrndorf, lese seine Bücher („In Plüschgewittern“, „Jenseits des Van-Allen-Gürtels“, „Tschik“ und „Sand“) sowie unbedingt wie seinen Blog „Arbeit und Struktur“!
Wäre er mein Sohn, was altersmäßig gerade so hinkäme, meine Todesart wäre gebucht: Platzen vor Stolz! Wer Herrndorfs Sachen liest, ist hingerissen, verliebt und berauscht, hin und weg, ein bisschen neidisch – oder aber hoffnungslos blöd. Schon wer bloß sein Blog studiert, und sich nicht an der tragischen Situation dieses gottvollen Mannes festsaugt (Glioblastom, geringe Lebenserwartung usw.), der lernt (fast) alles übers Schreiben, nämlich vor allem mal wieder, dass das ungemein viel Arbeit macht und die hohe, aber auch quälerische Kunst des Weglassens und Wegstreichens voraussetzt. Oder dass man, um komische Sachen zu schreiben, ein verflucht trauriger und ein bisschen autistischer Weltfremdling sein muss.
Ich übe mich – stümperhaft freilich – in der Kunst des Weglassens, indem ich hier auf jegliche Begründung verzichte. Ein Mann, der über meine Heimat Sätze schreibt wie: „Hinter Schleswig wird der Himmel hoch und strahlend wie eine renovierte Altbauwohnung“, der muss schon allein deshalb Beachtung finden. Darüber hinaus ist Wolfgang Herrndorf ein ungemein komischer Tragiker, trauriger Humorist und ein Stilist, der einfach schreiben kann wie eine gesenkte Sau. Seit Salinger (entschuldige, Herr Herrndorf, ich weiß, wie sehr Sie dieser Vergleich nervt), hat niemand derart präzise, einfühlsam, klug und witzig über die Psyche heranwachsender männlicher Jugendlicher von 13 bis 33 geschrieben; beim Lesen kommen mir manchmal echte Tränen: dass es so etwas noch gibt! – jemand, der Herzenstakt und Bildung, Jugendwut, Energie und Elan mit geradezu frappantem Sprachgefühl und weltweiser Einsicht verbindet, das hätte ich von besagter Gegenwartsliteratur nie nicht mehr erwartet. Wie er heißt? Ich sagte es vielleicht schon: Wolfgang Herrndorf. Wer stirbt, ohne ihn gelesen zu haben, hat, zumindest ab jetzt, selber Schuld!
Lebende Idole? Nun ja, ich schätze Eckhard Henscheid, Max Goldt und Eugen Egner, aber Wolfgang Herrndorf … würde ich gern SEIN! Ach ja? Auch mit Hirntumor? Verflucht, Scheiße, ja, zur Not sogar das! Ich kenne ihn nicht, ich bin nicht mit ihm befreundet, aber, um noch mal Salinger zu bemühen, er gehörte wohl zu der Klasse der Schriftsteller, die man nachts, in schlimmen Stunden, gern mal anrufen würde. Was ich mich natürlich nie trauen würde.
Einem todkranken Genie Blumen ins Krankenhaus schicken, wär ja wohl eher so ein Mädchending. Meins dann wenigstens dies: Der Aufruf an meine ca. 45 LeserInnen, Follower und virtuellen Freunde: Besorgt Euch Bücher von Wolfgang Herrndorf! Er ist, und das sage ich jetzt mit dem vollem Gewicht meines literaturwissenschaftlichen Magistertums: ein Großer! Ein Guter! Einer von uns!
Explore posts in the same categories: Lesefundfruchtstückchen, Meine IdoleSchlagwörter: Blestristik, Eckhard Henscheid, Eugen Egner, Gegenwartsliteratur, Genie, Glioblastom, Herzenstakt, J.D. Salinger, Literatur, Max Goldt, Wolfgang Herrndorf
You can comment below, or link to this permanent URL from your own site.
6. Dezember 2011 um 8:25 AM
Ui! Wenn der Hohepriester des Verrisses sich mal wirklich in reinstem Lob ergeht, dann muss wohl wirklich was dran sein. Ich habe mir jetzt gerade „Tschick“ auf meinen kindle gebimst – zur besonderen Verwendung am kommenden Wochenende.
Aber wehe, wenn dieses teure Stück Literatur meine von Dir so hoch geschraubten Erwartungen nicht erfüllt…
6. Dezember 2011 um 9:39 AM
Ich würde es etwas schlichter ausdrücken: Herrndorf, den mochte ich auch.
6. Dezember 2011 um 10:26 AM
Ah! und Oh!
Vielen Dank für den mitreißenden Hinweis.
Gäbe es den winzigen Schlußsatz nicht, meinte ich, mich im Blogtürchen geirrt zu haben.
6. Dezember 2011 um 11:18 AM
Ich habe Tschick an zwei Abenden verschlungen, immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge gleichzeitig. Jetzt will ich mehr von diesem Autor und verschenken werde ich das Buch vielfach.
7. Dezember 2011 um 11:52 AM
Dank an Kraska und Karu. Den Tschik werde ich mir mal reinziehen.
12. Dezember 2011 um 11:58 AM
Nagelneues Eibuck. Nach überwundenen Berührungsängsten nahm der „Tschick“ (danke auch an Karu) der elektronischen Apparatur die Jungfräulichkeit. Download – und los geht´s. Ich durfte nur 12 Seiten, dann war Besuch angesagt. Was ich da lesen konnte, bestätigt meine, von Kraska recht hochgeschraubte Erwartungshaltung.
Danke für diese Empfehlung.
12. Dezember 2011 um 8:03 PM
Ich habe am Samstag Nachmittag den Tschick komplett inhaliert und muss auch feststellen, dass des Magisters Lobgesänge keinesfalls unberechtigt waren! Ein wirklich herzerleuchtendes Leseerlebnis – insbesondere nach all der kopfschweren Sachlektüre, mit der ich mich sonst zu traktieren pflege. Hab Dank für die Empfehlung!
N.B. Der erste Satz ist überaus witzig, wenn man weiß, was der gemeine Ösi unter einem Tschick versteht…