Lieb mit Ferkeln


Man muss das üben: Finsteres Abschreckungsgesicht

Fremdenfeindlichkeit hat immer eine schlechte Presse. Wieso denn überhaupt? Seid umschlungen, Millionen, alle Menschen werden Brüder undsoweiter, na ich weiß nicht. Misstrauen gegen Fremde hat uns erfolgreich durch die Evolution getragen. Als Ferkel mit Pu-der-Bär auf die Heffalumpp-Jagd geht, fragt er als erstes: „Sind Heffalumpps eigentlich lieb mit Ferkeln?“ Das ist eine berechtigte und keineswegs Heffalumpp-feindliche Frage. Ferkel können nämlich kein finsteres Abschreckungsgesicht machen.

* * *

Schwer zu sagen, wie ich auf Cengiz’ Liste gekommen bin. Cengiz ist der Freundliche-Mensch-Mann. Eines Tages tritt er bei LIDL vorm Käse-Regal auf mich zu, breitet die Arme aus, blinzelt mich forschend aus seinen dreiviertelblinden, spülwasserfarbenen Augen an, die hinter den glasbausteindicken Brillengläsern kaum zu ahnen sind, und streckt mir die Hand entgegen. Seine Brillenbügel sind mit Tesafilm geflickt, was ihm eine nonchalant verwegene Note verleiht. Sein Händedruck ist fest und bestimmt. – „Sie sind gutte-freundliche Mensch!“ befindet er und ich bestätige dies gern, wenn auch etwas wahrheitswidrig. So kam ich wohl auf die Liste. Cengiz verbringt samstags nämlich viele Stunden bei LIDL, um „gutte-freundliche Menschen“ zu finden.

Zwar wird er nur selten fündig, denn die meisten Finstergucker machen einen Bogen um ihn, weil sie ihn für einen Spinner halten, aber Cengiz Optimismus ist grenzenlos. „Gutte-freundliche Menschen gibt überall“ jubiliert er inbrünstig, und mit „überall“ meint er unter Türken und Deutschen. Ich treff ihn fast jeden Samstag: „Immer freundlich!“ strahlt Cengiz, wir schütteln uns die Hände, klopfen uns auf die Schulter und versichern uns wechselseitig, gutte-freundliche Menschen zu sein, wünschen uns dann „Alles Gutte!“ und gehen unserer Wege. – „Wer warn das jetzt fürn Spinner?“ fragt die Gattin. – „Das war Cengiz“, erkläre ich, „er sammelt gute, freundliche Menschen.“„Ach“, sie runzelt die Stirn, „und wie ist er da auf dich gekommen?“ Wie gesagt, ich weiß es nicht.

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Frau Stavroula führt eine Trinkhalle mitten im Zigeuner-Viertel. Der Verkaufsraum geht direkt in ihre Wohnküche über. Die Stavroula ist eine Meduse. Keine Ahnung, wie alt sie ist, aber Haarpracht und Damenbart sind noch schwarz. Wenn sie lacht, klingt das wie drei betrunkene Russen, die man übers Kopfsteinpflaster schleift. – „Is wegen die Bohnen, trockene, koch ich grad“ begrüßt sie mich. Isch mach lebendig Fragezeichen. „Dass so riecht…“, erläutert sie, „is gekochte Bohnen. Riecht bisschen, ja, aber tust du Fleisch rein, is lecker!“ Ihr heiseres Lachen scheppert über den Ladentisch. „Ah“ mache ich weltmännisch, „Kuru fazulye!“ Lackschwarze Augen funkeln mich anerkennend an: „Genau. Sprichs turkisch, junger Mann?“ „Na ja, so bisschen“ geb ich zu. „Ich auch bisschen“ versetzt sie, „bin Griechin aber“. Wenn man keine Angst vor ihr hat, ist auch sie ganz gutte-freundliche Mensch. – Muss mal Cengiz bescheid sagen.

