Frühstückskriminalistik (Die lügnerische Tochter)


So ginge es natürlich auch. (Foto-Quelle unbekannt, natürlich)

Herrlich kommodes, besinnliches Eheleben: Am Wochenende nach dem Frühstück beim Kaffee sitzen und, obwohl wir beide nicht katholisch sind, die Samstagsausgabe der „Rheinischen Post“  teilen. Egal, gerade deswegen: Katholisch erwachsen gemeinsame Zeitungslektüre, einhellig zwischen Weltverachtung und Realitätsverblüffung, Lachen und Kopfschütteln, Suizidneigung und Lebensjubel, usw. – Der Blick der Gattin wird erst beim Anzeigenteil wach. „Hör mal…“, sagt sie plötzlich und runzelt grüblerisch die Stirn, „… hör doch mal!“

* * *

 Der Text der kryptischen Anzeige aber lautete, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr, so:

 „Für meine Tochter

Bitte nicht weiter lügen.

Ich weiß Bescheid, dass Umzüge

laufen. Bin zu einem Gespräch

bereit und stehe hinter Dir.

Kommt bitte beide vorbei.“

 * * *

 Nach hinreichend langer Ehe sieht man nicht nur die Filme im eigenen, sondern auch die im Kopf der Gattin ablaufenden, und das kann beunruhigend wirken, wegen der Kontraste und, nun, der … Interferenzen. Stumm telepathisch einig waren wir Frühstückskriminalisten uns immerhin darin, dass die Annonce von einer Mutter stammen musste. Männer begehen nicht diese Art Denkfehler. Auch die Überlegung, wie viele anonyme Töchter sich durch die Botschaft einer namenlosen Mutter angesprochen fühlen dürften, war uns gemein, desgleichen, dass man unter „beide“ wohl das gleißnerisch verlogene Fräulein Tochter sowie ihren obskuren Lover, Stecher oder Schwängerer  zu vermuten hätte. Vielleicht ja ein Türke! Zum common sense durfte ferner gehören, dass ein Vater niemals mit „beiden“ sprechen wollen würde, sondern sich wohl vorerst den Knilch, das Jüngelchen, den „verdammten Frechling“  zur Brust genommen hätte.

 * * *

 Bedrohlich und kontrovers beurteilt wurde indes die unheilschwangere Andeutung, dass „Umzüge laufen“. Umzüge! Man bedenke das! Und sie „laufen“ bereits! Wieviele Leute ziehen da um, nomadisieren, wechseln ihre Adressen, verschwinden und sind womöglich nur noch durch Zeitungsanzeigen auffindbar! Der Abgrund eines ziemlich verzweifelten Durcheinanders tut sich auf. Man sollte die Polizei einschalten, oder besser noch RTL.

 * * *

 Meine lässig hingeschlenzte Bemerkung, „bitte nicht weiter lügen“ sei ja nun freilich eine Aufforderung, die gerade an mutmaßlich pubertierende oder bereits adoleszierte Töchter definitiv eher verschwendet sei, bedachte die Gattin mit kaltem Blick. Mütter! Andererseits ist dieses penetrante Bescheidwissertum ja nun typisch für Mütter, oder? Dass Mütter immer über alles Bescheid wissen, nervt und ist gerade kein Grund, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Andererseits, zugegeben, gehört es ebenfalls zu ihrer Definition, immer hinter einem zu stehen. Das ist gewiss ehrenwert. Aber sollte man deswegen gleich ein „Gespräch“ mit ihnen suchen, den Müttern?

* * *

 Andererseits aber: Warum lügt diese Tochter denn nur immer? Und warum hat sie keinen Namen? Sie heißt doch bestimmt Chantalle, Jaqckeline oder wenigstens Jassmin-Nikolle? Ist sie vielleicht bloß untergetaucht („umgezogen“), weil sie es satt hat, von ihrer Mutter mit Zeitungsanzeigen terrorisiert zu werden? Könnte doch sein! Wär ja nun nicht das erste Mal.

 * * *

 Der Fall bleibt ungelöst, vorerst, und ohne Pointe. – Also wenn die Tochter dies liest, soll sie sich bitte melden. Bald und egal wo, ich bin da und gesprächsbereit.

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7 Kommentare - “Frühstückskriminalistik (Die lügnerische Tochter)”

  1. puzzle Says:

    War der Zeilenumbruch der Anzeige tatsächlich so gestaltet? In dem Fall wirkt „bereit und stehe hinter Dir“ so gar nicht vertrauenerweckend und zudem wenig hilfreich, da es doch „hinter“ und nicht „zu“ dir lautet. Bin auf die Antwort-Anzeige gespannt.^^

  2. cbx Says:

    Aber Herr Magister: „Honi soit qui mal y pense“

    Die Tochter hat sich als Funkemariesche beim falschen Karnevalsverein (wo ihr Teilzeitlebensabschnittsbegleiter gerade stellvertretender Kassenwart ist) beworben und dort laufen schon erste Umzüge als Probe für den Rosenmontag 2012. Der 11.11. steht ja quasi schon vor der Tür!

    Doch noch besteht Hoffnung und Gelegenheit zur Umkehr.

    So wird ein Schuh draus!

    Ach, Rheinländer…

  3. philipp1112 Says:

    In welcher Rubrik ist denn die Anzeige erschienen? Bekanntschaften? Verloren/Gefunden?

  4. 6kraska6 Says:

    @puzzle: Genauso!
    @cbx: Mit Rheinländern hannisch jar nits ze donn. – Wir hier sind Niederrheiner. Das ist was ganz anderes. Rheinländer mit Niederrheiner zu verwechseln wäre wie Badener und Schwaben nicht auseinanderhalten zu können.
    @phillip: Vermischtes.

  5. Lakritze Says:

    Vermischtes. Da könnte man jetzt streng kommunikationspsychologisch rangehen … Nee, lassen wir besser.

  6. erinnye Says:

    Ich vermute, es handelt sich um einen lyrischen Versuch der Anzeigenabteilung aus Mangel an Anzeigenkunden. Die Zeilenumbrüche sprechen sehr für eine künstlerische Ambition.

  7. stroheim Says:

    Sicher nur ein verschlüsselter Informationsaustausch unter Geheimagenten.


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