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Im Geddo sollte man mit seiner Freundlichkeit nicht hausieren gehen. Auf der Straße geben wir lieber den Finstermann und machen ein mürrisches Abschreckungsgesicht. Vorsorgliche Fremdenfeindlichkeit ist angeraten und Mutter der Porzellankiste, denn es gibt ja hier nur Fremde! Fremde hält man tunlichst auf Abstand, weil, man hört ja so allerhand. Besser einen Bogen machen. Bemerkenswert, wie viel Abstand man auf so engem Raum halten kann! Die mit Abstand missmutigsten Mienen ziehen übrigens die Serben. Von ihnen hab ich alles gelernt. Regelrechte Bürgerkriegsfressen! Die können dich geradewegs auf die andere Straßenseite starren, um den Bürgersteig ethnisch zu säubern. Phänomenal. Nur die Roma-Bulgaren können es sich nicht leisten, das finstere Starren. Sie gucken immer betont ausdruckslos, wie Schuljungen, die was ausgefressen haben und nicht erwischt werden wollen. Sie sind die einzigen Menschen, die ich kenne, die es fertig bringen, zu neunt an der Ecke zu stehen und, wenn die Bullen vorbeifahren, kollektiv so zu tun, als wären sie gar nicht da. Präventive Unsichtbarkeit!

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Nachts anner Zentralbude am Brückenplatz. Man kennt sich. „Iyi akşamlar, usta!“, trompete ich gut gelaunt und jovial ins Verkaufsloch, „nasılsıniz? Aileniz nasıl?“  Ömer sagt: „Alles klar, alles gut. Und dir, Meister?“ Ich sag „Ben iyiyim. Büyük bir soçuk Jägermeister, lütfen, wenn du ma kalten da  hast“ – Normal Kanaksprach-Cityspeak ebend. „Biddää“ sagt Ömer. – „Nee, nee, nee!“ geht Ute, plötzlich aus dem nächtlichen Novemberdunkel auftauchend, dazwischen, redet in ein imaginäres Handy und startet ihren atem- und reimlosen Schizo-Rap:

Ooh Mann, meine Kinner, / meine Kinner sinn gut, / haben IQ, hunnertvierzich, hunnertsiepzich, / alle Kampfsport unn so, / meinn Freund auch, / ich nicht, habbich Rücken, / will noch Kinner, geht aber nicht, / bin nämich evangelisch, mein Freund auch /  und“, triumphierend: „wir sinn beide Blutgruppe A-Null, jaah!“ sowie, beinhart nachgeschossen, „Welches Sternzeichn bistn du?“

 „Pöh! Wie heiß’tn überhaut? frag ich Ute zurück. „Ute“, sagt Ute. „Ich heiß Dings und bin Jungfrau“ sag ich, und sie: „Genau wie mein Bruder! Aber mit a, oder /  nee, / wart mal, mit  ee-i!“ – „Wie ich, wie ich, Ute!“ – „Wieso“ fragt Ute, etwas sprunghaft,  „für wie alt schätzt du mich denn?“ – „So um die 47einhalb?“ – Ute grinst verschmitzt und offenbart mädchenhaft-schüchtern: „Neununnvierzich“. Worauf ich wiederum emphatisch auf mich selber tippe und rückfrage: „Und du? Mich?“ – „Sechzich?“ antwortet Ute schnippisch-kokett, korrigiert sich aber angesichts meines Stirnrunzelns schnell: „Nee, im Ernst gezz, gaa nich wahr, so umme Vierzich, oder?“– „Schon besser Ute“, sag ich, „Du warst soo nah dran! Ciao, man sieht sich!“ – „Aber ich find alte Männer guut!“ kräht mir Ute hinterher. Ute ist bisschen meschugge, ja, aber im Prinzip gut drauf. Gutte-freundliche Mensch.

 * * *

Auf der Straße Stücker dreizehn Muslimkinder, wie hypnotisiert ihre Laternen schwenkend, singen aus voller Kinderkehle: „Sankt Maaaatin!“ – So fremd dann auch wieder nicht.

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